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DANIELCZYK Julia, WASNER-PETER Isabella (Hg.): „Heut' muss der Tisch sich völlig bieg'n." Wiener Küche und ihre Kochbücher. Mandelbaum Verlag, Wien 2007.

HUBER Bernhard.   

Von der Küchengehschule zur Hochschule der Gastronomie - Wiener Küche und ihre Kochbücher

„Jede Zeit hat das Kochbuch, das sie braucht", könnte man nach dem berauschenden geistigen Dinner durch 200 Jahre Wiener Küche festhalten. Die in aufwendigen Forschungen kommentierte Auswahl an Kochbüchern der Wienbibliothek gibt ein wahrhaft reichhaltiges Zeugnis dieser einmaligen kulinarischen Tradition, die nun erstmals in einem chronologischen Überblick gezeigt wird. In einer tour culinaire viennoise durch die Klassiker einer Katharina Prato, Marie v. Rokitansky, Anna Dorn, Louise Seleskowitz sowie die unvergesslichen Karl Duch und Franz Ruhm erhält man Einblicke in mannigfaltige Aspekte der Wiener Küche. Es klärt sich so manche Frage nach der Herkunft angeblich typischer „Wiener" Gerichte und Zutaten, Fragen nach nationaler bzw. identitätsstiftender Funktion. Geschichten zu Backhendl, Wiener Schnitzel und seiner Panier, dem nicht wegzudenkenden gekochten Rindfleisch, dem Tafelspitz, Gulasch und der Rindsuppe finden sich mundgerecht aufbereitet und anekdotenhaft berichtet. Dass Mehlspeisen übrigens mehr sind als Grimms „aus mehl bereitete speise", kann die Geschichte der Sachertorte überzeugender nicht darstellen!

Aus den näher betrachteten Rezepten lässt sich eine Schnittmenge ermitteln, die gemeinhin mit dem Wiener Magen untrennbar verbunden ist. Gleichzeitig ist man aber auch bemüht, unterschiedliche Ausprägungen der Wiener Küche festzustellen und ihren Einfluss auf die Rezepte der Zeit zu extrapolieren. Klischeebilder werden aufgedeckt, Traditionsmythen differenziert aufgezeigt. Die Geschichte der Kochbücher zeigt somit den im Gefüge der Habsburgermonarchie vonstatten gehenden kulinarischen Import, dessen Assimilation und - zeitgebunden zu sehende -Kreation wie Variation. Aus der Verwendung diverser Lebensmittel lassen sich interessante Rückschlüsse auf Gegebenheiten und Verhältnisse ziehen - nicht immer tafelten in Wien die Phäaken, wie die Kriegs- und Mangeljahre drastisch vor Augen führten.

Altes und Neues diente sich durch die Rezepte und reihte sich durch der Köche/-innen Hand unter den traditionsreichen Namen „Wiener Küche". Kulinarische Kosmologien, die sich stückweise ab den ersten schriftlichen Kochbüchern für die bürgerliche Küche Anfang des 19. Jahrhunderts herausentwickelten, folglich zum unabdingbaren Bestandteil des Wiener Speisezettels avancierten, sahen sich im Laufe der Nachkriegsgeschichte Prestigeproblemen und Begründungsnotständen ausgesetzt. Die neue Gesundheitswelle und gastronomische Synkretismen verwässerten die Wiener Essenstraditionen und ließen sie trotz Reanimationsversuchen weitgehend als Repräsentationsphänomen auf Kochausstellungen und in Nostalgierezepten weiterleben. Dennoch: Schweinsbraten, Powidltascherl und Millirahmstrudel erzielen nicht nur internationale Preise, sondern füllen nach wie vor Mägen. Sie stehen für eine Stadt, die sich nicht nur durch die Feder, vielmehr auch durch den Kochlöffel einen anzuerkennenden Ruf erworben hat. Wien aus der Perspektive seiner Kochbücher - besser kann die Stadt wohl nicht charakterisiert werden!

 

DANIELCZYK Julia, WASNER-PETER Isabella (Hg.): „Heut muss der Tisch sich völlig biegn." Wiener Küche und ihre Kochbücher. Mandelbaum