Wäre es ein Roman, könnte man hier den allwissenden - auktorialen - Autor am Werk sehen. Wenn aber ein Sachbuch derartige Geschichten erzählt, wähnt man sich manchmal wirklich in einem eher schlechten Roman. Den Eindruck eines auktorialen Erzählers erweckt Zipprick, weil er seine kulinarische Sozialisation, also seine Lehr- und Wanderjahre ausführlich schildert und dabei seine Stationen und die großen Adressen, bei denen er speiste, der Reihe nach aufzählt, um seine Kompetenz so zu untermauern. Freilich geschieht dies selbstkritisch, ironisch gebrochen. Immerhin wurde der Autor Küchenkritiker - auf Dauer aber kein angenehmer Job: Viel essen: Mittags und abends jeweils ein Menü, wenig Spesen und wenig Einkommen.
Die Kriterien der Testesser sind subjektiv. Gewöhnlich schauen sie darauf, was die anderen geschrieben haben. Die Deutschen kochen besser als ihre Kollegen in teuren Pariser Brasserien, stellen ihr Licht eher unter den Scheffel. Die französischen Köche setzen sich gerne in Szene und die spanischen Köche sind fast alle etwas großmäulig und davon überzeugt, die Zukunft des Essens liege auf der iberischen Halbinsel. Die Zunft der Küchenkritiker ist manchmal zu eng mit Köchen verbunden, praktisch alle Food Fotos sind so geschönt, dass sie keiner Realität auf den Tellern mehr entsprechen.
Manche Köche sind enorm reich geworden, weil sie Kochbücher verkaufen, im Fernsehen erscheinen, deswegen Werbeverträge erhalten. In der Küche stehen sie kaum noch. Viele aus dieser Zunft denken nur noch an Gewinnmaximierung: wenig Geld für den Wareneinsatz, geringe Gehälter für das Personal, das sichert hohe Gewinne, die sich an den Porsches oder Geländewagen zeigen. „Convenience- Food" hat den Siegeszug angetreten. Was eingekauft wird, ist oft dritte, vierte, fünfte Wahl - auch in den „Spitzenrestaurants". Meerestiere stehen unter falschen Namen auf der Karte, Zuchtlachs erscheint als Wildfang. Bei den teuren Trüffeln werden mit Trüffelöl aromatisierte billige Chinatrüffel serviert.
Der Großteil des Werkes widmet sich der Entzauberung des Molekularkochs Ferran Adrià. Dieser hat die Rezepte nicht, wie er sagte, selbst entwickelt, sondern verdankt sie einem Forschungsinstitut in Bremerhaven, das sie für die Food-Industrie entwickelte. Das berühmte „Power-Pulver" enthielt nicht weniger als 13 E Nummern. Stoffe wie E 461 Methylzellulose dienten als Geliermittel, dieses bildet aber den Hauptbestandteil von Tapetenkleister. Auch E 473 Zuckerester findet sich, der in großen Mengen abführend wirkt. 1,6 g pro Kilo gelten als hinnehmbar, bei Adrià sind es umgerechnet 12 g in seinem „Kirsch-Air". Es ist eine Liste der Scheußlichkeiten, manche Stoffe sind sogar in der EU verboten. Die Wirkungen sind manchmal durchschlagend, bis abführend... Die Olivenöl-Spirale wies mehr mehr als 50 % Additive auf: 103 g Zusatzstoffe für 45 g Olivenöl. Die enthaltenen 100 g E 953 Isomalt wirken an sich schon in Dosierungen von 20 g abführend. Wenn es besonders gut und appetitlich riecht, kommen gewöhnlich Aromensprays zum Einsatz.
Am Ende summiert es sich zur großen Enttäuschung. Auch die Restaurantführer haben versagt, der Guide Michelin lässt an Zuverlässigkeit mangeln (was ich aus Erfahrung bestätigen kann). Kritiker und kritische Köche werden mundtot gemacht, Medien und manche Küchenkritiker „spielen mit". Dahinter stehen riesige Vermarktungs- und Wirtschaftsinteressen. Wir sind düpiert und frustriert und verbittert, so wie der nun gar nicht mehr auktoriale Jörg Zipprick. Das gut lesbare Buch verhilft zur notwendigen Mündigkeit des Konsumenten.