Als „Grande Dame der Esskultur" wird die Autorin auf dem, in nicht eben schlichtem Gold gehaltenen Einband benannt; und sicher, souverän und selbstverständlich weiß sie in der Folge auch ihre „literarisch-kulinarische Reise" zu beginnen, die - für eine Deutsche von hoher Geburt wenig verwunderlich - bei Wilhelm II. startet. In zehn Kapiteln gibt die Autorin stets am Anfang einen gröberen historischen Überblick über die kulinarisch-kulturellen Bedingungen und Voraussetzungen eines Jahrzehnts. Dabei kommen auch kulturkritische und ernährungspolitische Fragen nicht zu kurz, beispielsweise wenn über die mitunter abseitigen Auswüchse gegenwärtiger Esskultur und Nahrungsmitteldistribution gehandelt wird („Quarkkeulchen, Skandale und Fernsehköche", S. 252-263). Gerade in ihren Ausführungen zu den Jahrzehnten zu Beginn des Jahrhunderts ist aber der Weg von einer anschaulichen und lebensnahen Darstellung der familiären Situation in Bezug auf die Küche als Ort der Gemeinschaft, die andere Abschnitte durchaus anzeichnet, zu einer undifferenzierten Sozialromantik nicht weit: „Kam der Mann von der Arbeit, so legte er sich ein Viertelstündchen auf dieses Sofa, die Zeitung auf der Nase, und schlief in der gemütlichen Küchenwärme sofort ein. Danach wurde am Küchentisch zu Abend gegessen, Skat gekloppt, Wäsche eingesprengt und gebügelt, ein Kreuzworträtsel gelöst, gestrickt und gestopft, genäht und gebastelt." (S. 23) Sicher, es mag solche Szenen vollkommener familiärer Idylle gegeben haben, keine Frage. Der Blick auf den „kleinen Mann" bzw. die „kleine Frau" hat aber an manchen dieser Stellen außerdem den Gestus des Herabschauens, etwa wenn davon berichtet wird, sozial deklassierte Hausfrauen hätten ihre Küchengeräte „voll Selbstbewusstsein" geschont und „ihren Stolz darin" gesetzt, „Altes zu benutzen, bis es zerfiel" (S. 24). Die Autorin nähert sich an diesen Stellen gefährlich dem Sprechen von der Waggerl'schen „fröhlichen Armut" an.
Im Anschluss an die den einzelnen Jahrzehnten gewidmeten Aufsätze wird anhand von je zwei herausragenden Werken der Epoche auf die literarische Reflexion der sozialen Bedingungen fokussiert - über die literaturgeschichtliche Bedeutung von Lena Christs „Madam Bäuerin" könnte man freilich auch anderer Meinung sein. Christa Wolfs „Der geteilte Himmel" (S. 200-202) wird so als Quelle für die 60er Jahre, Erich Maria Remarques Roman „Im Westen nichts Neues" (S. 70-72) für die gerade auch kulinarisch entbehrungsreiche Zeit des Ersten Weltkriegs herangezogen. Die wenigen Zeilen, die dabei den einzelnen Werken gewidmet sind, gehen aber leider kaum auf den literarischen Wert oder die Bedeutung der Texte für einen „gastrosophischen" Zugang ein, sondern begnügen sich mit knappen Ausführungen zum Drumherum und vermitteln zum Beispiel in der Auseinandersetzung mit Christa Wolf den Eindruck, das einzige Problem der Bewohner Ostdeutschlands in der Zeit der DDR sei es gewesen, nicht so leicht zu einem Weihnachtsbraten zu kommen.
Freilich, man sollte Publikationen stets auch daran messen, was sie sein wollen und welche LeserInnenkreise sie anzusprechen gedenken; und es wäre wenig zielführend, an das informative und leicht zugängliche Büchlein mit gestrengem und wissenschaftlichem Blick heranzutreten. Doch hat man immer wieder den Eindruck, dass es gar nicht unbedingt einen äußerst avancierten methodisch-theoretischen Background bräuchte, um den einzelnen Texten, die sich in Umfang und Komplexität natürlich auch erheblich unterscheiden, gerecht zu werden, sondern bloß etwas mehr Sorgfalt - und Zeit. Symptomatisch zeigt sich dies an der Auseinandersetzung mit Thomas Manns großem Roman „Buddenbrooks". Schönfeldt versucht den möglichen (und durchaus berechtigten!) Einwand, es könne problematisch sein, „Buddenbrooks" für das Kapitel „Essen und Trinken 1900-1910" fruchtbar zu machen, zwar noch zur Seite zu wischen, indem sie meint, es sei „gleichgültig, dass der Roman im 19. Jahrhundert spielt." (S. 41) Das 19. Jahrhundert wird damit aber quasi als eine homogene Zeit aufgefasst und es wird verschwiegen, dass sich gerade im Kulinarischen und in den Formen der Gastlichkeit der Auf- und Abstieg der Kaufmannsfamilie widerspiegelt - und dass dieser wiederum eng an die wirtschaftlichen, politischen und soziokulturellen Entwicklungen und Umwälzungen des 19. Jahrhunderts gekoppelt ist. Darüber hinaus ist es schlichtweg verfehlt, von einer „bürgerliche
Durch den offenbar vollständigen Verzicht auf kulturwissenschaftliche oder soziologische Basisliteratur präsentieren sich aber auch die historiographischen Abschnitte oftmals sehr holzschnittartig. Wenn davon gesprochen wird, dass nach dem Ersten Weltkrieg „
Überaus informativ wiederum erweisen sich die Rezepte, die jeweils am Ende der einzelnen Romanen gewidmeten Abschnitten angeführt sind: Wer - gerade aus einer jüngeren Generation und südlicheren Gefilden - wusste schon wirklich, was sich hinter dem „Plettenpudding" verbarg oder wer hätte nicht gerne der Lektüre von Walsers „Ehen in Philippsburg" mit den dort präsentierten Cocktails (noch) mehr Esprit verliehen? So stellt „Zu Tisch, zu Tisch!" sicherlich ein nettes und in Abschnitten auch sozialhistorisch informiertes Büchlein dar, präsentiert aber seinen Gegenstandbereich mitunter unnötig schematisch und auch sozialromantisch, was möglicherweise auch der gesellschaftlichen Herkunft der Autorin geschuldet sein mag. Die Auswahl der literarischen Texte ist interessant und vielfältig, der konkrete Zugriff auf diese bleibt jedoch im Wesentlichen defizitär und wird gerade komplexeren Werken kaum gerecht.