Was haben Insekten mit gutem Geschmack zu tun? In westlichen Kulturen mag allein die Frage irritieren. Das könnte sich aber schon bald ändern: Die EU hat inzwischen ihren Handel als Nahrungsmittel gesetzlich geregelt und immer öfter tauchen Grillen, Mehlwürmer und anderes Krabbelgetier in den Verkaufsregalen auf. Was diese neuen Produkte bemerkenswert macht, ist neben dem sie umwehenden Ekelfaktor das weltretterische Marketing-Narrativ. Man hört immer wieder, dass Insekten die Nahrung der Zukunft seien. Befördert durch einen viel zitierten Bericht der UN-Welternährungsorganisation(1), verbreitet sich die Annahme, sie könnten vor allem als gesunde und effiziente Proteinlieferanten einen maßgeblichen Beitrag zur Lösung gewaltiger Probleme leisten. Es heißt, als Futtermittel für Nutztiere, aber auch als direkte Nahrungsquelle für den Menschen könnten Insekten globale ökologische Probleme und den Welthunger eindämmen. Nicht nur Medienberichte über die sogenannte „Entomophagie" - so der recht pathologisierende und eurozentrische Fachbegriff für den Verzehr von Insekten(2) -, sondern auch akademische Publikationen, gut besuchte Konferenzen und innovative Firmen schießen seit ein paar Jahren wie Pilze aus dem Boden.
In diesem vorwiegend westlichen Diskurs werden vor allem ökologische Vorteile des Insektenverzehrs referiert und praktische Probleme seiner Etablierung diskutiert, allen voran der weit verbreitete Ekel. Noch immer löst bei der überwiegenden Zahl von Europäern allein die Vorstellung, ein Insekt in den Mund zu nehmen, Stirnrunzeln oder gar Würgereflexe aus. Doch dieses Nahrungstabu ist menschheitsgeschichtlich gesehen eher die Ausnahme - Aristoteles und seine Zeitgenossen schätzten den Geschmack von Zikaden(3), und in manchen Regionen Deutschlands aß man bis weit ins 20. Jahrhundert hinein Maikäfersuppe(4). Zudem werden Insekten bis heute in vielen Kulturen nicht nur freiwillig, sondern oft sogar als wahre Delikatessen verspeist. Das geht zum Teil so weit, dass sie wahnsinnig teuer sind(5) und ihr Verzehr somit ein Distinktionsmerkmal gehobener Milieus darstellt.
Solche Vorbilder als Referenz nehmend, suggerieren viele Akteure der Bewegung - Unternehmer wie Wissenschaftler -, dass die einzige Hürde zum Erfolg der „Insektenlösung" die sei, dass wir im Westen (noch) keine Lust auf Maden und Käfer haben. Dabei wird das Ganze auf eine technische oder bestenfalls psychologische Angelegenheit reduziert: Wie lässt sich die Insektenzucht kostensparend industrialisieren? Wie kann Nahrungsmittelsicherheit gewährleistet werden? Wie verbessert man die restriktive Gesetzeslage? Wie lassen sich mehr Menschen dazu überzeugen, Insekten als normale Nahrung zu akzeptieren? Unerwähnt bleiben dabei Aspekte wie Machtverhältnisse, die sozialen und politischen Dimensionen von globaler Nahrungsmittelverteilung oder auch die oft unterschätzte Komplexität von „Nachhaltigkeit".(6) Aber noch etwas anderes fällt oft unter den Tisch: der „gute Geschmack" selbst. Das ist auch aus der fragwürdigen Weltrettungs-Perspektive schade, denn die Akzeptanz von Insekten als Nahrung hängt weniger von vermeintlich rationalen Argumenten ab als davon, ob sie schmecken.(7)
Kulinarischer Genuss ist zudem an und für sich wertvoll - und bei Insekten genauso ein Thema wie bei anderen Speisen auch. Viele der sogenannten Entopreneurs und Start-ups versuchen zwar durchaus, ihre Insekten-Produkte schmackhaft zu gestalten. Aber meistens orientieren sie sich - ähnlich wie Produzenten vegetarischer Wurst - an konventionellen, gustatorisch eindimensionalen Industrielebensmitteln anstatt das Insekten-Eigene zu entfalten und für sich sprechen zu lassen. Oft geht es immer noch um die sensationsmäßig aufgeladene, moralistisch vermarktete und somit abstrakte Idee, Insekten zu essen.(8) Besonders ausgeprägt ist das etwa bei Burgern oder Energieriegeln aus Insektenmehl, welche ihre „Wunderzutat" einerseits laut feiern, aber im Grunde völlig unsichtbar machen. Solche Produkte verstecken letztlich auch den Geschmack: Sie enthalten aufgrund der relativ hohen Kosten meist einen sehr geringen Anteil an Insekten, der überdies gustatorisch von den anderen Zutaten übertönt wird. Dabei halten Insekten eine schier endlose kulinarische Diversität bereit, die viele (neue) sinnliche Geschmackserfahrungen ermöglicht.
Mehr als eine kalkulierbare Proteinquelle
Insekten sind mit einer Artenzahl im Millionenbereich die weitaus größte Organismengruppe der Erde und allein die bisher etwa 2000 als essbar bekannten(9) lassen sich nicht auf eine homogene Masse von „Proteinlieferanten" reduzieren. Das gilt für Nährwertgehalt(10) und Gesundheit(11) ebenso wie für ihre Schmackhaftigkeit. Zwar könnte man verallgemeinernd von einem eigenen, etwas nussigen Insektengeschmack sprechen. Aber ähnlich wie mit Fleisch, Fisch oder auch Wein und Käse gibt es so viele Varianten, dass das eigentlich nicht viel aussagt. Auch die bei unbekannten Speisen zuweilen gern gegebene Antwort „wie Hähnchen" wäre viel zu vereinfachend - und bezieht sich außerdem auf bereits geschmacklich „verstümmelte" Fast Food-Varianten. Wer mal im Urlaub frittierte Heuschrecken oder bei einem Start-up-Event einen trendigen Insektenriegel probiert hat, weiß deswegen nicht unbedingt viel darüber, wie Insekten schmecken (können).
Aufschlussreich ist ein Blick auf Kulturen, die sich ihre Traditionen des Insektenessens bewahrt haben. Im ländlichen Laos und Thailand zum Beispiel sind weit über zehn verschiedene Zubereitungsweisen für verschiedenste wild gesammelte Arten bekannt.(12) Vor allem früher wurden Mistkäfer (selbst solche, die sich von menschlichem Kot ernähren), Schaben und Vogelspinnen auch roh gegessen. Das ändert sich aber auch in den Ernährungskulturen dieser Länder Südostasiens und zwar in einem Maße, das über rationale Hygienevorstellungen hinausgeht. Während früher Hunderte, wenn nicht gar Tausende Insekten als essbar galten, werden heutzutage tendenziell nur noch bestimmte „Modernitäts-kompatible" und zum Teil züchtbare Arten gegessen - und entsprechend zubereitet. In gewisser Weise stirbt also die lokale, kulturell verankerte traditionelle Vielfalt des Insektenverzehrs aus. Selbst der Genuss beliebter lokaler Klassiker wie Chilipaste mit Riesenwasserwanzenaroma - dessen intensiver Geschmack schwer mit etwas anderem zu vergleichen ist - befindet sich unter den jüngeren Generationen auf dem Rückmarsch. Der moderne Gaumen verlangt - nicht nur in Asien - nach abgeschliffenen, eher „geschmacklosen" Insektenspeisen(13).
Selbst in Öl frittiert und mit Geschmacksverstärkern angereichert, schmecken Insekten jedoch nicht alle gleich und bieten eine unglaubliche Vielfalt an Texturen, Bestandteilen und Geschmack. Besonders wenn man zusätzlich den Einfluss von Faktoren wie Futter, Jahreszeit und Entwicklungsstadium berücksichtigt, wird deutlich, dass allein schon die Frage, ob und wie Insekten schmecken, eigentlich gar nicht zu beantworten ist - zumindest nicht in dieser allgemeinen Form.
Guter Insektengeschmack
Ob man im Zusammenhang mit Insekten als Nahrung von „gutem Geschmack" sprechen kann, ist von vielen Dingen abhängig und letztlich wohl so komplex wie die Thematik als Ganzes. Entsprechend wäre es sinnvoll, nicht mehr von „Entomophagie" zu sprechen, sondern vielleicht differenzierter davon, knusprig-herbe Wanzen, eine zitronig-säuerliche Ameise oder herzhaft-vollmundige Termiten zu kosten. Das geht nur durch Praxis: Je konkreter, sinnlicher und genussvoller eine kulinarische Erfahrung ist, desto subjektiv greifbarer wird der Wohlgeschmack. Andererseits lassen sich sicher auch ein paar „objektive" Kriterien des guten Insektengeschmacks benennen - im doppelten Sinne als Eigenschaften des Verspeisten und des Verspeisenden zugleich.
Da wäre zum einen die Qualität der Insekten selbst. Wie mit anderen Zutaten auch, ist Frische ein wesentliches Gütekriterium. Eine in hochwertigem Öl frittierte, noch warme Heuschrecke kann eine kleine, an delikate Garnelen erinnernde Offenbarung sein. Oder aber sie kann - wenn sie länger in einem unhygienischen Verkaufsstand in der Sonne liegt und langsam ranzig wird -, furchtbar schmecken. Auch die Zubereitung spielt also, wie bei Essen generell, eine sehr große Rolle. Außerdem können Insekten, die mit industriellem Futter gemästet werden, dessen „chemischen" Geschmack annehmen. Daher gelten wilde Exemplare oft als gesünder und schmackhafter - solange sie nicht durch Pestizide vergiftet sind. Viele Insektenfarmen experimentieren aber inzwischen auch mit geschmacksfördernden Maßnahmen - so bekommen Grillen kurz vor der Ernte noch frisches Gemüse gereicht, weil das zu einem angenehmen, süßlichen Aroma beiträgt.
Das hedonistische Gelingen des Insektenverzehrs hängt darüber hinaus vom situativen Kontext und von der Person ab, die sie isst. Essen ist natürlich stets mehr als stoffliche Nahrungsaufnahme - kulturelle, soziale, politische und individuelle Faktoren haben einen kaum zu überschätzenden Einfluss. In einem solch aufgeladenen Fall wie bei Insekten wird das besonders deutlich, zumal aus westlicher, zumeist skeptischer Perspektive. Es ist gar nicht leicht, sich auf „die Sache selbst" zu konzentrieren, wenn die Gedanken darum kreisen, was man sich da gerade in den Mund schiebt. Oder man glaubt gar, eine Mutprobe bestehen zu müssen. Es ist natürlich vollkommen verständlich, wenn man durch seine kulinarische Sozialisation und den historisch gewachsenen Ekel gehemmt ist. Die meisten von uns haben es einfach nicht gelernt, Insekten als Nahrung zu betrachten und sie freiwillig zu essen. Aber wenn man möchte, kann dies nachgeholt werden und mit etwas Übung passiert es irgendwann ganz automatisch, dass man lustvoll an Sechsbeiniges denkt, wenn man Hunger bekommt.
Wer wirklich wissen will, wie Insekten schmecken, für den führt schließlich kein Weg daran vorbei, sie einfach zu probieren. Und zwar möglichst viele verschiedene in unterschiedlichen Zubereitungsvarianten, um zumindest eine Idee von ihrem geschmacklichen Facettenreichtum zu bekommen.
Wer mehr als die üblichen Heuschrecken, Grillen und Mehlwürmer schmecken möchte, hat aber bislang gar nicht so viele Optionen, zumindest was den offiziellen Handel angeht. Im Internet kann man zwar allerlei „Exotisches" bestellen, größtenteils handelt es sich jedoch um gefriergetrocknete oder anderweitig geschmacksverzerrend verarbeitete Insekten. In größeren Asia-Märkten findet man mit etwas Glück tiefgefrorene Seidenspinnerpuppen oder sogar Wasserwanzen, und in manchen Großstädten gibt es auch Insekten-Restaurants. Um aber in den Genuss einer breiteren Palette frischer Insekten zu kommen, müsste man derzeit eigentlich immer noch auf Reisen gehen - zum Beispiel nach Mexiko, Laos oder Burkina Faso. Oder aber man nimmt die Sache selbst in die Hand und beginnt ganz lokal und im Kleinen. So einen regionalen Ansatz vertritt beispielsweise das interdisziplinäre Nordic Food Lab. Es hat ein Insekten-Forschungsprojekt durchgeführt, orientiert am Konzept der „deliciousness". Daraus sind Rezepte entstanden, die Bewährtes und Neues, Fernes und Hiesiges vermischen.(14) Sie sind inspirierend und zeigen: Obwohl der Insektenesserfahrungsschatz bei uns über die Jahrhunderte verkümmert ist, mangelt es nicht an Möglichkeiten, ihn wiederzubeleben. Männliche Bienenbrut zum Beispiel wird von vielen Imkern im Frühsommer aus dem Stock entfernt und weggeschmissen, um das Bienenvolk vor Parasiten zu schützen. Dieser „Abfall" wird in vielen Kulturen als Nahrung sehr geschätzt - und es handelt sich tatsächlich um eine frische regionale Ressource mit großem kulinarischem Potential, das im Grunde nur darauf wartet, erkundet zu werden. Oder wenn abends im Park mal wieder die Junikäfer nerven, könnte man das als Anlass nehmen, sie mit ganz anderen Augen zu sehen: Frisch gegrillt schmecken sie vorzüglich.
Literatur:
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