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Ernährungsgewohnheiten im Mittelalter

Simone KEMPINGER.   

Diätetik im Mittelalter hat wenig mit den heute bekannten Diäten zu tun. Diätetik ist die „Kunst der Lebensführung“. Aber wer aß was im Mittelalter? Wie wirkt sich der soziale Stand auf das Essverhalten aus? Ein lapidarischer Einblick…

Einleitung

Ernährung rückte in den letzten Jahren immer mehr ins Zentrum des Interesses. Genmanipulation, Massenproduktion von Obst und Gemüse und nicht zuletzt Epidemien wie BSE und EHEC rufen immer mehr Menschen ins Gedächtnis, dass wir kaum mehr über die Herkunft unserer Nahrungsmittel Bescheid wissen. Auch die Geschichtsforschung widmete sich in den letzten Jahrzehnten verstärkt den Themen Ernährung und Diätetik. Wie speisten die Menschen im Mittelalter? Was aßen sie und wie unterschieden sich die verschiedenen Gesellschaftsschichten in ihren Ernährungsgewohnheiten? Dies sind alles attraktive Fragen, mit denen sich die Forschung eingehend beschäftigt. Der Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit liegt darin, die bedeutendsten Wesensmerkmale der verschiedenen sozialen Gesellschaftsschichten im Mittelalter anhand ihrer Nahrungsgewohnheiten herauszuarbeiten. Die wichtigsten Quellen um Erkenntnisse über die Ernährungstraditionen dieser Zeit zu gewinnen, sind überlieferte Koch- und Rechnungsbücher, Speisepläne sowie Aufzeichnungen und Erzählungen von diversen Festmählern.

Die Fragestellung, die im Folgenden beantwortet werden soll, lautet: Waren die Kochbücher des Mittelalters nur gehobenen Schichten vorbehalten? Wenn dies mit ja beantwortet werden kann, drängt sich die Frage auf, was es mit dieser Bewandtnis auf sich hat und wie sich diese Herrenschicht zusammensetzte. Weiters soll die Frage nach den Abgrenzungsmerkmalen hinsichtlich der verwendeten Nahrungsmittel erläutert werden. Zu Beginn werden die bedeutsamsten theoretischen Aspekte der mittelalterlichen Kochbuchliteratur erläutert. Anschließend werden einige bemerkenswerte Eigenheiten mittelalterlicher Rezepte aufgezeigt. Den Hauptteil bildet eine Analyse der wesentlichsten Unterscheidungsmerkmale der sozialen Schichten anhand ihrer Ernährungsgewohnheiten. Es wird untersucht, durch welche Speisen sich die drei Stände des Mittelalters maßgeblich unterschieden. Die analysierten Aspekte werden anhand der Forschungsergebnisse des Mondseer Klosterkochbuchs gegenübergestellt und überprüft. Die im Kloster Mondsee lebenden Geistlichen waren durchwegs Nachkommen aus adeligen Häusern, folglich sind auch die im Kochbuch verzeichneten Speisen eher der gehobenen Gesellschaft zuzuschreiben. In einem Querschnitt wird auf die Aspekte der Fastenspeisen, sowie die verwendeten, teilweise sehr kostspieligen, Nahrungsmittel in der Klosterküche eingegangen. Das Kochbuch ist anonym überliefert und wird um 1439 datiert. Bekannt ist nur, dass Frater Benedikt das Buch 1453 von Piburg bei Regensburg nach Mondsee mitbrachte.(1) Es gibt aber keine Hinweise darauf, wo es entstand, wer es verfasste bzw. niederschrieb. Nur wenige der Rezepte scheinen ihren Ursprung in der Gegend um Mondsee zu haben oder können mit Sicherheit der Mondseer Klosterküche zugeordnet werden. Bemerkenswert ist, dass das Kochbuch aufgrund seines Aussehens augenscheinlich nie in der Praxis Verwendung fand, denn es gibt keinerlei Abnützungsspuren, Fettflecken oder handschriftliche Ergänzungen, die darauf hinweisen würden.(2) Es wurde 1998 von Arnold Nauwerck, dem Urenkel des vormaligen Mundkochs des Klosters, transkribiert und ediert.

 

Kochbücher des Mittelalters

In den letzten zwei Jahrzehnten widmete sich schließlich auch die Forschung verstärkt dem Thema Kochbücher und Ernährung. Was Historikern Anlass dazu gab, sich den ersten bekannten Werken dieser Art intensiver zu widmen und sie zu analysieren. Im Hoch- und Spätmittelalter entstanden in Europa die ersten, vom arabischen Raum unbeeinflussten Kochbücher.(3) Die meisten dieser Abhandlungen sind Kompilationen aus verschiedenen Werken. Sie scheinen aber aufgrund des fehlenden, heute üblichen systematischen Aufbaus eher als eine Sammlung willkürlich aneinander gereihter Rezepte.(4) Im Übergang von Spätmittelalter zur Frühen Neuzeit stieg die Kochbuchproduktion stetig an. Rund zwei Drittel der heute erhaltenen Manuskripte gehen auf diesen Zeitraum zurück. Werke, die ab dem 15. Jh. erschienen, sind wesentlich umfangreicher als die des 13. und 14. Jhs. In diesem Zeitraum wurden auch die ersten Sammelwerke mit 300 - 500 Rezepten publiziert. Der Trend ging dahin, dass immer umfangreichere Anthologien mit bis zu 1.000 Rezepten gedruckt wurden, die aber meist nur einen Bestand bereits bekannter Kochanleitungen zum Inhalt hatten, deren Vorlagen teilweise bereits 200 Jahr existierten. Erst das 1460 erschienene Werk „Liber de arte coquinaria" des Küchenchefs Maestro Martino war ein Novum auf dem Gebiet. Es wurde 1474 vom päpstlichen Bibliothekar und Humanisten Bartolomeo Sacchi, besser als Platina bekannt, überarbeitetet und ins Lateinische übersetzt. Platina ergänzte das Werk durch einige Kapitel, die das gute Essen und die rechte Lebensweise beschreiben, und veröffentlichte es mit dem neuen Titel „De Honesta Voluptate". 1542 wurde es schließlich auch ins Deutsche übersetzt („Von der ehrlichen Wollust des Gaumens"). Es kann als der erste Kochbuch-Bestseller gesehen werden.(5) Ab dem 15. Jh. erreichten die Kochbücher, durch den Buchdruck begünstigt, ein breiter gefächertes Publikum und passten sich nach und nach deren Ansprüchen an. Die Werke wurden nun nicht mehr exklusiv in Fürstenhäusern und Klöstern benutzt, sondern zunehmend auch von den wohlhabenderen Bürgerschichten. Dies führte dazu, dass sich die Gestalt der Kochbücher und Rezepte vom 12. bis zum 15. Jh. gänzlich geändert hat.(6)

 

Einordnung der Kochbücher

Kochbücher zählen zur so genannten „gesellschaftlichen Literatur", welche dem Autor nur eine untergeordnete Rolle zukommen lassen. In den meisten älteren Kochbüchern findet man keine sinnvolle bzw. systematische Gliederung. Die Rezepte scheinen ohne die heute übliche Abfolge nach Vor-, Haupt- und Nachspeisen willkürlich aneinandergereiht. Fischrezepte sind beispielsweise, meist ohne offensichtliche Ordnung über das ganze Kochbuch verstreut. Im günstigsten Fall sind die Rezepte nach der Hauptzutat oder der Zubereitungsart geordnet. Eine durchgehende Systematik ist aber kaum in einem Werk zu erkennen. Da die wenigsten Köche des Schreibens mächtig waren, wurden viele Kochbücher, wie es in dieser Zeit üblich war, von gewerblichen Abschreibern ab- bzw. aufgeschrieben. Daher ist auch in den wenigsten Fällen der Verfasser auch der Schreiber des Kochbuches. Diese Schreiber hatten meist wenig Vorkenntnis der Materie, daher treten häufig Irrtümer auf, die auf Hörfehler beim Diktieren zurückzuführen sind oder einfach auf falscher Schreibweise beruhen. Bei Vergleichen der Kochbücher mit ähnlichen Rezepten findet man oft willkürliche Einschübe, Auslassungen oder Abkürzungen in den Texten, wobei in dieser Zeit eine korrekte Orthographie noch keine Rolle spielte. Die Einordnung bzw. Unterscheidung der Rezepte nach dem Rezepttitel ist bei einer Gegenüberstellung verschiedener Kochbücher oft nur schwer möglich, da die Rezepttitel je nach regionalem Sprachgebrauch willkürlich angepasst bzw. abgeändert wurden.(7) Gute Beispiele dafür liefern zwei, anhand der Zutaten annähernd gleiche Rezepte aus dem Mondseer- und dem Dorotheen-Kochbuch. Im Ersten trägt es den Titel „gemüß von greus, waitz oder hirs", im Zweiten wird das gleiche Rezept mit „von pampelmües" betitelt.(8) Problematisch ist, dass die Rezepte oft nur aus dem Gedächtnis diktiert bzw. nur sinngemäß, aber nicht wortwörtlich wiedergegeben wurden. Auch die regionalen Sprachverschiedenheiten stellen Schwierigkeiten dar. Zu dieser Zeit hatte sich noch kein einheitliches Kochvokabular etabliert, so wurden die Kochvorgänge je nach Region anders beschrieben. Die Zubereitungsarten wurden vom Koch an den Lehrling mündlich tradiert, dies führte dazu, dass viele individuelle Interpretationsarten der Rezepte entstanden.(9) Es gibt daher viele ähnliche, aber kaum 100%-ig idente Rezepte.

 

Eigenheiten mittelalterlicher Rezepte

Der Hintergrund für die Exklusivität der Kochbücher für gehobene Kreise ist möglicherweise damit zu begründen, dass besonders im Frühmittelalter nur sehr wenige Menschen der unteren Bevölkerungsschichten lesen und schreiben konnten und daher auch keinen direkten Zugang zu den Rezepten hatten.(10) Überdies waren die frühen Handschriften sehr kostspielig und deshalb nur für die adelige und geistliche Obrigkeit erschwinglich. Die Inhalte der mittelalterlichen Kochbücher waren hauptsächlich an ein „Fachpublikum" gerichtet, bei dem man davon ausging, dass das notwendige küchentechnische Vorwissen vorhanden sei. Deshalb wurden unnötig scheinende Details in den Rezeptangaben oft einfach weggelassen.(11) Eveline Jourdan ist wiederum der Ansicht, dass viele der Kochanleitungen so kurz ausfallen, da die oft stichwortartigen Notizen nur als Gedächtnishilfe für geübte Köche benutzt worden waren. Dies widerspricht aber zumindest teilweise der Annahme, dass die wenigsten Köche lesen konnten und so immer, wenn sie die Notiz benutzen wollten, einen Vorleser benötigt hätten.(12) Nach Aichholzer könnte ein weiteres Motiv für die Kürze der Rezepte bzw. der fehlenden Details sein, dass man das Wissen als eine Art „Berufsgeheimnis" bewusst zurückhielt, um es nicht für Jedermann verfügbar zu machen.(11) Generell geht man aber aufgrund der geringen Lesekenntnisse der unteren sozialen Schichten zu dieser Zeit davon aus, dass die Rezepte hauptsächlich mündlich weitergegeben wurden und die schriftliche Überlieferung eher die Ausnahme bildete. Bei der einseitigen und wenig abwechslungsreichen Ernährung der bäuerlichen Schicht war es aber auch kaum nötig, Zutaten oder Arbeitsvorgänge schriftlich festzuhalten.(10) Bemerkenswert ist aber, dass scheinbar kaum eines der überlieferten, heute bekannten Kochbücher des Mittelalters in der Praxis Verwendung fand. Viele Exemplare weisen kaum Gebrauchsspuren auf, die beim Einsatz in der Küche wohl unvermeidlich gewesen wären. Diese Tatsache zeigt, dass diese Kochbücher schon in früherer Zeit als teure, exklusive Werke betrachtet worden sein mussten, die es zu bewahren galt. Vermutlich wurden die Rezepte für den praktischen Einsatz in der Küche nochmals abgeschrieben oder dem Koch nur vorgelesen.(2) Im Folgenden werden einige Beispiele für fehlende Details bzw. Mengenangaben aus dem Mondseer Kochbuch aufgezeigt: In kaum einem Rezept wird spezifisch auf die Zubereitung von Teigen eingegangen. Die Angabe „mach ain dünnen taig der da zech oder hert ist" wird im Rezept „wie man gut pasteten pachen mag"(16) sehr großzügig interpretiert. Es wird nicht beschrieben, um welche Art von Teig es sich genau handelt oder welche weiteren Zutaten dafür verwendet werden sollen. Einzig die zu verwendenden Gewürze werden aufgelistet. Ein weiteres hervorragendes Beispiel bietet das Rezept „von ainem haidenischen kuchen"(17) Es beginnt mit „man sol nehmen ainen taig". Welchen Teig man nehmen soll, wird nicht näher beschrieben. Weiter heißt es: „nim ain gebrattnes flaisch <...> und aier" Es wird aber nicht beschrieben, welche Art von Fleisch verwendet werden soll oder wie viele Eier. Dies alles wird also vom Anwender als Vorwissen vorausgesetzt. Auch die Kochzeitangaben sind meist sehr vage ausgeführt. Beispielsweise heißt es im Rezept für „Gefüllte Oblaten": „Und lass sie nicht zu lange backen, damit sie nicht schwarz werden.(18) Oft findet man auch etwas kurios scheinende Zeitangaben wie: „lass es so lange kochen/backen wie du brauchst um 10 Vater-Unser aufzusagen" oder „so lang wie eine Sonntagsmesse dauert".(19)

 

Einfluss der Diätetik

Die mittelalterliche Küche war zumindest in elitären Kreisen von Diätetik geprägt. Diätetik, die auch als Lehre von den Lebensmitteln und der richtigen Lebensführung gesehen werden kann, basiert auf der durch Galen (129 - 199 v. Chr.) zusammengefassten und weiterentwickelten antiken, hippokratischen Humoralpathologie. Die „Vier-Säfte-Lehre" sowie die „sex res non naturales" (die sechs nicht natürlichen Dinge) welche durch die „Schachtafeln der Gesundheit" veranschaulicht und im Werk „Taqwim as-sihha" (lat. Tacuinum sanitatis) von Ibn Butlan beschrieben sind, wurden im Mittelalter weiterentwickelt und nahmen teilweise sehr ausschweifende Formen an. Das Hauptaugenmerk lag darauf, Eukrasie zu erreichen, also die vier Kardinalsäfte des Körpers durch die Einhaltung diätetischer Vorgaben in Einklang zu halten.(20) In den meisten mittelalterlichen Kochbüchern finden sich diätetische Vorschriften, Empfehlungen und Ratschläge, öfters sogar über mehrere Kapitel hinweg. Dies zeigt, wie eng Ernährung und Gesundheit zu dieser Zeit verknüpft waren. Die Übergänge zwischen einem guten Koch und einem Mediziner bzw. Heilkundigen waren fließend. Jede der Berufsgruppen verfügte über Grundwissen der anderen und dessen Anwendung im diätetischen Bereich.(21) Trude Ehlert zitiert Peter Wagner aus seinem Werk „Küchenmeisterei" (Nürnberg, 1490): „wen ein ordentlicher koch mit wol bereiter natürlicher speiß ist hie in disser zeit der best artzt".(22) Die zunehmende Komplexität der Vorgaben machte es immer schwieriger, alle als bedeutsam erachteten Gesichtspunkte bei der Nahrungsaufnahme und Lebensführung zu befolgen. Aufgrund der geographischen und damit einhergehend klimatischen Gegebenheiten waren auch nicht alle Lebensmittel, welche in den diätetischen Verordnungen verlangt wurden, überall erhältlich. Viele Rezepte wurden deshalb durch Vorschläge ergänzt, wie man die vorgegebenen Zutaten durch jeweils heimische ersetzen könnte. Dies sind zumindest aus heutiger Sicht teilweise etwas ungewöhnliche Bestandteile. Aus diätetischer Sicht war aber nicht der Geschmack ausschlaggebend, sondern die Grundqualität der Zutaten.(23) Im Mondseer Kochbuch findet man beispielsweise ein Rezept für eine Sauce aus Knoblauch, Ingwer und Pfeffer. Es wird empfohlen, diese Sauce bei kaltem Wetter zu verzehren, da sie aufgrund ihrer Zutaten, denen allen heiße und trockene Grundqualitäten zugeschrieben werden, eine wärmende Wirkung auf den Körper haben soll.(24)

 

Das Kochbuch als Privileg für die gehobene Schicht

In der heutigen Kochbuchliteratur kann man kaum mehr soziale Unterschiede der Adressaten festmachen. Wenn man von den westlichen Industriestaaten ausgeht, gibt es auch kaum eine Speise oder ein Nahrungsmittel, das nicht auch für die unteren sozialen Schichten erschwinglich wäre. Ganz anders steht es hier mit den eher spärlich erhaltenen Kochbüchern des Mittelalters. Kochbücher waren vornehmlich den adeligen und klerikalen Schichten vorbehalten. Ein Großteil der editierten Literatur sind Klosterkochbücher, wie etwa das Kochbuch des Benediktinerklosters Mondsee oder das Kochbuch des Dorotheenklosters aus dem Augustiner-Chorherrenstift St. Dorothea in Wien, beide aus dem 15. Jh. In den Klöstern lebten großteils Söhne und Töchter Adeliger, die auf eine standesgemäße Verköstigung Wert legten. Dementsprechend finden sich in diesen Werken neben Fastenspeisen, die meist rund ein Drittel der Rezepte ausmachen, auch viele Rezepte die teure Zutaten wie verschiedene Fleisch- und Fischsorten sowie eine Fülle verschiedener, exotischer Gewürze verlangen.(25) Die bäuerlichen Essgewohnheiten anhand von Quellen nachzuvollziehen, ist hingegen keine leichte Aufgabe, denn aus dieser Schicht sind aus dem Mittelalter kaum Aufzeichnungen von Rezepten oder Rechnungsbücher überliefert.(26) Der Speiseplan der ärmeren Bevölkerungsschichten dürfte aber wesentlich anders ausgesehen haben als der des Adels. Bei der Einfachheit und Eintönigkeit der Speisen war es auch nicht zwingend nötig, Rezepte aufzuschreiben. Sie wurden einfach mündlich weitergetragen bzw. durch Zusehen und Mithilfe beim Kochen gelernt. Außerdem wäre es durch den geringen Alphabetisierungsgrad ohnehin den wenigsten möglich gewesen, die Rezepte schriftlich festzuhalten bzw. zu lesen.(10)

 

Gewürze, edle und teure Zutaten als Indikator für Wohlstand

Fest steht, dass mittelalterliche Köche bereits eine große Variation an Kräutern verwendeten und ihnen auch ihre Wirkung bekannt war. Im Kontrast dazu steht die ländliche Bevölkerung, die ihre einfachen Speisen gewöhnlich nur mit Salz und lokalen Kräutern verfeinerte. Ganz anders die gehobenen Bevölkerungsschichten. Orientalische Gewürze waren ein Zeichen von Reichtum und wurden nicht selten dazu „missbraucht", um seinem sozialen Stand Ausdruck zu verleihen.(28) Des Öfteren wurden Gerichte überwürzt, nur um zu zeigen, dass man sich die teuren Zutaten auch wirklich in großen Mengen leisten kann. Safran galt als das teuerste und exklusivste Gewürz dieser Zeit. In reichen Haushalten mengte man Süß- und Musspeisen enorm viel Safran und Zucker unter, um der Speise eine intensive rot-gelbe Färbung und Süße zu geben, denn auch importierter Rohrzucker galt als Luxusgut. Der goldene Schimmer der Speisen sollte den Reichtum des Speisenden bzw. des Gastgebers noch zusätzlich unterstreichen. Neben Safran war Pfeffer sicher das exklusivste Gewürz des Mittelalters. In der Antike wurde er sogar mit Gold aufgewogen. Daher kommt auch die Redewendung, die reiche Leute im Mittelalter oft als „Pfeffersäcke" bezeichnete. Dies allein zeigt schon, welch starke Symbolkraft die Verwendung von Gewürzen hatte.(29) In der Literatur wird auch oft die These vertreten, dass Fleisch, speziell Wildgeflügel, besonders intensiv gewürzt wurde, um einen beginnenden Verwesungsgeruch bzw. -geschmack zu übertönen. Dies ist nicht auszuschließen. Generell wird in der Forschung  jedoch der Standpunkt der übermäßigen Würzung zur Hervorhebung des Wohlstandes vertreten. Auch Scully ist der Meinung, dass es für die Oberschicht absolut keinen Anlass gab, altes Fleisch zu verzehren, da sowohl Fleisch von Haus- und Wildtieren als auch verschiedenste Fischarten beinahe das ganze Jahr über und vielerorts verfügbar waren. Auch den übermäßigen Einsatz von Gewürzen relativiert er und führt auch Rezepte an, in denen die Mengen an Kräutern und Gewürzen genau vorgegeben ist. Wenn Gewürze im Übermaß in Rechnungsbüchern aufscheinen, sieht Scully den Grund darin, dass solch überlieferte Aufzeichnungen meist aus sehr großen Fürstenhäusern stammen, in denen oftmals hunderte Personen verpflegt werden mussten und deshalb so enorme Mengen an Gewürzen angeschafft wurden. Einzig Pfeffer, Zucker und Safran nennt er als exklusive und teure Gewürze und lässt ihnen, wie auch in anderer Literatur oftmals beschrieben, eine große Repräsentationsfunktion zukommen.(30) Einer der bedeutendsten Unterschiede zu heutigen Kochtechniken sind sicher die im Mittelalter gängigen Zubereitungsarten und die Bemühung um die Veränderung der Nahrungsmittel. Da zu dieser Zeit das Vorhandensein von Vitaminen und Nährstoffen noch nicht bewusst war, legte man keinen Wert auf schonende Garmethoden. Mittelalterliche Köche waren darum bemüht, den Eigengeschmack und oft auch die Konsistenz der Grundnahrungsmittel bis zur Unkenntlichkeit zu verändern. Es war eine gängige Methode, dass Fleisch und Fisch mit verschiedenen Garmethoden, zuerst möglichst weich gekocht und danach mit einem Mörser zu Mus verarbeitet wurden. Dieses Mus wurde anschließend in Formen, auch Model genannt, gepresst und gebacken oder als Hohlbraten(31) am Spies gebraten. Den Eigengeschmack der Nahrungsmittel versuchte man durch starkes Würzen oder Parfümieren umzugestalten. Das Überwürzen der Speisen diente nicht nur zur Betonung des Reichtums, es hatte auch medizinische bzw. diätetische Gründe. Stark gepfefferte Happen wurden beispielsweise zu Beginn einer Mahlzeit gegessen, da ihnen eine appetitanregende Wirkung nachgesagt wurde. Weiters sollte dadurch der „Verdauungsofen" im Körper „angeheizt" und so möglichen Verdauungsproblemen vorgebeugt werden.(32) Ein weiterer Grund für das starke Würzen mancher Speisen könnte sein, dass man dadurch den intensiven Salzgeschmack, der durch das Konservieren von Fleisch oder Fisch entstand, mindern bzw. überdecken wollte. Der starke Einsatz von orientalischen Gewürzen, wie Ingwer, Zimt oder Galgant könnte darauf zurückzuführen sein, dass nach dem langen Transportweg nach Mitteleuropa ein Großteil des enthaltenen ätherischen Öls bereits verraucht und deshalb mehr von den Gewürzen nötig war.(33)

 

Identifizierung der sozialen Schichten anhand ihrer Ernährungsgewohnheiten

Die soziale Hierarchie des Mittelalters nahm ab dem Frühmittelalter konkrete Formen an. Im  9./10. Jh. entwickelte sich die Dreiständeordnung heraus, die auch als Abbild für die Ernährungsgewohnheiten der verschiedenen sozialen Schichten gesehen werden kann. Die drei Stände setzten sich aus Adel, Klerus sowie der großen Schicht der Bauern bzw. Krieger zusammen. Jede Gruppe unterschied sich von den anderen erheblich durch ihre Nahrungsgewohnheiten. Die Art und Weise des Speisens sowie die verzehrten Lebensmittel wurden zu einem Code, mit dem man seinen sozialen Rang bzw. seine gesellschaftliche Stellung auszudrücken versuchte. Die Tendenz ging dahin, dass Fleisch in entsprechendem Umfang bevorzugt wohlhabenden Personen vorbehalten war. Die Menge und Güte der Speisen deren spezielle Zubereitungsarten inbegriffen, wurden zunehmend zum Statussymbol der oberen Schicht.(34) Im Laufe des Mittelalters verfestigten sich die entstandenen sozialen Unterschiede bei den Ernährungsgewohnheiten.

 

Adel - Macht durch Essen

Eine beliebtes Freizeitvergnügen des Adels bildete schon im Mittelalter das Jagen. Das erlegte Wild, bevorzugt Großwild wie Hirsche, Rehe und auch Bären wurde gewöhnlich als Braten am Spieß vor großen Feuerstellen zubereitet. Große Braten wurden zum Symbol für herrschaftliches Speisen und auch Macht. Im Frühmittelalter vertrat man die Meinung, das große Mengen Fleisch von wilden Tiere sich positiv auf die körperliche Kraft des Verzehrenden auswirke. Der übermäßige Konsum von gebratenem Fleisch hatte jedoch zur Folge, dass viele Adelige an Gicht erkrankten. Sie wollten aber trotz der diätetischen Empfehlungen ihrer Ärzte, besser gekochtes Fleisch zu essen, meist nicht darauf verzichten. Wer nicht in großen Massen essen konnte oder wollte, dem kam wenig fürstliche Würde und Anerkennung zu.(35) Montanari beschreibt in einer Anekdote, dass Herzog Wido von Spoleto, der als möglicher Nachfolger für den französischen Königsthron gehandelt wurde, 888 vom Bischof von Metz eingeladen wurde und als Geschenk Unmengen an Nahrungsmitteln überreicht bekam. Als dieser sich mit weniger begnügte, wurde ihm später der Königstitel ausgeschlagen. Die Wahlmänner waren wohl der Meinung, dass es dem möglichen, zukünftigen König nicht an Esslust fehlen dürfe um sein Amt bestmöglich bekleiden zu können.(36) Im Spätmittelalter aber kam es zu einem Wandel beim Fleischverzehr des Adels. So soll der Konsum von Wildfleisch an Fürstenhöfen stark abgenommen und nur mehr rund 5% des verzehrten Fleisches ausgemacht haben. Als Zuspeise wurde häufig Getreidebrei gegessen. Der wird zwar hauptsächlich der bäuerlichen Schicht zugeschrieben, dort war er allerdings Hauptnahrungsmittel. Für den Adel wurde der Brei mit teuren Zutaten wie Rohrzucker und Safran verfeinert. Weitere Luxusnahrungsmittel, die vornehmlich an Fürstenhaushalten Verwendung fanden, waren beispielsweise teure Südweine oder mediterranes Olivenöl, das tierische Fette besonders in der Fastenzeit ersetzte.(37) In den höchsten adeligen Kreisen vollzog sich aber im Laufe des Mittelalters eine Wende in der Bedeutung des Essens. Man rückte vom Glauben ab, dass nur jener der Macht würdig sei, der viel zu Essen weiß. Große Mengen bei Feierlichkeiten und Bankettes aber auch feine Speisen im kleinen Kreise  zu verzehren wurde eher zum Symbol für die adelige Herkunft an sich.(38)

 

Klerus - Ernährung zwischen Fasten und Schmausen

Den zweiten Stand der Gesellschaft bildete der Klerus. Deren Nahrungsgewohnheiten ordneten sich zwischen jenen des Adels und der Bauern ein. Einerseits waren die Speisen von Einfachheit und vorwiegend vegetarischen Gerichten geprägt, andererseits ist doch wenig Verzicht auf Gerichte, die dem Adel zugeschrieben werden, erkennbar. Dies zeichnet sich besonders in den überlieferten Klosterkochbüchern ab. Bei einer Analyse der Zutaten ist meist wenig Unterschied zu jenen des Adels zu finden. Allein die Gegebenheit, dass in Klöstern primär Brot aus weißem Weizenmehl gegessen wurde, zeigt die Neigung zu adeligen Speisesitten. Die Speisenordnung der verschiedenen Ordensgemeinschaften zeigte unterschiedliche Ausprägungen. Die Ordnung der Benediktiner besagt, dass kein Fleisch von vierbeinigen Tieren verzehrt werden darf. Dies wurde damit umgangen, dass man stattdessen Fleisch von Hühnern und anderem Federvieh aß. In anderen Glaubensgemeinschaften war es durchaus erlaubt, Fleisch in Maßen zu verzehren. Es wurde zwar nicht in solch üppigen Mengen wie bei Hofe verzehrt, der Speiseplan der Geistlichen hatte aber trotzdem viel zu bieten. So ist etwa überliefert, dass so mancher Klosterkoch Eier auf bis zu hundert verschiedene Arten zubereiten konnte. Vielfach wurde Fleisch durch Fisch ersetzt. Man begnügte sich meist nicht mit einfachem, lokalem Fisch. Meist wurden sehr feine und seltene Fischarten ausgesucht, die aber vielfach wesentlich teurer und schwieriger zu beschaffen waren als herkömmliches Fleisch.(39) Das Kochbuch des Dorotheen Klosters kennt beispielsweise 19 verschiedene  Fischsorten.(40) Bei der Gegenüberstellung verschiedener Klosterkochbücher ergibt sich alsbald ein klares Bild, das zeigt, dass sich die Speisevorlieben der vornehmlich gehobenen klerikalen Schicht hinsichtlich der untersuchten Indikatoren, der Häufigkeit und Vielfalt von Fleisch, Fisch und Gewürzen nicht wesentlich von denen des Adels unterscheiden. Betrachtet man dahingehend das Mondseer Kochbuch ergibt sich folgendes Bild: Das Mondseer Kochbuch hat einen Anteil an Fleischrezepten von 47%. Davon sind 14,4 % Geflügel (Huhn, Kapaun, Gans), 12,6% Wild (Reh, Hirsch, Wildschwein und verschiedene Wildvögel), 3,7% Kalb und Rind und 3,6% Schwein. Weiters kennt das Kochbuch 10 verschiedene Fischarten. Bei etwa einem Drittel der Rezepte wird Pfeffer und bei rund 18% Safran verwendet. Exotische Würzmittel wie Anis, Nelken, Galgant usw. werden in geringem Maße gebraucht. Süßspeisen werden zur Hälfte mit heimischem Honig, zur anderen Hälfte mit teurem, importiertem Rohrzucker gewürzt. Als Getreide für Brot wird meist teures, fein gemahlenes Weizenmehl verwendet. Die Auswahl der Zutaten lässt keinen Zweifel an der adeligen Herkunft der Klosterbrüder und deren dementsprechender Versorgung.(41) Von den österreichischen Klosterkochbüchern weist nur das Kochbuch des Dorotheenklosters in Wien exklusivere und vielfältigere Zutaten auf.(42)

 

Bauern - Getreidebrei und Mus waren ihre Speise

Zu Beginn des Mittelalters war es auch den Bauern noch erlaubt, zu jagen. Der Wald wurde von ihnen aber nicht nur als Jagdgebiet genutzt, sondern auch als Viehweide, vorwiegend für Schweine. So waren Wild- und Schweinefleisch ihre wichtigsten fleischlichen Nahrungsmittel. Diese wurde ergänzt durch Fleisch von allerlei Arten von Hausvieh, dass nach Bedarf - meist jedoch im Herbst - geschlachtet wurde.(43) Durch das Bevölkerungswachstum wurde das urbare Land knapper und es mussten auch immer mehr Menschen mit Lebensmitteln versorgt werden. Dadurch wurden die Bauern verstärkt in die Rolle der Nahrungsmittelhersteller gedrängt und danach richtete sich auch deren Speiseplan. Der Fleischkonsum der Bauern veränderte sich im Laufe des Mittelalters, der Verbrauch verringerte sich generell. Wenn Fleisch verzehrt wurde, dann bevorzugt in konservierter Form, getrocknet, eingesalzen oder zu Würsten verarbeitet. Die häufigste Zubereitungsart von Fleisch war als Sudfleisch. Man verkochte beinahe alle Teile eines Tieres und versuchte dadurch sämtliche Säfte des Fleisches zu erhalten. Die Hauptnahrung der bäuerlichen Schicht waren Suppen, Getreidebrei und -mus sowie Gemüse, das meist einen geringen Fleisch- oder Speckanteil enthielt. Nach und nach wurden die Jagdbefugnisse der Bauern eingeschränkt, da der Adel den Wald und das Wild für sich allein beanspruchte.(44) Einige der folgenden Darstellungen von bäuerlicher Ernährung gehen auf eine spätmittelalterliche Verpflegungsordnung für das Gesinde des Augustiner-Chorherrenstifts Indersdorf von 1493 zurück. Die Hauptbestandteile aller Mahlzeiten waren Wasser- oder Milchsuppe und Getreidebrei. Dies wurde mittags und abends mit Schweineschmalz und Kraut ergänzt. Dreimal wöchentlich wurde die Mahlzeit mit Schweinefleisch vollendet.(45) Generell wurde der Getreidebrei bzw. das Getreidemus je nach Region aus Gersten- oder Hafermehl zubereitet und mit Salz sowie regionalen Kräutern verfeinert. Das Brot der unteren Schichten wurde aus dunklem Roggen-, Hafer- oder Dinkelmehl hergestellt und war auch im Spätmittelalter keine alltägliche Kost. Brot aus feinem, weißem Weizenmehl war ausschließlich der adeligen Schicht vorbehalten. Ähnlich waren die Gegebenheiten beim Wildfleisch. Bei Grabungen an mittelalterlichen Bauernhöfen wurden aber neben anderen Lebensmittelresten auch eine beachtliche Zahl an Hirschknochen gefunden, was darauf hinweist, dass in bäuerlicher Umgebung neben dem Fleisch von „Haustieren" auch Wildbret gekocht wurde. Die Jagd und der Verzehr von Wildbret waren im Grunde exklusiv dem Adel vorbehalten, darum kann die Wilderei der Bauern als „Kavaliersdelikt" gewertet werden.(46) Milchprodukte wie Butter, Käse und daraus gewonnene Molke sowie viele Sorten von regionalem Gemüse, Hülsenfrüchte Obst und Beeren komplettierten den Speiseplan der spätmittelalterlichen Bauernschicht.(47) Johannes Boemus beschrieb 1520 die Nahrungsgewohnheiten der Bauern sehr treffend: „geringes Brot, Haferbrei oder gekochtes Gemüse ist ihre Speise, Wasser und Molke ihr Getränk".(48)

 

Fastenspeisen

Im Mittelalter hatte man rund 130 Fasttage pro Jahr, das macht gut ein Drittel des gesamten Jahres aus. Während dieser Zeit war es untersagt, Fleisch oder andere tierische Produkte, wie Milch, Butter, Käse usw. zu essen. Erlaubt waren nur Fisch, Getreide und Gemüse. Erst ab 1491 war es offiziell erlaubt, während der Fastenzeit auch Eier, Milch und Milchprodukte zu essen. Ausnahmen scheint es aber gegeben zu haben, denn diese Nahrungsmittel werden bereits vor diesem Zeitpunkt öfters als Zutat für Fastenspeisen genannt. Auch in überlieferten Speiseplänen dieser Zeit findet man nicht selten Gerichte, die diese Zutaten verlangen.(49) Die Tatsache, dass es sich beim Mondseer Kochbuch um ein Klosterkochbuch handelt, macht auch einen Blick auf die verzeichneten Fastenspeisen interessant. Generell unterscheidet man zwei Arten von Fastenspeisen: Einerseits diejenigen, die auch im Kochbuch speziell als Fastenspeisen ausgewiesen sind und andererseits jene, die sich durch die verwendeten Zutaten als Fastenspeisen eignen. Im Mondseer Kochbuch finden Fastenspeisen keine explizite Erwähnung. Aufgrund ihrer Zutaten eignen sich aber rund ein Drittel der Rezepte als Fastenspeisen. Das sind etwa Fischgerichte, sowie alle Mus- und Süßspeisen. Es sind auch sechs Rezepte verzeichnet, bei denen es sowohl eine Zubereitungsvariante für normale als auch eine für Fasttage gibt.(50) Fleisch wurde in der Fastenzeit zumeist durch Fisch ersetzt, wobei man am häufigsten Hecht oder Aal verwendete. Als Ersatz für Milch wurde Mandelmilch aus zerkleinerten, in Wein oder Wasser gekochten Mandeln verwendet. Daraus wurde sogar ein Ersatz für Käse, nämlich Mandelkäse hergestellt. Auch Süßspeisen mit Äpfeln und Oblaten waren sehr beliebt. Da man aber während der Fastenzeit nicht auf eine angemessene Kost verzichten wollte, waren die „Küchenchefs" sehr kreativ im Erfinden von delikaten Fastenspeisen und so genannten Scheingerichten. Biber wurde zum Beispiel aufgrund seines geschuppten Schwanzes kurzerhand als Wassertier deklariert und war eine durchaus beliebte Fastenspeise. Mit Scheingerichten wurde versucht den Geschmack und die Form von Fleisch, besonders Wild, nachzuahmen. Aus Fischmus, Mehl und Eiern wurde eine Masse zubereitet, die als Hohlbraten am Spieß gebraten oder in hölzernen Formen, die oft Braten- oder Tierformen nachempfunden waren, gebacken wurde. Es ist ein Rezept überliefert, bei dem beispielsweise Fischsulze in Form eines Schweinekopfes serviert wurde.(51) Trotz dieser Einschränkungen beeinflusste die Klosterküche die sich neu entwickelnde Kochkultur. Die beinahe in Vergessenheit geratene römische Küche wurde neu belebt und schuf so das Fundament für eine neue, eigenständige europäische Kochkunst.(52)

 

Schluss

Die eingangs angeführte Fragestellung nach den Ernährungsgewohnheiten der verschiedenen sozialen Gesellschaftsschichten des Mittelalters kann zusammenfassend folgendermaßen dargestellt werden: Ab dem Frühmittelalter entwickelte sich die Dreiständeordnung heraus, mit der eine Differenzierung der Nahrungsgewohnheiten und -sitten einherging. Die bedeutendsten Indikatoren bei der Unterscheidung der Gesellschaftsschichten hinsichtlich der Ernährung sind die verwendeten Fleisch-, Fisch- und Getreidearten. Ein weiterer Aspekt ist die Häufigkeit und Art der verwendeten Gewürze. Anhand dieser vier Faktoren zeigt sich deutlich, welcher Gesellschaftsschicht der Speisende zugeordnet werden kann.(53) Ein analoges Bild zeigt sich bei den überlieferten Kochbüchern: Der Adel charakterisierte sich im kulinarischen Bereich vor allem über große Braten, bevorzugt von Wildbret. Verschiedenen Nahrungsmitteln kam eine symbolträchtige Stellung zu. Dies zeigt sich insbesondere durch die Verwendung von edlen Fleisch- und Fischsorten sowie am Gebrauch enormer Mengen an exotischen Gewürzen. Die zweite Gesellschaftsschicht bildeten die Kleriker. Da viele der Ordensmitglieder aus adeligen Häusern stammten, wollten sie kulinarisch standesgemäß versorgt werden. Deutlich zeigt sich dies in den überlieferten Klosterkochbüchern, die denen des Adels um nichts nachstehen. Im Gegenteil, sie waren oft noch durch eine Vielzahl an exquisiten Fastenspeisen ergänzt.(54) Komplett divergent sah der Speiseplan der bäuerlichen Schicht aus. Nachdem sie einerseits vom Adel durch Jagdverbote nach und nach aus dem Wald verdrängt wurden und andererseits die Nachfrage an Lebensmitteln durch das zunehmende Bevölkerungswachstum anstieg, kam ihnen immer mehr die Rolle der Nahrungsmittelproduzenten zu. Demensprechend gestaltete sich auch ihre Ernährung. Die Hauptnahrung der Bauern war Getreidebrei oder -mus mit Schmalz, Kraut und Speck oder Schweinefleisch sowie regionales Gemüse. Auch Sudfleisch kann als typische Bauernspeise gesehen werden.(45) Diese, im Laufe des Mittelalters entstandene, gesellschaftliche Ordnung blieb noch mehrere Jahrhunderte lang mit geringen Modifikationen erhalten und wurde erst mit Beginn des industriellen Zeitalters durch neue gesellschaftliche Verhaltensweise abgelöst. Die herausgearbeiteten Aspekte der unterschiedlichen Ernährungsweisen wurden anhand des Mondseer Klosterkochbuchs überprüft. Sie stimmen durchwegs mit den erarbeiteten Ergebnissen überein. Die Ordensmitglieder im Benediktinerkloster Mondsee wurden in der Regel mit kostspieligen Nahrungsmitteln verköstigt, welchen denen des Adels in keinster Weise nachstanden. Auch während den Fastenzeiten verstanden es Klosterköche, mit einer Fülle von Möglichkeiten den Speiseplan abwechslungsreich zu gestalten. Bei einer Gegenüberstellung mit anderen Klosterkochbüchern ist das Mondseer Kochbuch sicher in der gehobenen Kategorie einzustufen. Die mittelalterlichen Gar- und Zubereitungsmethoden unterscheiden sich jedoch beträchtlich von den heutigen. Dabei darf aber keinesfalls übersehen werden, dass man sich zu dieser Zeit noch nicht über die in Nahrungsmitteln enthaltenen Vitaminen und Nährstoffe bewusst war und so bei der Zubereitung der Speisen keine Rücksicht darauf nahm. Abschließend ist daher festzuhalten, dass es falsch wäre, die Zubereitungsarten des Mittelalters als unausgereift oder nicht brauchbar einzustufen, denn man hatte eine sehr differenzierte Vorstellung von den Verdauungsprozessen im Körper und der Wirkung der Lebensmittel auf den Organismus.(56)

 

Bibliographie

Quellen

Aichholzer, Doris (1999): „Wildu machen ayn guet essen...". Bern, Berlin u.a.: Peter Lang Verlag.

Ehlert, Trude (1991):  Das Kochbuch des Mittelalters - Rezepte aus alter Zeit, eingeleitet, erläutert und erprobt von Trude Ehlert. Zürich: Artemis Verlag.

Ehlert, Trude (2010): Küchenmeisterei - Edition, Übersetzung und Kommentar zweier Kochbuch-Handschriften des 15. Jahrhunderts. Frankfurt am Main, Wien : Lang. 

Franz, Günther (1976): Quellen zur Geschichte des deutschen Bauernstandes in der Neuzeit. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft.

Hayer, Gerold (1976): Daz bouch von gouter spise - Abbildungen zur Überlieferung des ältesten deutschen Kochbuches. Göppingen: Alfred Kümmerle Verlag.

Jourdan, Eveline (1984): Lasst uns haben gute Speis  - 66 der ältesten deutschen Kochrezepte aus dem Mittelalter.  Stuttgart: Steinkopf.

Nauwerck, Arnold (1998): Speisen wie die Äbte und essen wie die Mönche - Ein Mondseer Kochbuch aus dem 15. Jahrhundert und andere Zeugnisse der Küchenkultur des Klosters Mondsee in älterer Zeit. Neumarkter Druckerei.

Pickl, Simon (2009): Das Kochbuch für Maria Annastastia Veitin - Kommentierte Edition einer Kochbuchhandschrift aus dem Jahr 1748. Hrsg: Bayrische Schriften zur Volkskunde. München: Kommission für bayrische Landesgeschichte bei der Bayrischen Akademie der Wissenschaften Institut für Volkskunde Band 10.

Literatur

Aichholzer, Doris (2000): Schachbretter aus Erbsen, Mandeligel und Nonnenfürze in Gsöff - Aus Kochbüchern des 15. Jahrhunderts in der Österreichischen Nationalbibliothek. In: Kolmer, Lothar; Rohr, Christian  : Mahl und Repräsentation - der Kult ums Essen. Beiträge des internationalen Symposions in Salzburg, 1999.  Paderborn, Wien u.a.: Schöningh Verlag, S.143-156.

Alaba, Ken (2002): Eating Right in the Renaissance. Berkeley, Los Angeles, London: University of California Press.

Ehlert, Trude (1990): Wissensvermittlung in deutschsprachiger Fachliteratur, oder: Wie kam die Diätetik in die Kochbücher? In: Würzburger medizinische Mitteilungen 8, S. 137-159.

Fouquet, Gerhar(2000): Von Apfelmus bis Zuckerfladen - das Kochbuch des Augsburgers Ulrich Schwarz und die Speisegewohnheiten im Mittelalter. In: Fouquet, Gerhard (Hrsg.): Goldene Speisen in den Maien - das Kochbuch des Augsburger Zunftbürgermeisters Ulrich Schwarz († 1478).  St.Katharinen: Scripta-Mercaturae, S. 150-175.

Jourdan, Eveline (1984): Lasst uns haben gute Speis  - 66 der ältesten deutschen Kochrezepte aus dem Mittelalter. Stuttgart: Steinkopf Verlag.

Laurioux, Bruno (2000): Kochbücher vom Ende des Mittelalters. In: Kolmer, Lothar; Rohr, Christian  : Mahl und Repräsentation - der Kult ums Essen. Beiträge des internationalen Symposions in Salzburg, 1999.  Paderborn, Wien u.a.: Schöningh Verlag , S. 157-167.

Montanari, Massimo (2000): Die Dreiständeordnung des Mittelalters im Spiegel der Ernährung. In: Kolmer, Lothar; Rohr, Christian  : Mahl und Repräsentation - der Kult ums Essen. Beiträge des internationalen Symposions in Salzburg, 1999. Paderborn, Wien u.a.:  Schöningh Verlag , S. 53 - 63.

Montanari, Massimo (1993): Der Hunger und der Überfluß - Kulturgeschichte der Ernährung in Europa. Jacques Le Goff . München: C.H. Beck Verlag.

Ruge-Schatz, Angelika (1987): Von der Rezeptsammlung zum Kochbuch - einige sozialhistorische Überlegungen über Autoren und Benutzer. In: Bitsch, Irmgard : Essen und Trinken in Mittelalter und Neuzeit  - Vorträge eines interdisziplinären Symposions vom 10. - 13. Juni 1987 an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Sigmaringen: Jan Thorbecke Verlag, S. 217-227.

Rumm-Kreuter, Doris (1987): Heizquellen, Kochgeschirre, Zubereitungstechniken und Garergebnisse mittelalterlicher Köche. In: Bitsch, Irmgard : Essen und Trinken in Mittelalter und Neuzeit: Vorträge eines interdisziplinären Symposions vom 10. - 13. Juni 1987 an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Sigmaringen: Jan Thorbecke Verlag, S. 227-244.

Scully, Terence (1995): The art of cookery in the middle ages. Woodbridge: The Boydell Press.

Weiss Adamson, Melitta (2004): Food in Medieval Times - Food through the history. Westport, Conneticut and London: Greenwood Press.

ErnaehrungMittelalter (117k)

Quellen, Anmerkungen

  1. Vgl. Aichholzer, 1999, 87.  
  2. Vgl. Nauwerck, 1998, 7.  
  3. Vgl. Laurioux, 2000, 157.  
  4. Vgl. Jourdan, 1984, 6.  
  5. Vgl. Laurioux, 2000, 159 u 160.  
  6. Vgl. Laurioux, 2000, 162.  
  7. Vgl. Aichholzer, 1999, 25 u. 27.  
  8. Vgl. Aichholzer, 1999, 28.  
  9. Vgl. Aichholzer, 1999, 26 u. 27.  
  10. Vgl. Pickl, 2009, 39.  
  11. Vgl. Aichholzer, 1999, 29.  
  12. Vgl. Jourdan,1984, 6.  
  13. Vgl. Aichholzer, 1999, 29.  
  14. Vgl. Pickl, 2009, 39.  
  15. Vgl. Nauwerck, 1998, 7.  
  16. Vgl. Nauwerck, 1998, 13.  
  17. Vgl. Nauwerck, 1998, 12.  
  18. Vgl. Nauwerck, 1998, 60.  
  19. Vgl. Ehlert, 1991, 93.  
  20. Vgl. Aichholzer, 1999, 39 u. 40.  
  21. Vgl. Ruge-Schatz, 1987, 222.  
  22. Ehlert, 2010, 7.  
  23. Vgl. Aichholzer, 1999, 41f.  
  24. Vgl. Nauwerck, 1998, 34.  
  25. Vgl. Aichholzer, 2000, 145 u. 155.  
  26. Vgl. Fouquet, 2000, 155.  
  27. Vgl. Pickl, 2009, 39.  
  28. Vgl. Pickl, 2009, 40f.  
  29. Vgl. Aichholzer, 2000, 151; Weiss Adamson, 2004, 15f.  
  30. Vgl. Scully, 1995, 84f.  
  31. Vgl. Ehlert, 1991, 13: Hohlbraten sind große bratenförmige Fleischklöße, aus gegartem, zerkleinertem Fleisch, Eiern und Bindemittel, die zu Pasteten verarbeitet und danach nochmals am Spieß gebraten wurden.  
  32. Vgl. Jourdan, 1984, 11.  
  33. Vgl. Ehlert, 1991, 15.  
  34. Vgl. Montanari, 2000, 53 - 63. 53; Fouquet, 2000, 155.  
  35. Vgl. Montanari, 2000. 54ff; Ehlert, 1991, 12.  
  36. Vgl. Montanari, 1993, 34f.  
  37. Vgl. Fouquet, 2000, 151 u. 155.  
  38. Vgl. Montanari, 2000, 60.  
  39. Vgl. Montanari, 2000, 58f.  
  40. Vgl. Aichholzer, 2000, 151.  
  41. Vgl. Aichholzer, 2000, 149 - 152.  
  42. Vgl. Aichholzer, 2000, 152.  
  43. Vgl. Ehlert, 1991, 12f.  
  44. Vgl. Montanari, 2000, 54-56.  
  45. Vgl. Fouquet, 2000, 153-158.  
  46. Vgl. Fouquet, 2000, 153 ff.; Ehlert, 1991, 12.  
  47. Vgl. Fouquet, 2000, 159.  
  48. Franz, 1976, 3.  
  49. Vgl. Ehlert, 1991, 18f.  
  50. Vgl. Aichholzer, 2000, 154.  
  51. Vgl. Ehlert, 1991, 19.  
  52. Vgl. Rumm-Kreuter, 1987, 227 u. 238.  
  53. Vgl. Montanari, 2000, 155.  
  54. Vgl. Aichholzer, 2000, 155.  
  55. Vgl. Fouquet, 2000, 153-158.  
  56. Vgl. Jourdan, 1984, 11; Alaba, 2002, 54 - 56.  
Ernährungsgewohnheiten im Mittelalter