Was gibt es für den Menschen Wichtigeres zum Überleben, als Wasser zum Trinken? Wohl nur Luft zum Atmen. Schon in den einleitenden Worten zu seinem vorliegenden Buch zeigt der britische Autor Tom Standage die grundsätzliche Relevanz von Flüssigem für die Menschheitsgeschichte auf.
Je nach Zeit, Ort und Kultur erlangten verschiedene Getränke eine herausragende Bedeutung - und das nicht nur als Durststiller. Getränke wurden populär, die einem bestimmten Bedürfnis oder einem bestimmten Trend entgegenkamen. Mitunter gewann ein Getränk auch Einfluss auf den Lauf der Geschichte. Standage kommt daher zum Schluss, man könne die Weltgeschichte nach sechs verschiedenen Getränken - dazu zählt er Bier, Wein, Spirituosen, Kaffee, Tee und Cola - plausibel periodisieren. Denn „ (...) jedes einzelne war in einer bestimmten Epoche der Geschichte von der Antike bis zur Gegenwart das vorherrschende Getränk." (S. 10)
Eines muss den Lesern an dieser Stelle schon langsam klar werden: Flüssiges löscht nicht nur den Durst und ermöglicht so Überleben - den wesentlich größten Raum bietet der Autor vielmehr konsequenterweise der funktionalistischen Relevanz des jeweiligen Getränks. Diese konnte und kann von sozialer, politischer, aber vor allem auch wirtschaftlicher Natur sein.
Dabei handelt der Autor in der bereits zuvor angeführten Reihenfolge ein Getränk nach dem anderen ab - beginnend mit dem Bier, das schon in den ersten Hochkulturen in Mesopotamien und Ägypten als Zahlungsmittel fungierte. Als prägendes Getränk der Antike führt Standage (griechischen) Wein an - einem enorm wichtigen Exportgut sowie - mit Wasser verdünnt - wesentlichen Bestandteil von Trinkgelagen, wo man über Politik und Philosophie diskutierte. Mit rekordverdächtiger Geschwindigkeit trinken wir uns in weitere Folge über das Imperium Romanum hinweg und lassen auch noch das Mittelalter hinter uns, ehe Standage im Zeitalter der Entdeckungs- und Forschungsreisen auf neue Getränke hinweist, die man durch Destillieren gewann. Durch ihre lange Haltbarkeit waren Branntwein, Rum und Whiskey hervorragend für Transporte aus der Neuen Welt nach Europa geeignet und wurden häufig als Zahlungsmittel beim Kauf von Sklaven verwendet. Ganz im Gegensatz zu den neuen Spirituosen förderte der Kaffee das klare Denken, weshalb es nicht verwundert, dass dieser als dominierendes Getränk für Wissenschaftler, Geschäftsleute und Philosophen im Zeitalter der Vernunft fungierte. In manchen europäischen Ländern, vor allem Großbritannien, machte aber schon bald aus China importierter Tee dem Kaffee Konkurrenz. Die zunehmende Beliebtheit des Tees förderte den Handel mit dem Osten und damit den politischen Eroberungswillen und die Industrialisierung und machte Großbritannien zur ersten Weltmacht der Moderne. Coca-Cola hingegen, das letzte behandelte Getränk, begleitete den Aufstieg der USA zur Supermacht - als amerikanisches Nationalgetränk und Symbol des Konsumkapitalismus und der wirtschaftlichen Globalisierung.
Bei seinen Ausführungen zu den einzelnen Getränken geht Standage weitgehend immer nach demselben Muster vor: Zunächst beleuchtet er die Entdeckung, bzw. die Erfindung des Getränks, um in weiterer Folge die chemische Zusammensetzung und auch Zubereitungsweise zu untersuchen. Dabei wird auch auf den gesundheitlichen Aspekt des Getränks eingegangen.
Um zumindest etwas Wasser in den Wein zu gießen - ein Kritikpunkt zur Periodisierung: Die gewählte Zeitspanne der Betrachtung des jeweiligen Getränks ist für den Leser zwar weitgehend nachvollziehbar, doch nicht unbedingt gänzlich befriedigend, fokussiert sich der Autor doch vor allem auf die von ihm subjektiv ausgemachten „Glanzzeiten" des Getränks und nur selten auf eine Weiterwirkung bis in die Gegenwart. So wird bei Standage Bier und Wein praktisch nur bis in die Spätantike getrunken und Rum ausschließlich auf den Entdeckungsfahrten der Neuzeit. Der aktuelle „Ist-Zustand" des jeweiligen Getränks gelingt am besten noch - wie konnte es auch anders sein - beim aktuellsten Getränk, nämlich Coca-Cola.
Zudem wird das Buch seinem Originaltitel - A History of the World in 6 Glasses - in geographischer Hinsicht nur bedingt gerecht. Eurozentrisch ausgerichtet erzählt Standage uns nur bedingt eine „Weltgeschichte" der Getränke. Amerika wird mehr oder weniger nur im Zusammenhang mit Tee und Coca-Cola in Verbindung gebracht, Asien ausschließlich mit Tee. Zudem ist die Geschichte der Trinkkultur Südamerikas, Afrikas oder Australiens dem Autor keine Erwähnung wert.
Nichtsdestotrotz: Standage schreibt kurzweilig, witzig und hat bei jedem Getränk die eine oder andere aufheiternde Anekdote parat. Im Epilog wagt der Autor noch einen Ausblick: Wie heißt das Getränk der Zukunft?
Wohl nicht Red Bull.
Wasser.
Die Geschichte der Getränke ist wieder an ihrem Ursprung angelangt - beim Wasser. Die Versorgung mit Trinkwasser - derzeit gibt es einen weltweiten Trend zur Verschlechterung der Verfügbarkeit - wird in den kommenden Jahrzehnten eine enorme Herausforderung an die Menschheit darstellen.