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Geschichte der Europäischen Kochbücher. Ein Überblick

Martina RAUCHENZAUNER & Simon EDLMAYR.   

Wenn man sich mit einer historischen Quelle beschäftigt, ist es immer auch notwendig sich ein umfassendes Bild von ihren vielfältigen Kontexten zu machen, um sie richtig interpretieren zu können.

Gattungsspezifische Besonderheiten, Entstehungs-zusammenhänge und auch etwaige ältere Vorbilder und Einflüsse führen schnell über die einzelne Quelle hinaus. Bei den historischen Kochbüchern ist dies nicht anders. Ausgehend von Conrad Haggers „Neues Saltzburgisches Kochbuch", das wir beide im Rahmen der Kochbuchforschungsgruppe bearbeiten, soll im Folgenden die Geschichte der Kochbücher, in der Zeit vom Spätmittelalter bis zum Barock, erörtert werden.

 

Definition

Zuerst stellt sich die Frage, was macht ein Kochbuch überhaupt aus. Es gab und gibt eine unüberschaubare Menge an Literatur, die sich mit dem Essen und Trinken beschäftigt. Dazu zählen medizinisch-diätetische Ratgeber, Bücher über Tischmanieren, das richtige Zerteilen von ganzen Braten und dergleichen (Tranchier- und Vorlegbücher), Hausväterliteratur und Fachbücher zu Agrikultur, Brau- und Backwesen, Weinkultivierung etc. Diese Werke können vereinzelte oder größere Mengen an Rezepten enthalten. Was aber ist ein Kochbuch? Nehmen wir nun eine Definition vor.

 

Hierfür gibt es verschiedene Möglichkeiten. Man kann sich beispielsweise historische Quellen ansehen, die sich mit Begriffsbestimmungen beschäftigen. So findet man im Wörterbuch der Gebrüder Grimm die Erklärung: „Kochbuch, n. buch das kochen lehrt."

In Amaranthes(1) „Frauenzimmer-Lexicon" aus dem beginnenden 18. Jahrhundert wird das Wort „Kochbuch" als „ein von einer erfahrnen und kochverständigen Person zusammen­getragenes Buch" definiert, in welchem „dem Frauenzimmer die Kunst die Speisen auf allerhand schmackbahre Arten zuzurichten auch vielerley Torten und Pasteten zu backen, deutlich und künstlich gewiesen wird."(2) Diese Definitionen ist jedoch sehr spezifisch und außerdem Gender bezogen.

Heute wird der Begriff „Kochbuch" etwas weitergefasst. Henry Notaker, der 2010 ein Verzeichnis der gedruckten Kochbücher von 1470-1700 publizierte, meint, dass Kochbücher sich einerseits inhaltlich, durch die Thematik des Kochens und andererseits formal, durch die Rezepte charakterisieren.(3) Für den heutigen Aufsatz haben wir auf diese allgemeine Definition zurückgegriffen, wobei gedruckte und handschriftliche Kochbücher europäischer Herkunft gleichermaßen berücksichtigt werden. Nach dieser Arbeitsdefinition gehen wir nun im nächsten Schritt auf die Forschungslage ein.

 

Forschungslage

Zum aktuellen Stand der Forschung ist zu sagen, dass seit dem cultural turn dem Bereich Essen und Trinken, und damit den Kochbüchern als Quelle, mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird. Dennoch ist die Kochbuchforschung nur ein kleiner Bereich in der Geschichts­forschung. Eine systematische Untersuchung dieser Quellen steckt noch in den Anfängen. Ein großes Problem ist, dass nicht alle gedruckten Kochbücher katalogisiert und damit erfasst sind, was die Manuskripte anbelangt sieht die Lage noch schlechter aus. Zum Teil fehlen in den Katalogen von Bibliotheken oder bei Sammlern genaue Beschreibungen, was etwa die Datierung anbelangt. Dies liegt daran, dass sie als praxisnahe Literatur oft weniger Wert zu haben schienen als andere Werke. Man hat ihnen daher nicht so viel Aufmerksamkeit geschenkt. Viele Kochbücher schlummern wahrscheinlich noch auf irgendwelchen Dachböden in alten Kisten und warten darauf entdeckt zu werden.

Das Bild, das wir heute über die Geschichte der Kochbücher haben, ist aus diesem Grund alles andere als vollständig und mitunter auch verzerrt. Es liegen noch viele Mühen der Ebene vor uns, um die Quellen zu erfassen, zu transkribieren und zugänglich zu machen. Doch gerade hierin liegt auch die Chance auf neue Erkenntnisse, die den aktuellen Wissenstand erweitern oder widerlegen können.

 

Grundlegende Fragestellungen

Kommen wir nun zu ein paar grundlegenden Fragen, die in der Forschung diskutiert werden: Erstens gilt es festzustellen, ob Kochbücher normativ sind oder nicht. In anderen Worten: Geben sie die Regeln wieder nach denen tatsächlich gekocht wurde? Wird die Realität in ihnen wiedergespiegelt?

Diese Frage ist nicht ganz einfach zu beantworten. Bei vielen der heute noch erhaltenen Kochbücher finden sich kaum Gebrauchspuren, was darauf schließen lässt, dass sie wenig bis gar nicht in der Küche in Verwendung waren. Sie wurden auch nicht dort, sondern in der Hausbibliothek aufbewahrt. Dies könnte einerseits bedeuten, dass man früher nicht nach diesen Kochbüchern gekocht hat, sondern eine geringe Anzahl an Gerichten im Kopf hatte und diese immer wieder auf die Tafel brachte. Also eigentlich wie auch heute noch üblich. Andererseits wäre es auch möglich, dass es Kochbücher gab, die in der Küche lagen und benutzt wurden. Dabei hat man sie aber so sehr in Anspruch genommen, dass sie irgendwann einmal unbrauchbar wurden und man sie wegwarf. Auch eine dritte These ist denkbar, nämlich die, dass man die Rezepte aus dem Buch vorgelesen und jemanden mit der Umsetzung beauftragte, also eine Köchin oder einen Koch. Auf diese Weise waren sie nicht unmittelbar in der Küche in Verwendung und wurden dadurch geschont.

 

Des Weiteren ist von Interesse, wer Kochbücher verfasst hat und aus welchem Grund. Die meisten der frühen Kochbücher sind anonym überliefert. Daher lassen sich nur schwer Informationen über den Autor und seine sozialen Hintergründe gewinnen. In den Quellen, wo man gesicherte Hinweise auf die Autorschaft findet, lassen sich mehrere Möglichkeiten unterscheiden.

Erstens tritt der Fall auf, dass die Person des Kochs und die des Schreibers ident sind. Dies ist jedoch höchstwahrscheinlich nur sehr selten der Fall. Denn obwohl man annehmen darf, dass manche Köche sich kurze Notizen über die Zubereitung vereinzelter Gerichte gemacht haben und diese „losen Zettel" sich über die Zeit ansammelten, waren die Schreibkünste doch nicht auf dem nötigen professionellen Level, der für eine sorgfältige Handschrift nötig war.(4)

Viel häufiger tritt daher der zweite Fall auf, nämlich das der Koch mit einem Schreiber zusammenarbeitete. Diesem diktierte er seine Rezepte, wobei hier Verständnis- und Schreibfehler auftreten konnten, die auf ein mangelndes Fachwissen des Schreibers hinweisen. Sprich, der Schreiber des Textes hatte vom Kochen nur wenig Ahnung und der Koch als Urheber des Inhaltes konnte zu wenig lesen um etwaige Fehler auszubessern.

Zu guter Letzt tritt noch der Fall auf, dass der Koch gänzlich von der Bildfläche verschwindet und ein Schreiber alleine ein Kochbuch produziert. Als Quellen dienen ihm meistens ältere Rezeptsammlungen oder Kochbücher, die er teilweise oder zur Gänze abschreibt, ergänzt, kombiniert, usw. Dies trifft auch für die gedruckten Kochbücher zu. Viele davon basierten auf alten Manuskripten und wurden lediglich von einem Editor oder Verleger auf den Markt geworfen.

So unterschiedlich wie die Entstehungsweise der Kochbücher sind auch die Motive, die hinter der schriftlichen Überlieferung stehen. Die bereits angesprochenen „losen Zettel" dienten als Erinnerungsstütze für die Köche selber, da die Rezepte nur zu bestimmten Anlässen gekocht wurden und mit gewissen Tücken bei der Zubereitung verbunden waren. Häufig wurden Kochbücher auch im Auftrag einer anderen Person, wie etwa dem König oder einem adeligen Dienstgeber, verfasst. In diesem Zusammenhang ist auch interessant, dass die Köche beim Verfassen der Kochbücher meist schon am Ende ihrer beruflichen Karriere angelangt sind.(5) Dies hängt natürlich mit der handwerklichen Ausbildung zusammen, die nach der Lehrzeit eine Wanderschaft und etliche Dienstjahre als Geselle vorsah. Küchenmeister wurde man, wenn überhaupt, daher erst in einem fortgeschrittenen Alter. Um zu verhindern, dass mit dem Tod des Koches auch sein Wissen verloren geht, haben manche Dienstgeber die Kochbücher in Auftrag gegeben. Sie dienten aber auch dazu, das Prestige und die Ehre des Hofes und des Dienstherren zu repräsentieren. Als Beispiel dazu kann man Conrad Haggers „Neues Saltzburges Kochbuch" anführen, auf das wir später noch genauer eingehen werden.

 

Eine andere Frage lautet: Für wen werden Kochbücher geschrieben?

Hierbei muss man beachten, dass alle überlieferten Kochbücher aus fürstlichen oder patrizischen Häusern stammen, beziehungsweise aus der Klosterküche. Es wird also ausschließlich die Küche der Oberschicht repräsentiert. Nur diese konnte sich die Spitzenköche samt Küchenbrigade, die notwendige Ausstattung und die exotischen Zutaten sowie zu guter Letzt die Kochbücher leisten. Es tritt also der Widerspruch auf, dass nur diejenigen Personen Kochbücher kaufen, von denen man aufgrund ihres hohen sozialen Ranges annehmen kann, dass sie selber nie gekocht haben.

Denn die Kochbücher wurden in der Regel für Profis verfasst, was bedeutet, dass kaum Mengenangaben beziehungsweise Garzeiten angegeben werden. Teilweise werden auch Zubereitungsarten stillschweigend als bekannt vorausgesetzt, beziehungsweise die Zutaten nicht genau angegeben. Beispielsweise findet man oft nur „Kräuterwerk" oder schlicht die Anweisung „würz es wohl/gut".

Zur Lösung dieses Paradoxons, das die Käufer der Kochbücher eigentlich nicht kochten, kann man erneut die schon erwähnte These aufwerfen, wonach man die Rezepte aus dem Buch vorgelesen und jemanden mit der Umsetzung beauftragt hat.

Über die bäuerliche Küche und ihre Rezepturen wissen wir so gut wie nichts. Es ist jedoch anzunehmen, dass diese einfach war und saisonal sowie mit häufigem Hunger und Mangelernährung zu kämpfen hatte.

 

Das Kochbuch als Quelle bereitet noch weitere Probleme. So sind nur besondere Gerichte in den Kochbüchern niedergeschrieben. Sie zeichnen sich entweder durch eine schwierige Zubereitung oder durch teure Gewürze und andere exotische Zutaten aus. Einfache Speisen, die man alltäglich kochte, finden sich äußerst selten. Das Fehlen von genauen Mengenangaben, Garzeiten und dergleichen führt dazu, dass man gewisse praktische Kenntnisse braucht, um die Rezepte zu verstehen. Dafür ist eine Zusammenarbeit mit heutigen Köchen von Vorteil. Doch muss einem klar sein, dass wir uns nur mehr sehr grob dem annähern können, was ein mittelalterlicher Kochbuchautor gemeint haben könnte. Eine hundert prozentige Wiedergabe der Rezepte ist aufgrund der veränderten Lebensmittel (zum Beispiel waren Hühnereier im Mittelalter viel kleiner als heute) nicht mehr möglich.

Wie eine solche Rekonstruktion aussehen kann, zeigt ein Blick nach England. In Hampton Court Palace, einem berühmten Schloss der englischen Könige, hat man seit einigen Jahren die Küche der Tudor Zeit (also des 16. Jahrhunderts) wieder zum Leben erweckt und bietet an ein paar Terminen im Jahr öffentliche Vorstellungen an. Auch für dieses Projekt waren historische Kochbücher ein wichtiger Ausgangspunkt.

 

Frauen und Kochbücher

Vielleicht ist aufgefallen, dass bisher ausschließlich von Köchen, männlichen Geschlechts, die Rede war. Dieses Bild entspricht durchaus der Realität, da in der Oberschicht ausschließlich männliche Köche angestellt wurden. Man kann dies in etwa vergleichen mit der heutigen Spitzengastronomie. In den bürgerlichen Haushalten und in den ärmeren Gesellschafts-schichten standen die Frauen in der Küche, als Kochbuchautorinnen treten sie im Zeitraum vom Mittelalter bis zum Barock aber nur äußerst seltenauf. Erst Anfang des 18. Jahrhunderts ändert sich dies, was man auch am eingangs erwähnten Frauenzimmerlexikon von Amaranthes erkennen kann. Doch gerade von Frauen verfasste Kochbücher bieten enormes Potential für die Gender Studies, dies sei an dieser Stelle nur kurz angedeutet. Genauer führte dies Helga Müllneritsch bereits in einer älteren Epikurausgabe aus.

Nachdem nun das Umfeld dargelegt ist, soll es im Folgenden um die Geschichte der Kochbücher an sich gehen.

 

Geschichte der Kochbücher, ein Überblick:

Der Beginn unserer Kochbücher liegt im Spätmittelalter. Nachdem es bereits in der Antike Kochbücher gab, tritt vom Frühmittelalter an eine Lücke von beinahe tausend Jahren auf. Zwar wurden antike Kochbücher in Klöster weitertradiert, doch entstanden keinerlei neue Kochbücher. Über die Gründe dafür gibt es verschiedene Thesen. Einerseits hat man in der Forschung herausgestrichen, dass der Beruf des Koches nicht sehr geachtet war. Es wurde als unreines Handwerk betrachtet, weil man mit Blut und Schmutz in Berührung kam.(6) Andererseits könnte man auch annehmen, dass schlicht und ergreifend keine Kochbücher aus dieser Zeit erhalten sind. Der Ursprung der spätmittelalterlichen Kochbücher ist im Bereich des medizinisch-diätetischen Diskurses zu suchen. Eine gern zitierte zeitgenössische Redensart ist, dass „der Koch dem Medikus sekundieren soll." Das bedeutet, dass die Rezepte, die häufig am Ende von medizinischen Ratgebern standen, zur Genesung beitragen oder vorbeugend wirken sollten. Dabei wurde jedem Lebensmittel im Sinne der 4-Säfte-Lehre eine gewisse Wirkung zugesprochen, die man mittels einer bestimmten Zubereitungsart oder Kombination der Zutaten auf die jeweiligen Bedürfnisse abstimmen sollte. Genauer kann an dieser Stelle nicht auf die mittelalterliche Diätetik eingegangen werden, da dies den Rahmen des Aufsatzes sprengen würde. Der Interessierte sei jedoch auf die einschlägige Fachliteratur verwiesen.

Erwähnenswert dazu ist jedoch, dass die Kochbücher bis in die Zeit des Barock noch enge Bezüge zur Diätetik hatten, die erst im späten 17. Jahrhundert schwächer wurden, wodurch der diätetische Einfluss in den Kochbüchern in den Hintergrund tritt.

 

Allgemein kann man angesichts der frühen Kochbücher von einer internationalen Küche mit regionalen Ausprägungen sprechen. Das heißt, dass es im christlichen Europa in der Oberschicht einen regen Austausch gab, etwa durch Kriege, Kreuzzüge, Pilgerfahrten, Kavalierstour, Heiratsverbindungen und dgl. Neben diesen Beziehungen spielte natürlich auch der Handel eine Rolle. Nicht nur Produkte und Lebensmittel wurden auf Handelswegen verbreitet, sondern auch Rezepte. Es kam zu wechselseitigen Beeinflussungen, sodass man etwa in französischen Kochbüchern eine brouet d'allemaigne („deutschen Brei")und in deutschsprachigen Kochbüchern die Verweise „auf Französisch", „auf Mailänder Art" etc. findet.

 

Nun soll anhand einiger Beispiele ein Überblick über die Geschichte der Kochbücher geliefert werden.

A) Das älteste überlieferte deutsche Kochbuch ist das sogenannte „Buoch von guoterspise": Es befindet sich im zweiten Band der sogenannten „Würzburger Liederhandschrift". Diese stellt eine Sammelhandschrift in lateinischer und deutscher Sprache dar und wurde zwischen 1345 und 1354 von Michael de Leone (Lebensdaten 1500 bis 1555), einem Würzburger Patrizier in Auftrag gegeben. Die Textsammlung wurde von mehreren Händen abgefasst, die Autoren sind jedoch unbekannt. Schrifttyp ist eine gut lesbare Textura formata. Die Textsammlung ist in zwei Bänder aufgeteilt, wobei nur der zweite Band vollständig erhalten ist, der auf Blatt 156r-165v das „Buoch von guter Spîse" enthält. Die Sammelhandschrift gab Michael de Leone an seinen Neffen Jakob weiter. Nach 1403 ist ihr Schicksal ungewiss, vermutlich hat sie Würzburg aber nie verlassen. Jedenfalls erwarb es der Augsburger Bischof Johann Egolph von Knöringen (1537-1575), der seine über 6.000 Bände zählende Bibliothek schließlich der UB Ingolstadt vermachte. Heute befindet sie sich im Besitz der Universitäts­bibliothek in München (Cim. 4 = 2° Cod. ms. 731).

Das „Buoch von guoterspise" enthält ca. 100 Rezepte, wobei dies vorwiegend Festtagsrezepte sind. Einfache Gemüsegerichte wie Kohl, Rüben und Kraut, die auch bei reichen Leuten alltags auf den Tisch kamen, sind ausgespart. Das Buch erscheint daher als Rezeptsammlung für den Speiseplan bei festlichen Anlässen.

„Der Wortlaut der niedergeschriebenen Texte, bzw. die Lese- oder Hörfehler des Schreibers sprechen dafür, dass dieser des Kochens nicht mächtig war, und aufgrund des mangelnden Verständnisses ungenau auf- bzw. abgeschrieben hat."(7)

 

B) Knapp dreißig Jahre später wurde in Frankreich der sogenannte „Viandier" verfasst. Der Autor des Kochbuches ist Guillaume Tirel (1312-1395), auch als Taillevent („Schneidewind") bekannt. Seine Karriere ist vergleichbar mit dem amerikanischen Traum vom Tellerwäscher zum Milliardär. Denn wie die meisten Köche seiner Zeit fing er als Küchenjunge auf der untersten Stufe der Küchenhierarchie an und arbeitete sich schrittweise hoch, bis er schließlich erster Hofkoch von König Karl V. Für seine Dienste wurde er sogar in den Ritterstand erhoben, wobei sein Wappen bezeichnenderweise drei Kochtöpfe enthält.(8) Dies sieht man auch auf seiner Grabplatte, die ihn mit seinen zwei Frauen darstellt. Sie ist heute im Museum von Saint-Germain-en-Laye aufgestellt. Aber nicht nur daran erkennt man, dass Taillevent sehr geschätzt war. Denn als Karl V. 1380 starb übernahm sein Sohn Karl VI. Taillevent in seine Dienste und gewährte ihm viele Freiheiten. So konnte er am Hof kommen und gehen wann er wollte. Aufgrund seines hohen Alters, Taillevent war um die 70 Jahre alt, kann man annehmen, dass er zu dem Zeitpunkt nicht mehr selber gekocht hat, sondern lediglich Anweisungen dazu gab.

Nun zu seinem Werk „Le Viandier". Was die Entstehung anbelangt, so ist man sich heute sicher, dass Taillevent auf ältere Rezeptsammlungen zurückgriff, diese also lediglich abschrieb. So existiert ein ähnliches Manuskript, das mindestens zehn Jahre vor Taillevents Geburt datiert wird. Dieses umfasste ca. 133 Rezepte, wobei weder Titel noch Autor bekannt sind. Bis zur Ausgabe von Taillevent ist dieses ursprüngliche Manuskript auf 220 Rezepte angewachsen. Taillevents „Viandier" wurde ebenfalls immer wieder abgeschrieben und ab 1490 auch in Druck gebracht. Lyon undatiert. Somit hatte es in der Folge einen starken Einfluss auf die nachfolgenden Rezeptsammlungen des Mittelaltes und der Renaissance.

 

Womit wir auch schon in der Epoche der Renaissance wären. Diese bietet für die Verbreitung der Kochbücher wesentlich bessere Voraussetzungen als noch im Mittelalter. Wie in vielen Dingen war auch hier die Weiterentwicklung der Drucktechnik durch Gutenberg ein wesentlicher Faktor. In Italien, dem kulturellen Zentrum der Zeit, entstand eine neue Küchentradition, die vor allem, wenn man sich die bedeutendsten Quellen ansieht, im Bereich des Kirchenstaates anzusiedeln ist. Hier wurden in humanistischer Manier antike, arabische und lokale Einflüsse aufgenommen und verbunden.

 

C) Dies lässt sich musterhaft am Beispiel von Bartolomeo Sacchis „De honesta voluptate et valetudine" zeigen, das 1474 in Venedig und später auch in Rom erschienen ist. Wie schon Taillevent hat auch Sacchi einen Künstlernamen. Aufgrund seines Geburtsortes Piadena bei Cremona ist er auch unter dem Namen Platina bekannt. Sein Werk gilt als das erste gedruckte Kochbuch und es ist, wie der Titel andeutet, in lateinischer Sprache verfasst. Als solches stellt es eine Besonderheit dar. Denn die meisten Kochbücher, egal ob gedruckt oder handgeschrieben, wurden in der Zeit in den Landessprachen verfasst.

Platina war Humanist und Leiter der Vatikanischen Bibliothek und verfügte als solcher über weitreichende Interessen. So ist sein Buch auch kein Kochbuch im herkömmlichen Sinn, sondern vielmehr ein Traktat über die richtige Lebensführung inspiriert vom Geist Epikurs. Neben anderen Bereichen wird auch die Kochkunst angesprochen, wobei er die Rezepte größtenteils von Martino da Comoheranzog und ins Lateinische übersetzte. Dieser war der Leibkoch des Patriarchen von Aquileia in Rom und hat um 1470 ein Manuskript mit dem Titel „Libro de arte coquinaria" verfasst.

Hier zeigt sich erneut zweierlei. Einerseits die Praxis, dass gedruckte Kochbücher auf ältere Manuskripte zurückgehen. Andererseits, dass der Autor eines Kochbuches nicht unbedingt Kochfähigkeiten besitzen musste. Das Werk von Platina brachte eine weite Verbreitung von Martinos Rezepten und wurde von der geistlichen wie weltlichen Oberschicht Europas rezipiert.

 

D) Ein Beispiel für die Rezeption der italienischen Renaissanceküche stellt Marx Rumpolts gedrucktes Werk mit dem Titel „Ein new Kochbuch" (1581) dar. Rumpolt selbst war Kurfürstlich Mainzischer Mundkoch und hatte an verschiedenen europäischen Höfen Erfahrung gesammelt. Sein Kochbuch hat er auf Wunsch mehrerer Adeliger verfasst. Es umfasst rund 2000 Rezepte und ist mit 150 Holzschnitten ausgestattet. Es stellt also einen Prachtband dar, den sich nur äußerst wohlhabende Adelige leisten konnten. Außerdem gibt er unterschiedliche Ratschläge zur Lebensmittelversorgung eines Hofes und einige Menüvorschläge, die nach Fasten- und Fleischspeisen unterteilt sind. Mengen- und Zeitangaben fehlen auch hier.

 

E) Damit kommen wir nun zu dem Beispiel, das meine Kollegin und ich gemeinsam bearbeiten: „Das neue Salzburgische Kochbuch" von Conrad Hagger aus dem Jahr 1718/19. In mehrerer Hinsicht ist dieses mit dem gerade beschriebenen Werk Rumpolts verbunden. Erstens erwähnt HaggerRumpolts Werk in seiner Vorrede, was angesichts des Zeitlichen Abstandes von über hundert Jahren durchaus beachtlich ist. Zweitens nehmen beide Kochbücher eine Vielzahl von Illustrationen auf, die den Inhalt veranschaulichen sollen. Zu guter Letzt sind beide Werke äußerst umfangreich, wobei Conrad Haggers „Neues Saltzburgische Kochbuch" noch mehr Rezepte aufnimmt. Es kann aufgrund seiner 2500 Rezepte und 318 Kupferstiche als der Höhepunkt der barocken Kochbuchliteratur betrachtet werden. Gedruckt wurde es in Augsburg und zu Haggers Lebzeiten erschienen drei Auflagen (1718, 1719, 1721). Die Gliederung des Kochbuches erfolgt in 4 Teile:

            I.          417 Suppen, davon sind ca. ¾ Fleischsuppen

            II.         Pasteten, Torten u. Backwerk

            III.         850 Fleischgerichte

            IV.        Fisch und Fastenspeisen

 

Im Folgenden möchten wir einen aktuellen Werkstattbericht darlegen, d.h. vor allem die Frage des Wissenstransfers, mit der wir uns gerade beschäftigen, erörtern. Die Frage lautet also: Woher nimmt Hagger seine Rezepte? Dieser Frag soll anhand Conrad Haggers beruflicher Laufbahn nachgegangen werden. Informationen zu Haggers Biographie findet man größtenteils im Vorwort des Kochbuches selbst.

Conrad Hagger wurde 1666 in Marbach im Rheintal (östliche Schweiz) geboren. Sein Vater war Hofmann zu Marbach und Rebstein. Mit zwölf Jahren begann Hagger seine Ausbildung als Küchenjunge im nahegelegenen St. Gallen. Der regionale Einfluss aus diesem Raum lässt sich im Kochbuch durch den Verweis auf zwei Fischarten, die Reinanke und den Rhein-Salm, festmachen. Beide Arten wurden nämlich im Bodensee und im Rhein gefangen, weshalb man annehmen kann, dass Hagger die Rezepte dazu bereits in seiner frühen Ausbildung kennengelernt hat.

Nach vier Jahren Lehre begab sich Hagger auf die Wanderschaft und trat 1682 in den Dienst des Grafen „Latour" den er in den Großen Türkenkrieg begleitete. Gemeint ist hier die Zweite Türkenbelagerung Wiens 1683 und der darauffolgende Eroberung Ungarns durch die Habsburger.

Seine Erfahrungen in dieser Zeit haben sich auch in mehreren Rezepten niedergeschlagen. So erwähnt er einmal eine Art Eintopf, den er im Feld in einer Art Gulaschkanone zubereitet, ein anderes Mal verweist er auf eine Zwiebelsuppe die er mehrmals für den Prinzen von Sultzbach zubereitet hat als sie vor Belgrad lagen.

Nach seiner Rückkehr 1688 setzte Hagger seine Ausbildung beim Stadtkoch Johann Ludwig Prassin fort, wobei er am 24. Jänner 1690seinen Lehrbrief vom kurbayrischen Hof empfing. Noch im selben Jahr trat er in den Dienst des Fürstbischofs von Chiemsee Sigmund Ignaz von Wolkenstein-Trostburg. Er wurde als Suppenkoch eingestellt, wobei unter dem Wort „Suppe" nicht nur jene nach unserem heutigen Verständnis gemeint ist, sondern auch Fleisch mit Sauce. Hagger hatte die Aufgabe täglich eine neue Suppe auf die Tafel zu bringen, was die große Anzahl an Suppen im ersten Teil des Kochbuches erklärt. Außerdem begleitete er den Fürstbischof wie auch dessen Nachfolger Graf von Castelbarco auf Reisen nach Innsbruck, Mailand und Wien wo er, wie er selber schreibt, wohl was gesehen und erfahren hat.(9)

Dies könnte man, bei aller Vorsicht, wieder mit den Rezepten im Kochbuch in Verbindung bringen. Zahlreiche Verweise auf Zubereitungsarten aus dem italienischen bzw. mailändischen Raum lassen sich festmachen. Außerdem trifft man auch auf eine Reihe spanischer Gerichte die Hagger vermutlich in Wien, wo die Habsburger ja verwandt­schaftliche Beziehungen zu Spanien hatten, kennengelernt hat.

Ab 1701 ist Hagger dann für die Fürsterzbischöfe in Salzburg als Stadt- und Landschaftskoch tätig. Hier ist auch sein „Neues Saltzburgisches Kochbuch" entstanden. Der Name bezieht sich auf den Dienstherren und Geldgeber und weniger auf den Inhalt. Denn die Rezepte selbst sind international, wer eine typisch Salzburgische Küche erwartet, wird enttäuscht. Der Druckort Augsburg lässt darauf schließen, dass in Salzburg zu der Zeit keine Druckerei vorhanden war, die ein Werk dieses Ausmaßes produzieren hätte können.       
Zum Thema Wissenstransfer im „Neuen Saltzburgischen Kochbuch" muss gesagt werden, dass es sich bei der Verknüpfung von Biographie und Rezepten zum Teil um Thesen handelt, deren Überprüfung gegenwärtig noch nicht abgeschlossen ist. Außer Haggers persönlicher Erfahrung sind höchstwahrscheinlich auch andere Kochbücher in das Werk eingeflossen. Auch diesem Umstand wird anhand von Vergleichen, etwa mit Rumpolt, La Varenne, usw., nachgegangen. Des Weiteren sind wir gerade dabei ein Glossar zu erstellen, in das heute nicht mehr verständliche Ausdrücke aufgenommen werden.(10) Neben Haggers Kochbuch bearbeitet die Forschungsgruppe auch noch weitere Quellen um 1700 die handschriftlich überliefert sind.(11) Hierbei werden in einem ersten Schritt Transkriptionen angefertigt, die dann eine weitere Analyse der Texte ermöglichen. Welche Chancen und Perspektiven sich daraus ergeben, soll im Abschlusskapitel betrachtet werden.

 

Chancen und Perspektiven

Die Erforschung der Kochbücher liefert einen Einblick in den laufenden Ernährungsdiskurs der europäischen Oberschicht. Zwar muss man sich bei der Interpretation dieser Quelle immer vor Augen führen, dass zwischen dem Ist-Zustand des tatsächlich gelebten Kochens und Essens und dem Soll-Zustand des Kochbuchs bisweilen eine große Kluft bestehen kann. Aber dennoch wurden in den Kochbüchern Gerichte festgehalten, die man für prestigeträchtig und damit standes­gemäß gehalten hat. Das heißt, dass man wie in der Mode ein gewisses Ideal entwickelt, das zu gewissen Anlässen der Repräsentation des Adels dient. Da solche Ideale immer auch in der sozialen Hierarchie nach unten in das Bürgertum ausgestrahlt haben, haben sie ebenso Einfluss auf die Ernährungsgewohnheiten breiterer Schichten.

Kochbücher stellen damit eine bedeutende Quelle dar, die vielfältige Anknüpfungspunkte liefert. So bieten Kochbücher wertvolle Informationen für die Kultur-, Sozialgeschichte und Wirtschaftsgeschichte. Gerade in der Sozial- und Frauengeschichte stellen sie meist die einzigen überlieferten Quellen der betreffenden Personen dar. Im Bereich des Kulturtransfers steht der Austausch zwischen Stadt und Land, Ober- und Unterschicht sowie zwischen Kulturen. Mindestens genauso wichtig für eine Bearbeitung dieser Quelle ist der interdisziplinäre Ansatz der Forschungsrichtung. Nicht vergessen werden sollten an dieser Stelle die Philologien. Bei einem anonymen und undatierten Kochbuch kann eine dialektale Auswertung oder andere textkritische AnalysenAnhaltspunkte liefern. Eine örtliche und zeitliche Einordnung der Quelle ist oft nur auf diese Weise möglich. Für die weitere Forschung sind sie von zentralem Wert.

 

Ein weiterer Impuls, den historische Kochbücher auch heute noch liefern, geht in die moderne Gastronomie. Immer mehr Spitzenköche entdecken das Potential, das in den alten Rezepten liegt, was wiederum neue Chancen bietet. Die Salzburger Kochbuchforschungsgruppe ist auch gerade dabei eine Zusammenarbeit mit den Spitzenköchen Jörg Wörther und Andreas Döllerer aufzubauen, die von gegenseitigem Nutzen ist. Die Köche erhalten einerseits Einblick in den historischen Hintergrund des Kochbuches, die helfen die Rezepte zu interpretieren. Andererseits liefern sie durch ihr kochspezifisches Fachwissen auch viele neue Einsichten für die Geschichtsforschung. Wer jetzt Lust bekommen hat mitzumachen, der kann sich gerne bei uns melden.

 

Literatur:

Amaranthes: Nutzbares, galantes und curiöses Frauenzimmer-Lexicon. Leipzig 1715

Dürrschmid, Klaus: Eine Geschichte des deutschsprachigen Kochbuchs. http://homepage.boku.ac.at/duerr/ (03.12.2012)

Ehlert, Trude: Das Kochbuch des Mittelalters. Zürich u.a. 1991

Hagger, Conrad: Neues Saltzburgisches Kochbuch <...>. Augsburg 1719. Hg., Manfred Lemmer. Leipzig 1977

Henisch, Bridget: The Medieval Cook. Woodbridge 2009

Lück, Kerstin: Das Buch von guter Speise (um 1350). Ribe 2011. http://www.dasmittelalterkochbuch.de/KB/1345-1354_BvgS.html#oben (03.12.2012)

Notaker, Henry: Printed Cookbooks in Europe, 1470-1700. A Bibliography of Early Modern Culinary Literature. New Castle u. Houten 2010

Schachl-Raber, Ursula (Hg.): Kochkunst & Esskultur im barocken Salzburg. Salzburg u. Wien 2010

Wolkerstorfer, Sandra: Textsorte Kochrezept. Eine kontrastive Analyse auf diachroner und synchroner Ebene zu Kochrezepten in Deutsch, Englisch, Französisch und Italienisch. Unv. Diss., Salzburg 2004

 

Europ_Kochbuecher (93k)

Quellen, Anmerkungen

  1. Gottlieb Siegmund Corvinus, Leipziger Jurist und Schriftsteller.  
  2. Amaranthes, Nutzbares, galantes und curiöses Frauenzimmer-Lexicon, 1068, s.v. Kochbuch.  
  3. Notaker gibt weiter unten die genauere Angabe, dass nach seiner Definition ca. 2/3 des Gesamtinhaltes des Buches aus Kochanweisungen bestehen und mindestens 40-50% des Textes in der Form von Rezepten vorliegt. Doch dazu gibt es in der Forschung unterschiedliche Ansichten. Vgl. Notaker, Printed Cookbooks in Europe, 2.  
  4. Vgl. Notaker, Printed Cookbooks in Europe, 6.  
  5. Beispiel hier wäre Scappi, Taillevent, Meister Chiquart, etc.  
  6. Vgl. Wolkerstorfer, Textsorte Kochrezept.  
  7. Vgl. Lück, Das Buch von guter Speise (um 1350).  
  8. Henisch, The Medieval Cook, 23-24.  
  9. Vgl. Hagger, Neues Saltzburgisches Kochbuch, 10.  
  10. Siehe Beitrag von Marlene Ernst und Martina Rauchenzauner.  
  11. Drei von diesen Manuskripten werden in den nachfolgenden Aufsätzen vorgestellt.  
Schwanenpastet aus Conrad Haggers "Neues Saltzburgisches Kochbuch"