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WAGNER Christoph, BITTERMANN Adi: Kronländer Kochbuch. 450 altösterreichische Rezepte. Prag - Krakau - Budapest -Triest. Pichler Verlag, Wien, Graz und Klagenfurt 2008.

GEBHART Werner Rudolf.   

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Mit dem vorliegenden Buch ist es Christoph Wagner gelungen, 90 Jahre nach dem Ende der Monarchie erstmalig ein „Reichskochbuch des Kaiserthums Österreich" zu schaffen. Im Gegensatz zur französischen oder englischen Küche gab es ja keine „österreichische" Küche, Österreich war keine Nation, weder die habsburgischen Erbländer noch das „Kaiserthum" Österreich 1804 bis 1918. Aber es gab eine Schnittmenge der regionalen Gerichte von Bregenz bis Czernowitz, von Ragusa bis Reichenberg, die sich in der kaiserlichen Haupt- und Residenzstadt als „Wiener Küche" konzentrierte und von hier wieder in die Landes- und Bezirkshauptstädte ausstrahlte. Christoph Wagner führt insgesamt 450 Speisen zu ihren Wurzeln in den altösterreichischen Kronländern zurück, löst sie aus dem Konglomerat der „Wiener Küche" und ordnet sie eigenständigen regionalen kulinarischen Traditionen zu.

Nach einer allgemeinen Einleitung, einigen Seiten über den „kaiserlich-königlichen Durst" und einem Verzeichnis der Kronländer als historischem Nachhilfeunterricht ist das Buch als siebengängiges Menü gegliedert: Vorspeisen - Suppenküche - Zwischengerichte - Beilagen - Fischgerichte - Fleischgerichte - Nachspeisen. Der Bogen der Gerichte spannt sich von einfachsten Vorspeisen wie Sardellenringerln über ungarische Ganslsuppe, oberösterreichische Speckknödel, galizische Sauerkraut-Piroggen, Triestiner Forellen in Parmesankruste, Wiener Bruckfleisch, böhmisches Kalbshirn und koschere Gänsebrust bis hin zum Topfenstrudel und der Siebenbürgischen Vogelmilch als letztem Rezept.

Auch die traditionellen Rezepte der Wiener Küche wie Rindsuppe, Gulasch und Wiener Schnitzel sind berücksichtigt. Christoph Wagner vertritt die in der rezenten Literatur häufig auftretende Ansicht, dass das gekochte Rindfleisch keineswegs häufig auf den Tisch kam. Diese Sichtweise beruht auf einer falsch interpretierten Fußnote in Anna Dorns „Neuestem Universal- oder großem Wiener Kochbuch" aus dem Jahr 1827, in der sie anmerkt, dass seit Kurzem in feinen Häusern das „ausgekochte Suppenfleisch" nur mehr auf den Domestikentisch komme. Dem entgegen stehen die Menüvorschläge der Kochbuch-Klassiker von Dorn über Seleskowitz bis zu Rokitansky und Hess, in denen täglich - außer an Fast- und Feiertagen - gekochtes Rindfleisch den Hauptgang bildet. Interessant ist der Tipp des Co-Autors und Haubenkochs Adi Bittermann, das Rindfleisch mindestens 6-8 Stunden kochen zu lassen, während z. B. Marie v. Rokitansky in ihrem berühmten Kochbuch von 1897 schreibt: „Das Fleisch darf nur 1 ½ - 1 ¾ Stunden kochen, da sonst die besten Säfte verloren gehen und nur die ausgekochten Fasern übrig bleiben, die dann nur geringen Nährwert und Wohlgeschmack haben."

Großen Raum widmet Wagner dem Gulasch, einem typischen, von der Wiener Küche übernommenen und re-exportierten Gericht. Im „Kronländer Kochbuch" sind 25 Gulaschrezepte enthalten, Dorn kennt 1827 nur zwei Arten „Kolaschfleisch". Seleskowitz bietet 1880 vier Varianten, Rokitansky führt 1900 unter „Gulyas" 14, Hess 1931 17 Rezepte an.

Dem „Mythos des Wiener Schnitzels" widmet Wagner neben dem Rezept eine ganze Seite - kommt es nun aus Mailand, von den Mauren oder aus Byzanz? Der Streit erscheint müßig, seit den ersten Überlieferungen wurden nicht nur Kalbfleisch, sondern auch Schwein, Huhn und Innereien paniert und gebacken. Anna Dorn führt 1827 Heringe, Frösche, Austern und junge Hühner, Zenker 1829 ebenfalls gebackene Frösche und Fische an. Der Ausdruck „Wiener Schnitzel" tritt allerdings erst 1900 bei Rokitansky auf.

Die Darstellung der k. u. k. Köstlichkeiten wird durch Spezialrezepte des Wiener Haubenkoches Adi Bittermann und die hervorragenden Speisenfotos von Kurt-Michael Westermann ergänzt. Vergleiche mit Kochbüchern des 19. Jahrhunderts zeigen, dass die Rezepte im Wesentlichen unverändert wiedergegeben wurden, einige „Entschärfungen" sind unvermeidlich. Beim Bruckfleisch schreibt Rokitansky z. B. vor, dass die Zutaten noch lebenswarm verarbeitet werden müssen, was heute kaum machbar wäre. Während bei Wagners Paradeissauce ein bisschen Zucker nur zum Abschmecken dient, basiert die Paradiesäpfel-Sauce der Freifrau v. Rokitansky auf einer Einbrenn von Zucker und Mehl.

An dem durchwegs gelungenen Werk findet man kaum Kritikpunkte - so kommt auf Seite 174 das Letscho aus einem nichtexistenten Reichsland Bosnien-Montenegro. Und wie haben es auf Seite 189 die köstlichen Waldviertler Knödel verdient, unter dem DDR-Unwort „Sättigungsbeilage" zu fungieren?

Alles in allem ein inhaltlich und gestalterisch hervorragendes Werk, das die in der klassischen Wiener Küche vorhandenen eigenen und fremden Elemente auf ihre lokalen Wurzeln zurückführt und nicht der Nostalgie, sondern dem kulinarischen Nacherleben einer großen Tradition dienen soll.

 

WAGNER Christoph, BITTERMANN Adi: Kronländer Kochbuch. 450 altösterreichische Rezepte. Prag - Krakau - Budapest -Triest. Pichler Verlag   Abbildung 1: Ein nachhaltiger Beitrag zur gemeinsamen Geschichte: Gefülltes Hendl aus dem Königreich Böhmen (S. 337),