Seine eigenen kulinarischen Vorlieben betrachtend, ergibt sich ein aufschlussreicher Zugang zu seinem Schaffen.
Soups are like paintings, don't you think? Imagine some smart collector buying up Mock Turtle when it was available and cheap and now selling it for hundreds of dollars a can!(1)
Suppenkunst
Ausgehend von Andy Warhols Campbell's Soup Cans (1962)(2) möchte ich die Bedeutung von Lebensmitteln in Warhols Kunst und Leben sichtbar machen.
Dieses Werk veranschaulicht zum einen die wesentlichen Themenkomplexe, mit denen sich Warhol beschäftigt, zum anderen wird deutlich, dass sich diese sehr gut mit der Darstellung von Lebensmitteln verbinden lassen. Warhol nutzt Lebensmittel als Spiegel für gesellschaftliche Prozesse, die in seiner Kunst sichtbar werden.
Er aktualisierte sowohl die Tradition der Stillleben sowie die spezifische Verwendung von Lebensmitteln in der Avantgarde in der Darstellung der Campbell's Soup Cans. An diesem ikonographischen Werk lassen sich vielschichtige Interpretationsansätze zur Deutung eines alltäglichen Konsumprodukts in der Gegenwartskunst ausführen.
Bei Warhol, dessen Leben sich von seiner Kunst kaum trennen lässt, ist die Betrachtung eines in beiden Bereichen wichtigen Elements sehr aufschlussreich. Ich werde sowohl Warhols Arbeiten, als auch biographische Besonderheiten mit Bezug zu Essen analysieren, um aus einer neuen Perspektive auf diesen bedeutenden Künstler zu blicken.
Warhols Dosen sind Teil einer Kunstbewegung, die zusammengefasst als Neoavantgarde in Europa und den USA die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse verhandelt, insbesondere deren wirtschaftliche Bedingungen, die sich massiv auf das Leben und die Kunst auswirken.
Zur Thematisierung dieser Lebenswelt ist die Verwendung von Lebensmitteln mit Blick auf die historische Avantgarde eine Fortsetzung der Bestrebung Leben und Kunst zu verbinden beziehungsweise die Rolle der Kunst und ihrer Institutionen in Frage zu stellen. Über Lebensmittel wird, wie über kein anderes Konsumprodukt, der veritable Konsum von Waren wie auch der Kunst bis hin zur körperlichen Aneignung darstellbar.
Warhol löst nicht die Kunst im Leben auf, aber er attackiert die Grenzen von Hochkultur und Design. Dazu bedient er sich wie andere Künstler der Neoavantgarde, etwa Daniel Spoerri oder Claes Oldenburg, auch aus dem Bereich des Konsums, insbesondere an Motiven der Lebensmittelindustrie. Die Wahl des Motivs ist nicht willkürlich, sondern im Falle der Suppendosen zumindest nach eigenen Aussagen biographisch begründet: „Because I used to drink it. I used to have the same lunch every day, for twenty years, I guess, the same thing over and over again. Someone said my life has dominated me; I liked that."(3) Und folgte möglicherweise unbewusst dem Werbespruch für diese Suppe aus den 1960er Jahren: „Once a day ...every day...enjoy Campbell's Soup".(4) Warhols Zitat bestätigt, dass er absichtlich seine Person mit seinem Werk in Verbindung bringt. Auf weitere Beziehungen zwischen Leben und Kunst Warhols werde ich später noch eingehen.
In der Darstellung begnügt sich Warhol nicht mit einer einzelnen Dose, sondern portraitiert alle 32 verfügbaren Geschmacksrichtungen der berühmten Dosensuppe und hat damit den Zeitgeist der Industrialisierung in der Kunst etabliert. Die Wiederholung ist wichtiger Bestandteil in Warhols Werk und entzieht diesem nicht seine Besonderheit, denn erst in der Wiederholung konstituiert sich die Warhol'sche Aura, womit Warhol den Bedenken Walter Benjamins mit industrieller Logik begegnet.(5)
Auch damit schließt er direkt an Themen der historischen Avantgarde an. Er attackiert das etablierte Kunstverständnis und stellt den Status der Kunst sowie den des Künstlers in Frage und nutzt diesen gleichzeitig im Sinne eines Starkults für sich. Hier wird ein Paradox ersichtlich: Warhol, der mit der Autorschaft und der Einmaligkeit der Werke spielt wird dennoch oder gerade deshalb zum gefeierten Star. In dieser Hinsicht folgt er Marcel Duchamp, wobei Warhol den Starmythos explizit verhandelt. Ob Starkult, industrielle Massenherstellung, Konsum oder Serialität und Wiederholung, all diese Themen Warhols sind durch die Dosen gegenwärtig.
In der Wahl eines so einfachen Sujets beschwört Warhol seine Macht als Künstler, denn „die Berühmtheit des Künstlers verleiht ihm die Macht, das gewöhnliche außergewöhnlich zu machen"(6). Aber auch dem Starkult des Produkts wird gehuldigt. Zwar geht es um eine billige Suppendose, doch Campbell ist eine bekannte Marke, die mit bestimmten Werten aufgeladen ist. Preisstabilität, Kontinuität in Inhalt und Design sind beliebte Charakteristika in der bunten Warenwelt des American Way of Life und verweisen auch auf einen von Sicherheit geprägten Wohlstand, der sich nun selbst im Wandel befindet.
Dabei erscheint das Wirtschaftssystem des Kapitalismus in der Darstellung der Dosen als Kippbild: Man mag darin Wohlstand für alle erkennen, da nun jeder Zugriff auf günstiges Essen hat, genauso ließen sich die Dosen als Massenprodukt lesen, das dem Konsumenten Wahlfreiheit suggeriert, aber den Rahmen dieser Freiheit von oben diktiert und ihn lediglich mit einer Scheinvielfalt abspeist.(7) Die Dosen vermitteln dennoch den Anspruch auf Equal rights. Warhol selbst verweist darauf:
What's great about this country is that America started the tradition where the richest consumers buy essentially the same things as the poorest. You can be watching TV and see Coca-Cola, and you know that the President drinks Coke, Liz Taylor drinks Coke, and just think, you can drink Coke, too. A Coke is a Coke and no amount of money can get you a better Coke than the one the bum on the corner is drinking. All the Cokes are the same and all the Cokes are good. Liz Taylor knows it, the President knows it, the bum knows it, and you know it.(8)
Er beschreibt im Anschluss eine ähnliche Geschichte über einen Hot Dog, den Präsident Eisenhower für 20 Cent der Queen kauft. Diesen besten Hot Dog gebe es nur für 20 Cent und kein Geld der Welt könne einen besseren beschaffen, da dieser beste eben nur 20 Cent koste.(9) Das mag so stimmen, er unterschlägt aber, dass es ganz andere Lebensmittel gibt, über die man sich auch in einer industrialisierten Gesellschaft sozial distinguieren kann. Doch es sind diese amerikanischen Produkte, deren demokratisches Potential Warhol faszinieren. Weshalb Warhol dennoch annimmt auch der Präsident oder die Queen wollten am liebsten diesen für alle gleichen Hot Dog essen, lässt sich mit seiner Herkunft erklären, denn möglicherweise konnte sich Warhol, das Kind einfacher Arbeiter, nichts Attraktiveres vorstellen, als Hot Dog und Cola. Auf Warhols Bezug zu Lebensmitteln werde ich noch näher eingehen. Ob er mittels der Dosen zynisch auf die Massendemokratie Amerikas blickt oder die demokratischen Aspekte des Massenkonsums feiert - beides kann mit diesem Werk begründet werden, seine eigenen Aussagen sowie sein Lebensstil verweisen eher auf letzteres.
Die Dosen stehen gleichzeitig für einen Rückblick auf eine Zeit, die von stabilen Werten geprägt war, die sich nun wandeln wird. Sie sind ein Stillleben, das ein Innehalten fordert und den Blick noch einmal in die Vergangenheit lenkt. Die Dosen sind eben kein bedrohlicher Hinweis auf eine sich entwickelnde Food-Industrie, deren Abbild in Dosenform im Gegensatz zu den sinnlichen Stillleben vergangener Jahrhunderte steht. Sie werden im Gegenteil selbst zum Vanitas Symbol einer ‚guten alten Zeit'.(10)
Warhol vollzieht technisch ebenfalls einen nostalgischen Rückblick, denn nicht nur die Campbell's Dose selbst, auch die formale Gestalt deutet auf eine Zeit im Umbruch, weg vom handwerklich hergestellten Produkt, hin zur maschinellen Fertigung, die sich auch im Lebensmittelbereich vollzogen hat. Warhol hat die Dosen von Hand, im Stile einer gedruckten Reklamegraphik gefertigt, in der scheinbar maschinellen Wiederholung zeigen sich individuelle Unterschiede. Dadurch wird in diesem Werk der Wandel selbst formal ausgedrückt.(11) Später verwendet er beim selben Motiv den Siebdruck ohne weitere manuelle Fertigung. Nur zu gern bedient er sich der durch die Industrialisierung gegebenen neuen Möglichkeiten und gibt sich ganz pragmatisch: „Technische Mittel sind aktuell, und indem ich sie verwende, kann ich mehr Kunst zu mehr Leuten bringen. Kunst sollte für Jedermann erreichbar sein."(12)
Im Grunde eifert Warhol dem industriellen Suppenhersteller Campbell nach: Seine Kunst soll wie die Suppe massenhaft allen Kunstkonsumenten zur Verfügung stehen.
Damit überschneiden sich Inhalt und Form des Werks mit der Überzeugung des Künstlers, der seine Bilder zur Massenware macht und den Status des Kunstwerks in Frage und seinen Warencharakter ausstellt. Er nimmt nicht nur die Ikonographie und industrielle Herstellung des Produkts in seine Kunst auf, sondern auch dessen inhärenten Bezug zum Wirtschaftssystem des Kapitalismus.
Deutlich betont wird dieser Bezug in der Ausstellung des Werkzyklus in der Ferus Gallery: Konsequenterweise werden die Bilder wie Produkte ausgestellt und zum Einheitspreis von 100 $ verkauft.(13) Die Galerie wird zum Supermarkt, die Ihre Kunst als Massenware verkauft. Zwischen Alltagsprodukt und Kunstwerk bestand bisher ein sehr großer Unterschied, der schon von Duchamp hinterfragt wurde und nun erneut durch Gleichsetzung attackiert wird. Nebenbei macht sich Warhol die Werbung für ein Massenprodukt zu Eigen und kehrt deren Kommunikationslogik um. Das Produkt steht nun für Ihn, den Konsumenten Andy Warhol. Abbildung 1: Original Campbell's Suppendose (Foto: Felix Bröcker)
Weitere Werke
Warhol ist kein Künstler der Eat Art; Werke mit Bezug zu Lebensmitteln sind in seinem Schaffen jedoch zahlreich. Dabei ist das Essen oftmals nur ein Randaspekt, aber die vielfältige Thematisierung in seinem Werk, die ich hier aufführen möchte macht deutlich, dass eine Betrachtung unter diesem Aspekt aufschlussreich ist.
Die Beschäftigung mit Essen beginnt bereits während seiner Zeit als Werbegraphiker. Warhol hat 1959 das satirische Kochbuch Wild Raspberries(14) illustriert und gemeinsam mit Suzie Frankfurt herausgegeben. Bei diesem Projekt war auch Warhols Mutter beteiligt, sie schrieb die Rezepte in ihrer Handschrift nieder. Warhols Illustrationen wurden von Schulkindern koloriert.(15) Dieses Werk hat dadurch einen sehr individuellen Stil, den nicht Warhol als Künstler allein ausführt, sondern durch den von ihm gesteuerten Herstellungsprozess produziert wurde. 1961 hat er ein weiteres Kochbuch Amy Vanderbilt's Complete Cookbook(16) als Auftragsarbeit mit schlichten Darstellungen illustriert.
Vor der Campbell's Serie portraitierte Warhol bereits andere Dosen: 1960 Peach Halves und ebenfalls bereits 1960 eine erste einzelne Campbell's Soup Can Tomato Rice(17). Nach seiner Darstellung der 32 Campbells Dosen folgten mehrerer Variationen dieses Motivs. Er widmete sich auch anderen Lebensmitteln des Massenkonsums, so sind verschiedenste Versionen von Coca Cola Flaschen, ein Hamburger und Kellogg's Corn Flakes Boxen in seinem Werk vertreten.(18) Sie alle sind nicht beliebige Lebensmittel sondern Ikonen des American Way of Life. Im Rahmen seiner Disaster Series gibt es einen Rückgriff auf Lebensmitteln in Dosen. Das Tunafish Disaster portraitiert ein Massenlebensmittel als todbringendes Produkt.(19) In seinen Oxidation Paintings, die mit Urin gefertigt wurden nimmt er indirekt Bezug zu Lebensmitteln, zumindest gab es Überlegungen, was zu trinken und essen sei, um optimale Farbergebnisse zu erhalten.(20) Ebenfalls mit dem Tod assoziiert ist The Last Supper. Warhol übernimmt das Motiv von Leonardo da Vinci, das Jesus beim letzten Abendmahl zeigt. Tatsächlich ist dies auch Warhols letzte Werkreihe.(21)
Auch seine Filme nehmen Bezug auf den Themenkomplex Essen. In Eat (1963) isst Robert Indiana über 39 Minuten einen Pilz (Mushroom). Hier wird sowohl auf die Einnahme von Drogen verwiesen als auch auf Robert Indianas Diptychon Eat Die, welches auf postmoderne Weise die Vanitas Stillleben zitiert.(22) Der überlange Prozess des Verspeisens verweist auf die schon im malerischen Werk thematisierte Serialität und Wiederholung.(23) Es folgten der unveröffentlichte Film Restaurant (1965)(24), im selben Jahr Kitchen (1965) und später Eating too fast (1966) der deutlich sexuell konnotiert ist und zunächst Blow Job 2 hieß. The Nude Restaurant (1967) bricht mit den nackten Darstellern erneut gesellschaftliche Tabus. Eine sexuelle Anspielung ist auch die Wahl der Banane als Albumcover von Velvet Underground, die beim Original Album schälbar war und eine pinkfarbene Banane entblößte.(25)
Warhol nahm zahlreiche schwarz-weiß Fotos auf. Dabei machte er immer wieder Aufnahmen von gedeckten Tischen, oder von den Überresten nach einer Mahlzeit. Sowie sich die Campbell's Soup Cans als moderne Stillleben lesen lassen, trifft dies auch für die Fotografien zu. Allerdings ist hier das Medium modern, wohingegen der Inhalt deutlich an Stillleben erinnert, die ein Memento Mori evozieren.(26) Wie zum Beispiel das Bild Room Service Tray(27) Die Polaroids zeigen in farbigen Abbildungen Bananen, einzeln oder in Gruppen fotografiert wie Bananas.(28)
Im Rahmen einer Werbung für das Restaurant Schrafft's in New York erstellte Warhol 1968 einen TV Spot für einen Sundae.(29) Dass Schrafft's ihm persönlich als Restaurant gefällt, beschreibt er in seiner Philosophy: „The old-style Schrafft's and the old-style Chock Full o'Nuts are absolutely the only things in the world that I'm truly nostalgic for."(30)
Keine Werbung, sondern eine Sequenz aus dem Film 66 Szenen aus Amerika (1982)(31) von Jørgen Leth ist die Sequenz, die Warhol zeigt, wie er einen Hamburger verspeist. Es ist ein ikonographisches Bild, das ein weiteres Mal die Verbindung Warhols zu Amerika über Lebensmittel darstellt. In diesem Fall aus Sicht eines dänischen Filmemachers.(32)
Warhols kulinarische Vorlieben
Die bereits genannten Zitate belegen, dass die Person Warhol nicht von seinem Werk zu trennen ist. Er verhandelt die amerikanische Gesellschaft und ist als Star selbst Teil seiner künstlerischen Auseinandersetzung. Seine eigene Beschreibung gesellschaftlicher Umstände am aufgeführten Beispiel von Coca-Cola und Hot Dog legen eine gewisse Bewunderung Warhols, der die Demokratie, die sich über diese Produkte ausdrückt schätzt, für Amerika nahe. Sein Hinweis auf den häufigen Konsum der Campbell's Suppen verweist auf das Essen im Umfeld seiner Familie, die als Einwanderer nach Amerika kamen und zunächst in einfachen Verhältnissen lebten.(33)
Im Folgenden werde ich weitere Zitate von Warhol zum Thema Essen auflisten und kontextualisieren. Auch wenn deren Wahrheitsgehalt bei Warhol nicht immer gesichert ist, da er, wie der Kunsthistoriker Benjamin Buchloh beschreibt, im Sinne Duchamps mit Aussagen spielt(34), so belegen die Anzahl seiner Kommentare einen gewissen Stellenwert der Thematik und Warhols Spiel mit den Medien belegt ein weiteres Mal, dass er selbst Teil seines Werks ist. Er wird dadurch selbst legitimer Gegenstand einer Untersuchung, die seine Essvorlieben zur Erschließung seines Werks heranzieht.
Andy Warhol spricht in seiner Philosophy wiederholt sein Verhältnis zum Essen an. Er war häufig mit den Mitgliedern der Factory unterwegs und aß viel in Restaurants. Wie er dennoch schlank bleiben konnte, beschreibt er als „Andy Warhol's New York City Diet": „<... > when I order in a restaurant, I order everything that I don't want, so I have a lot to play around with while everyone else eats."(35) Er macht sich ohnehin nicht sehr viel aus ‚teurem Essen in Restaurants:
It's strange the way having money isn't much. You take three people to a restaurant and you pay three hundred dollars. Okay. Then you take those same three people to a corner shop ‚shoppe' and get everything there. You got just as filled at the corner shoppe as at the grand restaurant ‚more, actually' and it cost you only fifteen or twenty dollars, and you had basically the same food.(36)
Für Warhol sind teure Restaurants offensichtlich unnötiger Luxus. Ihm geht es auch dort um die Erfüllung eines Grundbedürfnisses und nicht um das kunstvolle Zelebrieren einer Mahlzeit. Er ist in Bezug auf die Einfachheit seiner Ernährung noch radikaler. Während der Wohlstand einer Gesellschaft verbunden wird mit einem prozentual hohen Anteil an Protein in der Ernährung, steht eine kohlenhydratreiche Kost für einfachere Klassen. Warhol betont genau das: „<...> all I ever really want is sugar. The rest is strictly for appearances. <...> People expect you to eat protein and you do so they won't talk."(37) Warhol selbst liebt das Junk-Food Amerikas. Es scheint ihm alle Menschen gleich zu machen, nicht zuletzt ihn selbst, und darüber hinaus sein eigentliches Interesse an Zucker zu befriedigen. So lassen sich seine bewusst ausgestellten Vorlieben mit Pierre Bourdieu(38) als klare Bekenntnisse zu seiner Herkunft aus einfachen Verhältnissen lesen. Denn erlernte Vorlieben sind insbesondere im Bereich der Ernährung fest verankert. Warhol ist sich dieser Klassenunterschiede bewusst, wenn er ausführt:
The rich have many advantages over the poor, but the most important one, as far as I'm concerned, is knowing how to talk and eat at the same time.<...> The rich somehow manage to work it out but I just can't do it.(39)
Warhol identifiziert sich indirekt über seine kulinarischen Vorlieben, aber auch direkt, wie obiges Zitat deutlich macht, nicht mit den Reichen der amerikanischen Gesellschaft, gleichwohl er bereits durch seine Arbeit als Grafiker gut verdient hatte. So wie sich Warhol nicht mit den Reichen identifiziert, ist sein Umgang mit Essen auch dahingehend von seiner Herkunft geprägt, dass er keine Reste dulden kann: „My conscience won't let me throw anything out, even when I don't want it for myself".(37) Er lässt sich Essensreste auch in guten Restaurants mitgeben, um diese an Bedürftige auf der Straße zu verteilen.(41) Trotz seines Geldes hat er weiterhin eine Vorliebe für einfaches amerikanisches Essen, was wie beschrieben mit seiner sozialen Herkunft begründbar ist:
O'Brien: What do you like to eat?
Warhol: Just plain food. Plain American food.(42)
Anderes ist im gar suspekt:
The dinner was so bad. What ruined food in America? Was it those magazines like Good Housekeeping and Family Circle and McCall's? They could have great simple steak-and-potatoes dinners and instead they have these fancy concoctions. Like veal with tuna sauce on top of it and capers.(43)
Das im Zitat angesprochene Vitello Tonnato gilt als sehr feine italienische Vorspeise, kann aber Warhol als Redundanzesser(44) nur wenig beeindrucken. Amerikanisches Essen scheint nicht einfach nur eine geschmackliche Vorliebe zu sein, sondern ist eng verknüpft mit den demokratischen Werten, die er darin erkennt:
The most beautiful thing in Tokyo is McDonald's. The most beautiful thing in Stockholm is McDonald's. The most beautiful thing in Florence is McDonald's. Peking and Moscow don't have anything beautiful yet. America is really the Beautiful, but it would be more beautiful if everybody had enough money to live.(45)
Aber Andy Warhol setzt sich auch konkreter mit Essen auseinander, so gibt er ein Rezept für Kuchen an: „You take some chocolates ... and you take two pieces of bread...and you put the candy in the middle and you make a sandwich of it. And that would be a cake."(46) Und er hat sich Gedanken darüber gemacht, Fast Food zu entwickeln: „I want to invent a new kind of fast food, and I was thinking, what about a waffle thing that had the food on one side and the drink on the other-like ham and Coke? You could eat and drink at the same time"(47) Trotz seiner Vorliebe für Fast Food kann er die Verwendung von Dosenlebensmitteln im Rahmen einer ambitionierten Küche nicht verstehen:
I know good cooks who'll spend days finding fresh garlic and fresh basil and fresh tarragon, etc., and then use canned tomatoes for the sauce, saying it doesn't matter. But I know it does matter.(48)
Das sollte den Liebhaber von Cola und Burgern eigentlich nicht stören, aber er erkennt darin eine Inkonsequenz, die man ihm selbst nicht nachsagen kann. Im Gegenteil er betont immer wieder seine Vorliebe, nicht nur für amerikanisches Essen, sondern auch für die damit in Verbindung stehenden Etablissements:
My favorite restaurant atmosphere has always been the atmosphere of the good, plain American lunchroom or even the good, plain American lunch counter <...>. Progress is very important and exciting in everything but food.(49)
Er tritt geradezu als Bewahrer der guten alten Zeit auf, der sich vehement gegen einen Wandel ausspricht. Warhol hat nicht nur Konserven portraitiert, sondern möchte, wenn es ums Essen geht, selbst konservieren. Diese Verknüpfung von Essen und Nostalgie bestärkt die Interpretation der Campbell's Dosen als Rückblick auf eine behütete, sichere Zeit in den 1950er Jahren Amerikas. Warhol ging so weit, dass er aufgrund seiner persönlichen Vorlieben eine eigene Restaurantkette gründen wollte: „I really like to eat alone. I want to start a chain of restaurants for other people like me called ANDY-MATS-‚The Restaurant for the Lonely Person'. You get your food and then you take your tray into a booth and watch television."(50) Der Name Andymat der an die Speiseautomaten ‚Automats' der 1930 erinnert drückt ein Lebensthema Warhols aus, selbst Maschine sein zu wollen. Dass er gerade beim Essen, dem sozialen Moment zwischen Menschen allein sein möchte betont er erneut in einem Interview mit Jordan Crandell:
JC: Who is your favorite Dinner Companion?
AW: The TV(51)
Andy Warhol belegt in all diesen Zitaten ein eng an seine Herkunft geknüpftes Verständnis davon, wie Essen sein soll. Im Gegensatz zu seiner Kunst bleibt er im Kulinarischen konservativ und lehnt jedwede Weiterentwicklung sogar ab. Er betont immer wieder seine Vorliebe für einfaches Fast Food und beschreibt seine Erfahrungen in den luxuriösen Restaurants im Beisein seiner illustren Begleiter als ihm immer noch fremde Welt, in der er nicht zu Hause ist und sich fremd fühlt, weshalb er sich zum Essen lieber allein vor den Fernseher zurückzieht.
Es sind diese Aussagen Andy Warhols, die die Darstellung der Campbell's Soup zum persönlich geprägten nostalgischen Blick zurück werden lassen. Zurück zur Geborgenheit seiner sorgenden Mutter, zu der er zeitlebens ein sehr enges Verhältnis hatte. So lässt sich seine Darstellung eines gesellschaftlichen Wandels in Form eines modernen Stilllebens auch auf persönlicher Ebene nachvollziehen. Es wäre verkürzt, das Werk nur durch die persönliche kulinarische Prägung des Künstlers verstehen zu wollen, dennoch ist es aufschlussreich, sich diese Perspektive anzueignen, um Hinweise, die bisher wenig beachtet wurden, zu entdecken und für ein Verständnis seines Werkes fruchtbar zu machen.
Warhol verhandelt über Suppendosen den Status von Künstler, Kunst und Konsum in der Gesellschaft und stellt gleichzeitig deren Status quo aus.
Letztlich sind seine Werke derart gegensätzlich interpretierbar, dass Aussagen über diese mehr über den Kritiker selbst als über das Werk sagen. Das Werk wird zum Spiegel - wie Warhol in seinen unzähligen Interviews.(52) Wesentlich eindeutiger ist Warhols Bezug zum Essen. In Interviews, Tagebucheinträgen und seinen Büchern bestätigt er wiederholend seine Vorliebe für einfaches amerikanisches Essen. Warhol, der als Kind von Einwanderern als Andrew Warhola in Pittsburgh aufwuchs, gibt sich als Fan eines Landes, dessen Produkte ihn dermaßen begeistern, dass er sich mit Bildern seiner Lieblingsmarken umgibt.
Sein Werk deckt sich dahingehend mit seinem Leben. Auch wenn sich Warhol nur inszeniert und er seine Kunst bzw. sein Verständnis davon einfacher darstellt als es ist, so tut er dies konsequent, bis hin in den Alltag zu seinem täglichen Essen. Warhol bekennt sich zu Fast Food und äußert sich gegen eine verfeinerte Küche, die sich elitär gibt. Das entspricht exakt seinem Verständnis von Kunst, die für alle verfügbar und nicht einer kleinen Gruppe vorbehalten sein soll.
Die thematische Auseinandersetzung mit Lebensmitteln lässt sich bei Warhol unterschiedlich fassen. Sie findet zum einen in seinem Leben und Werk statt und steht zum anderen im Rahmen der Pop Art in der künstlerischen Tradition der Avantgarde, die auch im Rückgriff auf Lebensmittel Kunst und Leben verbinden wollte. Warhol hat für sich diese Verbindung konsequent vollzogen, wie sich am Beispiel der Suppendosen aber auch darüber hinaus gezeigt hat.
Küche und Kunst verbinden sich für Gourmets meist durch perfektes Handwerk und teure Zutaten. Jenseits rein kulinarischer Aspekte zeigen Künstler wie Andy Warhol, was Kochen und Essen mit Kunst zu tun haben. Die nächste Dosensuppe darf ebenfalls kunstvoll genossen werden.
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