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STREHLOW Wighard: Die Ernährungstherapie der Hildegard von Bingen. Rezepte, Kuren, Diäten. Knaur Verlag, München 2009.

HUBER Bernhard.   

Mit vorliegendem Buch setzt Wighard Strehlow die Reihe seiner zahlreichen Publikationen zum Themenkreis der Ganzheitsheilkunde nach Hildegard von Bingen fort. Besondere Beachtung widmet er der Bedeutung einer ausgewogenen Ernährung in Verbindung mit einem ausgeglichenen Lebensstil als unumgänglicher Vorbedingung eines gesunden Körpers. In Anlehnung an den reichen, mittelalterlich geprägten Wissensschatz der Hildegard von Bingen versucht Strehlow eine dem Körper gegenüber verantwortungsvolle Ernährungshaltung zu erwecken. Dabei kann er auf seine langjährige ärztliche Erfahrung zurückgreifen, die ihm eine überzeugende Darlegung der Korrelation von ausgewogener Ernährung, seelischer Homöostase und körperlicher Gesundheit erlaubt, bereichert durch praktische Beispiele aus der Hildegard-Heilkunde.

Drei inhaltliche Schwerpunkte bilden Strehlows breit angelegten Ratgeber, den das Bewusstsein um „hildegardisierte" Lebensmittel und -weise wie ein roter Faden durchzieht. Geführt von einem angenehmen Stil eröffnet sich Seite für Seite die „Ernährungswelt" Hildegards - oder das, was von ihr heute übrig blieb -, durchmischt mit aktualitätsbezogenen Menetekeln, die auf die deplorable Essistenz unserer Gesellschaft aufmerksam machen möchten. Ihre Lehrmeinung steht sichtlich als Rat gebender Fels in der Brandung von industriellen Fertigprodukten und Fast-Food, ihre Bedeutung in Europens Heilkunde wird unübersehbar unterstrichen. Der Kreuzzug gegen den verkommenen Hedonismus unserer Zeit, mit all den Auswirkungen der Fast-Food-Mentalität - von Adipositas bis Zahnfäule -, den Machenschaften von profitbesessenen Lebensmittelfirmen und der Pharmaindustrie, bildet Strehlows hochgehaltene Fackel, um dadurch deutlicher auf Hildegard verweisen zu können, die mit ihrem diätetischen Lebenswerk den Weg zum vollkommenen Leben vorgezeichnet habe. „Vollkommen" ist hierbei als für Hildegard ganz typisch zu sehen: auch seelische Ernährung zählt, alles ist eins - habe kulinarische und religiöse Einkehr im Sinne!

Die Beschreibungen zu Wesen und Wert unserer Lebensmittel, des Getreides, der Kräuter und Gewürze, der Fette und Öle, des Eiweißes etc. - deren Bedeutung in einer ausgewogenen Ernährung Strehlow ersichtlich machen möchte -,ist epizentrisch unter diesem ganzheitlichen Aspekt zu sehen. Die „Küchengifte" etwa sind Opfer desselben! Häufige, den Text begleitende Zitate aus Hildegards Werken wollen deutlich machen, warum etwa der Hafer empfohlen, die Gerste aber verdammt wird. Ferner lassen sich wichtige ernährungsmedizinische Grundinformationen finden, die auf die Bedürfnisse der heute Ratsuchenden zugeschnitten sind: Allergiker, Diätwillige, fürsorgliche Mütter und alle, die über ihr tägliches Essen Bescheid wissen wollen, werden hier bestimmt fündig! Wer praktisch orientiert ist und über ausreichend Gartenfläche verfügt, kann sich den Wunschtraum nach einem „Hildegard-Kräutergarten" erfüllen. Anschaulich bieten sich vom Basilikum bis zum Ysop die wichtigsten Kräuter und Gewürze zum Eigenbau an!

Hildegards Ernährungsempfehlungen ermöglichen jedoch inter lineas gelesen mancherorts ein Schmunzeln besonderer Art: „Kürbisse sind trocken und kalt", oder zur Quitte: „Diese Frucht ist warm und trocken"; kalte Möhren, kühlende und verschleimende Erbsen, warme Edelkastanien - die Vier-Elemente-Lehre lässt grüßen! Derlei humoralpathologische Systematisierungen treten durch die Blume in wissenschaftlichem Mäntelchen entgegen; eine Sensibilisierung im Sinne einer kritischen Einordnung bleibt ausständig! Fraglich desgleichen, ob Rohkost denn nun wirklich unter die „Küchengifte" zu rechnen ist?

Der folgende Rezeptteil mit seiner feinen, wenn auch anzahlmäßig kleinen, kulinarisch anregenden Bebilderung gibt neben den einzelnen Mengen der Zutaten detaillierte Zubereitungsempfehlungen, die zu unbürokratischem Nachkochen anregen. Von Suppen über Gemüse, Saucen, Brotaufstriche - eine reiche Palette erschließt sich dem Kochenden. Nicht zu übersehen die ernährungsmedizinisch wertvollen Hinweise zu Huhn, Wild, Rind und Fisch sowie typischen Zutaten, die von Einkauf bis Konsum zu bewusster, nachhaltiger und biologischer Ernährungshaltung anregen. Der Geist Hildegards zeigt sich einmal mehr in der Hommage an das universelle „Wunderkorn": den Dinkel. Besonders viele Rezepte berücksichtigen ihn, als chemisch „unverseuchte" Basis der Ernährung wird er gepriesen. Das Buffet à la Hildegard rundet den anspruchsvollen kulinarischen Streifzug ab! Voilà; il est servis!

Ein ausführlicher und von einer reichen ärztlichen Erfahrung zeugender Kuren- und Diätenratgeber beschließt die Reise in die - aktualisierte - Ernährungswelt Hildegards. Konkrete do´s und dont´s, Speisepläne, mithin kurze Therapiepläne, von der kleinsten Magenverstimmung bis zu Diabetes und zur akuten Vergiftung - der Geist Hildegards weht auch hier! Repräsentative Beispiele aus Strehlows Praxis möchten die Wirksamkeit und die Aktualität Hildegards unterstreichen und ihr auch im 21. Jahrhundert einen Stellenwert in der Ernährungsmedizin einräumen.

Zu fragen ist natürlich abschließend nach dem Wesen einer „Hildegardküche", die nach beendeter Lektüre etwas eklektizistisch anmutet. Modernes wird nach heutigen, ganzheitlichen Sichtweisen beurteilt; ansonsten gilt Hildegard! Eine Reflexion der verwendeten Lebensmittel schiene vonnöten, deren mittelalterliches Verständnis und europäische Kulturgebundenheit zu beachten wäre. Medizinisch Fundiertes steht im steten Wechselspiel zu erklärungsbedürftigen Ansichten Hildegards, die der Autor jedoch bewusst unterstreicht. Die aus wissenschaftlicher Sicht überholte Vier-Säfte-Lehre wird zu neuem Leben erweckt, Lebensmittel mit einer „spirituellen Dimension" versehen, Krankheiten als Folge „seelischer Konflikte" beschrieben, wie überhaupt Strehlow die Früchte der Natur wie auch die Konsumtion derselben im Mantel einer „Ganzheitlichkeit" erscheinen lässt. Nur unter Bewusstwerdung dieser Postulate zeigen sich die umfassend geschilderten Aspekte der Ernährung nach Hildegard von Bingen im verständlichen Lichte und ermöglichen - unter kritischem Auge - durchaus so manche wichtige Anregung für das eigene Wohlbefinden!

 

STREHLOW Wighard: Die Ernährungstherapie der Hildegard von Bingen. Rezepte, Kuren, Diäten. Knaur Verlag, München 2009.