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ENGEL Corinna, GOLD Helmuth, WESP Rosemarie (Hg.): Satt. Kochen essen reden mit Jürgen Dollase, Wiglaf Droste, Gerd Käfer, Wam Kat, Franz Keller, Sarah Wiener. Edition Braus, Heidelberg 2009

KOLMER Lothar.   

Der Katalog begleitet eine Ausstellung, die bis Februar 2010 im Museum für Kommunikation in Frankfurt zu sehen war, danach in Berlin und Nürnberg. Am Anfang steht eine Bestandsaufnahme „sowohl der mediatisierten, wie der realen Kommunikationsanlässe von Kochen und Essen in Deutschland" (S. 6). Danach folgen die Abschnitte: Zu Hause essen, Auswärts essen, Draußen essen, öffentlich essen und richtig essen. Darin wechseln analytische, informative, essayistische und autobiografische Texte einander ab; anschaulich illustriert durch Fotos, Grafiken, Tabellen. Das im Vorwort formulierte Ziel, einen Überblick über die Erlebnisse beim Essen und Kochen als Anlass für Kommunikation zu geben, wird erreicht (S. 7). Die Texte fallen angenehm kurz aus, die Bilder sind aufschlussreich und mit den notwendigen Erläuterungen versehen, so dass sich durch Textbezüge und Vergleiche Erkenntnisse ergeben.

Von den zahlreichen Abhandlungen können nur einige genannt werden: Claus-Dieter RATH, Essen in der Familie, der eine Linie sentimentaler wie symbolischer Aufladung vom hungrigen Säugling zu Mutters Küche zieht und in der Familie die geschmackliche Prägung verortet. Ein Mahl „ist eine festgelegte Kombination der Elemente ... Nahrungsmittel, Zubereitungstechnik, sozialer Raum, soziale Zeit", wobei jedes dieser Elemente Veränderungen unterliegt (S. 22). In der Realität unterscheiden sich die Familien voneinander, aber noch mehr von den Familienbildern in der Fernsehwerbung. Die Tischgespräche etwa, mit einem „expressiven" Anteil von „Ernährungs- und Liebesfragen" (S. 24), sind nicht nur Kommunikation, sondern bergen auch „Verschweigen" und „Lüge" (S. 26).

Rosemarie WESP, Zahlen bitte!, illustriert „eine kleine Geschichte der Gastlichkeit" mit Bildern aus dem 19. und 20. Jahrhundert, veranschaulicht den Übergang vom Gasthaus zum Restaurant und Kaffeehaus.- Carina GOLDNER, Das Küchenpersonal, „übersetzt" die französischen Begriffe der Küchenbrigade, erklärt, wer wofür zuständig ist. - Jürgen DOLLASE gibt einen Überblick über die Geschichte der Restaurantkritik seit dem frühen 19. Jahrhundert, bis zu Gault Millau, Paczensky und Siebeck. Er weist auf den jetzt bestehenden „enormen kulinarischen Mitteilungsdrang" hin (S. 46), der aus allen Medien quillt. Angesichts der mangelnden Qualifikationen mancher Autor/-innen findet sich „in der überwiegenden Mehrzahl der Restaurantkritiken lauter fachlicher Unsinn", substanzielle Kritik fehle. Um dem abzuhelfen, hat Dollase eine „Stufentheorie der Kochkunst" entwickelt, die er im Umriss ausführt.

Vera HIERHOLZER, Wie die Pizza nach Deutschland kam, exemplifiziert dieses an der „Blauen Grotte" in Würzburg und den GIs als Gästen. Sie sieht den Ursprung bei den amerikanischen Soldaten im Nachkriegsdeutschland, die die Pizza von zu Hause her kannten, hier auch wollten und bekamen. Deutsche Gäste waren zunächst noch selten. - Hannelore SCHLAFFER, Essen - draußen vor der Tür, weist auf die historische Neuigkeit hin, dass jetzt im Freien, nicht nur an Restauranttischen, sondern auch im Gehen und mit den Händen gegessen wird. Die Theorie von der Beeinflussung durch südliche Urlaubserfahrungen weist sie zurück. Dort speiste man wegen der Hitze eher in den Restaurants. Die französischen Straßencafés kämen auch nicht infrage, denn der heutige Stadtbewohner sei ein Passant und kein Flaneur mehr (S. 68). Diese demonstrative Nahrungskommunion interpretiert sie als Selbstdarstellungsmittel der Demokratie. Man leistet sich „in deutschen Städten ... ungenierter als in europäischen sonst Freiheit, Entspanntheit und schlechtes Benehmen" (S. 69), wo man, enthoben aller Regeln von Religion, Sitte, Familie, befreit, egalitär genießen könne. Das wird zum „notorischen Bild eines demokratischen Glücks". Da tritt m. E. doch noch Diskussionsbedarf auf; es ließen sich wohl noch andere Erklärungsansätze finden.

Corinna ENGEL, Essensmacht. Die Mahlzeiten am Hof Ludwigs XIV., führt Formalität und Ritual am Hofe vor, die den König „in der Öffentlichkeit im besten Licht" erscheinen lassen sollten. - Wam KAT, Das war der Gipfel, gibt einen anschaulichen Bericht von der „Volx Küche" beim G-8-Gipfel in Heiligendamm. Diese erlebte jüngst bei den Studentenprotesten eine Neuauflage - ob aber damit die Mensa getoppt werden kann? Nach eigener Anschauung sicher nicht in hygienischer Hinsicht; aber Studentenmägen halten noch was aus.- Wiglaf DROSTE, Der Fernseher als Mikrowelle, ironisiert die mediale Darstellung des immer beliebteren Kochfernsehens und nennt als Kronzeugin seine Oma, Jahrgang 1919, die Vincent Klink vorwirft, viel zu einfach zu kochen. (Vgl. unsere Rezension in EPIKUR Nr. 1!)

Vera HIERHOLZER, Essen und Vertrauen, führt an Beispielen, vor allem der Skandalisierung von Lebensmitteln und deren Erzeugung, den Fall von Birkel vor. Gerade die Lebensmittelskandale, Gammelfleisch etc. machten die „Grundprobleme der modernen Nahrungsmittelversorgung präsent". Die Verbraucher sind nicht in der Lage, die Qualität und die Wirkungen auf den menschlichen Organismus zu beurteilen. Die technischen Parameter des Nahrungsdiskurses suggerierten zwar rationale Kaufentscheidungen, stellten letztlich jedoch „Realitätsfiktionen" dar (107f.). Der Staat steht dann vor dem Dilemma, „zwischen den Schutzansprüchen der Verbraucher und den Interessen der betroffenen Unternehmungen abwägen zu müssen".

Gunther HIRSCHFELDER, Richtig essen?, sieht vier Muster von Regeln zur Nahrungsaufnahme. Das jüngste Muster stammt von der Ernährungsberatung: die Mittelmeerdiät. Das zweite Muster kommt aus dem 19. Jahrhundert: die Betrachtung der Lebensmittel unter dem Aspekt der physiologischen Wirkungen. Das dritte Muster bildet die in der Antike grundgelegte Diätetik, das vierte bilden die Religionen. Die Frage „richtig essen" werde angesichts der Veränderungen der Gesellschaft und der Umwelt und der Ressourcen noch lange auf der Tagesordnung bleiben.- Alois WIERLACHER, Kultur - Kommunikation - Küche, stellt am Ende des Bandes die Forderungen nach besserer Schulverpflegung, der Einbeziehung der Ethik und der Praxis auf.

Den Band beschließen ein Literaturverzeichnis sowie Kurzbiographien der Autoren. Das Werk bietet sich aufgrund seiner Informationsfülle und Dichte hervorragend als Einstieg in die Thematik an. Es ist, um im Bild zu bleiben, wie ein Buffet aufgebaut, an dem man sich nach Lust, Laune und Wissbegierde bedienen kann.

 

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ENGEL Corinna, GOLD Helmuth, WESP Rosemarie (Hg.): Satt. Edition Braus, Heidelberg 2009