Auch das Wort „Heimat", ein lange Zeit von nicht wenigen gemiedener Begriff, erlebt derzeit seine Wiederauferstehung. Großflächige Plakate in Niederösterreich propagieren den „Geschmack der Heimat". Zu „heimatlichen Genüssen" will ein neues Kochbuch des Kuratoriums Kulinarisches Erbe Österreich verleiten. „Mehr Heimat auf dem Teller" war ein viel beachtetes Schwerpunktthema der Grünen Woche in Berlin 2009.
Sehnsucht nach dem guten Alten und Vertrauten
Wohl auch als Ausdruck des Unbehagens gegenüber Erscheinungen der Globalisierung erfährt das tradierte Erbe aus der vermeintlich überschaubaren Welt von früher eine neue Wertschätzung. Darauf hat der Markt bereits auf breiter Linie reagiert. Der Blick in die Werbeprospekte und Regale des Einzelhandels belegt den aktuellen Boom regionaler Nahrungsmittel und alter Rezepturen. Großmutters Küche und bäuerliche Produkte aus der Region erwecken Vertrauen. Wie Hanni Rützler feststellt: „Regional und handwerklich in Klein- und Mittelbetrieben hergestellte Lebensmittel sind eine attraktive Alternative zu Produkten der globalen Nahrungsmittelindustrie"(1).
Der Ausbruch aus der engen eigenen Welt mit ihrem beschränkten Angebot an Lebensmitteln und meist nur Feiertagen vorbehaltenen Genüssen ist Vergangenheit. Heute wird die Sehnsucht nach dem guten Alten und dem vertrauten Heimatlichen gepflegt sowie mit den Instrumenten des Marketings professionell genutzt. Nicht ganz zu Unrecht werden in den nostalgischen Projektionen Wertschöpfungspotenziale für kleine Produzenten geortet - Überlebensperspektiven für die vom Strukturwandel einer zunehmend industrialisierten Lebensmittelproduktion bedrohten handwerklichen Verarbeitung lokaler landwirtschaftlicher Erzeugnisse.
Allerdings zeigen die in jüngster Zeit vielfach durchgeführten empirischen Erhebungen der Markt- und Meinungsforscher, dass die Verbraucher keineswegs ein schlichtes Zurückdrehen des Rads der Zeit wünschen. Konsumentinnen und Konsumenten in Europa nehmen die Annehmlichkeiten des modernen Lebensmittelangebots gern in Anspruch, sie legen dabei jedoch zunehmend Wert auf Eigenheiten und Bedingungen der vor-industriellen Nahrungsmittelproduktion, auf Werte, die im Zuge der Rationalisierung der Herstellungsverfahren oft auf der Strecke geblieben sind. Um nochmals Hanni Rützler zu zitieren: „Die Aufgabe dieser ‚Retroisierung' ist es, die Gegenwart symbolisch vor ihren Problemen zu retten, und zwar durch den Einsatz der Vergangenheit"(2).
Regionalität als Qualitätsmerkmal ist nicht genug
Eine von beim Market Institut in Linz in Auftrag gegebene repräsentative Befragung von österreichischen Konsumentinnen und Konsumenten vom April 2010 zeigt klar, dass den Menschen in Österreich die regionale Herkunft von Lebensmitteln sympathisch, ja erwünscht ist, die geographische Nähe und kurzen Transportwege allein vielen jedoch für eine Kaufentscheidung keineswegs ausreichen. Das umfangreiche Datenmaterial lässt sich in fünf Hauptaussagen zusammenfassen:
Die Studie kann von Interessenten bei fairea(3) angefordert werden.
Regionaler Geschmack, Nachhaltigkeit und Fairness - das Qualitätszeichen gut so!
Regionales vermittelt ein Gefühl persönlicher Verbundenheit und überlieferter Werte, wie die starken Assoziationen der Österreicherinnen und Österreicher mit Heimat, Tradition, Ehrlichkeit und Handwerk in der Befragung des Market Instituts zeigen. Ein authentischer Geschmack, dank hochwertiger, naturnah erzeugter Rohstoffe und deren handwerklich schonender Verarbeitung, ist vorausgesetzt bei Produkten, die mit dem „gut so!" Qualitätszeichen ausgezeichnet werden. Daneben spielen nachhaltige Produktionsweisen und soziale Verantwortung eine wichtige Rolle. In den fünf Qualitätsdimensionen Konsument, Produzent, Natur, Tier und Zukunft sind von den Herstellern der „gut so!" Produkte eine Vielzahl klar definierter Kriterien einzuhalten. Deren Erfüllung muss von unabhängigen Kontrollstellen regelmäßig kontrolliert werden. Eine unabhängige Jury aus Experten testet nach einem objektivierten Verfahren den Genusswert der Produkte, bevor sie für die Kennzeichnung mit „gut so!" freigegeben werden.
Die regionale Herkunft des ausgezeichneten Produkts ist für Verbraucher zudem klar ersichtlich. Der Name der Region oder des Bundeslands ist Teil des Labels. Im Sinne des Kundenvertrauens wird die gesamte Produktionskette im Internet präsentiert und zwar mit detaillierten Hintergrundinformationen und Fotos der beteiligten Akteure. Damit besteht für die Verbraucher sogar die Möglichkeit, direkt mit dem jeweiligen Hersteller in Kontakt zu treten, ihn zu besuchen und sich mit eigenen Augen vom Niveau der Produktion zu überzeugen. In seiner Konzeption bildet das Qualitätszeichen die von den empirischen Studien aufgezeigten Erwartungen der Verbraucher an Lebensmittel ab. Dies gilt in besonderem Maße für regionale Produkte.
Seit der Einführung des „gut so!" Auszeichnungssystems vor zwei Jahren wurden gemeinsam mit vielen Fachleuten Produktionsrichtlinien in den sieben Lebensmittelbereichen Milch, Eier, Fleisch, Getreide, Ölsaaten, Obst und Gemüse erarbeitet. Über 60 Produkte von acht Erzeugern wurden mittlerweile zertifiziert. Erhältlich sind die handwerklichen Spezialitäten im regionalen Lebensmittelhandel sowie direkt beim Produzenten und teilweise auch über Internet. Entsprechende Hinweise finden sich unter www.gut-so.at.
Kein Weg zurück - traditionsbewusste Innovation
Im Zuge der wachsenden öffentlichen Diskussion und des steigenden Interesses der Verbraucher an den Eigenschaften von Lebensmitteln und an den Hintergründen ihrer Herstellung formt sich ein neuer Qualitätsbegriff heraus. „Klassische Edel-Produkte werden durch regionale, ethisch produzierte, holistischen Mehrwert suggerierende Produkte ersetzt", analysierte die Direktorin des Zentralinstituts für Ernährungs- und Lebensmittelforschung an der TU München, Hannelore Daniel, am Tag der oberösterreichischen Lebensmittel im Juni 2010 in Linz einen wichtigen Zukunftstrend. Die Sehnsucht nach Vertrautem und nach Einfachheit bedeutet keine Rückkehr zu Einfalt und Anspruchslosigkeit. Der moderne Endkunde kauft bewusst. Er/Sie ist immer besser informiert und wählerisch, weltoffen und lokal identifiziert zugleich. „Think global, act local" gilt gerade für den bewussten und ethisch abgesicherten Genuss von heute.
Der aufgeklärte Genießer des beginnenden 21. Jahrhunderts ist grundsätzlich neugierig auf sensorische Erlebnisse - nicht nur seiner eigenen Region. Er/Sie ist mobil und informiert, changiert zwischen regionaltypischen Besonderheiten von Italien bis Japan und der wieder entdeckten Geschmacksvielfalt der eigenen Lebens- und Herkunftswelt. Das Beste aller Welten inkludiert ganz bewusst auch wieder das Heimische, sofern es den Werten traditioneller Produkte und Produktionsweisen entspricht. Ein regionales Produkt wird als hochwertig geschätzt, wenn es in wertschätzendem Umgang mit Mensch, Tier und Natur in einer vertrauten Region entstanden und damit rundum gut ist.
Literatur:
Market Institut für Markt- Meinungs- und Mediaforschung, Studie „Lebensmittel und Regionalität", Linz 2010
Hanni Rützler, Wolfgang Reiter: food change. 7 Leitideen für eine neue Esskultur, Krenn-Verlag 2010