Der Guide Michelin warnte: alles voll, keine Parkmöglichkeit, außerhalb suchen... Das wollte ich doch sehen und folgte munter den Wegweisern: „Zur Grotte", quer durch die Stadt. Über die dortigen Bauten breiten wir den Mantel christlichen Schweigens. Am Ende gab es einen kostenlosen Parkplatz direkt oberhalb der Grotte. Wenn das kein Wunder ist. So stieg ich hinab zu ihr und sah andächtig den Wallfahrern zu, wie sie mit den Händen die Wände entlang strichen, Blumen niederlegten. Unzählige Kerzen brannten in Eisengestellen. „Die Kerze verlängert Dein Beten", stand in allen möglichen Sprachen da, nur nicht in deutsch; im Norden glaubt man anscheinend nicht an stellvertretendes Beten. Das angebotene Baden im Heilwasser-Becken lehnte ich aus Zeitmangel ab. Den Rest zu Lourdes kann man in der „Pyrenäenreise" von Kurt Tucholsky nachlesen.
Danach ging es über eine schön ausgebaute Schnellstraße, vorbei an geschwindigkeits-lasernden Polizisten (als Tourist hat man Zeit), in die sieben Täler mit Argelès-Gazost als Zentrum. Es ist ein bisschen wie bei uns innergebirg. Naturpark. Hohe Berge. Hingetupft viele weiße Schafe, hineingestellt einige braune Kühe. Die Tiere stehen im Winter unten in den Tälern, ziehen im Frühjahr in die mittlere Lage und im Sommer ganz hinauf und dann alles rückwärts herunter, manche auch auf der „Transhumance" bis Spanien. Ganz oben zieht es mächtig, aber das Panorama ist umwerfend. Berge, Täler, viel Landschaft, keine Bauten, nicht mal Skilifte. Bunte Männer, überwiegend in besseren Jahren, erarbeiten sich die Pässe, etwa den Tourmalet, im heftigen Schweiße. Mehrere Gipfel aus der „Tour de France" locken. Mountainbiker haben über 1000 km Pisten und Langläufer ihre Loipen, sogar „tiefschwarze": in ca. 1200. m Höhe, dann 39 km über einen Pass. So was wie Obertauern auf Französisch existiert auch. Insgesamt eine schöne, sanfte Ferienregion mit all den alpinen Angeboten, Wandern incl. Zum Relaxen hinterher sprudeln heiße Quellen in mehreren Thermalbädern, mit südlichem Kurpark und Spielkasino.
Die Leute leb(t)en von der Schafzucht einer eigenen alten Rasse, der Barèges-Gavarnie. Die Tiere wurden im Herbst nach dem „Almabtrieb" an die Händler und Metzger verkauft. Jetzt reisen sie in Lastwagen, der abgekommene „Almabtrieb" wurde deswegen touristisch erneuert, heißt jetzt „Fest des Koteletts". Davon werden im September an die 10 000 Portionen verkauft. Das Schaf gibt Fleisch, Wolle und Milch. Wir besichtigen eine Käserei, mit Heustall, Schafstall, der Produktions-Werkstatt und dem Reifelager, begleitet von vielen Fliegen, einer netten Katze und drei etwas verschüchterten Hunden.
Diese Trias von Hunden kommt dort öfters vor. Früher, bevor Bären und Wölfe ausgerottet waren, brauchte es große, massive Herdenschutzhunde, genannt „Patou", weiß wie, aber höher als ein Schaf, weit über den 50 kg. Sie taten zu zwei oder dreien ihren Dienst, um der ausgefeilten Beutestrategie der Wölfe begegnen zu können. Die Treibarbeit verrichteten die Hütehunde, die Bergers des Pyrénées, genannt „Labrit", wahre Energiebündel, braun oder grau, kleiner und kürzer als die englischen Border Collies, die sich jetzt ausbreiten. Auch Hunde werden von Änderungen des „Anforderungsprofils" getroffen - und arbeitslos. Sie mussten früher allein hoch oben in den Bergen leben, das prägte ihren Charakter. Jetzt passt der auf Menschen bezogene Border Collie besser. Die kleinen Bergers wurden gute Familienhunde, ihre Energie braucht nur viel Auslauf. Wer Hütehunde mag, der muss sich im September nach Argelès-Gazost aufmachen, da finden sich alle Rassen an einem Wochenende versammelt.
Kulinarisch dominiert das Schaf, daraus lassen sich viele Gerichte zubereiten. Über dieses und noch mehr sprach ich mit Meisterkoch Jean-Pierre Saint-Martin, vor einem üppigen Mittagessen; danach hätte ich es nicht mehr gekonnt (Mise en bouche, Pressée de joue de porc au foie gras..., Gambas bichonnées au Noir de Bigorre, Rouelle d'agneau..., Avant dessert, Sablé, mouseline au citron, fraises...)
Ko.: Wie sieht Ihre Küchenlinie aus?
M.St.: Ich sehe mich als Repräsentanten meiner Region. Wir müssen für ein regionales Image sorgen, sonst stirbt die Landwirtschaft. Wir nehmen die Produkte, die traditionellen Rezepte und interpretieren diese neu. Hier werden Schweine und Schafe nach klaren Richtlinien gezüchtet. Der Konsument muss Vertrauen haben. Unsere Schafe werden sogar in Paris vermarktet. Das hat zwar gedauert, weil viele Restaurants vordem lieber die aus Neuseeland einkauften...
Ko.: Wir sind hier sehr auf dem Land, ist es da schwieriger mit einem Restaurant?
M.Sr.: St. Ohne Zweifel. In den Zentren können es sich die Restaurants einfach machen, die Touristen fallen rein und verschwinden wieder. Uns gibt es seit sieben Generationen, wir sind ein Familienbetrieb und leben mit von unserem Ansehen, dass wir die „Wahrheit auf den Teller" bringen, einfache Produkte, verfeinerte Gerichte.
Ko.: Zu einem Stern wird man es sowohl nicht bringen?
M.St.: Sicher nicht. Aber wir stehen für das, was wir machen. Das ist eine andere Linie und Liga als die Sternrestaurants. Journalisten besingen diese Köche, die fühlen sich dann so groß, dass sie durch keine Tür mehr passen. Aber was sie machen, das machen doch all die andern auch in Europa.
Ko.: Das ist uns auch aufgefallen, wie gleich überall diese Küche ist, die schauen anscheinend im internet nach ...
M.St.: Doch das verstellt den Blick auf die Realität in Frankreich. Man kann hier sehr schlecht und auch sehr teuer essen. Viele bemühen sich gar nicht, machen es sich sehr einfach, kochen die nationalen Standartgerichte her und so schaut es dann von Nord bis Süd gleich aus. Die Touristen sind enttäuscht. Aber wir haben unsere Regionen und wir wollen deren Potential zum Vorschein zu bringen. Das sollte allen dienen und ist eine ehrenvolle Aufgabe.