Logo Epikur - Journal für Gastrosophie
Zentrum für Gastrosophie Impressum
Startseite > Aktuelle Ausgabe > Glossen > Curry? Wurst!

Curry? Wurst! Versuch einer kulinarischen Mentalitätsbeschreibung – Betrachtungen zur Currywurst

Nikolai WOJTKO.   

Möchte man in einem österreichischen Magazin zu Gastrosophie als Deutscher etwas sagen, sollte man zunächst über den Kern des mentalen Bewusstseins der nationalen Befindlichkeit zur Kulinarik Auskunft geben.

Auf diese Weise erschließt sich das gastrosophische Verständnis direkter als über trennscharfe Analyse oder plumpe Vereinheitlichung, man möchte an dieser Stelle ja auch nur ungern den Begriff des Anschlusses verwenden und erst recht nicht im Munde führen.

 

In einem Land, das für seine kulinarischen Errungenschaften weltberühmt ist und das sogar ein Kalbsschnitzel dank gastronomischer Finesse in den Rang eines kulturellen Erbes zu heben verstanden hat, mag der Umgang der Deutschen mit ihren kulinarischen Schätzen merkwürdig erscheinen. Zu Recht. Denn in Deutschland legt man Wert auf einfaches, schnörkelloses Essen. Hausmannskost, Eintopf und derbe Gerichte stehen hoch im Kurs. Dies sei lediglich vorab erwähnt, denn so lässt sich der Schock dämpfen, der entstehen muss, wenn man Menschen, die an Germ- und Marillenknödel ebenso gewöhnt sind wie daran, Küchenirrtümern wie einem Schmarren durch geschicktes Marketing in einer Zeit, als dieses Wort noch nicht einmal erfunden war, zu kaiserlichen Würden und damit zu überregionaler Geltung zu verhelfen. Kurzum, in einem Land, dessen Bewohner an Tafelspitz mit Apfelkren so sehr gewöhnt sind, dass sie die Mozartkugeln und Sachertorten in erster Linie für Touristen zubereiten, um die Salzburger Nockerln und den Topfenstrudel abseits der Touristenströme genießen zu können, muss es befremdlich erscheinen, wie es um das kulinarische Bewusstsein der Nachbarn im Norden besonders im Teil nördlich des Mains bestellt ist. Immerhin verzehren diese Nachbarn rund 800 Millionen Currywürste pro Jahr. Wenn da mal der sprichwörtliche Damm brechen sollte, könnte man in Österreich mit einer Currywurstflut rechnen, die selbst hohe Gipfel der Alpen bedecken würde. Keine Grenzsicherung der Welt würde helfen, um diesem schier unendlichen Strom Einhalt zu gebieten. Aufklärung tut also Not.

Patente, Normen, Wurst

Um es mit einem Wort auf den Punkt zu bringen, Deutschland ist geprägt durch und mit: Wurst. Dabei geht es nicht in erster Linie um die Vielfalt, wie sie in Österreich wursttechnisch täglich gelebt wird, sondern im weitesten Sinne um eine Vereinheitlichung. Denn es ist nicht irgendeine Wurst, sondern eine - und das mag im Land der Patente und Normen, Kleingartenverordnungen und des Reinheitsgebots jeden Außenstehenden absolut verblüffen - nicht weiteren Definitionen unterliegende Currywurst. Die Zubereitung, das Gewicht, der Grad der Verkohlung sind dabei ebenso wenig geregelt oder eindeutig definiert wie die Frage, ob mit oder ohne Darm, warmer oder kalter Sauce oder doch lieber Pulver und Ketchup. Antworten sind hier beliebig zu treffen und unterliegen neben den Vorlieben des jeweiligen Anbieters vor allem dem Kalkül, welches geprägt ist durch Fragen der Praktikabilität und Kosteneffizienz. Mit anderen Worten: Unser nationales Bewusstsein ist uns nicht Wurst, kulinarisch gesehen ist es ist uns Currywurst.

Aber bitte, um an dieser Stelle jetzt keine falschen Vorstellungen aufkommen zu lassen: Auch, wenn es für den unbeteiligten Beobachter auf den ersten Blick so aussehen mag, bei der  Currywurst verstehen wir keine Witze und erst recht keinen charmanten Humor, denn diese Wurst ist uns heilig. Wir würden jederzeit in den Currywurstkreuzzug ziehen, wenn uns irgendjemand unsere geliebte Wurst in würziger Tunke madigmachen oder ihren Verkauf, gar ihren Verzehr mit einem Verbot überziehen wollte. Kurzum: Sollte irgendeine politische Partei auf die Idee kommen, ein Currywurstverzehrverbot zu propagieren, sie wäre schnell in den Tiefen der Geschichte verschwunden, ihre Innereien würden sich unter dunkler Tunke in Brät wiederfinden, allerdings würde niemand danach suchen, denn eines machen wir auf keinen Fall: uns darüber Gedanken, was in der Wurst drinstecken könnte, und erst recht nicht darüber, was tatsächlich drin ist. Denn dies ist ja gerade der Grund, warum wir ein Land von Currywurst­essern sind. Wir erklären uns unisono, dass diese Wurst nicht nur einfach ein ehrliches Essen ist, für uns ist sie der Inbegriff der Ehrlichkeit. Bis zum gewürzten Ende, mit denen sie ja zum Glück gleich doppelt gesegnet ist. In unserem von Normen und Autobahnen geordneten Alltag markiert die Currywurst den anarchischen Nullpunkt, den Teil des kulinarischen Beginns, hier ist alles erlaubt. Na ja, alles nicht.

Curry - Wurst - Wahlkampf

In Deutschland ist die Currywurst ein Politikum. Daher verwundert es auch nicht, wenn Politiker besonders in Zeiten des Wahlkampfes Wert darauflegen, eine mit Currypulver bestäubte Wurst vor aller Augen zu essen. Dabei kommt es hier auf die Details an, denn es geht ja um politische Bildsprache. Einfach nur so eine Currywurst vor laufender Kamera zu essen, geht nicht, dem Kenner würde sofort auffallen, dass sich hier nur jemand anbiedern möchte. Und Kenner in Sachen Currywurst sind wir hier so gut wie alle, also alle, die über Kennerschaft verfügen. Stellen Sie sich vor, Sebastian Kurz würde eine Currywurst verzehren. Vor laufender Kamera. Wenn er jetzt noch so tun würde, als würde sie ihm schmecken, was denken sie dann? Eben. Es passt nicht. Er wäre als Schwindler vor laufender Kamera überführt und bei uns für höhere politische Aufgaben sofort disqualifiziert. Nein. Man muss schon einen zum Brät passenden Charakterkopf vorweisen, den man sich ausschließlich durch jahrzehntelangen Verzehr der Wurst aneignen kann. Es gibt sogar Stimmen, die behaupten, dass Kanzler Schröder seinerzeit nur im Amt bestätigt wurde, da er zu Protokoll gab, dass sein Lieblingsessen die Currywurst sei. Ein geschickter medialer Schachzug des Machtmenschen Schröder. Im kollektiven Bewusstsein wesentlich nachhaltiger wirksam als seine schicken Gummistiefel, mit denen er sich die Aura eines Moses überstreifte und vorgab, die Fluten von Oder und Neiße mit einer Handbewegung wenn schon nicht von der Landkarte wischen, so zumindest teilen zu können. Vielleicht halfen ihm dabei ja auch ein paar Currywürste, um die Sandsäcke wuchtenden Helfer bei Laune und aus dem Unterzucker zu halten. Es ist wahrscheinlich, aber nicht gewiss. Und Angela Merkel, fragen Sie? Ja, was glauben Sie denn, wie Sie Kanzlerin werden und wie Sie sich so lange an der Macht halten konnte? Wir alle wissen insgeheim von ihr, dass sie sich aus verschnörkelter Küche nicht viel macht. Während langer nächtlicher Verhandlungsrunden lässt sie sich gerne eine Currywurst kommen, oft auch gleich mehrere. Nur so kann sie die Nächte durchstehen, nur daher wird sie immer wieder im Amt bestätigt. Denn mit Currywurst gewinnt man die Zustimmung der Landsleute und damit letztendlich Wahlen.

Werden wir an dieser Stelle einmal politisch inkorrekt und schauen uns die Sache näher an. Was und vor allen Dingen warum ist uns die Wurst so wichtig? Was will uns das Ritual sagen? Was sagt es über die Wurst? Vor allem aber: Was sagt es über uns und unser Land voller Currywurst­esser aus?

Betrachten wir die politische Aussage, so vernehmen wir, dass die Wurst ehrlich sei. Was aber mag das bedeuten? Ehrlichkeit in der Politik? Vielleicht ist die Wurst eher das Sinnbild für Politik als für Ehrlichkeit. Ein mithin schwieriger Punkt. Was ist an der Wurst ehrlich? Sie ist nicht verlogen, denn wir wollen ja gar nicht unbedingt wissen, was sich im Inneren ihres Kunstdarms so alles befindet. Zufrieden sind wir auf jeden Fall schon mit der schlichten Feststellung, dass es die Kunst der Wurstmachung ist, Wasser und tierisches Fett in ein schnittfestes Verhältnis zu bringen. Das ist unserer Meinung nach ehrlich. Dazu kommen dann in der Regel noch Gewürze und einige Geschmacksverstärker, die in den bereits erwähnten Kunstdarm gezwängt werden. Doch das ist erst der eine Teil der Grundausstattung von dem, was wir unter Currywurst verstehen. Der andere Teil, besteht aus unterschiedlichen, ungenormten, aber unerlässlichen Komponenten.

 

Komponenten

Zeit also, diese anderen Komponenten in den Blick zu bekommen. Da wäre zunächst die Sauce. Ohne Sauce keine Wurst, also keine Currywurst, die wäre nämlich ohne Sauce einfach nur eine Bratwurst, aber das ist ein anderes Thema, denn die Sauce macht aus der schnöden Wurst das heißbegehrte Objekt, unseren Sehnsuchtspunkt und nationales Distinktionsmittel, zumindest wenn man sich unter Gleichen - also Leuten, die in der Currywurst das Ehrliche sehen - bewegen will. Die Sauce ist in der Regel ein industriell fabriziertes Produkt, passt also zur industriell produzierten Wurst. Hauptbestandteil einer solchen Sauce ist Zucker, daneben Wasser, Verdickungsmittel, Färbemittel und Gewürze. Unter Kennern bevorzugt man die ähnlichen Geschmacksbilder. Alle erinnern immer wieder an Currygewürzketchup einer Hamburger Firma, müssen aber nicht zwangsläufig auch aus diesem Hause stammen, denn es gibt auch preiswertere Produkte. Manches Mal gelangt die Sauce direkt aus der in der Fabrik abgefüllten Plastikflasche auf die Wurst. Feinschmecker wie Currywurstbudenbetreiber, die etwas auf sich halten, geben die Sauce jedoch zuvor aus großen Gebinden - zumeist Eimern - in ein Wärmebehältnis, so dass sie auf Körpertemperatur gebracht werden und ein schnelles Auskühlen der ebenfalls nur erwärmten Wurst somit entgegengewirkt kann. Pulver? In der Regel sind die Saucen schon ausreichend gewürzt und man überlässt es oftmals dem hungrigen Kunden, die Wahl zwischen „normal" und „pikant" selbst zu treffen. Nur in sehr rückwärtsgewandten Fällen wird süßlicher Tomatenketchup noch mit einem Currypulver bestäubt.

Als weitere Komponente ist das Behältnis zu erwähnen. Hierbei handelt es sich im klassischen Sinne um eine schlichte Pappschale, in welcher die Wurst mit Sauce ausreichend Platz findet. Wie groß die Wurst ist, wie viel sie wiegt, wie viel Sauce zur Würzung gereicht wird, ist nicht festgeschrieben und unterliegt dem freien Gusto des Gastwirtes. Besteck? Sind Sie noch bei Trost? Eine Currywurst isst man doch nicht mit richtigem Besteck Hier handelt es sich um ein originäres Produkt des Fingerfoods. Das heißt mit der einen Hand hält man die Pappschale samt Inhalt, in der anderen eine kleine bunte Plastikgabel, mit der man die Wurst aufpickt und zum Mund führt, um sie zu verspeisen. Noch heute ist es besonders an Buden, die auf den Parkplätzen von Baumärkten platziert werden, üblich, direkt eine doppelte Currywurst zu bestellen. Was uns zur Frage der sie begleitenden Komponenten bringt. Im Ruhrgebiet ist die Currywurst selten Solist. Hier wird sie durch die Bank mit Pommes Schranke geordert - also neben der der Wurst vorbehaltenen Currysauce mit Mayonnaise und Tomatenketchup für die Pommes. Kenner tauchen die frittierten Kartoffelstäbchen dabei abwechselnd in alle Saucen. Der Gipfel eines ehrlichen Geschmacksbildes. Und es ist in weiten Teilen der Nation gängige Praxis, die Currywurst mit Pommes zu ordern. Jedoch, wie steht es um die Wurst, wenn man sie als Solisten betrachten und ehrlich genießen möchte? Oft wird dazu ein halbes oder ganzes Brötchen, sowie wahlweise eine Scheibe ungetoastetes Toastbrot gereicht. Dies allerdings nur als Behelf, um die Sauce gänzlich vertilgen zu können. Die Würste selbst werden auf dem Grill oder Herd koloriert oder leicht bis mittelschwer verbrannt. „Geben Sie mir ruhig die Dunkle," ist daher auch ein oft gehörter Spruch an der Wurstbude, mit dem sich Mitmenschen als Kenner auszeichnen, denn bei der Currywurst ist nur der Unbedarfte kleinlich, denn hier geht es nicht etwa um Geschmack, Gesundheit oder sonstigen Firlefanz, sondern um die Wurst.

 

Rückblick: Die Currywurststunde Null

Wir befinden uns in der später, also schon vor langer Zeit - so genannten Stunde Null. Der Zweite Weltkrieg ist vorbei und als einer seiner direkten psychologischen Auswirkungen möchte er von allen Beteiligten schnellstens vergessen werden. Schließlich will man ja nicht mehr wissen, was man eh nicht gewusst hat. Zum Vergessen gesellt sich die Sehnsucht nach Exotik. Reisen ans Mittelmeer aber liegen noch in so weiter Ferne wie die Einführung der D-Mark, die Luftbrücke und das Wirtschaftswunder. Langsam erst legt sich der Staub der letzten Aufräumarbeiten der Trümmerfrauen, da entdeckt der Legende nach die Berliner Gastronomin Herta Heuwer den Segen des Bestäubens der gebratenen Wurst mittels eines Gewürzes, das sie von englischen Soldaten ausgehändigt bekommen hat. Einer anderen Geschichte nach aber soll die Currywurst in etwa zeitgleich in Hamburg erfunden worden sein. Doch der Titel „Die Erfindung der Currywurst" verweist weniger auf die wahre Geschichte, als eben auf die „Erfindung" dieser Geschichte durch ihren Autor Uwe Timm, der - Wer will es ihm verübeln? - als gebürtiger Hamburger, gerne seine Heimatstadt mit dieser Wursterfindung geadelt hätte. Auch das Ruhrgebiet - immerhin die Region Deutschlands mit den gefühlt meisten Currywurstbuden - reklamiert die Erfindung für sich. Und schon merkt man, dass hier eine überregionale Sehnsucht gestillt werden musste. Die Stunde Null sollte nicht nur gelten, sondern direkt auch wieder vergessen sein. Am Anfang war die Currywurst und sie war allüberall und sie war gut. Mit ihr, so könnte man den Gründungsmythos der Bundesrepublik fortschreiben, hob die Zeit an und in ihrem Gefolge kamen die D-Mark, der Wohlstand und die Urlaubsreisen ans Mittelmeer. Der Rest ist Geschichte.

Wenn es denn so einfach wäre.  Denn historisch spannender als diese erzählte Geschichte ist die darunter verborgene kulinarische Entwicklung. Und selbstverständlich brauchte man neue Geschichten, um die gewohnten Mechanismen beibehalten zu können. Und so lässt sich der Erfolg der Currywurst zwar aus der Stunde Null heraus erzählen, Gründe für ihren Erfolg aber kann diese Erzählung naturgemäß nicht liefern. Dabei liegt die Wahrheit wie so oft bei erfolgreichen Erzählungen nahe an der erzählten Geschichte. Im Falle der Currywurst musste nur ein Marketingtrick ebenso kaschiert werden wie die Gründe für das geprägte Essverhalten. Und um es vorweg zu sagen. Herta Heuwer darf sich als Erfinderin der Currywurst feiern lassen, das Deutsche Currywurst Museum wird diese Geschichte nicht verwerfen, sich allerdings fragen müssen, ob es wirklich sein kann, dass ein zufälliges Geschick einer einzelnen Frau zu musealen Ehren ohne Erläuterung gereicht. Denn ebenfalls nach dem Krieg waren Naturdärme ein knappes Luxusgut und ebenfalls nach dem Krieg suchte der aus dem Erzgebirge stammende Schlachter Max Brückner sein Glück in Berlin. Da er ein Verfahren zur Herstellung von Wurst ohne Darm entwickelte, gründete er ein Unternehmen und versuchte seine Spandauer ohne Pelle zu vermarkten. So wurde er auf die findige Herta Heuwer aufmerksam. Der Juniorpartner von Max Brückner entwickelte zusammen mit Herta Heuwer eine Würzsauce auf Ketchupbasis, mit der sie ihre Wurst an den Mann bringen konnten. Das Marketingkonzept war einfach. Die Sauce übertüncht die Wurst, so dass man nicht erkennen kann, dass sie gar keine Pelle hat. Erst nach dem Erfolg der Currywurst konnte sich die Wurst ohne Pelle als das aus der damaligen Not geborene Original zu erkennen geben. In die Wurst kam alles, was der Metzger nicht anders verwerten konnte, kleingehackt als Brät - denn der Name Bratwurst leitet sich von dessen Füllung, dem Brät, und nicht etwa von deren Zubereitung, dem Braten, ab --zur Anwendung. Nun muss man allerdings noch einen Aspekt berücksichtigen, der vor der Stunde Null für die Wurst gesprochen hat, denn in der Liebe zur Currywurst macht sich nicht nur der Wunsch nach Neuanfang, sondern auch die erlernte Liebe zur einfachen, ehrlichen Küche breit.

Diese deutsche Besonderheit formte sich nach dem ersten Weltkrieg heraus, als man den Sekt gegen den französischen Champagner, besonders aber die deftige Hausmannskost gegen die bürgerliche Küche französischer Prägung in Stellung bringen wollte. Dieses Konzept machte man sich im Dritten Reich zu Nutze und formte den „Volkskörper" nicht nur durch Überwachung und körperliche Ertüchtigung, sondern besonders durch zahlreiche Ernährungsimperative.(1) Die Zubereitung des Essens sollte einfach und schnell vonstattengehen. Das Essen musste ebenfalls schnell gegessen werden können. Zugleich sollte jede Hausfrau wert auf die Nahrhaftigkeit des Essens legen. Dazu wurde schon 1933 darauf hingewiesen, dass Fleisch möglichst oft ersetzt werden sollte durch in Mehlschwitze angedicktes Gemüse - ein Leid, welches Wolfram Siebeck Zeit seines Feinschmeckerlebens seinen Landleuten vergeblich auszutreiben suchte. Zusätzlich wurden süße Speisen propagiert, denn an Süßstoffe konnte man auch in Kriegszeiten herankommen. Gekoppelt wurden diesen Vorschriften an die Hausfrau mit dem staatlich propagierten Verzicht auf den Sonntagsbraten. Dieser sollte eingespart werden. Stattdessen wurde man zur gemeinschaftlichen Eintopfverpflegung zitiert. Noch heute kann man immer wieder hören, dass Eintöpfe nur aus großen Töpfen oder wie seiner Zeit üblich aus „Gulaschkanonen" schmecken würden. Das auf diese Weise eingesparte Geld sollte dann anderen Zwecken zugeführt werden, weshalb Pimpfe mit Sammelbüchsen die Reihe der Eintopfesser abgingen. Auch Parteiprominenz ließ sich an den langen Tischen auf den kargen Bänken nieder, um demonstrativ Teil der Volksgemeinschaft der ehrlichen Eintopfesser zu werden. Dass sie stets ein größeres Stück Fleisch in ihren Schüsseln fanden, gilt nicht als gesicherte Tatsache.

 

In der Currywurst-Pappschale finden sich plötzlich all diese Elemente zusammen: Die an Eintopf erinnernde Sauce, die Stücke Fleisch der kleingeschnittenen Wurst, das Brot als Beilage, der Verzicht auf den Braten, die gezuckerte Sauce und als wirkliche Neuerung: der durch Curry hervorgerufene Duft der großen weiten Welt, die erst einmal in der Vergangenheit oder aber je nach Sichtweise auf die Stunde Null in ferner Zukunft lag. So geht es auch heute noch bei der Currywurst nicht um Geschmack oder Genuss, sondern um Sättigung und Zusammengehörigkeit. Sollten Sie also mal zu einer Currywurst eingeladen werden, lehnen Sie nicht ab, denn was nun folgt, ist ein Initiationsritus. Zögern Sie also nicht, denn jetzt ist es zu spät. Es kann nun kein Zurück mehr geben. Bitte, keine Schreie. Beherrschen Sie sich. Das hat uns auch nicht geschadet. Jetzt gilt es, Haltung zu zeigen. Lassen Sie nicht erkennen, was Sie von der Currywurst halten. Sie müssen auch nicht in Jubelstürme ausbrechen. Niemand erwartet das. Denken Sie einfach an die früher von Mutter verabreichte bittere Medizin. Es wird schon nicht so schlimm werden. Kauen Sie gründlich, aber nicht zu auffällig. Essen Sie zügig, als hätten Sie Appetit. Nicken Sie verständnisvoll. Und erst, wenn Sie die letzte Tunke mit dem Brot aufgenommen und das letzte Stück der Wurst verzehrt haben, sprechen Sie folgende Zauberformel, während Sie geräuschvoll ausatmen: „Das hat richtig gutgetan." Auch wenn man Sie auf Grund ihres Dialektes vielleicht als Ausländer wahrnimmt, werden Sie fortan geduzt werden. Denn nun sind Sie in die Gemeinschaft der Currywurstesser aufgenommen. War doch gar nicht so schwer.

 

 

 

Nikolai_WOJTKO (188k)

Quellen, Anmerkungen

  1. Vgl. Charlotte Mühsam-Werther: Neuzeitliche Ernährungsfragen. Vorwort zur 2. Auflage. In: Fleischlose Tage. Kochvorschriften aus allen deutschen Gauen. Frauendienstverlag Berlin 1933. Die Autorin war Mitglied des Reichswirtschaftsrats.  
Curry? Wurst!