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Hedonismus. Gemäßigte Begierden?

Ute von MAURNBÖCK-MOSSER.   

Genuss mit Grenzen: so könnte man salopp den antiken Ursprungsgedanken vereinfachen, wenn es ums Essen geht. Aber was bedeutet Genuss – oder Luxus? Ist Luxus das, was wir nur selten bekommen oder vielmehr das, was uns gut tut?

Jahrtausendealte Gedankenanstöße sind erstaunlich aktuell, wenn es um das Essen geht. Nachhaltigkeit oder Selbstoptimierung, Schlagwörter aus dem 21. Jahrhundert finden wir da - nur anders ausgedrückt - wieder.

Modern mutet der epikureische Gedanke an, dass es uns zu Lebzeiten möglichst gut gehen soll, nicht aber auf Kosten anderer. Und letztendlich hat Hedonismus mit dem Genuss aller Sinne zu tun. Glück zu erfahren, wenn wir gute Musik hören, interessante Gespräche führen, ein schönes Kunstwerk betrachten.

 

Der Selbstgenügsamkeit größte Frucht: Freiheit.

Die Schwierigkeit von theoretischen Lehren, sagt der Schriftsteller Franz Schuh, besteht in der Realität immer wieder im Austarieren der eigenen Wünsche und dem Hinterfragen ihrer Notwendigkeit.

Zu den vielen Dialektiken, in denen der Hedonismus drin steckt, gehört diese eine berühmte, dass es beim Essen nicht darum geht, satt zu werden, sondern hungrig zu bleiben. Von dem Augenblick an, wo man diesen Rahmen überzieht, weil das hedonistische Prinzip ja einen schmalen Rahmen der Existenzerfüllung hat, aber einen notwendigen, den man sich nicht ausreden lassen soll, ist diese Befriedigung durch hedonistisches Verhalten längst in suchtartige Nervosität geraten. Es ist nicht so einfach mit diesen Lehren, die undialektisch gelten wollen, sich aber in Widersprüchen verfangen, ... die ganz schön sind, wenn man sie bedenkt.

 

An alle Begierden richte man diese Frage: Was wird mir geschehen, wenn das erfüllt wird, was die Begierde erstrebt, und was, wenn es nicht erfüllt wird?

Schreibt der griechische Philosoph Epikur, auf den nach dem Philosophen Aristipp das Prinzip der hedonistischen Lust zurückgeht. Anders als wir Hedonismus heute oft verstehen, sind Genuss und Luxus keine Frage von materiellen Dingen, erklärt Lothar Kolmer, Hedonismus ist das „Durchdenken des Ganzen".

Die Philosophie von Epikur geht davon aus: ich brauche wenig, aber Gutes. Gutes Brot, ohne all die industriellen Zusatzstoffe, mit Landbutter und Schnittlauch darauf und das in aller Ruhe und mit allen Sinnen genießen! Das wäre eine epikureische Ausgangsbasis und schon Glück - angesichts all des Hungers in der Welt.

Wenn einer zehn Schachteln Fertigpizza in einem Lamborghini verstaut, wie es eine Studentin vor einem Discounter sah, dann sehen wir in aller Krassheit das Wertesystem unserer Zeit!

Brauchen wir einen Lamborghini, um Fertigpizza zu transportieren - und entsprechen sich hier nicht die Geschmäcker aufs deutlichste?

 

Die Gastrosophie ist die Lehre von der Weisheit des Essens. Die alten Fragen kommen wieder auf den Tisch. Wie können wir ein gutes Leben führen, wenn es anderswo Hunger gibt, wenn Lebensmittel verschwendet und vernichtet werden? Kann es ein gutes Leben geben, wenn dafür Tiere gequält werden? Schmeckt Fleisch aus Massentierhaltung?

Das Salzburger Zentrum für Gastrosophie nimmt die Ernährung interdisziplinär in den Blick. Was können wir aus der Kulturgeschichte der Ernährung lernen? Was kann sie uns heute sagen? Wie gehen wir besser mit Ressourcen um? Gerade aus alten Rezepthandschriften lässt sich herauslesen, wie sorgsam jeder Teil von Tier und Pflanze verwertet wurde und wie sehr schon auf die Gesundheit Rücksicht genommen wurde - wenngleich man darüber heute seltsam anmutende Vorstellungen hatte.

Lothar Kolmer verweist auf ein völlig verkanntes Werk:

Kochbücher werden von Wissenschaftlern oft geringschätzig abgewertet - aus Unkenntnis und weil sie immer noch meinen, der Geist sei unabhängig vom Körper ... Kochbücher sind wichtige Quellen. Bestes Beispiel: Bartholomäus Platinas Werk „Von der eerlichen... auch erlaubten Wolust des Leibs" erschien lateinisch 1474, deutsch 1542, hat die Rezepte des Martino da Como übernommen - des, man könnte sagen: Begründers der italienischen Küche, die sonst wohl verloren wären. Es kommt daher wie ein Kochbuch, aber im Grunde es ist ein hedonistisches Manifest. Er preist den überlegten Genuss. Platina war Epikureer - und das als päpstlicher Bibliothekar! Darum kommentierte er auch die Rezepte, besonders in Hinsicht auf Gesundheit, auf ihre Bekömmlichkeit, aber etwa auch der Spermabildung! Als dann später die Köche und nicht mehr Humanisten die Rezepte diktierten, war es mit dieser Prägung vorbei.

Heute, sagt der Historiker und Gastrosoph, Michael Brauer, von der Universität Salzburg, suchen Menschen nach wie vor nach einem erfüllten Sinnesleben - blicken dabei allerdings meist auf andere Kontinente.

Es haben eigentlich knapp 100 Jahre gereicht, um Strom von medizinischem, ernährungstechnischem Denken abzuschneiden, den es seit der Antike gab. Ein Denken, das ein Gleichgewicht im Körper, aber auch von Körper und Seele anstrebte. Mit den aufkommenden Naturwissenschaften wurde das abgekappt, die Seele blieb auf der einen Seite, die harten Fakten standen auf der anderen. Es entstand die Ernährungswissenschaft, die mit ihren Messmethoden, den Menschen in einen anderen Blick nimmt. Da ist für viele Menschen etwas verloren gegangen, deshalb sehen wir heute asiatische Ausgleichslehren, die in den Grundannahmen fast identisch wie die früheren sind. So schaut man heute nicht zurück, sondern auf andere Kontinente, um sich zu inspirieren.

 

Auch das Zentrum für Gastrosophie versucht etwa die Frage „Was ist ein gutes Leben?" zu diskutieren. Dabei beschäftigen sich die Mitglieder mit dem ursprünglichen Gedanken des Hedonismus. Heute hat der Begriff einen schlechten Ruf, sagt Lothar Kolmer, man reduziert ihn auf maßlose Vergnügungssucht.

Wir nennen die bewusstlose Konsummaximierung von heute „vulgären Hedonismus". Denn die unreflektierte Verwendung von „Hedonismus" transportiert immer noch die Abwertung durch die Stoiker und die Kirche mit! Sie „patzten" die Epikureer an. Denn diese suchten das irdische Leben möglichst gut zu gestalten und verschoben die Genüsse nicht auf ein spekulatives Jenseits.

Die Fragen spielten im Hier und Heute; sie tun es noch immer: Wieviel brauche ich wirklich? Auf was kann ich verzichten - sollte ich verzichten? Verzicht kann gut sein, Askese auch - nur nicht um ihrer selbst willen! Verzichte ich auf Fleisch um meiner Gesundheit wegen, wegen der grässlichen Zustände in der Massentierhaltung - oder geht beides zusammen? Wie verhalte ich mich, wenn ich wirklich gut leben will? Solche Überlegungen kann einem niemand abnehmen! Das ist auch die Bedeutung einer solchen Philosophie, dass sie zum Denken ermutigt und ertüchtig: überlegt, was ihr wollt?!

 

Bei den meisten Menschen ist die Ruhe nichts als Erstarrung und die Bewegung nichts als Raserei.

Daran hat sich kaum etwas verändert. Menschen ruhen noch immer nicht in sich, ernähren sich nicht angemessen, leben nicht der Umgebung und den Jahreszeiten angepasst. Obwohl Epikur schon im 3. Jahrhundert vor Christus empfahl, ein Ernährungstagebuch zu führen und Menschen zu gesundem Leben ermutigte.

Gegessen wurde bei Epikur übrigens bevorzugt in einer Mahlgemeinschaft, wo sich Gleichgesinnte und Gleichgestellte zu einem Austausch trafen. Ein freundschaftliches Zusammenleben stand bei der antiken Gemeinschaft im Zentrum.

Im Selbstverständnis der antiken Philosophie findet sich auch der Sorgebegriff: für Menschen wie auch für den Körper und die Seele zu sorgen. Also einen richtigen Umgang für die Gefühle zu finden und in Allem maßzuhalten. Ein modernes Äquivalent gut zu leben, sieht die Glücksforscherin Tatjana Schnell von der Universität Innsbruck in der Slowfood-Bewegung.

Genauso sind Menschen, die für Slowfood zu haben sind, häufig solche, die sich regional, biologisch ernähren, bereit sind mehr Geld zu zahlen, weniger ausgeben für Kleidung. Es ist der Versuch richtig zu leben, mit starker Genussorientierung. Die Suche nach richtigem Leben steckt da dahinter.

 

Lothar Kolmer, der Slowfood ebenfalls positiv sieht:

Im Grunde muss man ein Selbsterziehungsprogramm in Hedonismus starten. Auf dem Weg entdeckt man viele Parallelitäten, es gibt Verbindungen zu Zen, etwa mit der Achtsamkeit auf einfache Dinge, Brot backen etwa. Durch die ruhige Arbeit bist du selbst im Brot, es kommt mit guten Rohstoffen auch für alle etwas Gutes aus dem Ofen. Der Unterschied zwischen Zen und Epikureismus wäre, dass Zen eine metaphysische Ausrichtung aufweist, mit Gottheiten und einem Allzusammenhang. Epikur wäre da skeptisch ...

 

Als wir das Interview geführt haben, war Barbara van Melles Backatelier in der Wiener Hofmühlgasse noch leer. Inzwischen haben die ersten Backworkshops stattgefunden, Kurse, in denen man mit Vollkorn, Dinkel und Sauerteig frisches Brot mit knuspriger Kruste fertigen lernt. Die Sehnsucht nach dem Selberbacken ist groß, sagt die Journalistin und Slowfood-Vertreterin: die Termine sind allesamt schnell ausgebucht.

In einer digitalisierten Welt sind viele nicht mehr in der realen Welt, sondern vor dem Bildschirm ... E-Mails, Excel-Dateien ausfüllen, viel Stress haben. Wenn sie das Notebook schließen, halten sie das Produkt der Arbeit nicht mehr in Händen. Das beim Brotbacken wieder zu erleben, ein reales Produkt in der realen Welt in Händen ..., man knetet den Teig, schwitzt dabei, kriegt Muskelkater, der Raum füllt sich mit unglaublichem Duft, resche Kruste, es schmeckt wahnsinnig gut.

 

Inzwischen gibt Barbara van Melle mit ihrem Kollegen ihr Wissen in Workshops für Erwachsene und ab Juni auch an Kinder weiter. Auch Teams von Hotels, die keine Aufbackbrötchen, sondern selbst gefertigtes Brot anbieten wollen, besuchen die Kurse.

 

In ihrem Buch „Der Duft von frischem Brot" erzählen zwölf Bäcker von ihren Strategien, um beruflich zu überleben. Ihre Rezepte hat Barbara van Melle nachgebacken, für Einzelhaushalte optimiert - und sich vom Brotbackvirus - wie sie sagt - anstecken lassen.

Sie hat das - anfangs skeptisch beäugte - Brotbackfestival 2016 zum ersten Mal organisiert; nach dem überraschenden Erfolg findet es am 10. März inzwischen zum dritten Mal in Wien statt. In ihrer Arbeit geht es ihr darum, auch Kleinstmühlen konkurrenzfähig zu halten, Konsumentinnen und Konsumenten gutes Brot schmackhaft zu  machen und Netzwerke für ein ökologisch-nachhaltiges Wirtschaften zu knüpfen.

Ich glaube, Nachhaltigkeit ist eines der am meisten missbrauchten Worte, überall wird es verwendet. Es kommt aus der Holzwirtschaft, dass man dem Wald nicht mehr Holz entnimmt als natürlich nachwachsen kann! Mittlerweile macht jede Bank, jede Partei, jede Lebensmittelindustrie einen Nachhaltigkeitsbericht: alle sind unglaublich nachhaltig. Das ist eine  leere Hülle; die Menschen können es auch nicht mehr hören.

Auch eine Bioproduktion muss eine ökonomische, eine soziale und eine ökologische Säule enthalten. Was ist das für eine Bioproduktion, etwa in Südspanien, wo Menschen um 350,- € unter unglaublichen Bedingungen arbeiten ...?!

 

Eudämonismus: das richtige Leben, das gelingende Leben, nach dem wir streben können. Bewusst und im Einklang leben ist Voraussetzung dafür, dass man gern mit wenig auskommt und diese Lebensführung nicht als Verzicht empfindet.

Zu dem „Einfachen" gehört für Barbara van Melle neben den einfachen Genüssen die Beschäftigung mit jenen Dingen, die uns grundlegend und nachhaltig ein gutes Leben bescheren. Dazu zählt die Stärkung der kleinräumigen biologischen Landwirtschaften genauso wie der Kampf gegen ein Fortschreiten der Gentechnik. Aber ist Hedonismus ein Luxus für Menschen, die über genug Zeit und finanzielle Mittel verfügen?

Neurowissenschafter erkannten, dass je reduzierter der Lärm umso aufnahmefähiger das Hirn ist. Je mehr Einflüsse, umso schwieriger wird es! Unsere Kinder sitzen dauernd vor Geräten, TV dazu im Hintergrund, das hat überhandgenommen ... Mit finanziellen Möglichkeiten diesen Rückzug antreten zu wollen, hat damit gar nix zu tun. Es ist kostengünstiger in den Wald zu gehen, der kostet gar nix.

 

Luxus bedeutet für Jeden und Jede was anderes. Der kontemplative vergeistigte Genuss steht dem sinnlichen gegenüber. Genießen in sozial höheren Schichten ist formalisierter. Wer gepflegt wenig, dafür exquisit isst, präsentiert sich als Gourmet im Gegensatz zum Barbar, dem Gourmand, der sich riesige Mengen einverleibt.

Karl Michael Brunner beschäftigt sich seit 30 Jahren mit Konsumideologie und erlebt als Slowfood-Anhänger die unterschiedlichen Arten von Genuss.

Wenn ich meine Eltern in ein besseres Restaurant einlade, geht es schief. Sie meinen: so viel Geld für nix am Teller! Sie sind nicht so selbstreflexiv um zu sehen, dass andere Menschen andere Genussformen haben. Ich selbst, ein gesellschaftlicher Aufsteiger, verstehe auch, was es heißt, so zu genießen. Bei meinen Eltern ist Essen ein Thema, das den ganzen Tag relevant ist, nach dem Frühstück, was gibt´s zum Mittagessen, danach: was gibt es zur Jause, zu Abend, ... es ist auch so eine Lust am Essen.

 

Die Erlaubnis zum Genießen bedeutet, dass wir selbst für die Konsequenzen unseres eigenen Handelns verantwortlich sind, sagt der Schriftsteller Franz Schuh. Mit dem Fokus auf dem individuellen Handeln fehlt aber womöglich die Lust, diese Individualität zu verteidigen.

Du musst gleichzeitig schauen, dass du nicht zu fett wirst, zu viel Alkohol zu dir nimmst, dich optimierst, die Abhärtung fällt in dein individuelles Feld, das Problem ist in der Tat: wer soll denn den Hedonismus verteidigen, wenn niemand den heroischen Hang zur Verteidigung aufweist, dazu bedarf es gewisser Härten, die man gegen sich selbst aufbringen muss, da nützt hedonistisches Kaffeetrinken und Glücklichsein nichts.

Der Hedonismus als Massenideologie hat natürlich ein Problem darin, wenn du hedonistisch bis zu einem hohen Grad bist, dann bist du auch nicht in der Lage das System zu verteidigen, das die Voraussetzungen für deinen Hedonismus schafft.

 

Zur staatlich verordneten Selbstdisziplin kommt die selbst auferlegte: die Selbstoptimierung, die über Allem zu stehen scheint, sagt Lothar Kolmer: sei es im Beruf, wo wir rund um die Uhr erreichbar sind oder in der Freizeit, in die wir getaktet Abenteuer wie Erholung und Entspannung pressen.

Ich erlebe es momentan in meinem Dorf. Gerade eröffnete ein Luxushotel, mit entsprechendem Wellnessbereich. Da kommen die Leute mit den großen SUVs angefahren, 800 km, für 2-3 Übernachtungen, sie relaxen, „laden ihre Batterien wieder auf" und leeren sie auf all den Staus die 800 km zurück wieder ... Aber nichts Neues unter der Sonne - der römische Dichter Martial machte sich schon über derlei lustig.

 

Epikurs hedonistische Lehren fordern zur Selbstreflexion auf. Stures Dogma scheint ihm fremd. Er fragt nicht: wie kann ich das Erreichte optimieren? Das, was ich benötige, um keinen Schmerz und kein Leid zu empfinden, ist der Maßstab - diese Gratwanderung ist eine Herausforderung und trägt einen Namen: Lustkalkül, sagt der Historiker und Gastrosoph, Michael Brauer.

Es gibt ein ganz interessantes Experiment mit Kindern zum Lustkalkül. Vor einem Versuchskind wird ein Bonbon hingelegt: wenn du eine Viertelstunde warten kannst, bekommst du noch einen dazu, wenn du ihn jetzt isst, gibt´s keins mehr dazu. Die meisten mitteleuropäischen Kinder haben es nicht hinbekommen, nicht hinzugreifen. Den Genuss zurückzustellen, lernt man im Lauf des Erwachsenwerdens, was anderes ist das gar nicht mit dem Verzichten. Wenn man Lustkalkül sagt, sollte man nicht zu viel den Verstand reinnehmen, weil man das Genießen dann vielleicht auch verlernen kann, das wäre eine Sorge, die ich hätte. Aber epikureisch ist es schon, wegen einer höheren Lust später, momentan zu verzichten.

 

Gesellschaftliche Positionen werden auch über Genussformen abgesichert, ersichtlich wird das aus der Debatte über Übergewicht. Das gibt es die Position: Übergewichtige wie Untergewichtige haben sich nicht im Griff und kosten das Gesundheitssystem bzw. die Steuerzahlenden Geld.

 

Weil Konsum in den letzten Jahrzehnten auch mit Umweltzerstörung und Ausbeutung assoziiert wird, geht es inzwischen auch um ein offensives, richtiges Genießen, sagt der Soziologe Karl Michael Brunner.

Wenn man sich so den Diskurs in der Nachhaltigkeitsszene anschaut, in die Verzichtsdimension gehen, den Fleischverzicht, das mögen die Leute nicht, aber: bewusst genießen, das geht ihnen ein. Früher wurde Genuss am Schluss draufgepickt, jetzt ist der Nachhaltigkeitsdiskurs viel genussbetonter, sich bewusst sein, wie Dinge hergestellt werden, auswählen. Es ist eine andere Bedeutung von Genuss mit gutem Gewissen.

 

Robert Pfaller schreibt:

„Die Mäßigung muss auf sich selbst angewendet werden, weil sie sich sonst in einer Weise verallgemeinert, die sie um ihre Funktion bringt, ja diese sogar in ihr Gegenteil verkehrt: Wer sich maßlos mäßigt, verfällt jenem Exzess, den die Mäßigung vermeiden sollte."

Umgekehrt ernähren sich immer mehr Menschen orthorektisch, zwangsweise gesund, und verachten all Jene, die Ungesundes zu sich nehmen.(1)

Der Wiener Philosoph hält es mit dem Grundsatz Viktor Frankls:

Je mehr der Mensch nach Glück jagt, umso mehr verjagt er es auch schon. Um dies zu verstehen, brauchen wir nur das Vorurteil zu überwinden, dass der Mensch im Grund darauf aus sei, glücklich zu sein; was er in Wirklichkeit will, ist nämlich, einen Grund dazu zu haben. Und hat er einmal einen Grund dazu, dann stellt sich das Glücksgefühl von selbst ein. In dem Maße hingegen, in dem er das Glücksgefühl direkt anpeilt, verliert er den Grund, den er dazu haben mag, aus den Augen, und das Glücksgefühl selbst sackt in sich zusammen. Mit anderen Worten, Glück muss erfolgen und kann nicht erzielt werden.

 

 

Literatur:

Pfaller, Robert: Wofür es sich zu leben lohnt. Elemente materialistischer Philosophie. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2011.

 

Maurnboeck-Mosser3 (74k)

Quellen, Anmerkungen

  1. Pfaller, Wofür es sich zu leben lohnt, 156.  
Photo: Victor Freitas from Pexels https://www.pexels.com/photo/woman-stands-on-mountain-over-field-under-cloudy-sky-at-sunrise-847483/