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KLINK Vincent: Sitting Küchen-Bull. Gepfefferte Erinnerungen eines Kochs. Rowohlt Reinbek 2010

KOLMER Lothar.   

Klink schreibt auf 220 schmalen Seiten seine Biographie, von der Geburt 1949 mit einer etwas ausgeuferten Tauffeier, über seine schwäbische Kindheit mit dem mächtigen Tierarztvater. Dessen „beträchtlichen Ranzen" hat der ursprünglich spindeldürre Klink, ersichtlich des Titelfotos nachgeeifert. Die prägende Sozialisation erfolgte über die Fleisch-Vorträge seines Vaters, die Rituale der Hausschlachtung als Kulthandlung, die Hochschätzung des Fleischeinkaufs auf dem Lande, einschließlich der Weihnachtsgans. Klink beschreibt die 50iger und 60iger Jahre mit ihrer Fresswelle als Zeit harter Arbeit und kräftigen Feierns, wo es bergauf ging und die Männer stolz ihr Übergewicht zeigten.

Angesichts seiner schlechten Schulleistungen kam er nach Donauwörth ins Internat. Als Folgeschaden blieben kaputte Knie vom vielen Rutschen in Kirche und Studiersaal. Der elterlich geplanten Karriere in der Bank stand die realistische Einsicht entgegen, dass für ihn die Gastronomie geeigneter sei. Das Metzger -Volontariat und die ersten Lehrjahre im Badischen zeigen deutlich, wie sehr noch das Völkische in Küchen und in Kasernen umging. Man war als Jungstift „der Depp vom Dienst". Aus den drastischen Schilderungen der Arbeitsbedingungen erklärt sich das berühmte „Alkoholproblem" eines großen Teils der Küchenmannschaften, einschließlich des Triebstaus wegen ungünstiger Arbeitszeiten (und warum es hinter den Büschen zunächst nicht klappte). Angesichts der ausschließlichen Interessen an Bier, Weibern, Fußball stellten sich die Fragen, ob „Koch sein eine Krankheit" sei, ob in dem Gewerbe „auch geistig Gesunde tätig" sind?

Es folgten die ersten Auslandsaufenthalte mit vielen Einblicken, auch ins Innenleben der deutschen Politik. Hermann Höcherl (CSU), im Vollrausch geschildert, ließ sich zwar keine „extra Autobahn zu seinem Wochenendhäuschen bauen", aber nahe an seinem Herkunftsort vorbei. Die Geschichten aus der Bundeswehrzeit, mehr als die übliche Stereotype: übergewichtige Soldaten mit gewaltigem Hunger, zahllosen Vollräuschen. Im Casino der höheren Stände war der „Geiz der Küchenmeister", während bei den Unteroffizieren auf Teufel komm raus gekocht, gebrutzelt und gesotten wurde. Die Milieuschilderung des Münchner Humpelmayr am Maximiliansplatz als seichtes Feuchtbiotop incl. diverser Promis ist angewandte Soziologie.

Mit 24 Jahren erfolgte die Meisterprüfung und 1974 der Sprung in die Selbständigkeit zusammen mit seiner späteren Frau im Restaurant Postillon. Seine französisch inspirierte Regionalküche entsprach der Novelle Cuisine. Diese studierte er vor Ort, etwa bei Paul Bocuse, in dessen schwer dekorierten Restaurant, samt der großen Jahrmarktsorgel im Keller. Nachdem er lange „konsequent am Rande des Ruins über die Verhältnisse kochte" zog er 1991nach Stuttgart.

Klink hat der Vermarktung des Regionalen wegen „heute manchmal ein flaues Gefühl". Was sollen denn der „Volksliedwahnsinn und das Hochhalten sinnentleerten Brauchtums"? Das sei „Heimat von der Stange". Handwerklich wirklich vorzügliche Regionalküche trage viel zur Identität eines Landes und dessen Bevölkerung bei. In den Töpfen der Gourmetköche werden klassische Regionalgerichte jedoch gern - selten zu ihrem Vorteil - dem Zeitgeist angeglichen. Natürlich spräche nichts dagegen, eine Maultasche mit Hummer und Ingwer zu füllen, aber eine Maultasche sei es keine mehr und man sollte von „Hummer im Nudelteig" sprechen. Viele Köche lassen die Finger von der bürgerlichen deutschen Küche, weil die sehr arbeitsaufwändig ist. Es sei schwieriger, einen guten Spätzleteig herzustellen und den zu schaben und leicht, Jakobsmuscheltartar herzustellen.

Klink war Herausgeber der kulinarischen Jahrbücher: die Rübe und Cottas kulinarischer Almanach. Jetzt ist auf die „kulinarische Kampfschrift": Häuptling eigener Herd zu verweisen. Klink schildert die ausgewählten die Lebensepisoden süffig, ironisch, empathisch. Sie sind zugleich prototypisch Epochen der deutschen Kulturgeschichte. Man bekommt Eindrücke von der Fronarbeit der Köche und der kulinarischen Entwicklung Deutschlands seit den 50-iger Jahren. Das Buch liest sich locker, leicht, amüsant. Klink kann die Pointen gut servieren und angenehm unterhalten. Den Tiefgang merkt man nicht gleich. Es verwundert nicht, dass die ersten Auflagen schnell verkauft waren.

RezSittingKuechenBull (34k)

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KLINK Vincent: Sitting Küchen-Bull. Gepfefferte Erinnerungen eines Kochs. Rowohlt Reinbek 2010