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VOGELZANG Marije: Eat Love. Bis Publishers, Amsterdam 2011

Harald LEMKE.   

Mit dem stilvoll gestalteten Band Eat Love präsentiert Marije Vogelzang ihre Arbeit als Eating Designern. Die holländische Kochkünstlerin markiert ihre Eat Art mit dem Begriff Eating Design um zwei Dinge deutlich zu machen. Zum einen wird eine Spur zum viel beachteten Design aus den Niederlanden gelegt: Vogelzang ist studierte Designerin. Die andere Spur, die sie mit dem Eating Design verfolgt, hängt damit zusammen, dass es sich bei ihrer Arbeit nicht um herkömmliches Food Design handelt: Vogelzang will Nahrungsmittel kein perfektes Design verpassen. Statt unser Essen in die Logik der industriellen Verarbeitung und Formgebung zu zwingen, geht es Vogelzang um eine neu gestaltete Esskultur. Dabei wird die Herkunft der Nahrungsmittel, deren Zubereitung, die Anstandsregeln, den geschichtlichen Hintergrund und die Kultur, die mit unserer Ernährung zusammenhängen, berücksichtigt. Schaut man sich ihre Arbeitsweise genauer an, wird schnell klar, dass hier eine bemerkenswerte Künstlerin am Werk ist. Um dieses Werk gastrosophisch angemessen einzuordnen, gehört es in den Zusammenhang der zeitgenössischen Eat Art gestellt. Vogelzang entwickelt in vieler Hinsicht jene Kunst des Essens fort, zu deren Schlüsselfiguren am prominentesten die italienischen Futuristen (Marinetti), Daniel Spoerri, Joseph Beuys oder Rirkrit Tiranvanija gehören. Die junge Eating Designerin setzt diese Tradition nicht bloß fort; vielen ihrer Projekte gelingen echte Innovationen und originelle Vertiefungen der künstlichen Erforschung unserer Esskultur. So zeichnen sich die Arbeiten von Vogelzang stets durch eine starke konzeptuelle Reflexion aus. Wie ihre Vorgänger werden alle Komponenten des täglichen Nahrungsgeschehens thematisiert: die einzelnen Lebensmittel, das gesamte „mediale" Arrangement des Essens (also Verarbeitung, Präsentation etc.) sowie das konviviale Ereignis des Genusses. Dazu einige Beispiele.

Konzeptuelle Fragen der ästhetischen Gestaltung von einzelnen Lebensmitteln oder Mahlzeiten werden etwa bei den Arbeiten Everybody is an Egg (2005), Sugar oder Faked Meat (2008) thematisiert. Bei Everybody is an Egg werden verschiedene Zubereitungsweisen (gekocht, gebraten, pochiert etc.) durchdekliniert, verbunden mit einer eigens entworfenen Probier-Installation. Dass man Zucker für Tee oder Kaffee anders als in der konventionellen Form eines Würfels oder als loses Granulat in der Papiertüte anbieten kann, zeigt Sugar: Das Süßzeug wird gleich als Löffelform präpariert, so dass sich der Löffel in der Flüssigkeit auflöst. Während diese Gestaltung das moderne Konzept des form follows function gleichsam formalästhetisch umsetzt, verbindet das Faked Meat Kreativität mit Politik: Vogelzank erfindet Geschichten von Nutztieren, deren (fleischloses) Fleisch als Rohstoffe für eine raffinierte Küche dienen. Auf ebenso ironische wie subtile Art und Weise wird die globale Fleischproblematik mit kochkünstlerischer Fantasie gelöst. Vogelzang gelingt es so, die gesellschaftliche Bedeutung der Ästhetik für eine ethische Weiterentwicklung unserer Esskultur unter Beweis zu stellen.

Neben den erwähnten Beispielen von neuen Zubereitungsweisen und Speisegestaltungen liegt eine weitere konzeptuelle Stärke dieser Eat Art in der künstlerischen Beforschung der Medien, der Vermittlung des Essens. Hier lassen sich Arbeiten, die die Komposition der Speisen betreffen, von solchen Happenings unterscheiden, die darüber hinaus das gemeinsame Tafelvergnügen umfassen. Beim Funal Dinner (1999) oder verwandten Projekten (Colour Food 2002, Veggie Bling Bling 2007) werden Farben zum Geschmacksprinzip der ausgewählten Speisen erhoben. Während die dargebotenen Mahlzeiten sich diese ebenso schlichte wie intensive Visualität in Gemälde verwandeln, stellen Arbeiten wie Food Wave (2003), Eating on the Beat (2007) oder Lettuce Route (2007) eher eine sachliche Nähe zu kompositorischen Gestaltungsprozessen. Bei Food Wave arbeitet Vogelzang mit einer Serie von Snacks aus jeweils drei Zutaten, wobei der benachbarte Snack stets eine der drei Zutaten durch eine neue ersetzt. Beim Eating on the Beat wird die Zusammenstellung der einzelnen Komponenten eines Gerichts wiederum in eine musikalische Temporalität zerlegt. Die Esser sind aufgefordert, einer vorgegebenen Schrittigkeit im Verzehr der einzelnen Noten (Komponenten) zu folgen, ein Tonsignal gibt den Rhythmus dazu vor: Der Akt des Schmeckens und Genießens wird zum synchronen Gruppenerlebnis.

Zusätzlich zu der eat-artistischen Thematisierung der Medialität (der Medien und Instrumente) des Essens spielt Vogelzang in den Dinner-Events virtuos auf der gesamten Klaviatur einer Eventgastronomie als eines Gesamtkunstwerks. Ob bei Happenings wie Connection Dinner (2006) oder Bites and Bytes (2010): Stets geht es um den kunstvollen Versuch, das Essen nicht bloß als einen angenehmen Rahmen der Geselligkeit einzusetzen, sondern die Tischgesellschaft an der Vielfalt der ästhetischen Gestaltungsaufgaben teilhaben zu lassen. Etwa durch eine geschickte Portionierung der Speisen, die erst durch den kommunikativen und sozialen Akt eines gemeinsamen Teilens zu einem kompletten Mahl werden (Sharing Dinner 2005).

Eine besondere Qualität der gastrosophischen Arbeit von Marije Vogelzang besteht zweifelsohne darin, dass bei aller Experimentalität und Ironie des Umgangs mit Lebensmitteln und Küchenästhetik ihre künstlerische Auseinandersetzung dennoch nicht abgleitet in ein l'art pur l'art. Ihre Arbeiten dienen stets der konzeptuellen Intervention in das kulturelle Selbstverständnis unserer Ernährungsweise. Zugleich will diese Kunst auch schmecken; sie verweigert sich nicht des sinnlichen Wohlgefallens, um sich ihre Autonomie zu beweisen. Vielmehr nutzt Vogelzang ihre Kreativität, um (etwa mit Food Memory 2008, Pepperbombs 2004, Taste of Beirut 2008) zu zeigen, in welchem Maße das Essen unser individuelles und unser kulturelles Leben ausmacht. Diese politische Dimension wird besonders bei solchen Events (Sustainability Dinner 2007, Urban Eco Project 2004, Forgotten Vegetables 2004) erfahrbar, denen es explizit um eine bessere Esskultur geht - um gastrosophische Kulturereignisse und gesellschaftliche Veränderungen, in deren Genuss wir nur durch eine neue Kunst des Essens kommen. So serviert Marije Vogelzang mit Eat Love nicht nur eine Dokumentation ihres vielseitigen Schaffens; darüber hinaus nährt sie mit wertvollen Ideen und essthetischen Erfahrungen unser kulinarisches Umdenken.

RezEatLove (93k)

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VOGELZANG Marije: Eat Love. Bis Publishers, Amsterdam 2011