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Was Großmutter noch kochte

Susanne WALTER.   

Es gibt ja wenig Amüsanteres, als von den schrecklichen Dingen zu lesen, die in weit entfernten Ländern verspeist werden: angebrütete Enteneier, rohe Riesenspinnen, lebender Oktopus, Schafsaugen - die Liste ließe sich fast unendlich fortsetzen. Natürlich kommen diese Spezialitäten dort auch nur gelegentlich und meist bei hinterwäldlerischen Stämmen auf den Tisch, die aufzusuchen sich höchstens die wagemutigsten Ethnologen angelegen sein lassen. Zumindest besänftigen wir mit diesem Gedanken unseren Widerwillen. Wir Mitteleuropäer würden so was natürlich nie gewohnheitsmäßig verzehren, denn wir sind ja kultiviert.

Dass die meisten von uns ganz gern fermentierten Weißkohl essen, obwohl ein Großteil unserer europäischen Nachbarn ihn schaudernd als ungenießbar ablehnt, tun wir achselzuckend als mangelnde kulinarische Abenteuerlust ab. Wenn ein Engländer sich nur bereitfände, Sauerkraut zu probieren, meinen wir, dann würde es ihm zweifellos auch schmecken. Die eigentlich dazugehörige Blutwurst betrachten hingegen schon mehr von uns mit scheelen Augen.

Dass Nieren und Kutteln, Froschschenkel und Schnecken allenfalls auf süddeutschen Speisekarten auftauchen, Kalbsbries fast so teuer ist und so selten in Erscheinung tritt wie Kaviar, und selbst Leber allerorten immer rarer wird, nehmen wir - je nach persönlicher Vorliebe - mit Bedauern oder Erleichterung zur Kenntnis. Aber Milz und Magen? Schlund und Ohren? Krähen und Kiebitze? Sind die überhaupt genießbar? War das nicht schon immer Hundefutter?

Eins steht jedenfalls fest: Eingeweide - welcher Art auch immer - müssen zunächst aus dem Tier entfernt und ordentlich gesäubert werden, ehe man sie überhaupt essen kann.
Wenn wir lesen, dass einige Stämme nordamerikanischer Ureinwohner tierische Gedärme einfach samt Inhalt in den Topf zu werfen pflegten, sodass die Kacke auf der Suppe schwamm, dann ist das besser als jeder Bericht über's Skalpieren und den Verzehr im Kampfe getöteter Gegner geeignet, einen allenfalls gehegten Traum von anthropologischen Forschungsreisen im Keim zu ersticken.

Dass Hunde in Deutschland noch in den fünfziger Jahren auf der Liste des zum Verzehr geeigneten Schlachtviehs standen, halten wir - nachdem wir uns von unserem Erstaunen erholt haben - für ein bürokratisches Versehen. Man weiß ja, dass Gesetzestexte oft lange nicht geändert werden und daher manchmal die kuriosesten Relikte aus ferner Vergangenheit in ihnen enthalten sind.

Während einer Chinareise vor 20 Jahren kostete es mich durchaus Überwindung, mir rohen Hummer oder gedünstete Seegurke einzuverleiben. Dass meine chinesischen Tischgenossen sich buchstäblich nur am Rande für den Inhalt von Scheren und Beinen der prächtigen Riesenkrabben interessierten, die vor ihnen auf dem Teller lagen, dafür aber mit Begeisterung den bereits abgeschnittenen Deckel vom Körper hoben und kräftig mit den Stäbchen in den grün-grau-schwarz-roten Eingeweiden rührten, ehe sie sich daran labten, erfüllt mich noch heute mit leisem Ekel. Den nicht ausgenommenen winzigen Singvogel - appetitlich braun gebraten - nahm ich zwar wie meine Gastgeber tapfer unzerteilt in den Mund, muss aber zu meiner Schande gestehen, ihn danach möglichst diskret in die Serviette gespien zu haben, denn er schmeckte schrecklich bitter. Aber das alles ist bei Lichte betrachtet Geschmackssache, wie eben Sauerkraut. Oder Kapern, gegen die ja auch viele Deutsche eine Abneigung hegen.

Was mich wirklich störte, was bewirkte, dass sich mir bereits nach wenigen Tagen schon beim Gedanken an das nächste endlos vielgängige Menü der Magen umdrehte, war die Tatsache, dass ich - sofern nicht grade ein roher Hummer auf der Platte lag - nie wissen konnte, ob ich als nächstes Zucker oder Pikantes auf der Zunge spüren würde. Am schlimmsten fand ich das Gelage aus Wantans. Die Teigtäschchen erschienen ohne erkennbare Reihenfolge gefüllt mit Gemüse, Fisch, Fleisch, oder - Marzipan. Den letzten Beweis dafür, dass es für Chinesen offensichtlich keine Rolle spielt, ob ein Gericht süß oder salzig ist, erhielt ich in einem Hotel bei einem Buffet nach westlicher Art. Dort sah ich einen Herrn, der seine Spaghetti Bolognese mit einem ordentlichen Schlag Mousse au Chocolat krönte und das Ganze anschließend ohne erkennbares Widerstreben verzehrte.

Bei uns hingegen ist es einfach unüblich, Süßes mit Herzhaftem zu vermischen, wenn wir mal von der spezifischen Ausnahme der Preißelbeeren zum Wild und einigen wenigen regionalen Gerichten absehen. Dass im „Oekonomischen Handbuch für Frauenzimmer" von 1795 noch Süßspeisen unter den Gemüsen („Gemüsser") aufgeführt werden, dass eine der beiden gleichzeitig aufgetragenen Suppen aus Schokolade, die andere mit Hecht war, dass beim zweiten Gang ganz selbstverständlich die Torte neben dem Braten stand, der Pudding neben dem Fisch, nehmen wir allenfalls interessiert zur Kenntnis. Nun, das war fast noch Barockzeit, es ist ewig her. Und kamen damals nicht auch so seltsame Dinge wie Pfauen, Schwäne und Pastete aus Lerchenzungen auf dem Tisch? Ach nein, halt, Letztere aßen ja bloß die Römer.

Nur ganz wenige Tierarten als genießbar zu betrachten, von diesen eigentlich nur das Muskelfleisch und nicht zuletzt die strenge Trennung zwischen von uns als gegensätzlich empfundenen Geschmacksrichtungen - das sind die fundamentalen Regeln unserer Küche. Und das war schon immer so. Zumindest schon sehr, sehr lange.

Oder doch nicht? Sind das nichts weiter als nagelneue Modeerscheinungen, gerade einmal so jung wie Staubsauger und der Anblick unverhüllter weiblicher Schienbeine?

Tatsächlich genügt es, ein bisschen in einem Kochbuch aus der Zeit meiner Großeltern zu blättern, um Rezepte für Spatzen und Biberschwanz zu finden, in Essig eingelegte Melone und mit Zimt gewürzte saure Gurken, Ochsenaugen, Hahnenkämme und zuckersüße Krebsmousse. Tja, und für diverse Vogelarten, die nicht nur mitsamt ihrer Eingeweide, sondern auch mit deren Inhalt verarbeitet wurden.

Mir scheint, selbst wenn der in einzelnen Spezialitätenrestaurants angeblich aufkeimenden Renaissance der Innereien Erfolg beschieden sein sollte, wird es doch noch sehr lange dauern, bis wir uns wieder überwinden,  gebratene Schnepfen so zuzubereiten, wie es Marie Buchmeier empfiehlt, die vor etwa hundert Jahren ein höchst erfolgreiches „Grosses Praktisches Kochbuch" schrieb (und zwar nicht nur mangels frei verkäuflicher Schnepfen):

 

„Die frisch geschossenen Schnepfen werden an einem trockenen, luftigen und kühlen Orte aufgehangen, beim Gebrauche samt dem Kopfe gut gerupft, mit einem Tuche rein abgewischt, ausgenommen, nachdem die Augen ausgestochen, die Füße so einwärtsgebogen, daß die Zehen unter dem Bügel sich befinden und aufrecht stehen, der lange Schnabel ebenfalls unter das Bügel gesteckt, innen und außen gesalzen, über die Brust eine Speckscheibe gelegt und mit einem Bindfaden umwunden, dann an den Spieß gesteckt oder in eine flache Reine gegeben. Die nicht gereinigten Eingeweide der Schnepfen ohne den Magen werden mit zwei Schalotten, einer Zwiebel und etwas Petersilie fein zusammmengewiegt, mit einem Stückchen geschabten Speck in einer Omlettepfanne geröstet, mit Salz und Pfeffer bestreut, etwas Rotwein dazugegossen, ein Eßlöffel voll Semmelbrösel dazugeggeben, nochmals aufgekocht und dann zum Erkalten gestellt. Nach dem Erkalten wird dies mit einem rohen Eidotter, dem noch nötigen Salz und Pfeffer und etwas Muskatnuß verrührt und auf kleine in Butter geröstete Brotherzchen schön aufgestrichen. Die Schnepfen selber werden eine halbe Stunde vor dem Anrichten am Spieße oder in der Bratreine so gebraten, daß sie sehr saftig bleiben und da sie in wenigen versäumten Minuten ihren Saft verlieren und schnell trocken werden, sind sie sehr aufmerksam zu behandeln. Sie werden dann aufdressiert, gleich angerichtet, mit der Essenz übergossen und mit den im heißen Ofen gut durchwärmten Schnepfencroutons garniert."

OmasKueche (36k)

Foto: Marianne J. / pixelio.de