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KOFAHL Daniel: Geschmacksfrage. Zur sozialen Konstruktion des Kulinarischen. Kulturverlag Kadmos, Berlin 2010 (Kaleidogramme 52)

GSCHWANDTNER Harald.   

Mit der Frage nach den sozialen Bedingungen des ‚Systems Küche' begibt sich Daniel Kofahl - durchaus bewusst - auf ein viel beackertes wissenschaftliches Feld: „Die Zahl der Publikationen dazu - schriftlich wie audiovisuell - ist kaum zu überblicken." (9) Der Autor wählt dabei einen dezidiert systemtheoretischen Ansatz und definiert dazu im ersten Kapitel die Begriffe von „Form, Kommunikation, System Funktion", wobei er sich im Wesentlichen an den Terminologien Niklas Luhmanns und Michel Serres' orientiert, und versucht die mitunter überaus abstrakte Begrifflichkeit anhand verschiedener Diagramme einer „Form der Kulinaristik" anschaulich zu machen, denn „ulinarischer Geschmack bildet sich erst als Resultat heraus, wenn die Form der Kulinaristik vollzogen wird." (18) Der Eindruck, dass das terminologische Konstrukt den Blick auf den Gegenstand nicht zwangsläufig erleichtert, drängt sich zwischenzeitlich auf, wenn Kulinaristik nur noch als ‚System von Relationen', als „Digitalisierung von Wahrnehmungen, die nur über der Kommunikation unzugängliche Verweise ihrer Teilnehmer in ihr auftreten" (32), verstanden wird.

Im Folgenden versucht Kofahl, das Dollase'sche Konzept der ‚kulinarischen Intelligenz' bzw. der ‚kulinarischen Reflexivität' weiterzudenken und als „soziale kulinarische Intelligenz" (40ff) zu redefinieren. In den Fragen, die sich daran anschließen, weiß die Argumentation durchwegs zu überzeugen. Im dritten Teil schließlich wird eine verstärkt historische Perspektive eingenommen, wenn Aspekte geschichtlicher Ausdifferenzierung der Gesellschaft in Verbindung mit der Veränderung der „Situation der Kommunikation über Essen" (62) gebracht werden. Im Kontext der Differenzierung von Lebensbereichen im historischen Prozess beschreibt Kofahl auch die Tendenz zur „Professionalisierung" - zum Beispiel im Verhältnis von Koch und Esser (74ff) - sowie den spezifischen Ort des Restaurants als Institution der Gesellschaft (80ff).

Im letzen Abschnitt zeigt Kofahl anhand von Stichproben der bekannten Kolumnen von Jürgen Dollase (in der FAZ) und Wolfram Siebeck (im ZEIT-Magazin), „wie auf einen eingegrenzten Zeitraum bezogen Formen der kulinarischen Programmierung in Beschreibungen aktualisiert worden sind." (85) Dabei ordnet der Autor die aus den Kolumnen extrahierten Aussagen in ein „Koordinatensystem der kulinarischen Kommunikationsformen" (89) ein, in dem sich verschiedene Felder „kulinarische Programmierungen" (89) bestimmen lassen. Dabei eröffnet sich ein komplexes System der kulinarischen Kommunikation, bei dem sich aber auch zeigt, dass „die Differenz zwischen einer ausdifferenzierten Fachsprache und einer, keinem spezifischen Kommunikationsdiskurs zuzuordnenden Gemeinsprache" (108) mitunter schwer zu bestimmen ist.

Kofahl beschreibt mit dem kulinarischen System ein solches, „das sich im unablässigen, selbstreferentiellen Systemumbau befindet" (112). Stets ist die systemtheoretische Prägung der Analyse massiv in Argumentation wie Terminologie deutlich; die Studie grenzt sich damit auch deutlich von der Theorie des Geschmacks Bourdieu'scher Prägung ab - diese ist im Wesentlichen nur als beständige Negativfolie präsent -, da sie sich an einer „Ausarbeitung einer Theorie der Geschmackskonstruktion, in der nicht mehr die Sozialisation in Interaktionssituationen im Mittelpunkt steht und der Geschmack auch nicht primär unter schichtspezifischen Prämissen beschrieben wird" (109), versucht. Ob die (mitunter unnötig schematische) systemtheoretische Herangehensweise gerade an die Thematik des Geschmacksempfindens zielführend und dem Gegenstand angemessen ist (wenn beispielsweise nach Luhmann'schem Vorbild die „Werte wohlschmeckend und nicht-wohlschmeckend" als „binär codiert und damit komplementär und ausschließlich" (17) festgelegt werden), wäre freilich zu hinterfragen. Am stärksten überzeugen eindeutig jene Abschnitte des schmalen Bändchens (insbesondere Kapitel 2 und 3), die aus der starren begrifflichen Bindung etwas ausbrechen und aus fundiert soziologisch-historischer Perspektive Phänomene des Kulinarischen analysieren.

RezGeschmacksfrage (48k)

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KOFAHL Daniel: Geschmacksfrage. Zur sozialen Konstruktion des Kulinarischen. Kulturverlag Kadmos, Berlin 2010 (Kaleidogramme 52)