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GRADWOHL Joachim, KAUBEK Udo: Das große Julius Meinl Kochbuch. Christian Brandstätter Verlag, Wien 2009.

KOLMER Franziska.   

„Der Graben ist Wiens Prachtboulevard. In repräsentativer Breite angelegt, gesäumt von Palais und architektonischen Sehenswürdigkeiten, angenehm verziert von Brunnen und demutsvoll ausgestattet mit der Pestsäule ... führt er vom Platz am Stephansdom zum Kohlmarkt ... als Schlussstück dieses stimmungsvollen Straßenzuges überblickt das Haus Graben 19 würdig und doch leicht in seiner Anmutung eine Schaubühne der gepflegten Wiener Lebensart. Von hier aus lässt sich eine Melange aus Tradition und Moderne, aus Umtriebigkeit und Zeitvergessenheit ..." - brechen wir hier ab.

Eigentlich sollte man diese Einleitung von Werner Meisinger schlicht überlesen, die eine knappe Geschichte des Hauses Julius Meinl von I - V bringt (mit einer gewundenen Erklärung vom Ende der Handelskette), wenn nicht prototypisch dabei versucht würde, den kulinarischen Höhenflügen der Küche mit dem Sprachstil zu folgen, ja noch höher zu steigen. Darum treten die austriakisch so beliebten Verb-Endungen auf „-ieren" (domiziliert, selektiert, etabliert ...) im Übermaß auf, stelzt die Sprache einher und kommt auf das „Niveau von Austern, Lachs und Kaviar". Auf dem (niedrigen/hohen?) Niveau wurde auch einmal ein Meinl-Restaurant „betrieben".

Die Rezepte weisen erfreulicherweise nicht diesen schweren Sprachschmuck auf, sind verständlich und nachvollziehbar geschrieben. Freilich setzen sie Wissen voraus: Das Rezept von Schnecken im Wirsingblatt (S. 88) verlangt ganz einfach 24 Weinbergschnecken, die gut zu waschen, auf Wirsingblätter zu betten, mit Champignonmasse wie Rouladen einzudrehen seien. Kalbsjus wird mit Ochsenschwanzsauce gleichgesetzt, wenige Seiten weiter ist dieses im gut sortierten Lebensmittelhandel erhältlich, wenn (auf S. 158) eine Anmerkung nicht folgt - dann fehlte sichtlich die letzte Revision.

Der Aufbau entspricht dem des Menüs, von Vorspeisen über Suppen, Zwischengerichte, Fisch, Fleisch, Desserts bis hin zu Aufstrichen und Salaten, jeweils mit einem guten Dutzend Rezepten. Der Oberliga entsprechend verlangen diese Luxuszutaten wie Kaviar, Trüffel, Gänseleber, dazu die anscheinend unvermeidlichen Jakobsmuscheln, Hummer, Garnelen. Einfachere Produkte wie Cremespinat werden mit Wachtelspiegeleiern und weißer Trüffel aufgewertet; Gleiches passiert dem gratinierten Kartoffelpüree. Auch der gedünstete Tafelspitz mit Krautfleckerl bekommt noch Scheiben von der Perigordtrüffel mit. Daneben finden sich einfachere Klassiker wie gebratenes Rebhuhn mit Karotten und gebratene Ente mit Wirsing. Der gleiche Befund gilt für die Desserts, vom Mohr im Hemd und der Ribiselschaumschnitte bis hin zu mehreren Tartes. Daran mag man durchaus den Einfluss der französischen Haute Cuisine erkennen, wie auch daran, dass die gebratene Taube fast roh auf den Tisch kommt. Hervorzuheben sind die vielen Fonds, in denen etwa Forellen pochiert werden oder Doradenfilets. Wobei natürlich in der Fischabteilung die diversen Filets überwiegen. Die Rezepte als solche lassen sich durchaus nachvollziehen und auch nachkochen.

Der Seitenaufbau ist dreispaltig, auf der linken Seite, in farbig hervorgehobenem Kleindruck, Produktinformationen und Zusatzwissen, in der Mittelspalte sind die Zutaten jeweils für 6 Portionen angegeben und auf der rechten Spalte übersichtlich unterteilt die Rezepte. Auf der rechten Buchseite findet sich ein Foto des fertig gestellten Gerichts, gewöhnlich auf weißem Porzellan mit dem Mohrensignet.

Wenn auch die Informationen im Großen und Ganzen ausreichen, fragt es sich doch, ob das Buch zum häuslichen Einsatz kommt oder Deko bleibt. Viele Rezepte erfordern viele und teure Zutaten, manche Zubereitungen sind eher aufwendig. Ohne grundlegende Kochkenntnisse wird man dastehen wie der Schneck vorm Wirsingblatt. Verlangt wird nicht nur finanzielle Investition, sondern auch die von Mühen und Zeit.

Wir rechnen das Kochbuch eher zu den „Referenzwerken". Gradwohl stellt seine Restaurant-Rezepte und seine Gerichte vor. Da ist es wahrscheinlich die einfachere Variante, gleich dorthin zum Essen zu gehen. Das Kochbuch soll einerseits Appetit auf den Restaurantbesuch machen und andererseits die Erinnerung davon transportieren; statt einer Speisekarte kann man das im Restaurant üppig ausliegende Werk mitnehmen.

Und wenn man einen Tisch mit dem Blick auf den Graben (und nicht auf massiv rauchende Touristen) bekommt, lässt sich gut die Probe aufs Exempel machen.

 

GRADWOHL Joachim, KAUBEK Udo: Das große Julius Meinl Kochbuch. Christian Brandstätter Verlag, Wien 2009.