Logo Epikur - Journal für Gastrosophie
Zentrum für Gastrosophie Impressum
Startseite > Archiv > Epikur Journal 02/2011 > Johan van Bevervijck

Johan van Bevervijcks „Schatz der Gesundheit“. GesundheitsRegimina in der Renaissance

Guy DROIN.   

Dieser Artikel untersucht anhand von Johan van Beverwijcks Regimen „Schatz der Gesundheit“ die Entwicklung von Gesundheitsratgebern in der Renaissance.

Einleitung

Regimina oder Gesundheitsratgeber waren eine Buchgattung, die sich schon im Mittelalter, vor der Erfindung des Buchdrucks und bei noch mäßig verbreiteter Schriftlichkeit, großer Beliebtheit erfreuten. Das Aufkommen der Buchpresse und eines immer größeren Kreises an potentiellen Lesern zu Beginn der Neuzeit war dieser Textgattung förderlich, und bald waren Regimina ein wichtiger Bestandteil des frühneuzeitlichen Gesundheitswesens. Allerdings konnten die so fortschrittlichen Denker der Renaissance die mittelalterlichen Werke nicht ohne Kritik kopieren, weshalb sie nach ihren Kriterien neue Werke verfassen wollten, die vor allem praxisorientierter sein sollten. Im Folgenden wird ein solches Renaissance-Regimen, nämlich Johan van Beverwijcks Schatz der Gesundheit in der Übersetzung von Philipp von Zesen aus dem Jahre 1671 (das holländische Original wurde 1635 publiziert), nach diesen Kriterien abgesucht.

Die Quelle als Ganzes zu behandeln, würde den Rahmen hier leider sprengen, da es sich um ein sehr umfangreiches Werk handelt. Vielmehr werden einzelne Stellen passend zur Fragestellung untersucht und jeweils passend kurze Abschnitte aus dem Schatz der Gesundheit als Belege angebracht. Die Fragestellung, wie schon oben erwähnt, lautet konkret: Sind die Regimina, die während oder nach der Renaissance entstanden, von deren Kritik am Mittelalter beeinflusst worden? Welche Änderungen bringen wissenschaftliche, aber auch soziale Veränderungen zu dieser Zeit für alltägliche Ratschläge zur gesunden Lebensführung?

 

Renaissance: die Kritik der Humanisten an der Diätetik

Die Tradition der Regimina

In der Antike werden die Grundlagen für die  europäische Diätetik gelegt. Als erste beginnen die Griechen um 500 vor Christus die Gesundheit als menschliche und nicht mehr als religiöse Angelegenheit zu betrachten. Hippokrates (ca. 450 bis 370 v. Chr.) erstellt als erster Regeln zur gesunden Lebensführung die das Zusammenwirken von Mensch und Natur erfassen und die grundlegenden Prinzipien der sex res non naturales und der Vier-Säfte-Lehre beinhalten.(1)

Als zweiter wichtiger antiker Autor für die Diätetik gilt Galen, der vor allem eine Zusammenfassung der antiken Vorstellungen erstellte und für die nächsten 1600 Jahre die Autorität schlechthin auf diesem Gebiet werden sollte.(2) Das Christentum verhielt sich jedoch zu antikem Wissen und medizinisch-anthropologischen Vorstellungen eher distanziert.(3) Der arabische Raum überbrückte die für Europa wechselvollen Jahrhunderte von Spätantike und Frühmittelalter, und rezipierte ausführlich die Werke Galens und Hippokrates'. Ab dem Hochmittelalter wurden zahlreiche Werke wieder vom Arabischen ins Lateinische übersetzt.(4) Den Beginn machte wohl das  Regimen Sanitatis Salernitatum (1101), doch es folgten bald viele Werke verschiedenster Gelehrter, die die galenische Diätetik wieder aufgriffen und erweiterten. Dabei werden die Ratschläge immer detaillierter, immer genauer und komplizierter, was auch an den vielen Übersetzungen und Übertragungen liegt. Obwohl christliches Gedankengut einen immer größeren Platz einnahm, war die führende Kraft hinter den mittelalterlichen Regimina immer noch Galen.(5)

 

Renaissance

Die wichtigste Neuerung, die man im Zusammenhang mit der Diätetik in der Renaissance nennen muss, ist die Erfindung des Buchdrucks.(6) Nur dadurch, dass jetzt plötzlich vergleichsweise billig, recht einfach und vor allem in großer Zahl Schriften produziert werden konnten, war es möglich, dass diätetische Schriften von einem Luxusgut für Reiche eine darüber hinaus gehende Verbreitung erreichen konnten. Dieser Schritt ist für die weitere Entwicklung der Diätetik sehr wichtig, da durch die Entstehung eines breiteren Publikums ein Überdenken der Methoden und Ideen vonnöten war.

Außerdem war es nun möglich, Schriften überhaupt billiger zu produzieren, sodass viele neue Autoren Werke verfassten, um sie in Umlauf zu bringen. Auch am anderen Ende der Kette, bei den Verbrauchern, veränderte der Buchdruck die Lage: Es entstand eine recht große Nachfrage nach Büchern im Allgemeinen, und Regimina waren darunter sehr beliebt. Es entstand dadurch eine Vielzahl von Werken, wie es sie bisher noch nicht gegeben hatte, wobei der Trend dementsprechend weg von höfischer, adeliger Lebensweise hin zu alltäglicheren Problemen des Lebens ging.(7)

In diesem Zusammenhang entstanden dann auch neue Spielrichtungen der Diätetik, die sich auf neue Bereiche des Lebens konzentrierten. Auch früher hatte es schon vereinzelt Regimen für bestimmte Bevölkerungs- oder Altersgruppen gegeben, so zum Beispiel für Schwangere, Kinder oder Alte. Solche Regimina nahmen Rücksicht auf die besonderen Lebensbedingungen für diese Gruppen, da ihr natürliches Gleichgewicht gestört war und „normale" diätetische Regeln nicht anwendbar waren. In der Renaissance entstanden jetzt neue Regimina, die auf den Lebenswandel des Gelehrten oder Studenten zugeschnitten waren. Ausgehend von den Richtlinien, die schon seit der Antike gültig waren, wurden für neue Bereiche ausgefeilte Regelwerke erstellt, die ganz besondere Umstände berücksichtigten und die traditionellen Ratschläge anpassten. Im Unterschied zu vielen Regimina, die vor allem darauf abzielen, die persönliche Gesundheit zu erhalten, wird hier besonders darauf geachtet, dass sich die intellektuellen Fähigkeiten der Betroffenen bestmöglich entfalten können. So wird zum Beispiel häufiger Beischlaf (trotz der Ermahnung zur körperlichen Ertüchtigung) als schädlich für das Gehirn angesehen und ist damit für Gelehrte zu vermeiden.

Nun ist das aber mehr eine Weiterentwicklung denn eine Kritik an der mittelalterlichen Diätetik. Es wurden gegebene Richtlinien so angepasst, dass sie ihre Rolle auch unter neuen Bedingungen erfüllten. Doch es gab von Seiten der Renaissancegelehrten durchaus kritische Stimmen. Die meisten waren für eine Rückkehr zu den Wurzeln, also zu den „reinen" Lehren von Galen und Hippokrates. Sie lehnten die in ihren Augen komplizierten und verfälschten, oftmals kopierten und übersetzten Werke der mittelalterlichen Diätetiker ab. Zu verworren seien deren Ratschläge, zu vage und unklar. Die neuen Regimina, die im Laufe des 16. Jahrhunderts entstanden, entnahmen ihren Inhalt mehr oder weniger direkt von den Schriften Galens und sie legten großen Wert auf klare, restriktive Regeln. Natürlich entstanden dadurch Probleme, sowohl was Begriffe an sich anging, als auch Nahrungsgewohnheiten und -mittel, die zwar im antiken Griechenland geläufig, mehr als 1000 Jahre später allerdings in Vergessenheit geraten waren. Dennoch wurden zu dieser Zeit zahlreiche, oft auf Latein verfasste galenische Regimina verfasst.(8)

Ganz extrem führte der Arzt Agrippa 1531 in einer Streitschrift Über die Fragwürdigkeit, ja Nichtigkeit der Wissenschaften, Künste und Gewerbe  das Wort gegen die Diätetik, die seiner Meinung nach viel zu kompliziert, ja gar verkommen war. Würde man alle Gesundheitsvorschriften der Ärzte und Diätetiker befolgen, so Agrippa, sei das schädlich für die Gesundheit. Ihre Lehren seien weltfremd geworden, unmöglich einzuhalten. Die Ärzte selbst, meinte er, würden sich ja nicht daran halten.(9) Solche Äußerungen sind nachvollziehbar, bedenkt man die lange Tradition aus Überlieferungen und Übersetzungen, wo sich jeder Autor bei anderen bedient und eigene Meinungen dazu mischt.

Generell war die Diätetik im Zuge der Renaissance also vereinfacht worden. Da außerdem  medizinisch-diätetische Ratgeber nun weit verbreitet waren, konnte in der Bevölkerung ein allgemeines Gesundheitsbewusstsein entstehen. Je höher die soziale Stellung, desto genauer und effizienter konnte man den Richtlinien folgen, doch es spricht einiges dafür, dass auch die unteren Schichten zumindest eine Ahnung von Ansätzen gesunder Lebensführung hatten.(10) Die Vorbeugung durch das Wahren des natürlichen Gleichgewichtes steht hier ganz klar im Vordergrund, studierte Ärzte wurden selbst bei wohlhabenden Familien nur dann gerufen, wenn wirklich ein Notfall vorlag. Selbsthilfe war der Normalfall, und sollte man trotz aller Vorbeugungen und diätetischen Tipps erkranken, war der Gang zu Laienärzten der erste Schritt.(11)       
Das zeigt zum einen, dass das diätetische Verständnis der Menschen zu dieser Zeit schon so eingeprägt ist, dass man eher darauf vertraut, als einen Arzt zu rufen, dessen Beruf es schließlich sein sollte, Menschen zu heilen.

Im 17. Jahrhundert schließlich wird, in Anlehnung an jene Kritik an der Diätetik zunehmend Abstand genommen von der klassischen Lehre nach Galen und Hippokrates. Natürlich bilden ihre Prinzipien, von der Vier-Säfte-Lehre über die res non naturales, weiterhin den eigentlichen Grundstein der Gesundheitslehre, aber man beginnt, durch neue medizinische Erkenntnisse, den Körper anders zu sehen. Außerdem werden die meisten Bücher nun definitiv einem praktischen Nutzen zugedacht, sie werden oft in Volkssprache verfasst und beinhalten mehr praktische Ratschläge als große Theorien. Verschiedene Werke behandelten Aspekte des täglichen Lebens, wozu auch Situationen wie Schwangerschaft und Geburt, Krankheit oder Alter behandelt wurden.(12)

Ein weiterer Schritt in der Entwicklung von Medizin und Diätetik bildet Descartes (1596-1650) Dualismus. Durch seine rationalistische Philosophie („cogito, ergo sum") bestimmt er den Geist oder die Seele als einzigen Sitz der Persönlichkeit. Dadurch wird der physische Körper nur noch als Gefäß wahrgenommen, die bisher oft gültige Theorie von der Einheit von Geist und Körper wurde damit für die Anhänger des Cartesianismus aufgehoben.

Die daraus entstehenden Theorien sahen den Körper nicht mehr wie früher als „Mikrokosmos", sondern eher als eine Art Maschine. Die Gelenke und Muskeln wurden mit Hebeln verglichen, und physikalische Regeln und Gesetze auf ihre Wirkung angewendet. Auch der Blutkreislauf wurde mechanisiert und als eine Art Röhrensystem dargestellt.(13) Überhaupt wurde der menschliche Körper nun gemessen: Temperatur, Puls, Größe, etc. Es erfolgte dadurch sozusagen eine „Säkularisierung des Leibes"(14), da man eine solche Maschine ja reparieren kann, das heißt, durch physische Eingriffe wieder zurechtbiegen. Diese Ansicht veränderte komplett die Sicht auf Leiden und Gebrechen: War man vorher von Krankheiten als Entitäten ausgegangen, gar als Strafe Gottes, so sah man nun darin Symptome dafür, dass in der Maschine Mensch etwas nicht richtig läuft. Unter Umständen waren Schmerzen sogar positiv, da sie auf Fehlfunktionen hinwiesen.           
Verschiedene weiterführende Theorien aus dem Cartesianismus entstanden im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts, unter anderem Iatrochemie und Iatromechanik, die beide die Funktionsweise dieses Maschinenkörpers und damit auch dessen Behandlung auf verschiedene Weise verstanden und entwickelten. Dies alles auszuführen würde aber den Rahmen dieser Arbeit sprengen, zumal der Schwerpunkt auf der Renaissance liegt. Auch ist die Quelle, die ich im Folgenden behandeln werde um 1671 publiziert worden und damit außer Reichweite dieser Theorien.

Obwohl sich dieses Kapitel „Kritik der Humanisten" nennt, kann man also nicht so sehr davon als vielmehr, für lange Zeit, von einem Entwicklungsprozess reden. Zwar verschmähten die Humanisten der Renaissance ihre mittelalterlichen Kollegen wegen derer aus ihrer Sicht unreinen und verkommenen Werke, doch nahmen auch sie wieder Galen und Hippokrates auf und streuten dann ihre eigenen Ideen ein. Auch die Komplexität der Werke, die kritisiert wurde, hatte sich tatsächlich nicht so stark verändert. Im Gegenteil, Renaissance-Regimina hatten zum Teil detaillierte Abhandlungen über Bewegung und Sport sowie Nahrung in allen Lebenslagen. Erst mit der Verbreitung der Werke in immer größeren Bevölkerungsschichten begannen die Autoren, lebensnahe Ratschläge zu erteilen und sich sozusagen ihre eigene Kritik zu Herzen zu nehmen. Der Cartesianismus schließlich brachte die Medizin und damit auch die Diätetik auf einen ganz neuen Weg, der weiter weg von den antiken Methoden ging als bisher.  
Der nächste Teil soll nun anhand eines konkreten Beispiels ergründen, ob diese Grundsätze der Renaissance-Denker auch in die Praxis umgesetzt wurden.

 

Johan van Beverwijcks Schatz der Gesundheit - eine Analyse

Zur Person

Johan van Beverwijck (oder Beverovicius) war ein niederländischer Arzt und Gelehrter. Er wurde am 17. November 1594 in Dodrecht geboren und verstarb dort am 19. Januar 1647. Er beschäftigte sich schon in seiner Jugend mit Anatomie und Medizin, studierte aber 1611 in Leiden zunächst Literatur, später Medizin und promovierte 1614. Er reiste dann durch Europa, vor allem Frankreich und Italien, wo er dann in Padua 1616 sein Studium der Medizin begann und abschloss. Er kehrte 1618 nach Dodrecht zurück und wurde dort prompt Stadtarzt. Er war in der Stadt eine wichtige Persönlichkeit und wurde 1627 in den Stadtrat berufen. Er hatte auch weitere öffentliche Funktionen, unter anderem als Professor und Leiter des städtischen Waisenheims. Er schrieb viele Werke, sowohl zu medizinischen als auch zu literarischen Themen und hielt Kontakt mit vielen europäischen Gelehrten, unter ihnen auch René Descartes.(15)

 

Zum Werk - der „Schatz der Gesundheit"

Das Regimen „Schatz der Gesundheit" Johan van Beverwijcks wurde 1643 publiziert(16), also schon zu einer Zeit, als die neuen Ideen der Renaissance Fuß gefasst haben sollten. Außerdem ist das hier verwendete Exemplar eine deutsche Übersetzung von Philipp von Zesen aus dem Jahre 1671, was wohl zeigt, dass dieses Werk auch noch 30 Jahre nach seinem Erscheinen relevant genug war, um übersetzt zu werden. Man kann daher vermuten, dass die darin niedergeschriebenen Ideen dem Zeitgeist gut entsprachen. Demnach sollte dieses Regimen die Forderungen der Humanisten erfüllen und lebensnahe, leicht ausführbare Anweisungen geben, um die Gesundheit zu erhalten.

Der erste Teil des Werkes ist ein Abschnitt über das Leben und die Gesundheit, welches in 8 Hauptteile gegliedert ist. Beverwijck beginnt mit einer Erzählung des Sündenfalls und führt diesen als Grund für die Anfälligkeit des Menschen für Krankheiten an. Er fährt fort mit der Rolle des Menschen in der Schöpfung und setzt sich dann mit der Langlebigkeit biblischer Gestalten im Vergleich mit den heutigen Menschen auseinander. Er bemerkt im nächsten Abschnitt, dass das Leben kaum, und wenn, dann unbefriedigend verlängert werden kann, nur um dann im nächsten Kapitel „Ob die Bücher von Bewahrung der Gesundheit nützlich und nohtwendig seind" den Nutzen des Regimens zu legitimieren. Schließlich behandelt er noch die Gesundheit an sich und wie sie zu erhalten sei.       
Diese Einleitung dient scheinbar als eine Art Legitimation des folgenden Werkes, sowohl in religiöser als auch in wissenschaftlicher Hinsicht. Es enthält so weit wenige interessante Informationen, es werden allerdings schon hier antike Autoritäten genannt(17), sowie die Theorie der vier Eigenschaften (heiß, kalt, trocken, feucht) und der Säfte.(18) Man sieht also, dass dieses Regimen von Anfang an in der Tradition der klassischen Diätetik steht. Es finden sich jedoch keine Verweise auf „modernere" Autoren oder mittelalterliche Texte, alle zitierten und genannten Personen sind antike Figuren. Dies könnte darauf hinweisen, dass man, wie in der Renaissance gefordert, zurück zu den reinen Ursprüngen gegangen ist. Neben dem Aspekt der Legitimation scheint dieser Abschnitt also auch dazu zu dienen, eine grobe Einführung in die diätetischen Grundlagen zu geben.


Nach dieser Einleitung beginnt das eigentliche Regimen. Der erste Teil beschäftigt sich mit den Gemütszuständen, nämlich „<...>solche gemühtsbewegungen/ welche durch ihre übermäßige zaumloßheit den Leib am meisten entstellen und die Gesundheit verletzen".(19) Diese wären: Traurigkeit, Neid, Liebe, Ehrgeiz, Geldgeiz, Freude, Zorn und Furcht. Beverwijck sieht hierbei keine schlechten oder guten Eigenschaften, es hängt von der individuellen Verfassung ab, ob eine dieser Gemütsbewegungen dem Menschen zuträglich ist.

 

„So ist es auch vor die jenigen/ die alzu auflaufend und alzu kurz angebunden/ oder die alzu fett seind/ sehr gut/ daß sie mit was sorge/ furcht oder traurigkeit heimgesucht werden; damit die hitze ihrer geister was abkühlet/ und ihres leibes alzulastige fettigkeit was vermidert." (19)

 

Die oben genannten Gefühle werden dann einzeln beschrieben, mehr oder weniger ausführlich, wobei jeweils auf deren Ursachen, Symptome und Auswirkungen - gute und Schlechte - eingegangen wird. Wichtig ist hierbei, dass diese Auswirkungen nicht rein geistiger Natur sind, sondern auch auf den Körper übergreifen. Die Traurigkeit zum Beispiel soll den Menschen ungeschickt machen und ihn erschlaffen lassen, was zum Tode führen kann.(21) Ausgeschmückt werden die jeweiligen Berichte durch Beispiele aus der Geschichte, wobei sowohl neue Ereignisse wie der Tod von Heinrich IV. von Frankreich 1610(21) als auch der Sieg der Römer über Philipp von Mazedonien angeführt werden. Illustriert werden diese Beschreibungen auch von Zitaten verschiedener, meist antiker Autoren, wie Seneca, Ovid oder gar Homer, die die jeweiligen Gemütsbewegungen beschreiben.        
Beverwijck belässt es hier aber meist bei der Beschreibung, er gibt wenige Ratschläge, was man tun könne, um seine Gefühle zu mäßigen, außer zum Beispiel bei der Traurigkeit. „Das erste und beste mittel ist/ daß man die dinge/ die uns betrüben/ verachte/ und nicht währt schätze/ uns deswegen einst zu bekümmern<...>".(23)

Nach den „Gemütsbewegungen" spricht Beverwijck die Umwelteinflüsse an. Seine vier Punkte sind hierbei Luft, die Jahreszeiten, die Winde und die Geographie. Deren Einflüsse auf den Menschen werden jeweils kurz beschrieben.            
Die Luft wird als eines der wichtigsten Einflüsse auf den Menschen genannt.(24) Die Luft muss, so Beverwijck, gemäßigt sein in Feuchtigkeit/Trockenheit und Wärme/Kälte. Er führt die Nachteile unausgeglichener Luft an, sowie die Vorteile einer „guten" Luft, und zählt verschiedene Ursachen auf, die die Luft an einem Ort beeinflussen können. Seen und Sümpfe, Berge und Minenschächte werden als Faktoren genannt, wobei auch hier zum Beispiel wieder Hippokrates angeführt wird.(25)         
Im nächsten Punkt werden kurz die Jahreszeiten und ihre Eigenschaften besprochen, wobei es hier wirklich nur bei einer Beschreibung bleibt. Hippokrates wird oft zitiert und seine Lehren im Grunde übernommen.(26)          
Der nächste Abschnitt behandelt den Wind als „<...>vornehmste ursache/ welche die luft verändert/ und durch diese auch unsere Leiber".(27) Der Wind wird als Verursacher oder zumindest Überträger von Seuchen gesehen und hat auch außerdem einen großen Einfluss auf den Menschen. Je nach Windrichtung ist dieser Einfluss unterschiedlich, fest steht für Beverwijck, dass sie die Luft an einem Ort stark beeinflussen und verändern können, was sich zum Teil sehr negativ auf den Menschen auswirken kann.(28)
Der letzte Punkt dieses Teiles schließlich handelt von lokalen geographischen Besonderheiten, vor allem die Luft betreffend, und ist im Grunde eine Konkretisierung der vorangegangenen Punkte für bestimmte Gegenden. Auch hier bezieht sich der Autor stark auf antike Autoritäten (vor allem Hippokrates und Aristoteles).

Der Nächste Teil des „Schatz der Gesundheit", den ich hier nicht im Detail behandeln werde, beschäftigt sich mit der Ernährung. Nach einem einführenden Kapitel über den Wert der Nahrung, werden 20 verschiedene Nahrungsmittel(-gruppen) extensiv beschrieben, von ihren Qualitäten, über ihren Ursprung, ihre Verarbeitung bis zu ihrer Wirkung auf den Menschen. Diese Beschreibungen entsprechen denen der klassischen Diätetik.(29)        
Der erste Teil schließt dann mit einem Kapitel, das kurz die restlichen Aspekte der sex res non naturales behandelt: Bewegung und Ruhe, Schlafen und Wachen, sowie Ausscheidung und Beischlaf. Auch hier wird nichts Neues erwähnt, als dass im Schlafen und Wachen und Bewegen und Ruhen immer das rechte Maß gehalten werden soll.(30)

Nun aber beginnt der zweite Teil des „Schatzes", der die bisher angeführten theoretischen Grundlagen in praktischen Ratschlägen verarbeitet. Beverwijck geht dabei „chronologisch" vor. Er fängt bei der Zeugung der Kinder an und geht dann, über Schwangerschaft, Stillzeit und Erziehung bis zum Erwachsenenleben und weiter zum Alter.       
Interessanterweise beginnt Beverwijck damit, dass er einräumt: „Der algemeinen lehren seind sehr wenig; weil alles allen und einem ieden nicht eben nützlich ist. Das was dem einen guht und ersprießlich/ das ist oftmahls/ wie man siehet/ einem anderen hinderlich und schädlich;".(31) Auch was die Luft und die anderen res non naturales betrifft räumt er ein, dass es außer einem Achten auf das rechte Maß keine allgemeine Regel gibt.(32)

Es folgt, ein Abschnitt, der sich genauestens mit den Kindern, von deren Zeugung bis zu ihrer Erziehung, beschäftigt, und den ich aus Platzgründen außen vor lasse. Der Teil, den ich nun genauer betrachten will, lautet „Vom Maße der Speise/ und wie viel man essen mus".(33) „Es ist nicht genug/ daß man auf die sotahnigkeit der Speise siehet/ und die gesundeste wählet; sondern man muss auch sorge tragen/ daß man von der besten Speise nicht zuviel isset"(33), fängt Beverwijck das Kapitel an. Er führt im Weiteren an, was alles die Menge an Nahrung, die man zu sich nehmen kann, beeinflusst. Er sieht drei Faktoren, die das beeinflussen: Zum einen die Speise selbst, dann den Esser und schließlich die Umweltbedingungen (Luft, Jahreszeit etc.).(33) Man soll nicht zu viel „harte Speise" zu sich nehmen, aber wenn, dann eine wohlschmeckende, die der Körper leichter „verzeiht". Aber einfach leichte Mahlzeiten zu sich zu nehmen ist auch nicht die Lösung, denn sie „<...>senken sich in die Selbstständigkeit des Magens/ daraus sie nicht gelangen können."(36) Auch die tagsüber verrichtete Arbeit sowie die Jahreszeit müssen bedacht werden, denn sie wirken sich stark auf die benötigte Nahrungsmenge aus. Schlussendlich jedoch bleibt es dem Leser überlassen, wie viel wovon er zu sich nehmen kann. „Aus diesen ursachen sol derjenige/ dem seine gesundheit lieb ist/ fleissig zusehen/ wieviele Speise sein magen vertragen kan.".(37)

In der gleichen Art sind die folgenden Kapitel gehalten, die sich mit der Essenszeit, dem Trank und der Bewegung befassen. Der Tenor lautet stets: Maßhalten, wobei man auf die äußeren sowie inneren Zustände achten soll. Im Falle von Speis und Trank führt Beverwijck oft verschiedene Lehrmeinungen an, deren Vorstellungen sich widersprechen, und kommt immer auf den Fazit, dass dies individuell gelöst werden muss, abhängig von der persönlichen Verfassung sowie den äußeren Umständen.(38) Es gilt also auch hier, bei allen Ratschlägen ist doch das Gefühl des Lesers für die eigene Person und Situation gefragt.

 

Schluss

Ich habe in dieser Arbeit versucht, anhand des „Schatz der Gesundheit" von Johan van Beverwijck zu ergründen, ob die von den Gelehrten der Renaissance ausgeübte Kritik an den diätetischen Werken des Mittelalters eine reelle Entsprechung in zu dieser Zeit veröffentlichten Werken gefunden hat.          
Konkret betraf die Kritik der neuen, aufgeklärten Gelehrten das Verworrene an den mittelalterlichen Schriften, ihre Realitätsferne und die unmöglich befolgbaren Richtlinien. Man war der Meinung, dass durch ständig wiederholte Überlieferungen und Übersetzungen die Regimina keinerlei praktischen Nutzen mehr hatten und man jetzt zu den Wurzeln zurückkehren müsse. Das finde ich in dem von mir analysierten Regimen erfüllt. Sicher, der Mittelteil des „Schatzes" beinhaltet seitenlange Abhandlungen über die Eigenschaften von bestimmten Nahrungsmitteln, ihre Geschichte und ihre möglichen Anwendungen und Zusammenhänge, dennoch ist recht klar ersichtlich, was sie bewirken können oder sollen. Es werden einige Autoritäten und deren Standpunkte genannt, die Struktur ist klar wenn auch etwas aufgebauscht. Das wichtigste ist jedoch in meinen Augen, dass dieser Teil, welcher die theoretischen Aspekte von Nahrung, Umwelt, Bewegung etc. auflistet, kein essenzieller Teil des Regimens ist. Die tatsächlichen Regeln zur Ernährung und Lebensführung bilden einen eigenen, getrennten Abschnitt, der sich zwar mit der Theorie verbinden lässt, aber nicht zwingend eingebunden ist. Der theoretische erste Teil ist mehr eine Art Nachschlagewerk oder Enzyklopädie (die allerdings immer noch für den Laien verständlich ist) während der „Regelteil" auch gesondert funktioniert.
Dieser sozusagen praktische Teil selbst ist einfach gehalten. Keine Spur hier von strikten, komplizierten Regeln, von bestimmten Speisen, die nur unter gewissen Umständen zu essen sind, oder dergleichen. Es bleibt bei unverbindlichen Ratschlägen. Dem Leser ist viel Freiheit bei deren Befolgung eingeräumt, dennoch hat er einen Rahmen, an den er sich halten kann.        
In diesem Sinne bin ich der Meinung, das die Kritikpunkte der Humanistengelehrten hier beachtet wurden. Es handelt sich hierbei klarerweise um ein Buch für Laien, das Ratschläge für die alltägliche Erhaltung der Gesundheit bietet. Die Erzählform mit vielen (geschichtlichen) Beispielen zur Illustration, die einfache Gestaltung der Regeln, das direkte Berufen auf antike Autoritäten, all das sind für mich klare Hinweise darauf, dass die anfangs gestellte Frage mit Ja zu beantworten ist. Die Kritik der Renaissance war nicht nur rein passiv, sie hatte auch tatsächliche Auswirkungen auf spätere Werke.

 

Quellen- und Literaturverzeichnis

Beverwijck, Johan van (1671): Schatz der Gesundheit/ das ist/ Kurtzer Begrif der algemeinen Bewahrkunst. Amsterdam: Johan Blauen. Übersetzung des Originals aus 1643 durch Philipp von Zesen. Online-Ausgabe (Scan) auf http://diglib.hab.de/drucke/31-med-2f/start.htm (30.08.2011).

Albala, Ken (2002): Eating Right in the Renaissance. Berkeley u.a.: California Press.

Beer, Michael (2010): Taste or Taboo -  Dietary Choices in Antiquity.  Totnes: Prospect Books.

Bergdolt, Klaus (1999): Leib und Seele - Eine Kulturgeschichte des gesunden Lebens. München: Beck.

DeAngelis, Simone (2004): Pufendorf und der Cartesianismus -  Medizin als Leitwissenschaft und die Rolle der Bibelhermeneutik in Pufendorfs Verteidigung des Naturrechts um 1680. In: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur, 29, 2004 (1. Auflage). S. 129-172.

Molhuysen, P. C., Block, P. J. (Hrsg.) (1911): Nederlandsch biografisch woordenboek. Deel 1. Leiden: A.W. Sijthoff. (Zitiert nach der Online-Ausgabe auf       
http://dbnl.nl/tekst/molh003nieu01_01/molh003nieu01_01_0627.php (06.12.2011)).

Johan_van_Bevervijck (88k)

Quellen, Anmerkungen

  1. Vgl. Bergdolt, 1999, 35-41.  
  2. Vgl. Albala, 2002, 20f, und Bergdolt, 1999, 103-109.  
  3. Vgl. Bergdolt, 1999, 119f.  
  4. Vgl. Albala, 2002, 23.  
  5. Vgl. Bergdolt, 1999, 170.  
  6. Vgl. Albala, 2002, 25.  
  7. Vgl. Albala, 2002, 30-36.  
  8. Vgl. Albala, 2002, 30-32.  
  9. Vgl. Bergdolt, 1999, 191f.  
  10. Bergdolt, 1999, 219.  
  11. Bergdolt, 1999, 221.  
  12. Albala, 2002, 36-38.  
  13. Bergdolt, 1999, 227.  
  14. Bergdolt, 1999, 226; vgl. außerdem DeAngelis, 2004, 134f.  
  15. Molhuysen, 1911, 327-332.  
  16. Er hat es schon früher geschrieben, wie er im Vorwort sagt. „Es seind albereit funfzehen jahre verlauffen/ als ich die letzte feder an dieses werk setzte. So lange hat es sich bei mir verweilet." Beverwijck, 1671, 1. Seite (o.N.).  
  17. So zum Beispiel Plato, Celsus und Hippokrates: Beverwijck, 1671, 14; oder auch Galen: Beverwijck, 1671, 16.  
  18. Beverwijck, 1671, 20.  
  19. Beverwijck, 1671, 28.  
  20. Beverwijck, 1671, 28.  
  21. Beverwijck, 1671, 31.  
  22. Beverwijck, 1671, 31.  
  23. Beverwijck, 1671, 32.  
  24. Beverwijck, 1671, 80.  
  25. Beverwijck, 1671, 82f.  
  26. Beverwijck, 1671, 85-88.  
  27. Beverwijck, 1671, 88.  
  28. Beverwijck, 1671, 89-92.  
  29. Vgl. Albala, 2002, 79-115.  
  30. Vgl. Albala, 2002, 48-79.  
  31. Beverwijck, 1671, 177.  
  32. Beverwijck, 1671, 180.  
  33. Beverwijck, 1671, 217.  
  34. Beverwijck, 1671, 217.  
  35. Beverwijck, 1671, 217.  
  36. Beverwijck, 1671, 218.  
  37. Beverwijck, 1671, 219.  
  38. Siehe zum Beispiel das Kapitel über Abend- und Mittagessen: Beverwijck, 1671, 221.  
Johan van Bevervijcks „Schatz der Gesundheit“. GesundheitsRegimina in der Renaissance