Logo Epikur - Journal für Gastrosophie
Zentrum für Gastrosophie Impressum
Startseite > Archiv > Epikur Journal 01/2013 > Wie viel ist genug?

MEISTER Katrin u. MEISTER Hans: Wie viel ist genug? Die Gier und wir. Leopold Stocker, Graz 2012

Benjamin BEREND.   

Die großen Probleme der globalisierten Gegenwart sind es, welche in diesem Band ausgehend vom Phänomen „Gier" behandelt werden. Auf rund 190 Seiten wird in Bild und Text die Kritik am gegenwärtigen Wirtschaftsmodell („orientierungsloser Fortschrittglaube") weitergeführt, ohne dabei das Aufzeigen alternativer Handlungsmöglichkeiten zu vergessen.

Die grundlegende Infragestellung beginnt für die Autoren bei dem Verständnis von „Wohlstand" als einem Modus des Besitzens. „Noch nie war eine Gesellschaft reicher und gleichzeitig unzufriedener" konstatieren sie anhand der Befunde der Glücksforschung. Die genannten Ursachen für diesen Sachverhalt leuchten unmittelbar ein: Der kategorische Konsumimperativ kostet Lebenszeit, systemkompatible Konversionen und Stress. Gier als der ruhelose Zustand des „immer mehr" - welcher flächendeckend zum staatstragenden Habitus avanciert ist - wird dabei in nüchternem Ton als ambivalentes Phänomen beschrieben: Einerseits ein zuweilen anspornendes Motiv, verdeckt es andererseits in hohem Maße ein Leben, für welches es sich nach Ansicht der Verfasser eigentlich zu leben lohnte.

Wie sich eine Praxis des guten Lebens heute konkret manifestieren könnte, verdeutlichen die Autoren an ihrem entscheidenden Motiv - dem Nahrungsmittelkonsum. Gerade hier produziert giergesteuertes Verhalten deutliche globale Widersprüche. Der Leser erfährt in diesem Zuge viel Wissenswertes. Zum Beispiel, warum ein Durchschnittshaushalt in den 50er Jahren mehr als ein Drittel seines Budgets für Lebensmittel aufwenden musste, während es heute - nach Jahrzehnten der Inflation - lediglich 12 Prozent sind. Oder von welcher Art die Zusammenhänge zwischen Rohstoffspekulation, Preisentwicklung der Lebensmittel und Armut in Entwicklungsländern beschaffen sind. Ebenso kommt das Phänomen „globaler Bodenverlust" zur Sprache, welches aufgrund einer steigenden Weltbevölkerungsrate in das Problem „immer weniger Boden für immer mehr Nahrungsmittelproduktion" resultiert. Fehlende Kostenwahrheit (australische Äpfeln kosten im Supermarkt das gleiche oder gar weniger wie einheimische Äpfel), Massentierhaltung, Verlust der Sortenvielfalt durch „verhätscheltes Hybridsaatgut", sowie Hungersnöte angesichts globaler Überproduktion werden als weitere gierdynamische Effekte kapitalistischer Kosteneffizienz ebenfalls erörtert.

Getreu dem sokratischen Motto des Buches „Wie zahlreich sind doch die Dinge, derer ich nicht bedarf", schildern die Autoren den möglichen Ausweg aus diesen Zuständen überzeugend als eine neue Askese der Verbraucher. Damit meinen sie: Verantwortungsbewussten Konsum. Es kommt darauf an, so die wohlbekannte Idee, sich für das „Was" und „Woher" der eingekauften Waren zu interessieren und mikropolitische Kaufentscheidungen zu treffen. Erfreulicherweise und entgegen aller feuilletonistischen Schwarzweißmalerei gelingt dieses Plädoyer ohne die Preisgabe hedonistischer Werte, sondern überzeugt gerade durch die Vereinbarkeit von Verantwortung und Genuss.

Es bleibt zu wünschen, dass die wegweisenden Impulse verstärkt auf Gehör stoßen. Damit dies gelingen kann, müsste im Falle einer Neuauflage jedoch die einzige Schwachstelle des Buches beseitigt werden - die laienhafte ästhetische Gestaltung hinsichtlich Bildauswahl, Schrift und Format. Denn diese hemmt die Gier einer potenziellen Leserschaft auf das Werk enorm.

RezWieVielIstGenug (26k)

Link zum Verlag

MEISTER Katrin u. MEISTER Hans: Wie viel ist genug? Die Gier und wir. Leopold Stocker, Graz 2012