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Kein Gott mehr in Frankreich?

Lothar KOLMER.   

Warum soll es in Frankreich anders sein als im Rest der Welt - auch kulinarisch? Frankreich hat massive wirtschaftliche Probleme. Die Zeitungen schrieben zur Zeit der Reise über die hoch belastete Mittelschicht, die immer „dünner", also weniger wird, was zu Abstiegsängsten führt. Die Gesellschaft fällt auseinander, in die Reichen, die immer reicher, „dicker" werden und in eine immer größere Zahl von Menschen in prekären Verhältnissen. Die Durchschnittseinkommen in Frankreich sind nicht besonders hoch.

Dem gegenüber stehen durchaus hohe Preise für Lebensmittel und in den besseren Restaurants. Es lässt sich freilich auch billiger speisen, zahlreiche Menüangebote beginnen bei 10 €. Doch der Blick auf die Teller verrät es... Was bekommt man für 10 € Hauptgericht + Dessert erwarten? Pommes frites aus dem Sackerl, Creme aus Pulver in der großen Dose, Fleisch...?. Aber auch für 28 € halten es Gastronomen für nicht möglich, Qualität zu liefern. Schlucken und schlingen die Leute kritiklos alles runter - eine Variante, die sichtlich vorkommt, wie die, dass das teure à la carte gewählt wird. Was aber drückt diese Haltung aus? Arroganz? Verachtung des Kunden?

Viel erklärt sich auch daraus, dass in Frankreich sich „convenience" durchgesetzt hat: „drei Viertel der französischen Bistros (servieren) Tiefkühlkost oder Vakuumverpacktes"; dagegen hat der „Maître Restaurateur" keinen Boden gewonnen. Dieser müsste seine Gerichte mit 60% frischen Zutaten zubereiten. Von ca. 200.000 Gastronomen haben 600 mitgemacht (Süddeutsche Zeitung, Nr. 202, 2.9.2011, S. 17). Entsprechend aber fallen dann die Erfahrungen aus. Man merkt doch, wenn sich ein Küchenchef bemüht und wenn ihm seine Klientel egal ist. Nur ein Beispiel für mehrere Vorkommnisse, das Chez Romano in Cassis. Katzentisch beim Eingang, Klonähe - angeblich keine anderen Plätze, schon gar nicht draußen frei (waren es natürlich schon), dann Fischsuppe ohne Inhalt, Fische ohne großen Geschmack und Nachspeise aus der Fabrik. Service nebenbei und zunehmend unfreundlich als es uns sichtlich nicht schmeckte... Manche Empfehlungen erwiesen sich als keine; auch der Guide Michelin enttäuschte, was Restaurants als auch Hotels angeht; er wirkte nicht auf dem neusten Stand.

Damit es nicht unfair aussieht. Es gibt feine Restaurants. Die finden sich oben beschrieben. Als sichere Bank erwiesen sich die Sterne-Restaurants. Wie ich aber schon schrieb, sind diese gerade am Abend teuer, teurer als die vergleichbaren in Salzburg. Auf den Tellern lag eine Art Europa-Liga-Speise der Sterneköche. Bei Blindverkostungen hätte man nicht unbedingt sagen können, ob es von einem österreichischen, französischen, deutschen Spitzenkoch kam, auch was das Anrichten und das Geschirr betraf.

Was ist passiert? Ist da überhaupt etwas passiert? Angesichts des Sachverhalts habe ich danach mit vielen Leuten gesprochen. Die meisten, die sich in Frankreich auskennen, waren nicht verwundert. Sie sagten (wie manche im Lande schon): so ist es. Man kann sehr schlecht und sehr teuer essen. Und oft genug recht durchschnittlich. Warum aber sollte es auch anders sein?

Die Realität stößt sich mit dem alten Image. Dieses aber lebt weiter. Vom tradierten Gottesbild nährt sich die französische Gastronomie recht gut; sieht oft genug keinen Grund, etwas zu ändern. Warum auch, wenn die Touristen reinfallen, im doppelten Wortsinn und danach ohnehin verschwinden. Wenn die Reise-/Kulinarik-Berichte in den Medien hymnische Oden anstimmen - ganz nach der Melodie, wie sie Tucholsky zitierte.

Die Französische Küche ist zum Weltkulturerbe ernannt worden. Damit ist sie quasi „eingedost", konserviert worden, wie die endlosen Blechbehälter mit Foie gras. Sie ruht sich dort aus, garniert mit den alten Lorbeeren. Sie zelebriert die alten Standardgerichte, das übliche halbe Dutzend, das sich landauf landab auf den Speisekarten findet. Frankreich ist ein Zentralstaat. So wirkt es für uns, als sei die Französische Küche stehen geblieben. Sie ist es nicht, sie verharrt nur da, wo sie stand. Auf dem Land gibt es noch die „Klassiker" in größeren Mengen und in guter Qualität; aber daneben auch in kleinen Portionen und zweifelhafter Güte, gerade auch was die Gänselebern angeht!

Was sich aber bewegt hat, ist die österreichische Küche. Vor Zeiten konnte man angesichts des Aufgetischten die französische Küche durchaus besser finden. Doch hier gab es eine Weiter- und Höherentwicklung. Legt man die entsprechende heimische kulinarische Leiste an und vergleicht, dann merkt man die Unterschiede. Wie der große Philosoph Gadamer sagte: aus der Differenz erwächst die Erkenntnis. Darüber darf man sich hierzulande freuen.

Wir wollen nicht Nietzsches Diktum für die Französische Küche ausrufen. Man kann immer noch sehr gut essen. Doch leben „wie Gott" konnte man nur in unserem Sprichwort und nie in der Realität, außer in den Oberschichten. Es war frühe Propaganda, die bis heute nachwirkt.

Weltkulturerbe aber meint durchaus auch etwas Museales. Es wird konserviert, bleibt so, steht da. Man kann sich mit alter Größe begnügen, sich zurücklehnen.

Dies gilt auch für hiesige Bestrebungen.

 

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