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LILLGE Claudia, MEYER Anne-Rose (Hg.): Interkulturelle Mahlzeiten. Kulinarische Begegnungen und Kommunikation in der Literatur. Transcript Verlag, Bielefeld 2008.

GSCHWANDTNER Harald.   

Dass das gemeinsame Mahl, die im größeren Kreis erfolgende Nahrungsaufnahme ein zentraler Aspekt interkultureller Verständigung sein kann (und sollte), gehört zu den Grundannahmen gastrosophischen Denkens. Diese Möglichkeit des Dialogs findet nicht zuletzt Eingang in Kunst und Literatur, die schon immer ein untrüglicher, wenn auch mitunter bewusst verzerrender Spiegel jener Welt waren, die sie abbildeten. Der von Claudia Lillge und Anne-Rose Meyer herausgegebene Sammelband „Interkulturelle Mahlzeiten. Kulinarische Begegnungen und Kommunikation in der Literatur", der im vergangenen Jahr im Bielefelder transcript-Verlag erschienen ist, bietet nun erstmals einen Überblick über mögliche Herangehensweisen an diese Thematik. Wie Gastrosophie und Kulinaristik betont auch dieser stärker literaturwissenschaftlich ausgerichtete Ansatz die Bedeutung des Essens als ‚bedeutende Basisqualifikation', denn „Eigenschaften wie Toleranz, Risikobereitschaft und Weltoffenheit werden durch die Begegnung mit den Küchen anderer Kulturkreise herausgefordert und manchmal sogar auf eine empfindliche Probe gestellt".

Der Band lotet in der Folge verschiedene Bereiche einer literaturwissenschaftlichen Kulinaristik aus. Werden zu Beginn noch religiöse und transzendentale Aspekte des Mahls (s. Ulrike Vedder: Der steinerne Gast. Essen mit Toten) beleuchtet, so spielen in der Folge gerade auch bestimmte Notsituationen (Hunger) und Ausgrenzungen vom gemeinsamen Essen (s. Maria Kublitz-Kramer: Einsame Mahlzeiten. Alleinessende in Marlen Haushofers ‚Die Wand' und Thomas Glavinic' ‚Die Arbeit der Nacht') eine Rolle. Gerade der letztgenannte Aufsatz zeigt exemplarisch, wie ein neuer Blick auf ein schon oftmals besprochenes und interpretiertes Werk zusätzliche Ebenen des Textes offenlegen bzw. schon gemachte ‚Entdeckungen' argumentativ unterstützen kann.

Auch wenn manches Mal der Konnex zum Kulinarisch-Kulinaristischen ein klein wenig konstruiert wirkt, wenn das eigene Forschungsgebiet nur als ein bisschen ‚zurechtgebogen' erscheint, so bietet der Sammelband summa summarum doch eine gute und anregende Umschau zu Texten, Mythen und gesellschaftlichen Systemen, die gastrosophisch gelesen und gedeutet werden können (oder gar sollten). Es wird deutlich, dass Fragen der konkreten oder auch ‚nur' symbolischen Ernährung im literarischen Feld permanent mitschwingen und der geschärfte Blick darauf erhellende kulturwissenschaftliche und -geschichtliche Ergebnisse zu zeitigen imstande ist. Die Zielrichtung eines solchen Ansatzes, gewissermaßen die Rechtfertigung ihres eigenen Tuns, geben die Herausgeberinnen schon recht treffend im Vorwort: „Warum ist es sinnvoll, über diese Dinge nachzudenken? Weil Reflexion und Analyse kulturelles Wissen vergrößern und interkulturelle Kommunikation erleichtern und verbessern können. Literarische Texte bieten hier reiches Anschauungsmaterial und Einblicke, wie Konstruktionen des Eigenen und des Fremden zustande kommen." So ist das Buch nicht nur interessant und spannend für ein bloß wissenschaftlich-philologisch interessiertes Publikum, sondern gerade auch als ein Werk zu lesen, das die Chancen interkultureller Begegnung stets im Blick hat und das die Zusammenführung ‚nutritiver Narrative' als Möglichkeit des Verstehens sieht und deutet.

 

LILLGE Claudia, MEYER Anne-Rose (Hg.): Interkulturelle Mahlzeiten. Kulinarische Begegnungen und Kommunikation in der Literatur.