Erfahrungen gesellschaftlicher Krisen haben nicht selten die Rückwendung auf Vertrautes, emotional positiv Codiertes zur Folge: Sei es auf kollektiver Ebene die vielerorts zu beobachtende Tendenz zur Regionalisierung als Antwort auf bedenkliche Ausprägungen globalisierter Lebens- und Konsumwelt; sei es auf der individuellen Ebene die Erinnerung an Szenen familiärer Gemeinschaft und vergangener Übersichtlichkeit. Das reich illustrierte und, wie beim Mandelbaum-Verlag üblich, sehr wertig produzierte Buch „Was auf den Tisch kam" gehört zur zweiten Sorte. Der von Linda Wolfsgruber zusammengestellte Band versammelt Essensgeschichten aus verschiedenen Kulturen, erzählt von der gemeinschaftsstiftenden Funktion des Essens in Kenia (Shiraz Radaby) ebenso wie vom Reiz einfachster Speisen, die mit bestimmten gefühlsmäßig aufgeladenen personalen Settings in Verbindung stehen. Unter den kurzen, oft skizzenhaften Texten finden sich auch einige wenige bekannte Namen: So hat nicht nur Mandelbaum-Verleger Michael Baiculescu eine Geschichte aus der Wallachei beigetragen, sondern auch Michael Stavarič (zuletzt „Brenntage", C.H. Beck 2011). Er berichtet vom Scheiterhaufen der kurzsichtigen Tante, der manches Mal durch kleine Verletzungen beim Schneiden der Äpfel auch ein wenig Blut enthalten haben soll.
Es sind Anekdoten aus einer bei manchem Autor oder mancher Autorin schon länger vergangenen Kindheit, die immer wieder auf die spezifische Qualität des ‚Hausgemachten' und ‚Ursprünglich-Unverfälschten' abzielen. Sie zeigen dabei, dass meist weniger die Opulenz eines Mahls oder die Exquisitheit der Zutaten sie erinnernswert machte und macht, sondern vielmehr deren emotionale Komponente. Die Geschichten berichten vom gemeinschaftlichen Essen als familiäres Konfliktpotential ebenso wie von Gesten der Versöhnung (s. etwa den Text von Osman Ademi), von der Verweigerung des Essens ebenso wie von pubertärer Adipositas mit phantasievoll ausgeschmückter Gegenwelt („In meinen Bildern war ich natürlich schlank, energisch, kerzengerade mit forsch vorgestrecktem Kinn. Oder androgyn, hübsch, sportlich mich von Liane zu Liane schwingend, in Begleitung von Tarzan, der mich nach einem Flugzeugabsturz gerettet hatte und mit dem ich nun durch den Dschungel streifte." <127>) Jedenfalls davon, welch zentralen Sitz verschiedene Formen der Nahrungsaufnahme in kulturellen Zusammenhängen - auch und gerade aus einer kindlichen Perspektive - haben können. Wenn etwa Meinrad Zingele davon erzählt, eine Magd habe, als er ein „kleiner Junge" war, „Muis" gekocht (eine einfache Speise aus Wasser, Milch, Mehl und Butter), und er habe dabei „alles um (s)ich vergessen" können, „so gefesselt war