Man darf sich durchaus wundern, dass diese Formel von einem deutschen Philosophen stammt (und nicht etwa von einem Franzosen oder einem Italiener oder von einem Österreicher - wobei der bekannteste Philosoph Österreichs, Ludwig Wittgenstein, sich ebenfalls keinen Namen als veritabler Gastrosoph zu machen wusste.) Bekanntlich zeichnet sich die deutschsprachige Philosophie bis dato kaum dadurch aus, dass sie sich mit den alltäglichsten Dingen des menschlichen Lebens - mit dem Essen - intensiv beschäftigen würde. Angesichts dieses traurigen Umstandes ist es wiederum nicht ganz so verwunderlich, dass eine inhaltliche Auseinandersetzung mit Ludwig Feuerbachs Gastrosophie bis heute ausgeblieben ist. Der seinerzeit schockierende Spruch, dass der Mensch ist, was er isst, „hat heute kaum mehr Wert als den einer Kuriosität." (Ferdinand Fellmann) Mit anderen Worten: Dieser Satz wird häufig benutzt, ohne genauere Kenntnis seines philosophischen Ursprungs.
Die Rezeption der Philosophie Ludwig Feuerbachs hat sich fast ausschließlich auf seine Religionskritik beschränkt. Das Wesen des Christentums aus dem Jahre 1841 gilt darum als seine bekannteste Schrift. Doch wenn man sich fragt, ob die zahlreichen aktuellen Einführungen in die Philosophie Feuerbachs sein gastrosophisches Gedankengut berücksichtigen, dann ist die Antwort eindeutig: Nein. Die Tatsache, dass Feuerbach ein ausgewiesener Philosoph des Essens war, ist immer noch - selbst den meisten Vertretern der eigenen Zunft - fremd.
Aus diesem Grund werde ich anhand der uns allen geläufigen Formel „Der Mensch ist, was er isst" einige zentrale Einsichten und Hintergründe dieser Philosophie skizzieren. Es lassen sich vier Bedeutungsebenen rekonstruieren: die anthropologische Dimension, die leib- bzw. naturphilosophische Dimension, die ethisch-moralische Dimension und schließlich die politisch-revolutionäre Dimension.
1. Anthropologische Dimension
Der Mensch ist, was er isst - in diesem Satz verdichtet Feuerbach seine Kritik an den anthropologischen Grundannahmen des philosophischen Denkens von Platon bis Kant, insbesondere aber von Georg Wilhelm Friedrich Hegel, dessen Vorlesungen er als Student besucht. Feuerbach attackiert die traditionelle platonisch-christliche Überhöhung der Seele gegenüber dem Körper, die zu einem dualistischen Menschenbild geführt hat. Über Jahrhunderte hinweg haben die Philosophen (und Theologen) an der theoretischen oder weltanschaulichen Konstruktion eines pauschalen Gegensatzes zwischen Vernunft und Sinnlichkeit, zwischen einem angeblich höheren geistigen Wesen des Menschen und einer angeblich niedrigeren Leiblichkeit gearbeitet. Mit großem Erfolg - muss man leider sagen. Denn heute glaubt die überwiegende Mehrheit der Menschen fest an den Dualismus dieser rationalistischen Anthropologie.
Am prägnantesten ist uns das Wertesystem dieser alten Geist-Metaphysik in dem berühmten Ausspruch und Identitätskonzept des neuzeitlichen Philosophen René Descartes bekannt: „Cogito ergo sum" - „Ich denke, also bin ich." Es wäre keine Übertreibung, zu behaupten, dass wir in diesem Satz den mächtigsten Gegenspieler zu jener Formel und Denkweise finden, um die es im Folgenden geht.
Ich denke, also bin ich - stimmt das? Haben die Menschen wirklich ein Bewusst-Sein, das nicht irgendwie schon satt sein muss, damit (und womit) es überhaupt sein stolzes Wesen erfüllen kann? Können wir denken, ohne zu essen, ohne vorher gegessen zu haben und danach gleich wieder essen zu müssen? Feuerbach wehrt sich gegen die rationalistische Vorstellung, wonach sich die menschliche Wirklichkeit allein im Geiste abspiele. Und er kommt zu einem ganz anderen Schluss: „Der Leib ist die Existenz des Menschen; den Leib nehmen, heißt die Existenz nehmen." In seinen Grundsätzen der Philosophie der Zukunft aus dem Jahre 1843 formuliert er das Programm einer systematischen Aufwertung der bislang verachteten menschlichen Leiblichkeit, seiner entwürdigten Sinnlichkeit im Namen einer unsinnlichen und darum sinnlosen Vernunft.
Für unseren Zusammenhang ist nun wichtig, dass Feuerbach seine neue Philosophie ausdrücklich als eine Philosophie des Essens konkretisiert. So wird die materialistische Entdeckung der Sinnlichkeit des Menschen bei ihm über die Sinnlichkeit des Essens gedacht; er erläutert dazu: „Sinnlich ist der berauschende Wein, aber sinnlich ist auch das ernüchternde Wasser, sinnlich ist die Üppigkeit und Schwelgerei ..., ... sinnlich ist die Gänseleberpastete, ... , aber sinnlich sind auch die Gerstenklöße und die schwarze Suppe spartanischer Enthaltsamkeit."
Diese radikale Umwertung der herkömmlichen Werte und diese programmatische Wertschätzung unserer Lebens-Mittel - im doppelten Wortsinne der kulinarischen Dinge wie Wein, Wasser, Suppe, Gerstenklöße oder Pastete sowie des Essens als dem fundamentalsten Wesenszug, der Essenz, unserer Existenz - lehrt eine neue Weisheit des guten Lebens. Denn, so macht sich Feuerbach in der Zurückweisung des Geist-Körper-Dualismus, des Ich-denke-also-bin-ich-Menschenbildes klar, „damit muß man anfangen zu denken, womit man anfängt zu existieren. Das principium essendi ist auch das principium cognoscendi. Der Anfang der Existenz ist aber die Ernährung, die Nahrung also der Anfang der Weisheit. Die erste Bedingung, dass du etwas in dein Herz und deinen Kopf bringst, ist, dass du etwas in deinen Magen bringst. ... A ventre principium" - das menschliche Sein vom Bauch (lat. venter, gr. gaster), d.h. im weitesten Sinne vom Essen her denken, so lautet das Prinzip einer gastrosophischen Anthropologie (als einer regionalen Ontologie des Menschseins).
Die Nähe von Feuerbachs Weisheitslehre des Essens zu Epikurs Hedonismus des göttlichen Bauches ist kaum zu übersehen. Schon bei Epikur heißt es bekanntlich: „Anfang und Wurzel alles Guten ist die Freude des Magens; selbst Weisheit und alles, was noch über sie hinausgeht, steht in Beziehung zu Freude des Magens."
Über 2000 Jahre hinweg sorgten die idealistische Philosophie und der christliche Glauben dafür, dass die epikureische Gastrosophie ohne dauerhafte Resonanz blieb. Doch im Geiste der modernen Aufklärung wagt der stürmische Neuerer Feuerbach - sicherlich mithilfe seiner namhaften Vorläufer wie Rousseau und die Gastrosophen des frühen 19. Jahrhunderts - eine mutige Selbstbefreiung aus diesen alten Denkgewohnheiten: „Ich beginne meine Denunziation mit der Philosophie und behaupte, dass
Freilich ist der Kenner der europäischen Philosophiegeschichte darüber im Klaren, dass eine derart ungewohnte Denkweise massive Vorhaltungen und pauschale Anfeindungen seitens seines gesellschaftlichen Umfeldes hervorrufen muss. Feuerbach weiß, in welchem Maße die epikureische Philosophie - stellvertretend für jedes gastrosophische Denken - von den herrschenden Intellektuellen und Moralhütern verunglimpft wurde. Denn ihnen erscheint die Vorstellung, dass eine solche triviale Allerweltsangelegenheit wie das Essen von größter Bedeutung für die kulturelle Identität der Menschen sei, einfach lächerlich weil dem geistigen Vernunftvermögen unwürdig.
Tatsächlich musste Feuerbach die Radikalität seiner Philosophie mit dem Verlust eines „guten Rufs" und mit der Suspendierung von seiner universitären Berufstätigkeit bezahlen. Verständlicherweise wehrt sich der zu Unrecht Marginalisierte, indem er die intrigante Doppelmoral seiner Kollegen bloßlegt. Verärgert schreibt er: „Welche Gemeinheit! Welcher Verstoß gegen die gute Sitte, auf dem Katheder der Philosophie über den Materialismus aus allen Leibeskräften zu schimpfen, dafür aber am table d´hôte von ganzem Herzen und von ganzer Seele dem Materialismus im gemeinsten Sinne zu huldigen!"
Trotz der Anfeindung und Missachtung durch das Establishment insistiert Feuerbach unbeirrt auf seiner neuen Sichtweise des menschlichen Seins: „Das Sein ist eins mit dem Essen; Sein heißt Essen; was ist, isst und wird gegessen." - „Erst im Essen erfüllt sich daher der hohle Begriff des Seins."
Ein solches gastrosophisches Menschenbild nimmt eine elementare, aber - um es noch einmal zu betonen - über Jahrhunderte hinweg missachtete Dimension unserer Existenz in den Blick: die schlichte Tatsache nämlich, dass der Mensch vor allem - vor dem Denken, vor seinen geistigen Fähigkeiten - durch Essen existiert und diese Existenz-qua-Essen-Identität die reale Substanz seines geistigen wie leiblichen Seins ist. Um Feuerbachs Einsicht in die Identität des Menschen als einer essenden Existenz begrifflich zu markieren, schlage ich vor, von der Ess-istenz zu sprechen. Von der menschlichen Essistenz zu sprechen heißt freilich nichts anderes, als zu sagen: „Der Mensch ist, was er isst." - Soviel zu dem anthropologischen Sinn dieses Satzes und zu Ludwig Feuerbachs Philosophie als einer gastrosophischen Anthropologie.
2. Die leib- bzw. naturphilosophische Dimension
Die provokante Erkenntnis, dass wir die Identität des Menschen nicht nur in seinem geistigen Wesen, sondern genauso - wenn nicht sogar noch mehr - darin suchen sollten, dass wir essende Wesen sind, beinhaltet auch eine naturphilosophische Dimension. Denn wenn die Nahrung den realen Anfang des menschlichen Subjekts ausmacht, so ist, wie Feuerbach schlussfolgert, die Natur notwendig der objektiv begründete Anfang. Mit anderen Worten, was auch immer wir essen: wir essen Natur. Unser physisches Sein besteht aus nichts anderem als (durchs Essen) in menschliche Körper verwandelter (vermenschlichter) Natur.
Dass der Mensch ist, was er isst, besagt folglich auch, dass wir alles Gegessene sind, insofern wir es uns einverleiben und es von uns als menschliche Natur verkörpert wird. „Essen und Trinken ist die alltägliche, deswegen nicht bewunderte ... Inkarnation, Menschwerdung, der Natur." Freilich beinhaltet der Umstand, dass die Menschen von der äußeren Natur abhängig sind, weil sie von Natur aus essen müssen - essende Wesen sind -, fundamentale Folgen für die Identität ihres leiblichen Ichs. Denn diese naturhafte Disposition besagt, wie Feuerbach schreibt: „Das Ich ist nicht nur ein Aktivum, sondern auch Passivum."
Er führt dazu weiter aus: „Der Mensch ... ist unwillkürlich da, er ist ein notwendiges Wesen der Natur. Die Natur wirkt in ihm ohne sein Wollen und Wissen. Er nennt seinen Leib sein und ist ihm doch absolut fremd; er isst mit Genuss, und was ihn zum Hunger treibt, ist ein anderes Wesen. Er isst: und doch hat er weder den Grund noch die Folgen desselben in seiner Gewalt <...> Er muss essen. Er ist in seinem eigenen Hause ein Fremdling, er hat alle Lasten und Genüsse, Schmerzen und Freuden, ohne doch Grundeigentümer, Herr zu sein <...> Er ist Nicht-Selbst und Selbst."
Ganz offensichtlich nimmt Feuerbach hier grundlegende Einsichten und einschlägige Formulierungen von Sigmund Freuds Konzeption des Es-Ich vorweg. Freilich geht es hier nicht um die psychologischen Mechanismen des Unbewussten. Als zentralen Aspekt einer gastrosophischen Erkenntnis der menschlichen Natur hebt Feuerbach mit der erwähnten Passivität des Ich als Es-muss-essen keinen Makel unserer charakterlichen Anlagen hervor, sondern eine verdrängte essistenzielle Verfasstheit unseres leiblichen Daseins.
Darüber hinaus macht die Tatsache, dass es - das Ich - essen muss, die menschliche Angewiesenheit auf die äußere Natur, der wir dieses Essen verdanken, begreiflich. Die alte Denkweise der Philosophie verabsolutiert den Menschen zu einem „nur aus sich selbst alles schöpfenden Ich", das sich von der Natur als das „ganz Andere seiner Selbst", als „Nicht-Ich" distanziert. In dieser Vorstellung steht der Mensch als geistiges „Subjekt" der Welt als bloß äußerlichem „Objekt" seines Denkens und Tuns, seiner Macht und Herrlichkeit, gegenüber.
Wenn hingegen, wie gastrosophisches Naturverständnis darlegt, Nahrung und Essen die objektiven Anfangsgründe des menschlichen Seins sind und Menschwerdung über die tägliche Einverleibung der Natur geschieht, dann ist die Natur nicht das Andere unserer selbst. Vielmehr ist das essende Ich dieses Andere und die menschliche Essistenz steht für die Identität von Subjekt und Objekt, von Mensch und Natur, für das Eins-Sein von mir als Kartoffel-Essendem und der Kartoffel als meinem zweiten Ich. Feuerbach schreibt: „Weil das, was ich esse, was ich trinke, selbst mein 'zweites Ich', ... meines Wesens ist, wie ich umgekehrt seines Wesens bin. So ist das trinkbare Wasser, das Wasser als möglicher Bestandteil des Blutes, menschliches Wasser, menschliches Wesen." Wie entsprechend alle Wesen und Dinge der Natur, von denen oder - metabolisch gesprochen - von deren Fleisch sich die Menschen ernähren, gewissermaßen Menschenfleisch sind und seinen Umweltleib darstellen.
Feuerbachs Philosophie entwirft eine Umweltethik, die den Menschen aus seiner fundamentalen Naturentfremdung befreit, indem er den Gedanken eines Trinkens und Essens im humanen Einklang mit der Natur fasst. Danach würde der Mensch „auch in dem pflanzlichen und tierischen Eiweiß und den übrigen zum menschlichen Wohlsein unentbehrlichen Nahrungsstoffen Menschenfleisch genießen", anstatt darin lediglich uns wesensfremde Rohstoffe für eine billige Nahrungsproduktion zu sehen. Aufgrund der realen Verwandtschaft der Pflanzen und Tiere, der Bäume und Weinstöcke mit den Menschen verwandeln sich diese kostbaren Naturwesen als „Menschenfleisch in Brot und tierisches Fleisch,
Der leib- und naturphilosophische Sinn des Satzes, dass der Mensch ist, was er isst, besagt daher auch: Der Mensch ist auf die Natur angewiesen; er ist nichts, ohne nützliche und wohltuende Pflanzen und Tiere, Weinstöcke und Weizenfelder, Brot und Honig und alle anderen Nahrungsmittel. Sie sind unser zweites, umweltleibliches Ich, das wir achten, schützen und behutsam nutzen müssten, damit sich auch in Zukunft tagtäglich menschliches Sein erfüllen kann. „Heilig sei uns darum das Brot, heilig der Wein, aber auch heilig das Wasser!" Diesen Appell wählt Feuerbach, sicherlich ganz bewusst, als Abschlusswort seines Hauptwerks: Er bringt damit bereits sehr früh eine gastrosophisch begründete Naturethik zum Ausdruck, um deren Dringlichkeit wir heute weit mehr wissen, als damals selbst kluge Köpfe auch nur erahnen konnten.
3. Die ethisch-moralische Dimension
Feuerbachs Philosophie der menschlichen Essistenz birgt auch grundlegende Konsequenzen für die Moraltheorie und deren Freiheitsbegriff. Die moralphilosophische Tradition dachte die menschliche Freiheit stets als Freiheit des Willens und stellte diese Willensfreiheit in einen strikten und kategorischen Gegensatz zur natürlichen Notwendigkeit des Essens und der damit verbundenen leiblichen Bedürfnisse. Dem widerspricht ein gastrosophisch hergeleitetes Freiheitsverständnis. Feuerbach erläutert: „Ich muss essen, wenn ich nicht zugrunde gehen will. Aber diese Notwendigkeit empfinde ich ... nicht im Widerspruch mit meinem Wesen und Willen; denn ich bin nun einmal ein der Nahrung bedürftiges Wesen. Ich kann mich nicht ohne dieses Bedürfnis denken, und es fällt mir daher auch gar nicht ein, meine Freiheit in die Abwesenheit oder Verneinung desselben zu setzen."
Mit anderen Worten, anstatt einer Freiheit vom Essen nachzuträumen, gilt es verstehen zu lernen, dass es eine Freiheit im Essen gibt: Erst wenn man sich klarmacht, dass der Umstand, aus physischer Notwendigkeit essen zu müssen, den Menschen durchaus nicht die praktische Freiheit raubt, selbst zu bestimmen und selbst zu gestalten, was sie essen wollen, gewinnt man einen allgemeinen moralischen Begriff menschlicher Esskultur als einer täglichen Freiheitspraxis. Insofern besteht die kulinarische Selbstbestimmung unter anderem darin, „dass ich diese oder jene Speise nicht essen kann, wenn ich sie nicht essen will; dass ich nicht abhängig von gewissen Speisen, nicht unglücklich, nicht außer mir vor Ärger bin, wenn ich sie entbehre; dass ich essen kann, was nur immer in die Sphäre, in die Gattung eines menschlichen Nahrungsmittels fällt". (Ebd.) Der traditionellen Polarisierung zwischen der Vernunft einer moralischen Autonomie einerseits und dem Essen als tierhaftem Trieb andererseits hält Feuerbach eine gastrosophische Freiheit entgegen, die zuallererst die sinnliche Sittlichkeit und Vernunft der menschlichen Essistenz ermöglicht. Wegen dieses Freiheitsvermögens ist die menschliche Essistenz gerade keine animalische Bedürfnisnatur, denn „der Magen des Menschen, so verächtlich wir auf ihn herabblicken, ist kein tierisches, sondern menschliches, weil universales, nicht auf bestimmte Arten von Nahrungsmitteln eingeschränktes Wesen. Eben darum ist der Mensch frei von der Wut der Fressbegierde, mit welcher das Tier über seine Beute herfällt."
Mit unausgesprochener Anspielung auf die Platons Rede vom Hungerbauch als einem 'wilden Tier in uns' heißt es bei Feuerbach weiter: „Das sittliche und vernünftige Verhältnis des Menschen zum Magen besteht daher auch nur darin, denselben ... als ein menschliches Wesen zu behandeln. Wer ... den Magen in die Klasse der Tiere versetzt, der reduziert den Menschen im Essen zur Bestialität." Hingegen lehrt Feuerbachs Philosophie, dass die Menschheit die Welt des Essens zu einem Handlungsfeld eines möglichen Glücks machen kann - des alltäglichen Glücks einer Lebenspraxis, die jeder als etwas Gutes zu erfahren vermag. Die alltägliche Praxis, geschmackvolles Essen zu genießen, so macht diese Gastrosophie verständlich, ist ein Stück menschlichen Wohllebens.
Entsprechend bezeichnet Feuerbach seine eigene (gastrosophisch fundierte) Moraltheorie auch als eine eudämonistische Ethik. Diese eudämonistische Ethik wehrt sich gegen eine rigorose Loslösung der Moral vom Glückstreben. Die Moralphilosophen hätten dem sinnlichen Genuss „alles Recht, allen Anteil an moralischer Gesetzgebung abgesprochen", mit der simplen Begründung, dass der kulinarische Genuss oder Geschmack der Allgemeinheit ermangele und nur singulär und partikulär sei. Dem hält der Gastrosoph entgegen, dass „jeder alltägliche Familientisch, jeder öffentliche Festschmaus, wo vielleicht sogar die in ihren politischen, moralischen und religiösen Meinungen uneinigen Köpfe nur im guten Essen und Trinken einig sind, beweist, dass es auch einen gemeinschaftlichen Geschmack gibt".
Der Sachverhalt, dass alle Menschen Essen als etwas Gutes und Genuss als Glück erfahren können, macht ersichtlich, warum ein individuelles Glückserlebnis durchaus moralisch (d.h. für jeden) gut sein kann. Und diese eudämonistische Ethik beweist ebenso, dass ein moralisches Gebot - beispielsweise die alltägliche Praxis eines guten Essens - nicht nur unangenehme Pflicht sein muss, sondern durchaus auch lustvoll sein kann und allenthalben glücklich macht - wie beispielsweise das Glück der Gaumenfreuden.
Mit solchen, auf den ersten Blick sehr plausibel erscheinenden Überlegungen schlägt Feuerbach ganz neue Wege innerhalb der philosophischen Ethik ein. Nicht nur zu seiner Zeit. Auch in unserer Zeit sind diese Gedanken, wie ich eingangs erwähnte, den meisten Moralphilosophen völlig fremd. Immer noch beruft man sich mit größter Selbstverständlichkeit auf Kants Moraltheorie, ohne Feuerbachs berechtigte Kritik an ihr zur Kenntnis zu nehmen.
Kant hatte in seiner Tugendlehre die Selbsterhaltung zu einer moralischen Pflicht erklärt. Demzufolge müsste auch die Ernährung, die ja ein notwendiges Selbsterhaltungsmittel ist, als eine moralische Pflicht gelten. Folglich habe die Kantische Moral, so Feuerbach, „nur die der Pflicht der Selbsterhaltung entsprechenden Speisen zu ihrem Gegenstande, und Speisen, die zur Selbsterhaltung genügen, sind gute". Doch was sind solche guten Speisen, was sollen die Menschen essen, um ihre Selbsterhaltungspflicht zu erfüllen? Selbstverständlich gibt es gute Speisen, die wir nicht nur um der bloßen Sättigung willen, sondern auch wegen des kulinarischen Vergnügens und des damit verbundenen Glücksgenusses begehren. Feuerbach stellt klar: „Der Glückseligkeitstrieb ist ein Gourmand, er geht nur auf Speisen, die angenehm sind, die den Gaumen kitzeln, auf Leckerbissen aus." Damit gibt er Kant zwar insoweit Recht, dass jeder seine eigene Glückseligkeit, d.h. seine eigenen Leckerbissen und Lieblingsspeisen hat und Glück zweifelsohne eine Sache des subjektiven, individuellen Geschmacks ist. Doch berührt dies nicht die Frage, warum „das Brot nicht so gut wie die Torte ein Gegenstand des Glückseligkeitstriebs" sein könnte? Zumal, wie Feuerbach hinzufügt, nicht nur „die Trüffelpastete oder Mandeltorte des Kantischen Glückseligkeitstriebes", sondern gleichfalls auch „das trockene Brot der Pflicht" zu einem Leckerbissen werden kann, wenn man hungrig genug ist.
Feuerbachs Ethik lässt uns also darüber nachdenken, wieso nicht Speisen, die sowohl den Hunger stillen als auch Leckerbissen sind, die beglückende Realität einer allgemeinen (gastrosophischen) Moral sein sollten?
Es lohnt sich, hier genauer hinzuschauen: Feuerbachs Moraltheorie des Glücks verpflichtet uns weder zu trockenem Brot noch lehrt sie tägliche Trüffelpastete oder Mandeltorte; sie schreibt niemandem bestimmte Speisen vor. Ihre Weisheitslehre besteht nicht darin, den Menschen darin zu unterweisen, was jeder von ihnen im Einzelnen essen soll und welche Dinge wir als Leckerbissen und gute Speisen zu goutieren hätten. Feuerbachs Gastrosophie formuliert vielmehr die recht einfache, aber in ihrer Einfachheit wohlfundierte Ethik, dass es nicht nur ein Glück, sondern auch vernünftig ist, Gutes zu essen.
Entgegen der christlich-asketischen Verachtung des kulinarischen Genusslebens, entgegen aller eilfertigen Einwände und essensvergessenen Denkgewohnheiten verbindet sich in der Praxis eines guten Essens Ethik oder Moral auch mit Ästhetik. „Die Moral verdirbt und verübelt uns nicht", heißt es an einer Stelle, „den ästhetischen Geschmack, den Wohlgeschmack an guter geistiger und leiblicher Nahrung. Es ist also nicht unmoralisch, Gutes zu essen." Gleichwohl wird damit nicht selbsternannten Feinschmeckern und luxusgewohnten Lebenskünstlern das Wort geredet, für die ein gutes Leben sich auf ein sinnliches Wohlleben beschränkt. Mit Nachdruck betont Feuerbach: „Es ist keineswegs unmoralisch, Leckerbissen zu speisen, wenn man dazu die Mittel hat und darüber nicht andere Pflichten und Aufgaben versäumt."
Auch diese ungewohnten Einsichten stecken in Feuerbachs schlichter Formel, dass der Mensch ist, was er isst. Demnach besagt ihr ethischer Sinn, dass wir wenigstens unser kulinarisches Leben moralisch gut leben, insofern wir gut essen. Feuerbachs Gastrosophie verbindet nicht nur Ethik mit Ästhetik, Freiheit mit Genuss, Moral mit Glück; sie umfasst nicht zuletzt auch Aspekte der sozialen Gerechtigkeit. So sei es ungerecht, „das Gute, das man sich gönnt, anderen zu entziehen oder nicht zu gönnen." Und ebenso würde es der Gerechtigkeit widersprechen, „nur den eigenen, nicht auch den Glückseligkeitstrieb der anderen als eine berechtigte Macht theoretisch und praktisch anzuerkennen,
Wenn sich die Menschen also moralisch richtig und gerecht verhalten, indem sie am Glück und Unglück Anderer tätig anteilnehmen, um womöglich einem Übel abzuhelfen, dann ergibt sich daraus die Forderung, dass sie alle ihnen (im Überfluss) verfügbaren Lebensmittel mit anderen teilen. Auf diese Weise ist es auch in einem gerechtigkeitstheoretischen Sinne möglich, moralisch gut zu essen und menschlich zu sein. Freilich verlangt dies die Beschränkung von Lebensbedürfnissen, sofern diese nur zum Nachteil und Verderber der anderen befriedigt werden können.
Es liegt auf der Hand, welche Konsequenzen es hätte, wenn wir dieses Gerechtigkeitsprinzip anwenden auf die aktuelle Weltlage mit ihrem krassen Ungleichgewicht zwischen dem Glück derer, die im Überfluss leben und essen, einerseits, und dem Unglück derer, die - darum - im Elend leben und hungern, andererseits. Vielleicht aber schmeckt und bekommt uns, so möchte ich einen Gedanken von Feuerbach metaphorisch variieren, das mit allen Anderen geteilte Essen besser als das nur von uns genossene „saftigste Bratenstück."
Man kann dies durchaus wörtlich nehmen: Zu keiner Zeit war es so vielen Menschen vergönnt, jeden Tag Fleisch zu essen, wie dies heute der Fall ist. Doch - und hier führt Feuerbach eine wichtige Differenzierung in seine gastrosophische Ethik ein: „Wo das zum Leben Notwendige fehlt, da fehlt auch die sittliche Notwendigkeit. Die Grundlage des Lebens ist auch die Grundlage der Moral. Wo du vor Hunger, vor Elend keinen Stoff im Leibe hast, da hast du auch in deinem Kopfe, deinem Sinne und Herzen, keinen Grund und Stoff zur Moral." Deshalb gilt es zu berücksichtigen, „dass die notwendigen Lebensmittel auch die notwendigen Tugendmittel sind." Und folglich von niemandem, dem die notwendigen Lebensmittel fehlen, verlangt werden kann, gastrosophische Tugenden zu praktizieren. Freilich heißt dies im Umkehrschluss aber: Wo uns alle notwendigen Lebensmittel gegeben sind, da wird das tägliche Essen auch zu einer ethischen Angelegenheit und zu einem Gebot moralischen Menschseins.
4. Die politisch-revolutionäre Dimension
Zum Schluss werde ich kurz auf die wenig bekannte politische Perspektive eingehen, die mit dem Satz Der Mensch ist, was er isst ursprünglich verbunden ist. Unter den berühmten „Feuerbach-Thesen" von Karl Marx hat die elfte These mit Sicherheit am meisten Beachtung gefunden. Bekanntlich kritisiert Marx dort, dass die Philosophen die Welt nur unterschiedlich interpretiert hätten, es aber darauf ankomme, sie zu verändern. Was allerdings Feuerbach selbst angeht, ist diese Kritik unberechtigt. Seine Philosophie spielt durchaus mit dem Gedanken einer revolutionären Veränderung der gesellschaftlichen Lebensverhältnisse. Allerdings geschieht dies auf eine ganz andere Art als bei dem Großtheoretiker der proletarischen Revolution.
Wir erahnen es schon: Feuerbach setzt seine ganze Hoffnung auf eine revolutionäre Verbesserung der Ernährungsverhältnisse. Die gastrosophische Revolution, die ihm vorschwebt, zielt auf die Utopie einer besseren Welt - nämlich einer besseren Welt des Essens als eines entscheidenden Faktors des Weltgeschehens.
Ähnlich wie bereits der sozialistische Utopist Charles Fourier oder auch die revolutionären Gastrosophen Jean-Jacques Rousseau („Zurück zur Natur!") und Friedrich von Rumohr („Revolution der Kochkunst") erkennt Ludwig Feuerbach die „wichtige ethische und politische Bedeutung der Lehre von den Nahrungsmitteln." In diesem sozialphilosophischen Kontext, wo es um eine auf praktische Gesellschaftsveränderung hinwirkende Perspektive geht, platziert Feuerbach seine bekannte These: „Wollt ihr das Volk bessern", heißt es dort, „so gebt ihm ... bessere Speisen.
Mit anderen Worten, als eine weitere und kaum bemerkte Bedeutungsschicht dieses Satzes lässt sich eine politische Dimension freilegen, die ursprünglich die revolutionäre Forderung nach besseren Ernährungsverhältnissen für eine bessere Gesellschaft aufstellt.
Doch am Ende ist es Feuerbach selber, der den revolutionären Sinn seiner Gastrosophie auf geradezu groteske Art verspielt. Er verspielt die gesellschaftstheoretische Dimension seiner Philosophie, indem er einen absurden Gegner als den größten Antipoden und als die wirkungsstärkste Macht einer reaktionären Gesinnung ausmacht - und zwar die Kartoffel.
In der Kartoffel, die damals gerade für die Armen die einzige oder doch eine hauptsächliche Nahrungsquelle ist, erkennt Feuerbach ein „unmenschliches und naturwidriges Nahrungsmittel." Von der naturwissenschaftlichen Ernährungslehre seiner Zeit und ihren physiologischen Erkenntnissen naiv begeistert, erläutert er zu den Folgen der typisch deutschen Kartoffelküche: „Was soll man von einem Nahrungsmittel halten, in dem Eiweiß und Fettbildner gerade im umgekehrten Verhältnisse von den Eiweißkörpern und dem Fett des Blutes vorhanden sind? Mit Fett kann es das Blut und die Gewebe überfüllen; aber wie es das Blut nur ärmlich mit Eiweiß versorgt, so kann es den Muskeln keinen Faserstoff und keine Kraft, dem Gehirn weder Eiweiß noch phosphorhaltiges Fett zuführen."
Im Übrigen weiß sich der Philosoph bei seiner programmatischen Ächtung der Kartoffel in bester Gesellschaft mit großen Köpfen wie Leibniz und Goethe. Der Universalgelehrte Leibniz vertrat die Auffassung, dass die Kartoffel den Menschen verdumme, und Goethe mokiert sich in Wilhelm Meisters Wanderjahren über den unseligen Kartoffelgenuss.
Im gleichen Geiste, wie einige Zeit später der avantgardistische Künstler und Begründer des italienischen Futurismus Tommaso Marinetti gegen die Nudelkultur als angebliche Ursache für den sittlich-geistigen Zerfall seines Landes kämpft, sieht Feuerbach in der Kartoffel-Stärke nicht etwa die Quelle preußischer Stärke und Kraft. Im Gegenteil vermutet er in dieser Ernährungsweise den eigentlich tragischen Grund für die unpolitische Schwäche, die allgemeine Trägheit und die geistlose Untertänigkeit der Deutschen, welche - deshalb - die historische Chance der 1848er Revolution verpasst hätten. Seine eigenwillige Analyse der historischen Ereignisse lautet: „Daher auch bei uns der Sieg der Reaktion, der schmähliche Verlauf und Ausgang unserer sogenannten Märzrevolution; denn bei uns besteht der größte Teil des Volks nur durch und aus Kartoffelstopfern."
Doch hält Feuerbach trotz dieser dramatischen Fehlentwicklung daran fest, dass eine bessere Welt möglich sei - und zwar durch eine andere Diät und mithilfe besserer Nahrungsmittel, deren emanzipatorische Kraft ohne Weiteres zu mobilisieren sei. So propagiert seine Revolutionstheorie - durchaus im Widerspruch zur eigenen Moraltheorie, die niemandem spezielle Speisen vorschreiben will - das Schlaraffenland heilbringender Leguminosen. Pathetisch wird verkündet: „Ja, es gibt einen Stoff, der der Bürge einer bessern Zukunft ist, den Keim zu einer neuen, wenn auch langsamen und allmählichen, aber um so solidern Revolution enthält: Es ist der Erbsenstoff. Er zeichnet sich durch seinen Reichtum an Phosphor aus, das Gehirn aber kann ohne phosphorhaltiges Fett nicht bestehen, er ist überdem ein eiweißartiger Körper, und zwar ein solcher, der nicht nur den Klebergehalt des Brotes, sondern auch den im Fleisch enthaltenen Faserstoff bedeutend übertrifft."
Freilich nimmt sich diese Ernährungsrevolution grotesk aus und klingt weit phantastischer als die alternative Version - nämlich Marxens Hoffnung auf den Aufstand der arbeitenden und allesfressenden Massen. Gleichwohl kann uns Feuerbachs Utopie einer gastrosophischen Revolution etwas Wichtiges zu denken geben: Denn anders als Marx belässt es Feuerbach immerhin nicht dabei, die Veränderung der Gesellschaft - und mithin des gesellschaftlich vorherrschenden Essens - ausgerechnet von den 'armen Schluckern' zu erwarten. Statt sich an die ausgebeuteten Kartoffelstopfer, statt sich an die massenhaften Kartoffelopfer zu wenden, richtet sich seine revolutionäre Gastrosophie vor allem an ihn selbst und seinesgleichen, d.h. an 'unsere' Weisheit und Tugend. Hören wir also noch einmal Feuerbach: „Auch wir, die wir unverdienterweise so glücklich sind, nicht allein von Kartoffeln zu leben, müssen die Lehre der Nahrungsmittel zu unserer Richtschnur nehmen, wenn wir einen guten Grund zu einer neuen Revolution legen wollen. Die Diät ist die Basis der Weisheit und Tugend; aber ohne Weisheit und Tugend gedeiht keine Revolution." Und darum gilt: „Wollt ihr das Volk bessern, so gebt ihm <...> bessere Speisen. Der Mensch ist, was er isst."
Quellen, Anmerkungen