Insbesondere die Lebensmittelskandale führen zu der Diagnose, dass Verbraucher*innen in Bezug auf die „richtige" Ernährung verunsichert sind. Die politische Antwort auf den BSE-Skandal zu Beginn der 2000er Jahre bestand und besteht seitdem in dem Projekt der Verbraucherbildung nach dem Leitbild des informierten Verbrauchers. Der Artikel verfolgt den Zusammenhang zwischen Information und Verunsicherung sowie zwischen dem Leitbild des informierten Verbrauchers und Lebensmittelskandalen. Die Neuerung in diesem Zusammenhang erweist sich als die Individualisierung von Verantwortung in einem Bereich, der in hohem Maße von Einschränkungen, sozialen Regeln und Kollektivität geprägt ist. An den Anforderungen an die „richtige" Ernährung zu scheitern, wird nach alldem zur Normalität.
1. Einleitung
Die Wahl des Essens scheint zunehmend schwieriger zu werden und immer schneller wechselnden Trends zu folgen. Nach Clean, Raw, Paleo- und Vegan Food Verkostern treten nun Klimatarier auf den (Speise-)Plan, auf dem alles auch noch nach Geschmack, Anlass, Unverträglichkeiten und Preis abgewogen werden muss. Ist Fleisch nun gefährlich für die Gesundheit, verantwortungslos gegenüber der Umwelt, unverzichtbar in einer ausgewogenen Ernährung, aus sozialen Gründen nicht abzulehnen oder aus ethischen Gründen noch akzeptabel? Oder sollten wir nicht lieber gleich fasten? Wo immer ein Übermaß an auswählbarem Angebot herrscht, sind einschränkende Regeln oder Heuristiken hilfreich, welche die Auswahl wenigstens auf ein bearbeitbares Maß eingrenzen und die Moden, welche solche eingrenzenden Regeln anbieten, scheinen umso mehr zuzunehmen, je mehr die Einschränkungen des Ernährungsplans durch verfügbares Angebot und Tradition abnehmen. Zu essen ist lebensnotwendig, doch für moderne westliche Gesellschaften besteht die Gefahr des Essens seit längerem nicht mehr darin, zu wenig zu bekommen und zu verhungern, sondern die falsche Wahl zu treffen. Während die Lebenserwartung und damit vermutlich auch der allgemeine Gesundheitszustand in westlichen Ländern kontinuierlich steigen, verbergen sich in den alltäglichen Lebens-Mitteln immer dämonischere Gefahren: Hinter den zuckrigen Sahnetorten lauern Übergewicht, Diabetes oder gar Depressionen(1), verarbeitetes Fleisch ist als krebserregend gebrandmarkt und regelmäßig stellt sich heraus, dass sich Gifte oder Keime in den schön verpackten Lebensmitteln verbergen oder die Lebensmittel überhaupt nicht aus dem bestehen, was man annahm. Dass im Jahr 2013 in Millionen Fällen Pferdefleisch statt Rindfleisch in Fertiggerichten steckte, offenbarte deutliche Mängel in den verantwortlichen Kontrollsystemen für Produktqualität. Kurz vorher waren tausende Menschen an EHEC-Erregern von ägyptischen Bockshornkleesprossen erkrankt oder hatten sich nach Berichten über die chronische Vergiftung durch Dioxine von Eiern ferngehalten. Die Folgen dieser und jüngerer Skandale lassen sich weitgehend zusammenfassen im Befund einer Verunsicherung der Verbraucher*innen.(2) Der BSE-Skandal - als prominentester unter diesen - gilt trotz der überschaubaren Auswirkung auf die Gesundheit, aber vielmehr aufgrund der medialen Wirksamkeit allgemein als Eckpfeiler, der die Gefahren des Essens ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gebracht hat. Gleichzeitig wird der BSE-Skandal mit einer neuen Verbraucherpolitik in Verbindung gebracht, welche passend zu der Verunsicherung und den alltäglichen Fragen der Lebensmittelwahl die Sicherheit derselben in die Verantwortung informierter Bürger*innen legt.
Der informierte Verbraucher(3) (als Leitbild, und daher im maskulinen Singular) soll nicht in seiner Wahl gegängelt oder bevormundet werden, sondern durch bewussten Konsum nach selbstgewählten Kriterien auf das Angebot einwirken. Konsument*innen sind aufgerufen, eigene Entscheidungen auf Basis individueller Präferenzen und Bedürfnisse zu treffen, wobei diese wiederum unterschiedliche Orientierungen an gesunder und nachhaltiger Ernährung ermöglichen. So mag es nicht nur unterschiedliche Energiebedarfe geben, sondern auch unterschiedliche Abwägungen, welches Risiko und welcher Nutzen sich gegenseitig aufheben. Der eine mag aus diätischen Gründen auf Kohlenhydrate verzichten, eine andere mag Genuss, Sättigungseffekt oder schnelle Energiezufuhr höher gewichten und daher lieber zu Brot und Pasta greifen. In die jeweiligen Nutzen-Riskiokalküle fallen Abwägungen zu Energiebedarf, Gesundheit, Geschmack, Nachhaltigkeit und Ökologie. Man mag sich fragen, wann Konsument*innen nicht bereits ihre Entscheidungen kompetent aufgrund individueller Präferenzen treffen oder getroffen haben. Offenbar gilt nicht jede Setzung von Präferenzen gleich viel. Die Förderung der Eigenverantwortung und Kompetenz zur informierten Wahl setzt vor allem beim Aspekt der Gesundheit an, bei dem - so die mehr oder minder explizite Unterstellung mancher Ernährungsaufklärer - Informiertheit und Entscheidungskompetenz noch unterstützt werden müssen. Das zu wählen, was schmeckt und man gerade essen möchte (Eiscreme zum Abendessen), erweist Verbraucher*innen als geradezu inkompetent und muss wohl eine weitere Förderung der Fähigkeit, selbstbestimmt und informiert über die eigene Ernährung zu entscheiden, auf den Plan rufen. Die Autonomie der Entscheidung ist dabei nicht etwas, was einfach zugestanden wird. Der informierte Verbraucher ist etwas, das erst durch politische Bemühungen aus der Masse der semiinformiert vor sich hin essenden Konsument*innen hervorgebracht werden muss.
Dieses Leitbild wirft eine Reihe von Fragen auf. Hat sich unser Ernährungsverhalten durch Verbraucherbildung geändert? Wie kompetent lässt sich überhaupt speisen? Wie lässt sich Ernährungskompetenz messen? Schützt informierter Konsum vor Gesundheitsrisiken? Noch mehr Fragen werden durch den engen Zusammenhang von Lebensmittelskandalen und der Umstellung der Verbraucherpolitik auf die Förderung des informierten Konsums aufgeworfen, bestehen eben jene Skandale doch hauptsächlich in der Täuschung der Verbraucher*innen oder in der Nicht-Verfügbarkeit der relevanten Informationen für Konsument*innen im Vorfeld. Inwiefern sollen Informationen aus einer Verunsicherung führen, die durch Informationen erst entsteht? Kurz: In welchem Zusammenhang stehen Lebensmittelskandale und die Semantik des informierten Verbrauchers?
2. Die Entdeckung des informierten Verbrauchers
Die Semantik des informierten Verbrauchers taucht nicht nur mit dem BSE-Skandal auf, sie wird explizit mit diesem in Verbindung gebracht. Einerseits wird bemerkt, dass die veränderte Verbraucherpolitik in direkter Reaktion auf die öffentliche Diskussion des Lebensmittelskandals erfolgte. Man könnte in diesem Sinne davon sprechen, dass der BSE-Skandal als „Einfallstor"(4) einer politischen Wende diente. Andererseits wird die Veränderung mit der starken Verunsicherung der Verbraucher*innen im Zuge des Skandals in Verbindung gebracht. (5)Neben organisatorischen Faktoren wie der Neustrukturierung von Kompetenzen im neugegründeten Ministerium für Landwirtschaft, Ernährung und Verbraucherpolitik lag der Schwerpunkt dieser Änderung in der Umstellung der Semantik von -schutz auf -politik. Verbraucherpolitik nach dem Leitbild des informierten Verbrauchers orientiert sich explizit an dem Ziel, die Selbstbestimmung der Verbraucher*innen zu fördern, die Lenkungskräfte des Marktes durch Verbraucher*innen zu stärken um darüber eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung voranzutreiben.(6). Auch die nachfolgende Regierung der großen Koalition führte diesen Kurs fort und wählte im Verbraucherschutzbericht 2008 die Orientierung am Leitbild des „mündigen Verbrauchers"(7). Diese Verbraucherpolitik macht es sich „zur Aufgabe, die Entscheidungsspielräume der Verbraucherinnen und Verbraucher zu sichern und sie für ihre Entscheidungen mit entsprechenden Rechten und Instrumenten zu stärken."(8) Diese Stärkung soll vor allem durch eine verbesserte Transparenz des Marktes erreicht werden. Erst die Verfügbarkeit von Information - so die Idee - befähigt Verbraucher*innen dazu, selbstbestimmte Entscheidungen zu treffen. Auch 2012 wird das gewählte Leitbild von den beiden Aspekten der Selbstbestimmung und der Informiertheit der Verbraucher*innen dominiert, „damit Verbraucherinnen und Verbraucher in unserer komplexen Wirtschaftswelt ihr Konsumverhalten eigenverantwortlich gestalten können."(9) Im Jahr 2016 ist von einem „differenzierte
Die Varianten des Leitbildes des mündigen oder informierten Verbrauchers betonen in leicht unterschiedlicher Wortwahl zwei zentrale Aspekte: Selbstbestimmung und Information. Die selbstbestimmte Entscheidung wie auch die selbstbestimmte Er- und Verarbeitung ernährungsrelevanter Information soll gefördert werden und die Verantwortungsübernahme durch den Verbraucher*innen gestärkt werden. Dies klingt, als wären Konsument*innen der 90er Jahre entweder nicht in der Lage gewesen, selbstbestimmt zu entscheiden oder ihre Selbstbestimmtheit war noch nicht entdeckt worden. Und richtig: Die neue Semantik beinhaltet eine Absage an eine Logik des „Versorgtwerdenwollens"(11). In dem vorhergehenden oder alternativen Verbraucherschutzmodell werde den Bürgern (so die Unterstellung) vorgeschrieben, was sie ihrer Gesundheit zuliebe oder aus ethischen Gründen unterlassen sollen und somit werden sie nicht befähigt, kompetent eigene Entscheidungen zu treffen. Eine bevormundende Lebensmittelpolitik würde durch Setzung der Rahmenbedingungen für eine nachhaltige und gesunde Tierhaltung und Landwirtschaft den unmündigen Verbraucher*innen die Option rauben, sich für das billigere Gammelfleisch zu entscheiden. So kritisieren beispielsweise Eckert, Karg und Zängler am bisherigen verbraucherpolitischen Modell, dass es überwiegend daran ausgerichtet war, Verbraucher*innen „vor der Übervorteilung durch Konsumgüteranbieter zu schützen"(12). Damit sei die Verbraucherpolitik von dem Bild der hilfsbedürftigen Verbraucher*in ausgegangen. Nun werde aber stattdessen „vom klugen, gut informierten Verbraucher ausgegangen"(13), dem allerdings durch Orientierung geholfen werden müsse und der eigentlich auch noch gar nicht existiert (denn sonst müsste man ihn ja weder suchen, noch hervorbringen).
Wie auch Information, Kompetenz und Mündigkeit zu Begriffen zählen, die grundsätzlich etwas Positives (und unendlich Steigerungsfähiges) bezeichnen, handelt es sich auch bei der Semantik des informierten, mündigen oder kompetenten Verbrauchers um etwas, was schwer abzulehnen ist und auch in immer weiterer Steigerung erstrebenswert erscheint. Wer wäre denn schon gegen Selbstbestimmung und Kompetenz? Problematisch scheint lediglich zu sein, dass die Verbraucher*innen sich eben noch nicht informiert, mündig und selbstbestimmt genug ernähren, um der Förderung durch die Politik nicht mehr zu bedürfen. Bislang folgen sie etwa in ihren Ernährungsgewohnheiten mehr lebensweltlichen Produktinformationen, wählen emotional oder essen das Falsche aufgrund von Informationsüberlastung.(14) Studien zum Stand des Ernährungsverhaltens fallen erwartbar eher ernüchternd aus: Nur ein kleiner Teil der Bevölkerung kann als gut informiert, kompetent in Lebensmittelfragen und motiviert zu bewusstem Konsum angesehen werden.(15) Viele Verbraucher*innen müssen gar als „scheininformiert"(16) betrachtet werden. Und auch diejenigen, die als besonders ernährungsbewusst angesehen werden, zeichnen sich weniger durch detaillierte Sachkenntnis als mehr durch die Verwendung von positiv konnotierten Heuristiken (regional, natürlich, am besten vom Bauernhof(17)) aus. Um der Verbraucher*in zu ihrer Mündigkeit zu verhelfen, wird daher eine breite Palette an Instrumentarien in Anschlag gebracht, die Kommunikationswege, Einstellungen zu Ernährung, Involvement sowie Erreichbarkeit für emotionale oder rationale Botschaften(18)beinhaltet.
Die Selbstbestimmtheit der informierten Verbraucher*innen wird also zwar vorausgesetzt (es wird ja von der klugen Verbraucher*in ausgegangen), aber gleichzeitig auch dazu aufgerufen, sich selbst als selbstbestimmt zu begreifen und sich zu informieren. Diese paradoxe Figur des Aufrufs zu mehr Eigenverantwortung bei gleichzeitiger Umstellung der Politik auf die Förderung einer unterstellten, aber noch nicht ausreichenden Kompetenz zu deren Übernahme ist nicht auf den Bereich der Ernährung und des Konsums beschränkt, sondern findet etwa zur gleichen Zeit in verschiedenen Gewändern Einzug in die Semantiken von Politik, Wissenschaft und diversen Handlungspraxen: In ähnlicher Weise funktioniert die Figur des eigenverantwortlichen Bürgers im Bereich Gesundheit(19), des unternehmerischen Selbst(20) im Bereich Arbeit & Wirtschaft, oder der Aktivierung im Bereich der Sozialen Arbeit(21). Es lohnt sich, diese Semantik am Aspekt der Ernährung näher in den Blick nehmen.
3. Mündig und schlank im schlanken Staat
Es ist also zu vermuten, dass der informierte Verbraucher nicht unter der Mehrheit der Bürger*innen, sondern viel eher in einer Semantik gefunden werden kann, die Verantwortung neu adressiert und die Förderung der Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, zur Politik erklärt. Informierte Verbraucher*innen sind weder empirisch die Mehrzahl, noch handelt es sich dabei rein um eine Fiktion. Das Leitbild fungiert, wie das Bild des rationalen Akteurs, des homo oeconomicus oder des unternehmerischen Selbst, als „Chiffre< > für ein höchst praktisches Anforderungsprofil, das angibt, wie sich Menschen als Personen zu begreifen und wie sie zu agieren haben, um am Marktgeschehen partizipieren zu können."(22) Der informierte Verbraucher beschreibt einerseits das, was als Leitziel der Politik hervorgebracht werden soll, andererseits das, woran sich Bürger*innen messen und orientieren sollen und schließlich eine Semantik, die einen Sog erzeugt, welcher bestimmte Verhaltensweisen wahrscheinlicher werden lässt als andere. Daher ist der informierte Konsument auch weder empirisch vorzufinden noch bloß ein fiktives Konstrukt, sondern „die Weise, in der Individuen als Personen adressiert werden, und zugleich die Richtung, in der sie verändert werden und sich verändern sollen."(23) Wie auch bei den anderen Chiffren wäre auch nur schwer anzugeben, inwieweit das Leitbild sich verwirklicht hat, handelt es sich doch in allen Fällen um prinzipiell immer weiter steigerungsfähige Ansprüche. So informiert die Entscheidungen auch sein mögen, es ist immer vorstellbar, dass die Entscheidung noch informierter und besser getroffen werden. Es gibt keine natürliche Grenze, ab der eine Entscheidung als informiert gelten kann. Um Ulrich Bröckling zu paraphrasieren: Informiert und mündig ist man nie genug! Die Logik der Ermächtigung und Aktivierung greift nicht zufällig dort am besten, wo prinzipiell steigerungsfähige Werte wie zum Beispiel Macht, Bildung oder Gesundheit verhandelt werden.
Die Umstellung der Verbraucherpolitik auf den informierten und mündigen Verbraucher erfolgt analog zu den Umstellungen, die unter den Titeln aktivierender Staat oder schlanker Staat firmieren. Ab den 1980ern, aber vor allem mit den Reformen der rot-grünen Regierung um die Jahrtausendwende setzt der Wechsel zum aktivierenden Staat voll ein. Mit ihm verbunden ist vor allem eine Abkehr von der Absicherungs- und Schutzfunktion des „sorgenden" Staates und anstelle dessen die Hinwendung zu Schlagworten wie Selbststeuerung, Eigenverantwortung und Autonomie. Im Sozial- und Gesundheitswesen gilt fortan die Förderung der Selbstaktivität der Bürger als Leitmodell. Jeder Einzelne wird dazu aufgerufen, sich selbst aktiv um die eigene Gesundheit, Arbeitskraft oder das Wohlergehen zu kümmern. Der Staat ändert die Logik seiner Interventionen dahingehend, dass „die subjektiven Wertbezüge sozialen Handelns - Aktivität und Mobilität, Produktivität und Autonomie - zu politischen Steuerungsformeln des individuellen Selbstzwangs in sozialen Absicht verkommen."(24) Sich selbst zu optimieren wird zum ständigen (selbstauferlegten) Zwang. Im Bereich Wirtschaft und Arbeit bedeutet dies die Ausrichtung des eigenen Handelns an ökonomischen Effizienzkriterien(25), in Sozialbereich an der Fähigkeit, sich selbst zu helfen und im Gesundheitsbereich an der Kompetenz, die eigene Salutogenese(26) voranzutreiben. Nicht mehr die häuslich-romantische Tradition des gemeinsamen nahrhaften Familienessens ist nun das Vorbild des richtigen Ernährungsverhaltens, sondern die individuelle, wissensbasierte und rationale Abwägung von Kosten und Nutzen. Im schlanken Staat nehmen Staat und Bürger*innen ab, wobei letztere gleichzeitig an der Verantwortung zulegen, von welcher erstere sich entschlacken.(27) Es geht keineswegs darum, sich (klassisch) liberal aus den Entscheidungen mündiger Bürger*innen herauszuhalten, sondern im neoliberale Modus Bürger*innen als mündig zu entlassen, wenn ihre Selbstzwänge und -techniken soweit integriert sind, dass Eiscreme zum Abendessen als Option nicht mehr in Frage kommt.
Eingriffe sind nur da vonnöten, wo dieses Projekt scheitert und dieses Scheitern wird folgerichtig auf ein Fehlen der Kompetenz zur Selbstoptimierung zugerechnet - unabhängig von allen weiteren Faktoren, welche die Situation bedingen. Selbstverantwortung heißt denn auch vor allem, dass strukturelle Faktoren (unterschiedliche Ausgangsbedingungen, soziales Umfeld, Marktbedingungen) sehr viel schwerer verantwortlich gemacht und adressiert werden können. Dies ist natürlich auch der Vorteil der Programme, insofern diese ja zu bewussterem Verhalten motivieren sollen, allerdings werden dadurch systematisch alle Faktoren ausgeblendet, die der Umwelt zugerechnet werden können und dadurch auch als soziale Ungerechtigkeiten politisch adressiert werden könnten.(28)Die übrigen Faktoren, welche das Ernährungsverhalten bedingen, werden ausgeklammert. Zu Bedenken wären hier beispielsweise schichtspezifische Prägungen und Wertorientierungen oder höhere Kosten für gesundheitlich, ethisch und ökologisch richtigen Konsum, was diese Themen gerade zum Markenzeichen der kulturellen Elite werden lässt. Die Anrufung von Eigenverantwortung dient daher vor allem den bereits Privilegierten, weil es bei entsprechender Vorbildung und Verfügbarkeit von Mitteln leichter fällt, kompetent zu agieren und sich diese Leistung selbst zuzurechnen. Die neue gesellschaftliche Elite zeichnet sich, so ist in den Feuilletons zu lesen(29), durch demonstrative Werthaltungen aus, die natürlich ihren Preis haben. Sich den „richtigen" Konsum leisten zu können, ist zum Statussymbol geworden.
4. Kompetente Ernährung
Dies alles wird noch erschwert dadurch, dass überhaupt nicht klar ist, was überhaupt gesund ist oder der Körper braucht. Abgesehen von Extremfällen (starkes Über- oder Untergewicht, Gifte, Mangelerscheinungen) ist durchaus umstritten und ideologisch gefärbt, was gerade als gesund oder (noch) akzeptabel gilt. Fleisch wird gerne mehr oder weniger fundiert als gesundheitsgefährdend eingestuft(30) und gleichzeitig im Rahmen einer Paleo oder kalorienbewussten Low Carb Diät beworben oder zur Kräftigung des Körpers empfohlen, während aus ethischen und ökologischen (Klimaschutz!) Gründen dazu geraten wird, lieber vegetarisch oder vegan zu essen. In sozialer Hinsicht müsste man gleichzeitig wieder zuraten, ist Fleischkonsum doch aus unzähligen sozialen Ritualen nicht wegzudenken. Ebenso unklar ist, welche Gefährdungen wo und weshalb auftauchen. Der Konsum mag individuell sein, aber weder die Herstellung, noch die Effekte sind es. Das RKI und das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz rieten beispielsweise 2011 dazu, bei der Zubereitung von Geflügel Einweg-Handschuhe zu tragen, um sich nicht mit multiresistenten Keimen zu infizieren, welche aus der Praxis der massiven Vergabe von Antibiotika in der Tiermast entstehen.(31) In diesem Fall sind die Verkoster*innen von grünen Smoothies allerdings schlechter dran, da sich eben diese Keime - auf Salat und Sprossen abgesetzt - schlechter abwaschen und abtöten lassen. Solche kollektiven Effekte werden verdeckt, wenn der Fokus auf individuellem Konsum liegt. Sie lassen schließlich auch Zweifel aufkommen, was man eigentlich gefahrlos oder unbedenklich überhaupt essen könnte? Im Bereich des Klimaschutzes, der Entstehung von Resistenzen bei Bakterien oder der Verunreinigung des Grundwassers tragen die Kosten und Folgen auch die mündigsten Verbraucher*innen.
Die Semantik des informierten Verbrauchers impliziert stattdessen, Verbraucher*innen zeigten bislang einen wenig kompetenten Umgang mit Ernährungswissen. Wir hätten, so Andreas Hensel, derzeit Präsident und Direktor des BfR, den Umgang mit Lebensmitteln verlernt: „Ich denke, die Küchenhygiene und die Verkehrsgewohnheiten beeinflussen heute die Lebensmittelsicherheit sehr viel stärker, als es vielleicht früher gewesen ist."(32) Die beispielhaft herangezogene Großmutter wusste genau, wie ein Hühnchen zubereitet wird, heute bringen die neuen Techniken und Materialien auch neue Fallstricke mit sich: Man könnte glauben, in Alufolie Eingeschweißtes sei steril, man könnte das Fleisch in der Mikrowelle nur auf 55 Grad erhitzen, man könnte es lange im Warmen stehen lassen. „Es ist einfach so: Die Kenntnisse sind verloren gegangen, dass Lebensmittel häufig eben auch leben, wortwörtlich."(33) Eigene Erfahrungen mit Ernährungsverhalten von Großmüttern („Das geht noch, muss man nur den Schimmel abkratzen") und Gleichaltrigen („Ich esse jetzt morgens Leinöl") sind selbstverständlich subjektiv und ersetzen keine Studie. Allerdings, Sicherheit und Sicherheitsstandards waren nie so hoch wie heute.(17) Dass Ernährung heutzutage mit stärkeren Risiken behaftet ist, liegt weniger an der prinzipiellen Gefährlichkeit von Lebensmitteln, sondern an der erhöhten Aufmerksamkeit für die Auswirkungen von Lebensmitteln auf die Gesundheit, für Nachhaltigkeit und Ökologie. Erst wenn Dioxine, multiresistente Keime, Kalorientabellen und Haltbarkeitsdaten unsere Alltags-Welt bevölkern und zu Akteuren unserer Lebenswelt werden, kann jeder Bissen zum Risiko werden. Denn erst dann muss das prinzipielle Nichtwissen der Folgen durch Entscheidungen aufgelöst werden. Jedes Lebensmittel könnte Giftstoffe und gefährliche Keime enthalten oder genau die Nährstoffzusammensetzung, die der jeweilige Körper gerade nicht verträgt. Auf dem informiertesten Stand der Lebensmittelwissenschaften ist man nicht vor Neuerungen geschützt und erweist sich das bisher Richtige als das Falsche. Zudem stiften fachliche Kontroversen Verwirrung. Und wenn die gesamte Ernährung nach den besten Empfehlungen umgestellt wurde, geht man immer noch das Risiko ein, dass die Verdrießlichmachung der sozialen Umwelt durch die wiederholte Zurückweisung von zucker- und alkoholhaltigen Vergemeinschaftungssymbolen nicht mit dem Gewinn an körperlicher Fitness aufzuwiegen ist. Einem Risiko ausgesetzt sein, bedeutet nicht, dass nun schaden kann, was vorher nicht schädlich war, sondern eher, dass der Schaden oder Effekt, der noch nicht ganz absehbar ist, individualisiert wird beziehungsweise in die eigene Entscheidung überführt wird.(35) Doch inwieweit lässt sich durch eine individuelle, informierte Entscheidung ein solcher Schaden vermeiden?
5. Lebensmittelskandale und der informierte Verbraucher
Wenn ein politisches Programm mit einem öffentlichen Problem verknüpft wird, könnte man denken, dass das Programm Skandale dieser Art zu verhindern hilft. Im Falle von BSE und der Figur des informierten Verbrauchers ist der Zusammenhang zumindest zweifelhaft: Konsument*innen zeigen sich beispielsweise durchaus bereit, auf Rindfleisch zu verzichten, sobald das Risiko einer Erkrankung durch Rindfleischkonsum bekannt wird. Sie tun genau das, was ihnen als selbstbestimmte Konsument*innen zusteht: sie verweigern den Konsum von möglicherweise gesundheitsgefährdenden Produkten und diese Konsumverweigerung ruft schließlich als Problem die Politik auf den Plan, welche daraufhin verspricht, die Konsument*innen in dem zu fördern, was sie gerade tun. Auch bei anderen Lebensmittelskandalen ist der Zusammenhang mit Selbstbestimmung und Kompetenz zum informierten Konsum eher schwach ausgeprägt: „Gammelfleisch" wird wohl weniger aufgrund des tatsächlichen Alters des Fleischs als wegen der falschen Angaben auf den Verpackungen konsumiert. Auch Dioxine werden nicht unter den Zutaten aufgeführt. Nichtinformiert waren die Bürger*innen genau in diesen Fällen nicht, weil ihre Kompetenz, die Informationen zu erhalten und einzuschätzen, zu gering war, sondern weil die Informationen um die gefährdende Wirkung des Konsums gar nicht vorlagen. Das Informationsdefizit war also ein prinzipielles und nicht kompetenzbasiert. Im Gegensatz zu bisherigen Aufklärungs- und Präventionsbemühungen geht es bei Lebensmittelskandalen nicht um falsche Vorbildungen oder fehlendes Wissen durch mangelnde Informationskompetenz, sondern um falsches Wissen oder falsche Informationen durch Fehldeklaration oder noch nicht vorhandenes Wissen.
Die Hoffnung, über Informiertheit den Markt zu verändern, rührt eher daher, die Grundlagen der Lebensmittelerzeugung durch die Steuerung der Nachfrage zu ändern. Anstelle der Wirtschaft sind nun die Verbraucher*innen das Ziel der politischen Interventionen, allerdings nicht im Sinne einer Kontrolle oder Reglementierung von Verhalten, sondern als Objekte des Versuchs, die vorbildlichen Subjekte hervorzubringen. In einem idealen Markt, so die Idee, regulieren sich Angebot und Nachfrage insoweit, dass eine Maximierung der Vorteile gerade wegen des Bestehens unterschiedlicher Präferenzen möglich wird. Jede*r kann in so einem Markt nach eigenem Ermessen abwägen, wie viel sie für welche Qualität der Lebensmittel auszugeben bereit ist. Die Stärkung der Verbraucher*innen soll auf lange Sicht dazu dienen, das Ungleichgewicht zwischen Anbietern und Nachfrage aufzulösen.(36) Verbraucher*innen sollen nicht mehr bemuttert und geschützt werden, sondern „auf Augenhöhe mit den Anbietern"(37) gebracht werden. Ein Gleichgewicht zwischen den Interessen der Konsument*innen und der Anbieter könne dann die Marktbedingungen ändern: „Verbraucherpolitik ist so Wirtschaftspolitik von der Nachfrageseite."(38) Dies setzt allerdings eine voll informierte freie Wahl voraus. Abgesehen davon, dass vollständige Information ein unplausibles Konstrukt ist,(39) handelt es sich bei der überwiegenden Zahl an Lebensmitteln um „Lemon"(40)-Güter: Auf solchen Märkten herrscht ein starkes Informationsungleichgewicht, da Verkäufer*innen sehr viel besser über das Produkt und seine verborgenen Schwächen Bescheid wissen. Es gibt in einem solchen Markt keine guten Möglichkeiten, nachzuweisen, dass ein Produkt keine Schwächen aufweist oder von hoher Qualität ist. Wie sollte man vorher schon testen, ob das Ei schmeckt oder Gifte enthält? Dadurch gewinnen auf Lemon-Märkten hauptsächlich Produkte mit niedrigem Preis (und der entsprechenden Qualität), während Produkte von hoher Qualität auch dann schwer absetzbar sind, wenn ein Bedarf für diese existiert. Einen hohen Preis zu zahlen für ein Produkt, dessen Schwächen sich erst nachher zeigen, wäre also ökonomisch unsinnig. Nicht nur ist den Tomaten nicht anzusehen, ob sie Geschmack haben oder nur wässrig sind, oder dem Fleisch, wie alt es wirklich ist und welche Keime sich in ihm verbergen oder welche ethischen und ökologischen Ansprüche bei der Herstellung verletzt wurden. Da den Produkten nicht anzusehen ist, was sich hinter oder in ihnen verbirgt, ist es ebenso ökonomisch unsinnig, in Qualität zu investieren, da diese finanziell nicht honoriert werden kann.(41) Wenn Supermärkte Fleisch zum Marktpreis anschaffen und verpacken, gibt es abgesehen vom Preis keinen nachvollziehbaren Unterschied zwischen dem 1,79 €-Angebot beim Discounter und dem 3,99 €-Produkt bei der Konkurrenz. Weshalb sollte man in der Metzgerei oder auf dem Markt mehr bezahlen, wenn man dort unter Umständen die ausgepackte Ware von Drittanbietern erhält? Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Orientierung am günstigen Preis erfolgt und sich die Standards am Minimum orientieren. Nach einer Reihe von erlebten Skandalen, die fälschliche Etikettierung oder Verwendung von Qualitätssiegeln betreffen, wundert es auch nicht weiter, dass, wie Edda Müller, zu der Zeit Vorsitzende des Verbraucherzentrale Bundesverbandes, kritisiert, Verbraucher*innen die Bemühungen der Wirtschaft in Richtung Corporate Social Responsibility nicht honorieren, den Aussagen der Konzerne misstrauen, im Falle von Krisen den Konsum verweigern und sich ansonsten am Preis orientieren.(42) Der Grund der Umstellung der Verbraucherpolitik scheint weniger darin zu liegen, dass die Steuerung der Nachfrage erfolgversprechend ist, sondern dass die Steuerungsfunktion der Politik bei globalisierten Märkten überfordert ist. Die Umstrukturierung der Betriebe hin zu mehr Massenproduktion mit unter starkem Preisdruck aufgenötigten „Zugeständnissen", welche nicht im Einklang mit ethischen Vorstellungen stehen und ökologisch bedenklich sind, aber eben zu günstigen Preisen gewirtschaftet werden können, erscheint als Zwang der Zeit. Dass hierbei Risiken für die Gesundheit und ein herber Qualitätsverlust der Produkte entstehen, ist nicht überraschend.
Die Unterstellung, Verbraucher*innen seien informiert, frei und mündig, oder haben dies zumindest zu sein, ist nicht neu. Neu ist allerdings die an die Verbraucher*innen gerichtete Erwartung, die Verantwortung zu übernehmen und ebenso die implizit gezogene Verbindung zwischen Lebensmittelskandalen und dieser Forderung. Die Semantik des mündigen oder informierten Bürgers verdeckt ein Problem, um welches es in einer Vielzahl von Lebensmittelskandalen im Kern geht. Die Informationen sind falsch, unsicher oder widersprüchlich: Bislang als unbedenklich geltendes wird zur Gesundheitsgefahr, die Deklaration der Lebensmittel stellt sich als falsch heraus. Die zur Verfügung stehenden Informationen (Preis, Herstellerangaben, Siegel) sind mit massiven Unsicherheiten verknüpft. Das Problem der Lebensmittelskandale ist also an ganz anderer Stelle zu verorten: Bei betrügerischen Praktiken einzelner Wirtschaftsunternehmen, bei fehlender oder mangelhafter Kontrolle der Herstellungsprozeduren und bei der politischen Regulierung der Lebensmittelherstellung, welche jene Praktiken nicht nur ermöglicht, sondern ökonomisch erforderlich werden lässt. Der Konsum hingegen unterliegt Restriktionen: Man weiß nicht viel über das Produkt, man verfügt über begrenzte Mittel an Zeit und Geld und ist in der Notwendigkeit zu konsumieren an das örtliche Angebot gebunden.(43)
6. Die richtige Entscheidung des informierten Bürgers
Die Masse an ökologischen, ethischen oder gesundheitlichen Lebensmittelfragen kann so in die Verantwortung der Verbraucher*innen gelegt werden. Die politischen Rahmenbedingungen mögen dabei unangetastet bleiben, sofern Änderungen nicht im Sinne der Erhöhung von Transparenz und der besseren Durchsetzung der Verbraucherrechte begründet werden können. Konkreter formuliert: Für die menschliche Gesundheit bedenkliche Praktiken werden mit Hinweisen zur Küchenhygiene anstatt mit stärkerer Reglementierung beantwortet und die damit verbundenen Risiken dem Abwägungsprozess des Einzelnen unterworfen. Die Verkürzung der Verantwortung auf individuelle Handlungsträger verschleiert zudem, inwieweit die Bedingungen und Folgen des Konsums kollektiv sind. Die geltenden Regeln und Strukturen definieren die Bedingungen, unter denen gewirtschaftet und mit Erfolg gerechnet werden kann, und die daraus sich ergebenden Erwartungen definieren, welchen Risiken sich der Einzelne durch den Konsum anderer ausgesetzt sehen muss.
Aus der Verunsicherung führt dieser Weg nicht hinaus, sondern nur noch tiefer in sie hinein. Das aktuell zur Verfügung stehende Essen kompetent aus geschmacklicher, gesundheitlicher, ökologischer, ethischer, sozialer (und natürlich auch religiöser) Perspektive zu bewerten, dürfte nach alldem eher als hehres Ideal eingestuft werden und dies nicht nur, weil die Zugänglichkeit zu (glaubwürdiger) Information durch die Marktposition bedingt ist, sondern auch, weil es keine abschließende Menge an Information gibt. Vielmehr gilt: Je mehr Information, desto mehr Unsicherheit. Wenn der Artikel zu Ende gelesen ist, der Paleo empfiehlt, wartet schon die Empfehlung für den nächsten Artikel, welcher vegane Rohkost anpreist. Aus dieser Unsicherheit führt nur die Entscheidung für Regeln, Heuristiken (darunter auch: „worauf ich gerade Lust habe") oder Ernährungsprogramme. Insofern trifft sich die Politik des informierten Verbrauchers mit der allgemeinen Erfahrung des Übermaßes an Selektionsmöglichkeiten und der Notwendigkeit, selektierenden Heuristiken zu folgen. Schwierig wird dies dann, wenn widersprüchliche Logiken (zum Beispiel sozial vs. gesundheitlich, Genuss vs. Sicherheit, Wunsch vs. Preis) kollidieren. Praktisch gesehen, weiß die halbwegs informierte Konsument*in stets, dass sie gerade dem Genuss zuliebe eine schlechte gesundheitliche oder ökologische Entscheidung trifft und dass die entscheidenden Informationen gerade fehlen, aber trotzdem gegessen werden muss. Man beißt ins gut gegrillte Nackensteak (ohne mehr darüber zu wissen, wie der aktuelle Stand der Forschung ist und wo es herkam), man bestellt das nächste Glas Wein, ohne vorher die Leberwerte kontrolliert zu haben, und trifft sich mit den Kolleg*innen in der Kantine für ein Essen, das vermutlich kein Bio-Siegel trägt. Aus dem Dilemma des Nichtwissens, was die richtige Ernährung für den eigenen Körper, die eigene Sozialwelt, die Geschmacksnerven und das moralische Gewissen ist, führt nur eine Entscheidung unter Unsicherheitsbedingungen heraus. Man muss das Risiko eingehen, das Falsche gegessen zu haben, und man muss das Risiko eingehen, am Ende selbst schuld zu sein, da man sich auch anders hätte entscheiden können. Am Ende ist man immer klüger. Der große Gewinn der Semantik des informierten Verbrauchers liegt weniger darin, dass das Handeln der Verbraucher angepasst wird, als darin, dass die Verantwortung verschoben wird auf diejenigen, die nichts Entscheidendes entscheiden können. Die Verbraucher können den Folgen der Ernährungspolitik nicht entgehen, müssen sich aber schlussendlich diese Folgen selbst zurechnen.
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