„Manieren - das sind Diskretion und Toleranz, aber auch Zwanglosigkeit, Anmut und Galanterie." Manieren; Was besagen sie eigentlich? Wie werden Sie historisch jeweils verhandelt? Diesen Fragen versuchte die Ausstellung des Focke Museums in Bremen nachzugehen, die vom 29. November 2009 bis zum 30. Mai 2010 zu sehen war. Was als manierlich anzusehen sei, was folglich als Anstand und Sitte kulturell codiert wurde, durchlebte historischen Wandel in der Idee von ´gutem´ Benehmen. ´Über den Umgang mit Menschen´ versucht Adolph Freiherr Knigge (1752-1796) in diesem seinem Hauptwerk aufzuklären, wobei er dies nicht als Vademecum diverser Benimmregeln oder deren Gegenteil verstehen wissen wollte, sondern vielmehr von individuellem Benehmen als Phänomen der ´Passung´ in kollektive soziale Verträglichkeit ausging. „Manieren als Sache der inneren Haltung" (S. 8); so versuchen die beiden Herausgeber Urs Roeber und Uta Bernsmeier den Leitgedanken der Bremer Ausstellung ´Manieren - Geschichten von Anstand und Sitte aus sieben Jahrhunderten´ und damit auch des vorliegenden Bandes. Der museale Kontext verlangt nach einer Objektivierung, nach ´Vergegenständlichung´, wie folglich Handlungen als kulturelle Erscheinung gegenständlich fassbar und sichtbar gemacht werden. Besondere Bedeutung tragen hierbei der künstlerische wie der allgemein alltäglich-lebensweltliche Umgang in Briefen oder Gebrauchsgegenständen.
Die Autoren des Ausstellungsbandes versuchen diese Intentionen in ihren Beiträgen nachzuzeichnen. Werner Busch versucht in ´Sinn und Zweck von Verhaltenssteuerung in der Kunst des 18. Jahrhunderts´ zu verfolgen, wie aus dem Hofmann in Selbstbestimmung und Freiheit der Mensch wird und wie repräsentativ dies in die - ebenfalls wieder normative - Sprache der Bilder übersetzt aufzufinden ist. ´Schlag nach bei Knigge!´ schlägt Walter Weber vor, indem sein Aufsatz die Wirkgeschichte des bekannten Freiherrn - von Ablehnung bis Beifall - im Durchgang nachfolgender Ansichten und Richtungen in Deutschland darlegt. In ´Aufmerksamkeit & Nachlässigkeit´ legt Asfa-Wossen Asserate diese beiden als Erziehungsprinzipien diesem „Menschwerdungsakt" (S. 28) zugrunde. Wer die „Grundkomponenten der europäischen Manieren" (S. 31) - so Asserate - besäße, nämlich Anmut und Demut, der lag in seinem Leben noch nie daneben. Oskar Negt verweist in ´Über Anstand und menschliche Würde´ auf die geschichtliche Prägung dieser beiden normativen Begriffe und zeigt dabei auf, dass sie eben als Instanz über den menschlichen Gesetzen stehen müssen. Es sei stets nach den „Vorkriegsereignissen" zu forschen - wie aus Christa Wolfs Kassandra zitiert - um dem Gerechtigkeitsgefüge jedwede Einseitigkeit zu nehmen. Negt zeigt mit Kant auf, dass das was transzendental den Zweck in sich selbst ausmacht einen inneren Wert, d.h. Würde, besitzt. Entwürdigung gehe da vonstatten, wo andere lediglich als Mittel, nicht gleichzeitig auch als Zweck benutzt werden. Insbesondere weist Negt auf die heutige Situation des Menschen im neoliberalen Wirtschaftszyklus hin. Filmisch - und damit modern - sind die beiden folgenden Beiträge: ´"Manieren beibringen"... soziale Kompetenz als Fernsehunterhaltung´ und ´"Nehmen Sie eine Uhr!" Der englische Gentleman und seine Gegenparts im Hollywood-Film´ bringen das Fernsehen als Vermittlungsinstanz von Manieren auf das Tapet. Widmet sich Hanno Balz in ersterem dem Thema aus der Perspektive von Realityshows in WDR oder ZDF, geht Urs Roeber in zweiterem unseren Stereotypien von dem, was ´gentlemanlike´ - oder das Gegenteilige - sei. Er resümiert mit Knigge: „Der Gentleman hat den Ton der Gesellschaft angenommen, in der er sich befindet." (S. 45)
Dem Aufsatzteil ist der Katalog angeschlossen, in dem die Exponate der Ausstellung präsentiert werden. Untergliedert in schwerpunktartige Themenbereiche werden Bilder, Kunst-, wie Alltagsgegenstände vorgestellt und durch kurze Fußtexte genauer erläutert. Die inhaltliche Ausrichtung schwankt zwischen ´Ausschweifend´ und ´Mit Haltung´, zwischen ´Ganz zwanglos´ und ´Diskret´. Auch ein Katalogteil ´An der Tafel´ existiert, dessen Kuriosa sich allerdings schon unter den ´ausschweifenden´ Darstellungen finden. Generell ist die Darstellung von Verhalten bei Tisch an mehreren, thematisch separierten Stellen anzutreffen. In der Würde des Menschen, die den gleichnamigen letzten Teil ausmacht, findet sich gleichsam die Realisierung von und der Hinweis auf ein erweitertes Verständnis von Sittlichkeit, Anstand und letztlich auch Manieren. Manieren sind deshalb „als Sache der inneren Haltung" (S. 8) anzusehen, weil die Anerkenntnis der Würde des Anderen Ausdruck der Anstrengung eines jeden selbst ist. Knigge bezeichnet die Pflichten gegen sich selbst als „´die wichtigsten und ersten´." (S. 190) Manieren sind dabei eine probate Handlungsanleitung!