Logo Epikur - Journal für Gastrosophie
Zentrum für Gastrosophie Impressum

Hedonismus. Und eigentlich ist Alles ganz einfach

Ute von MAURNBÖCK-MOSSER.   

Letztens bekam ich wieder einmal Lust, über den Alberner Hafen zu schlendern – einen Ort, an dem man sich einfach „außerhalb“ befindet. Ein Nowhere-Land in und doch nicht in Wien, flankiert vom Friedhof der Namenlosen am Ufer der Donau.

Mit dem Wort „albern", dachte ich, verhält es sich wie mit dem „Hedonismus": heute ist ein alberner Mensch im Prinzip eine lächerliche Figur. Ein Hedonist, Einer, der sich´s gut gehen lässt und von einem Genuss zum nächsten hüpft. So es die Bierwampe zulässt.

Pejoration oder Bedeutungsverschlechterung nennt man das.

Dass alberne Personen ursprünglich gütige und freundliche ZeitgenossInnen waren, weiß man heute genauso wenig, wie man um die Bedeutung des Hedonismus weiß.

 

Eine relativ einfache Möglichkeit, den hedonistischen Grundgedanken zu fassen: das dünne Büchlein „Briefe, Sprüche, Werkfragmente" von Epikur (erschienen im Reclam Verlag) durchzuschmökern.

Ich wurde gebeten, darüber zu schreiben, was ich als Radiojournalistin, die zum Thema gearbeitet hat, erfahren habe. Eine Vorher-Nachher-Betrachtung abzuliefern.

Und in der Tat gibt es einige Punkte, die mir neu waren und die es zu überdenken galt. Denn die modernen - und falschen - Zuschreibungen haben sich inzwischen in den Sprach- wie Denkgebrauch eingebrannt. Wiewohl die Grundsätze Epikurs hochaktuell sind, befreit man sie von Klischeestaub und Wellnessgesülze.

 

Aktiv-Passiv

Das Bild des Römers, der - am Speisesofa liegend - auf die über ihm hängenden Trauben schielt: eine Illustration des Hedonismus. Man lässt es sich gutgehen, man lässt sich bewirten, man lässt. Lässt man im Hedonismus?

Mitnichten. Es geht um das Tun. Ein aktives Genießen genauso wie ein bewusstes Lustempfinden.

„Bei den meisten Menschen äußert sich die Ruhe betäubt, die Bewegung rasend".

Daran hat sich kaum etwas verändert. Menschen ruhen noch immer nicht in sich, ernähren sich nicht angemessen, leben nicht der Umgebung und den Jahreszeiten angepasst. Obwohl Epikur schon im 3. Jahrhundert vor Christus empfahl, ein Ernährungstagebuch zu führen und Menschen zu gesundem Leben ermutigte.

 

Hemmunglosigkeit

Das griechische Wort hedoné bedeutet Freude, Lust, Genuss, Vergnügen und sinnliche Begierde.

Ihre Kritiker setzten die Epikureer mit Schweinen gleich, stecke es doch mit seiner Schnauze im sinnlichen Gewühl, anstatt den Kopf zum Himmel zu heben. Die sinnlichen Genüsse seien demnach wichtiger als Moral und Transzendenz. Tatsächlich geht es bei Epikur um die Lust am Sein. Zu leben ist die zentrale Lust. Was danach und darüber hinaus passiert, schreibt er, wissen wir nicht, deshalb müsse es uns auch nicht beschäftigen.

 

Genuss mit Grenzen: so könnte man salopp den antiken Ursprungsgedanken vereinfachen, wenn es ums Essen geht. Aber was bedeutet Genuss - oder Luxus? Ist Luxus das, was wir nur selten bekommen oder vielmehr das, was uns gut tut? Jahrtausendealte Gedankenanstöße sind erstaunlich aktuell, wenn es um das Essen geht. Nachhaltigkeit oder Selbstoptimierung, Schlagwörter aus dem 21. Jahrhundert finden wir da - nur anders ausgedrückt - wieder.

Modern mutet der epikureische Gedanke an, dass es uns zu Lebzeiten möglichst gut gehen soll, nicht aber auf Kosten anderer. Und letztlich hat Hedonismus mit dem Genuss aller Sinne zu tun. Glück zu erfahren, wenn wir gute Musik hören, interessante Gespräche führen, ein schönes Kunstwerk betrachten, in ein resches Semmerl beißen.

 

Wie viel ist genug?

Ob Musik oder Essen: Niemals vergisst Epikur die Frage: Wieviel brauche ich tatsächlich? Diese Frage beinhaltet Einiges: eine schonungslose Ehrlichkeit sich selbst gegenüber, ein wahrhaftes Reflektieren über seine Wünsche und Begierden. (Auch über jene, von denen wir nichts wissen wollen.)

An alle Begierden richte man diese Frage: Was wird mir geschehen, wenn das erfüllt wird, was die Begierde erstrebt, und was, wenn es nicht erfüllt wird?

Und dann? Geht es mir besser nach dem „Danach"? Dem Autokauf, dem Jobwechsel aus Prestigegründen, der einen dann aber doch auffrisst, Diäten ohne Ende, damit man schlank bleibt ...? Überall ein „Muss", ohne das großartige große Ganze dahinter zu sehen, das Epikur aufzeigt.

Die Erlaubnis zum Genießen bedeutet, dass wir selbst für die Konsequenzen unseres eigenen Handelns verantwortlich sind, sagte mir der Schriftsteller Franz Schuh im Interview. Ein wertvoller Gedanke in einer Zeit des Optimierungswahns. Menschen bügeln sich so lange zurecht, bis sie in ihr selbst entworfenes Bild passen. Das naturgemäß nur eine gewisse Größe respektive Überschaubarkeit hat.

Die selbstgewollte Mäßigung bringt uns auf den Weg zu einem glücklichen Leben. Nichts anderes sagen VertreterInnen des Minimalismus heute. Was wir brauchen, sollen wir haben: Essen, um satt zu sein; ein Dach über dem Kopf, etwas Anzuziehen. Haben wir ausreichend davon, sind die Grundbedürfnisse gedeckt.

Und die Freude, nach zwei Vierterln in eine fette Käsekrainer zu beißen? Verboten?

„Nein", sagt der Philosoph Robert Pfaller, „Wer sich in maßlose Ideen verrennt, verdirbt sich sein Glück". Auch bei der Lust und dem Genussfähigkeit ist maßhalten angesagt, sonst wird sie zur Sucht und damit zur unlustvollen Unfreiheit.

Unfrei macht, was die Gedanken in Beschlag nimmt. Je mehr Lüste und Annehmlichkeiten wir haben - sei es ein warmes Zuhause, ein Leben in friedlicher Umgebung, einen vollen Bauch - desto anfälliger sind wir, diese Zustände auch als natürlich gegeben zu empfinden.

Um mit Epikur zu sprechen, bedeutet schon die „Abwesenheit von Unlust" Glück. Viele verderben es sich durch die ständige Forderung nach mehr: einem feineren Essen, mehr Sex, dem größeren Auto.

Wahre Hedonistinnen und Hedonisten sind also Pragmatiker. „Ist das nun vorteilhaft für mich oder nicht?", würde ein echter Epikureer fragen. Und womöglich in die fette Käsekrainer beißen, wohlwissend, dass ihm dieser kurze Genuss einen langen halben Kilo plus Sodbrennen wert ist. Aber da werden mir Einige womöglich widersprechen.

Obwohl: mit Käsekrainer ist auch das Leben vor dem Tod lebenswert. Finde ich.

Es ist nicht der Umstand, dass wir leben, sondern dass das Leben „ein Leben" ist.

 


Ute v. Maurnböck-Mosser ist Radiojournalistin (Ö1 Radiokolleg, Dimensionen...), Moderatorin und Sprecherin.

 

Maurnboeck-Mosser1 (42k)

Foto: Pexels https://www.pexels.com/photo/dandelion-nature-sunlight-54300/