Gewogene 2,85 kg wiegt das aus dem Englischen ins Deutsche übersetzte Buch, von spanischen Köchen verfasst und in China gedruckt. Es ist ein suggestives Bilderbuch, das mit stimmungsvollen Aufnahmen einen Tag im elBulli, vom Sonnenaufgang um 6.05 bis zum „Licht aus" und Zusperren um 02: 00 reicht. Wer also nicht zu den 8000 auserlesenen Speisenden, aus Millionen Anfragenden zählte oder die weite Reise auf sich nehmen wollte, der bekommt einen bildhaften Eindruck. Doch mit den Fotos transportierten Nebeninformationen sollten nicht unbeachtet - und individuell interpretiert werden. Die 8000 Auserwählten wurden gesiebt, nach: neuen, alten, spanischen und auswärtigen Gästen: ein kopierter Reservierungszettel von einem 28. Juli zeigt noch eine andere Kategorie: Friedrich Christian Flick mit 6 Personen an Tisch 4. Ähnliche Namen aus anderen Welten dürften nicht fehlen - das gehört in die Disziplin der Soziologie: welch Distinktionsgewinn, Dazu zu gehören!
Morgen: Das leere Lokal legt seine Stilanmutung eines rustikalen Misch-Masch klar an den frühen Tag. Der Meister organisiert etwas später im Arbeitszimmer seine Kreativität, teilt sich das Jahr ein. Das Lokal ist über den Winter zu, um neue Produkte und Speisen zu kreieren. Momentan ist allerdings eine Schließung für längere Zeit angesagt. Um 11:00 treffen sich die Kreativen, mit Grundprodukten in vielen Plastikdosen auf Tabletts. Die Entwicklung jeden Gerichtes wird fotografisch und schriftlich festgehalten. Irgendwann wird es ein Museum mit einem großen Archiv geben! Eigene Symbole drücken der Einfachheit halber Lebensmittel aus. Wie es sich gehört, gibt es auch eine eigne Philosophie: Die Analyse erfolgt unter zwei Aspekten: Gastronomisch, dazu gehören das Schmecken und Anschauen und wissenschaftlich: durch Erfassen der Merkmale und chemischen Zusammensetzung der Lebensmittel und Speisen. Die Beurteilung erfolge nicht nach dem Preis, sondern auf Grund des gastronomischen Werts. Die Analyse der charakteristischen Merkmale eines Produktes und die kreative Interpretation sollen neue Zubereitungsarten und Konzepte ermöglichen. Exemplarisch steht dafür die Entstehung eines Gerichts, samt der verschiedenen Arten der Produktion, einschließlich des Einsatzes von Flüssigstickstoff. Um 13:30 wird für jeden der Tische des Restaurants ein Rezeptbestellbogen vorbereitet, um die 50 servierten Gerichte des Wochenmenüs in Form und Reihe zu bringen. Der Kontrast: Um 13:45 gibt es für die Mitarbeiter einen Mittagsimbiss. Der sieht wenig frugal aus: Baguettes, mit einer Tomate ausgestrichen und mit Salami belegt, im Stehen gegessen. Um 14.30 geht es los: die Küchenmannschaft bespricht die Arbeit der folgenden Stunden, dafür werden auch Organisationszettel angelegt. Um 15:00 beginnt das Kochen; der benötigte flüssige Stickstoff wird sicherheitshalber im Freien umgefüllt.
Nachmittags: Service und Sommelier beginnen ihre Arbeit, es treffen Lieferungen ein, die berühmte Olivenölspirale aus Olivenöl und Isomalt wird mit Hilfe eines Akkuschraubers aufwickelt, angeblich mit so viel Isomalt, dass dieser die Verdauung beeinträchtigen kann. Die Küche werkelt mit Hochdruck und Einsatz. 17:50 - das Essen für die Belegschaft: an einem Donnerstag: Blumenkohlgratin, Schweineschnitzel mit Tomatensalat, an einem Freitag: grünen Salat, Rinderbraten mit Kartoffelpüree. Es ist schon erstaunlich, wie traditionell dies im elBulli ausfällt. Das Essen wird recht leger eingenommen, was die Zahl der aufgestützten Ellenbogen belegt. Um 19:00 öffnet der Parkplatz, um 19.30 das Restaurant.
Die Eintreffenden erhalten Cocktails, die ihre klassische Form und Gestalt verloren haben und etwa gleich als Eiswürfel serviert werden. Es geht los mit den Vorspeisen, darunter Pinienkern- Marsh Mallows, im zweiten Akt kommen die herzhafteren Gerichte, etwa Felsmuscheln mit Algen und frischen Kräutern oder Makrelenbauch in Hühnchen Escabeche mit Zwiebeln und Essigkaviar, als Dessert gibt es Pfirsich flüssig, danach sogenannte Morphings, zum Ende Kaffee und Liköre.
Die beigefügten Rezepte lassen sich allerdings nur zum geringeren Teil nachmachen, da deren Bestandteile über den Handel nicht ohne weiteres zu beziehen sind. So demonstrieren die Rezepte häufig nur, wie aufwendig sie umzusetzen sind. Das Kommunikationsschema des elBulli dagegen ist ganz einfach - das alte „Radiomodell", wonach der Koch den Sender, der Kellner den Übermittler und der Gast den Empfänger gibt, also ohne wirklich über Kommunikation nachgedacht zu haben. Ab 21:00h läuft die Küche auf Hochtouren, kurz vor Mitternacht kommen die Desserts. Zugleich wird schon aufgeräumt. Die 40 Köche reinigen die 350 m2 große Küche in einer halben Stunde. Andere fahren die täglichen 12 großen Kübel Müll zum nächst-, aber eher weitabgelegenen Müllcontainer. Die Gäste verschwinden allmählich, um 02:00 wird zugesperrt.
Das elBulli liest sich in Zahlen imponierend. Das Menü kostete 2008 € 200,-- es umfasste bis zu 200 Zutaten, jeder Gast verspeiste ca. 700 g Lebensmittel pro Menü und trank einen Liter Wein. Alle zusammen verbrauchten 1000 Stück Besteck und diverse Gläser und Tücher.
Das Buch ist in seiner Foto-Mischung von speisenden Gästen, Speisen, Details sehr informativ. Die beigefügten Rezepte lassen die Ingredienzien erkennen und den gewöhnlich eher komplexen Herstellungsprozess, mit Dehydrierern, Gefriertrocknern, Syphons, Zuckerwattemaschinen, Akkuschraubern... und auch, wie viel Arbeit dahinter steckt.
Ein Anliegen dieses Buches könnte es gewesen sein, sowohl die Vorstellungen von Feran Adrià, seine Kreativität, seine Analysefähigkeit und die Kraft zur Umsetzung und zur Gestaltung einem größeren Publikum vor Augen zu führen. Das ist gelungen. Wer sich in den hiesigen Restaurants auf einmal mit Pipetten, Spritzen, unzähligen Teilchenmengen konfrontiert sieht, sieht diesen Einfluss epigonal niedergeschlagen. Darüber lässt sich trefflich bei Tische sprechen.