Das Kochbuch wurde 1769 von István Száblik für Ágnes Balassa zusammengeschrieben und dabei aus dem Deutschen ins Ungarische übersetzt.(1)
Die Besitzerin des Kochbuches, Ágnes Balassa, dürfte aller Wahrscheinlichkeit nach die Frau von Baron László IX. Balassa, geborene Ágnes Stüszel, gewesen sein. Darauf schließe ich aus den folgenden Gründen: Ihr Sohn Sándor II. lebte von 1745 bis 1832; zu dieser Zeit war László IX. der einzige (in der Familie Balassa) der mit Baron(2) angesprochen wurde; es gab keine andere Ágnes in der Familie(3) und das Buch wurde in Vác verfasst, wo die Familie regelmäßig an den kirchlichen Messen teilnahm, vermutlich weil ihr Gutshof in der Nähe war.(4)
Der Stammbaum der historisch bedeutsamen Familie der Balassa von Balassagyarmat und Kékkő kann bis ins 13. Jahrhundert zurückverfolgt werden. Den Archivdaten zufolge stammt die Familie von Bors ab, dem Sohn des kumanischen Fürsten Bőngér (Bunger), und existierte seit 1224 in ununterbrochener Reihe fort.(5) Der berühmteste Angehörige dieser Familie war Bálint (1554-1594), der sich „Balassi" nannte. Aber auch János Balassa, der mit István Dobó (um 1502-1572) in Pressburg gefangen saß (1569/70), ist zu einiger Bekanntheit gelangt. Ádám (1670-1709), der Kapitän von Kékkő, ferner der berüchtigte Menyhért (um 1511-1568) und Imre (†1550), der Woiwode von Siebenbürgen (1538-1540), gehören ebenfalls in diese Aufzählung.(6) Außerdem teilte sich der Stammbaum der Familie in mehrere Zweige auf, wobei am 19. Dezember 1664 dem Bálint, am 15. April 1721 dem Pál und am 16. Oktober 1772 dem Ferenc der Grafentitel verliehen wurde. Alle drei gräflichen Linien erloschen allerdings wieder und mit dem Tod des István am 7. April 1895 erlosch auch die Hauptlinie der Barone von Balassagyarmat und Kékkő.(7) Das 18. Jahrhundert kann man als die Glanzepoche der Familie Balassa bezeichnen, denn zu dieser Zeit stellte sie drei Räte für den ungarischen Statthalterrat: Pál (1734-1771), János (1756-1785) und Ferenc (1756-1785). Von diesen drei Familienangehörigen hat Ferenc die höchsten Würden und Ämter erreicht: Unter anderen war er Mitglied des Urbarialausschusses, Geheimrat, Präsident der Kammer, der Ban von Kroatien und illyrischer Hofkanzler.(6)
Was ist „Rosolio"?
Was die Herkunft des Wortes „Rosolio" betrifft, so leitet es sich vom italienischen „rosoglio" ab. Dieser Begriff könnte wiederum eine Abwandlung von rosolare (ital. für kochen, abdörren,...) sein.(9) Eine andere Erklärung besagt, dass Rosenblätter bzw. Rosenwasser als ursprüngliche Grundlage der Namensgeber für dieses Getränk sind.(10) Wahrscheinlicher ist jedoch, dass sich das Wort „Rosoglio" aus der lateinische Bezeichnung „ros solis" („Tau der Sonne") entwickelt hat und auf die gleichnamige Pflanze (Sonnentau = Drosera) zurückgeht.(11)
Die süßen Liköre kamen in Europa im 17. Jahrhundert in Mode(12) und ihre Beliebtheit bei Ludwig XIV. (1638-1715), für den sie als Mittel zur Stärkung des Herzens hergestellt wurden, hatte höchstwahrscheinlich eine bedeutende Rolle bei der Verbreitung.(13) Im Jahr 1686 eröffnete der sizilianische Edelmann Francesco Procopio dei Coltelli (1651-1727) in Paris das Café Procope. Seine Gäste konnten neben Kaffee und Tee auch Schokoladengetränke, würzige Weine oder verschiedene Liköre wählen, einschließlich Rosolio.(14) Guy Patin (1601-1672)(15) ironisierte gern die neue Fimmel der Zeitgenossen, deshalb war seine Meinung über Rosolio natürlich gar nicht schmeichelhaft: „ros solis nihil habet solare sed igneum" (in dieser sog. Tau der Sonne gibt's nichts aus der Sonne, es ist nur feurig). Die Verfasser der gegen Ende des 17. Jahrhunderts erschienenen Haushaltsbücher (z. B. Audiger: La Maison réglée, Paris 1692), die den Klugen und Wichtigen spielten, hielten es dennoch für ihre Pflicht, die „richtige Art und Weise der Zubereitung der verschiedenen italienischen süßen Liköre bekannt zu machen".(16)
Bei der Zubereitung von Rosolio werden im Allgemeinen verschiedene Gewürze (Gewürznelken, Muskatnuss, Zimt, Anis, Aprikose, Fichtensamen) oder Blumen (Rosen- oder Orangenblüten) verwendet, dann wird das Getränk mit Branntwein, Rohrzucker, Muskatblüte in klarem Wasser (Quellenwasser oder Regenwasser) gemischt und einige Tage oder Wochen einem Gärungsprozess unterworfen. So wird ein sehr feines, „liebliches" Getränk erzielt.(17)
Rosolio in Ungarn
Es ist wichtig zu wissen, dass sich dieses Getränk in Ungarn nicht erst am Ende des 18. Jahrhunderts verbreitete. In der Selbstbiographie von Miklós Bethlen (1642-1716) ist zu lesen, dass „rosolis" auch zur Zeit der Rückeroberung von Buda (2. September 1686) gern getrunken wurde.(18) Dem widerspricht Péter Apor (1676-1752) in seiner Erinnerung (1736) an den Hof von Michael Apafi:(19) „Hättest du jemandem Rosolio angeboten, hätte er vielleicht gedacht, dass du vor Sonnenaufgang Tau gesammelt hättest und ihm dieser Tau oder Roggenbrot angeboten wird."(20) Beachtet man allerdings die verzerrte Darstellung der Ära von Michael Apafi, die für Apor(21) charakteristisch ist, kann seine Meinung der Wahrheit nicht restlos entsprechen.
Der allgemeine Konsum von Rosolio kam jedoch wahrscheinlich erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts auf, da zu dieser Zeit auch Hinweise in Inventaren aufscheinen. In einem Inventar aus dem Komitat Somogy (1792) steht beispielsweise: „geschnittenes Glas für Rosolio, Rosoliobrenner, zwei Rosoliogläser".(22) Außerdem wurde auch die Herstellung in Großbetrieben in Angriff genommen, wie etwa in der 1795 in Marcellháza, Komitat Komárom (dt. Komorn),(23) gegründeten Likörfabrik, in der auch Rosolio produziert wurde.(24)
Auch die ungarische Literatur und Dichtung bietet uns Beispiele für die Popularität von Rosolio. In dem Roman „Eine besondere Ehe" (1900) von Kálmán Mikszáth widmet sich Miklós Horváth dem Rosoliobrennen,(25) in einem Roman von Józsi Jenő Tersánszky, zahlt Marci Kakuk einem Schweineschneider (‚Kastrierer' von Nutzvieh) eine Halbdezi vom Rosoliobranntwein für eine Zahnausziehung.(26) Im Schriftwerk von Mihály Csokonai Vitéz, „Dorottya" (1798/99), wird über „eine gemalte Rosolioflasche mit Stroh" gesprochen.(27)
Rosolio bei Familie Balassa
Für den Rosolio-Genuss der Familie Balassa habe ich den ersten Beweis auf einer Einkaufsliste vom 24. Juli 1757 gefunden, auf der neben dem Kaffee und anderen Aromen auch Rosolio stand.(28) In den Familieninventaren habe ich aber erst 15 Jahre später die Gläser, die man zum Konsumieren der Getränke braucht, gefunden. Unter den beweglichen Gütern des Herrschaftsgutes Zsigmondháza,(29) die 1773-1774 in deutscher Sprache zusammengeschrieben wurden, befinden sich 24 „Rosoli" Gläser mit Stengel, d.h. Trinkgelegenheiten mit einem Stiel.(30)
Drei Rosolio Rezepte von Ágnes Balassa
Wir finden drei verschiedene Rezepte für Rosolio in dem handgeschriebenen Kochbuch von Ágnes Balassa, die man aufgrund der Grundzusammensetzung in zwei Gruppen teilen kann. Zum ersten Typ gehören Getränke, die durch die Mischung der verschiedenen Würzstoffe, Pálinka (Obstbrand) und Rohrzucker zubereitet werden, z. B. „137. Gróf Schmidegn rozsólisa" (Rosolio von Graf Schmidegn) und „146. Pesti rozsólis" (Pester Rosolio).
„Rosolio von Graf Schmidegn"(31) zeichnet sich im Vergleich zu anderen Rosolio besonders durch eine hohe Anzahl an Gewürzen sowie einem Reichtum an Aroma aus. Aus diesem Grund gehört er zu den besten Rosolio. Seine Zubereitung ist sehr einfach.(32) Die Gewürze {Zimt, Gewürznelke, Kardamom, Muskatnuss, Muskatblüte, Bádian (Sternanis), Koriander} werden gemörsert, dann werden Rosinen, Zitronenschale, Corcironöl und Rohrzucker hinzugegeben. Nach gründlichem Durchmischen dieser Grundzutaten „werden drei Pinten Branntwein zugegossen, bis das Getränk eine rote Farbe und einen bestimmten Geruch erhält." Nach einer mindestens 3 oder 4 Wochen langen Gärung erhält man das Resultat: ein ausgezeichnetes, würziges Getränk von hervorragender Qualität - der „Tau der Sonne".(33)
„Rosolio von Graf Schmidegn"
Zutaten |
ungarisches Original (1769) |
umschrieben(34) |
für 10 Personen |
Zimt |
2 lat |
35 g |
4 g |
Gewürznelke |
1,5 quintel |
6,6 g |
0,7 g(35) |
Kardamom |
„hast deine Lust" |
||
Muskatnuss |
1,5 quintel |
6,6 g |
0,7 g |
Muskatblüte |
1 lat |
17,5 g |
2 g |
Rosine |
1 quintel |
4,4 g |
0,5 g |
Badián (Sternanis) |
1 quintel |
4,4 g |
0,5 g |
Koriander |
1 lat |
17,5 g |
2 g |
Zitronenschale |
2 St. |
2 St. |
¼ St. |
Corrcironöl |
3 quintel |
eine unbekannte Ölsorte deshalb kann man sie nicht benutzen(36) |
|
Rohrzucker |
2 font |
1,12 kg |
125 g |
Pálinka(37) |
3 pint |
4,24 l |
0,5 l |
Während der Zubereitung des „Pester Rosolio" gibt man die Echte Engelwurz, den Kalmus, den Frühlings-Enzian, das Pinpinöl,(38) den Borovička(39) und den Rohrzucker zum Pálinka und höchstwahrscheinlich gärt diese Mischung dann bis zur Fertigstellung des Getränkes.(40) Zur anderen Rosolio-Gruppe gehört der „147. Másféle rozsólis" (Rosolio einmal anders). Dieser unterscheidet sich von den Vorherigen, indem wir bei den Rohstoffen auch Brötchen finden können. Nach dem Rezept muss man zuerst einmal Brötchen 3-4 Stunden lang im Törkölypálinka (Tresterbrand) tränken lassen, dann muss alles gesiebt werden. Inzwischen waschen wir „roten Klatschmohn" und geben diese nach der Klärung zusammen mit den Rohrzucker, Zimt und Gewürznelke in den Törkölypálinka. Der Rosolio muss schließlich ein paar Tage lang fertig gereift werden.
Rosolio als Benennung, wurde aus den Rezeptsammlungen im Laufe der Zeit immer mehr ausgelassen. In dem 19. Jahrhundert hatten die würzigen Branntweine die Benennung „Likör"(41) und das Wort Rosolio kam nur selten vor. Auch „Rosolio von Graf Schmidegn" geriet in Vergessenheit. Es ist aber zu hoffen, dass diese kurze Erinnerung die Aufmerksamkeit wieder auf dieses beinahe zweieinhalb Jahrhundert alte Getränk lenken wird.
Bibliographie
Quellen
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Magyar Nemzeti Levéltár Országos Levéltára = MNL OL (Ungarisches Staatsarchiv).
MNL OL Familie Balassa, P 11 17. CS. 26. 624-638.
MNL OL Familie Balassa, P 1769 29. CS.
MNL OL Familie Balassa, P 1770 4. CS. 1757.
MNL OL Familie Balassa, P 1770 7. CS. 1801.
Literatur
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