Wild für echte Pflanzenliebhaber! Der geneigte und möglicherweise erstaunte Leser erfährt, dass zahlreiche jener Wildpflanzen, die er aus dem Garten oder vom Spazierengehen kennt, zu leckeren Speisen verarbeitet werden können. Ihrer Unscheinbarkeit wegen sind sie ihm bisher entweder gar nicht oder sogar unangenehm, nämlich als wilde Wucherer aufgefallen. Ein Beispiel: Glechoma hederacea, die Gundelrebe. Von weitem unscheinbar, bei näherer Betrachtung ein Wunderwerk von einer violetten Blüte. Wer noch immer nicht weiß, wie diese im Volksmund auch Gundermann oder Erd-Efeu genannte Pflanze aussieht, kann abgesehen vom reich bebilderten Kochbuch in dem beigefügten „Wildpflanzen-Wegbegleiter" nachschlagen. Neben dem Aussehen gibt dieses praktische 20-Seiten-Nachschlagewerkchen, das in die Hosentasche passt, Auskunft über die gesuchte Pflanze: über Geschmack, Standort, welcher Teil verwendet wird, in welcher Form die Zubereitung erfolgen soll und worin die Besonderheit der Wildpflanze besteht. Das Kleingedruckte verweist anschließend auf die Rezepte im Kochbuch. Von Bachkresse bis Wildkirsche werden im „Wildpflanzen-Wegbegleiter" sowie im Kochbuch selbst insgesamt 30 Kräuter und Speisepilze besprochen.
Laut eigenen Angaben verwenden die Autoren in ihrem Buch nur Pflanzen, die „eher in Massen auftreten" (S. 9). Für das Erjagen der Krausen Glucke oder Fetten Henne ist allerdings mehr als nur ein Umherstreifen in der näheren Umgebung um die Wohnstatt nötig. Wer sie sucht, ist im Hühnerstall falsch und wird selten in Nachbars Garten fündig. Der waldig-nussige Pilz wächst vor allem auf Kiefern und wird daher nicht allen, die das Rezept gerne ausprobieren würden, zugänglich sein: Zu kaufen gibt es ihn weder im Supermarkt noch im Feinkostladen. Im Internet, wo man sonst ja alles findet, verleihen Suchende ihrer Verzweiflung darüber Ausdruck, dass das gute Stück sehr selten ist. Jedenfalls benötigt man für das Rehragout, in das er laut Kochbuch eingearbeitet werden soll, ein halbes Kilo davon; für die eingelegte Krause Glucke gleich ein Kilo. Aber vielleicht sollte man, sofern man im Wiener Raum lebt, ja dem Link aus dem Buch (siehe auch unten) folgen und bei den dort angegebenen Bio-Betrieben und Gärtnereien anfragen? Mit dieser virtuellen Bucherweiterung haben die Autoren Weitblick bewiesen.
Das Vorwort enthält in Sachen Kochen den weisen Rat, etwa Gemüsefond und Kalbsjus, also Grundrezepte, auf Vorrat herzustellen, damit man für die meisten Rezepte im Buch gerüstet ist. Dieses Kochbuch ist also mit Sicherheit etwas für die geduldigen und ausdauernden unter uns, was von den selbst Autoren auch so dargestellt wird.
„So schmecken Wildpflanzen" erzählt anhand der Koch-Biographie von Meinrad Neunkirchner auch, wie und wann die bunte Vielfalt außerhalb des Küchengartens in seine Kochphilosophie Einzug hielt. Der Beginn liegt 30 Jahre zurück. Die Idee, Wildpflanzen zu verwenden, kann mittlerweile als Trend bezeichnet werden, der auch den Sehern der jüngeren Gartensendungen (wohlgemerkt nicht Kochsendungen!) bekannt ist. Lebenspraktische Tipps zum Sammeln der Wildpflanzen samt Saisonkalender, zur Verarbeitung und eine kleine Kochkunde bilden die Vorgeschichte zu den nach Jahreszeiten unterteilten Rezepten.
Noch zwei Beispiel, um zu zeigen, dass dieses Kochbuch anders ist: Gänseblümchensirup erfordert zwei Kilo Gänseblümchenblüten und damit auch Zugang zu unbelasteten Pflanzen. Der Meister empfiehlt den Sirup unter anderem zum Glacieren von Karotten oder Wurzelgemüse, von Hühnerbrust oder als Marinade. Darauf muss man erst einmal kommen!
Auf den Tipp zum Rezept „Gebratener Saturnpfirsich mit Hollerblütenparfait und Himbeeren" (S. 76) auch. Da heißt es: „Die Kerne der Saturnpfirsiche am besten mit einer Elektrikerzange vom Stielansatz weg herausziehen."
Alles in allem ein Kochbuch mit Mehrwert: Mehr Wissen über Pflanzen vor der Haustür, mehr frische Luft beim Sammeln, mehr spannende Tipps vom Profikoch, mehr Kochspaß durch langwierige Zubereitung, mehr Hunger - weil man sich das Essen nach dem Suchen und Zubereiten verdient hat!