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ULLRICH Wolfgang: Alles nur Konsum. Kritik der warenästhetischen Erziehung. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2013

Lothar KOLMER.   

Der Autor neigt zu Sentenzen: „Vielmehr denkt der eigenen Zeit immer schon hinterher, wer über sie nachdenkt." Nett gesagt, doch in welchem Sinne ist das gemeint? Im Heideggerschen Sinne des „Hinter- her" ... oder doch nur so aphoristisch gesagt? Das geht auch weiter bei den Begriffen; ungenügend begriffen etwa sei die: „Konsum Kultur". Ullrich meint, das signalisiere ein gewisses Wohlwollen. Er sieht Konsum als relevantes Feld der Ästhetik. Wir verspüren ein gewisses Ungenügen: Der Begriff der Konsumkultur wird hier gesetzt. Kultur wird nicht definiert, Konsumkultur als positiv bewertet. Außer Betracht bleibt das große Bedeutungsfeld des Kulturbegriffes überhaupt. Mit dieser Setzung und Wertung ist aber quasi eine Art von petitio principii geleistet. Davon nimmt das Werk seinen Ausgang, kritisiert en passant Schillers „parteiische" Überlegungen zur Kunst. Der Reihe nach bekommen Vertreter linker Denktraditionen ihre Abreibung, die Kritik ist redundant, wiederholt sich oft. Es liest sich in Richtung eines affirmativen Werks des Konsumismus, was es in Teilen durchaus ist. Manche Kritik kommt einseitig daher; doch dagegen steht ein auch kritischer Blick auf die heutige Konsumwelt. Das verleiht dem Buch eine gewisse Ambivalenz. Den manipulierten Verbraucher sieht Ullrich, entgegen der herkömmlichen Kritiken, eher wenig. Im Gegenteil, er interpretiert diese Kritiken als Abwehr und Ressentiment, als Ausdruck ungenügender Ausbildung im Umgang mit einem Zeichensystem, das der Konsumkultur zugrunde liegt. Denn Konsumprodukte seien Quellen von Emotion und Fiktionen, Medien der Erziehung und Unterhaltung und gestalten das Leben der zu Konsumenten gewordenen Menschen (S. 26). Die Frage stellt sich aber doch, ob nicht doch nicht Manipulation vorliegt, wenn man sich „für ein Bademittel (entscheidet), weil es Meditation pur verspricht, eine Teepackung (wählt), weil sie Harmonie oder Liebe verheißt." Das gleiche gilt, wenn die Konsumenten, „ohne dass ihnen das üblicherweise bewusst ist, von Produkten ungleich mehr in ihrem Habitus geprägt (werden) als von philosophischen Theorien, intellektuellen Debatten" (S. 35). Nicht mehr die Philosophen interpretieren die Welt verschieden, die „Produktdesigner verändern sie auch." Ullrich betrachtet „Konsumieren und den Umgang mit Konsumprodukten als Kunstfertigkeit" und stellt sie antiken Fächern der artes liberales gleich. Denn „nur wer an ein hohes Maß an situativer Intelligenz verfügt, verhält sich nicht peinlich" - peinlich? Warum und Wem gegenüber? Den anderen Konsumenten? Ist es nicht auch peinlich, wenn man in der Konsumwelt „immer wieder mit der eigenen Mangelhaftigkeit konfrontiert (wird), weil irgendein Accessoire fehlt oder nicht genau passt"? In ironischer Weise könnte man dazu sagen, wem das passiert, der wird mit der Mangelhaftigkeit des eigenen Denkvermögens konfrontiert!

Was den Prozess der Zivilisation angeht, bei dem er sich auf Elias stützt, so ist dazu nur zu sagen, dass die neuere Literatur Elias mittlerweile äußerst kritisch sieht, die Konstruktion des Zivilisationsprozesses als wesentliches Ergebnis eines recht einseitigen Quellenauswahl und Interpretation erkannt hat. Weiter zu denken und noch weiter zu reflektieren ist das Thema Konsumkultur als andere Form von Religion. Ist die „Konsumwelt nur eine neue Version einer herkömmlichen Aberglaubenswelt"? Noch mehr, wenn Vieles an Ablässe erinnert, wenn Heilsversprechen gemacht werden, wenn Erlösung in Aussicht steht? Alle brauchen ihn, aber nicht allen wird er zuteil, wenn Arme „Nocebo-Effekte" unterliegen, Unterprivilegierte durch Billigkonsum „erst recht auf die Rolle eines Verlierers fixiert" werden. All diese Heilsversprechen, wie auch die ganzen therapeutischen Versprechungen weisen doch eher darauf hin, dass „ziemlich viel kaputt zu sein (scheint)". Man scheint nicht mehr fit für die Anforderungen des Lebens, bedarf aller möglichen Hilfsmittel und Prothesen der modernen Konsumwelt, um den vielfältigen Anforderungen zu genügen.

Es wird davon ausgegangen, dass Konsumprodukte viele soziale und therapeutische Leistungen erbracht haben, sie mehr als einen Gebrauchswert erfüllen. Dann erscheint die Kritik daran „als Zivilisationsbruch". Dieser Kritik wird sogar zugetraut, Auslöser und Gegenstand der nächsten revolutionären Erregung zu werden. Das geschieht quasi als Rache der Konsumprodukte an ihrer überbordenden Kritik. Mit Konsumprodukten kann man Menschen „besser beeinflussen und propagandistisch vereinnahmen... als mit Pamphleten und Predigten". Anscheinend kann man Menschen doch manipulieren. Das heißt aber, dass „aus Marketingmanagern... Imageredakteure und Programmleiter" werden. Diese können durchaus „eine künftige Diktatur" errichten. Es werden Horrorszenarien an die Wand gemalt, wenn wir keine „warenästhetische Erziehung" erhalten. Doch deren Kritik fehlt in diesem Werk, so stiftet der Untertitel eher Verwirrung. Es wird ein konsumorientierter Verbraucher gefordert, wobei offen bleibt, wie und woher dieser seine kritischen und analytischen Fertigkeiten bekommen soll. Zudem wird auch angenommen, dass bestimmte Schichten nicht dazu in der Lage sind und anscheinend doch manipulativen Techniken oder sogar einer Diktatur ausgesetzt werden, wodurch sich aber der Verdacht der herkömmlichen Kritik bestätigte.

Es bleibt eine gewisse Unentschiedenheit zu verzeichnen. Die Lektüre dieses Werkes ist höchst angeraten; es bringt viele Erkenntnisse, Einsichten, aber noch mehr Widersprüche und Punkte, die kritisch diskutiert und hinterfragt werden müssen.

RezAllesNurKonsum (86k)

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ULLRICH Wolfgang: Alles nur Konsum. Kritik der warenästhetischen Erziehung. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2013