Die Klugheit als Direktive von Essverhalten anzupreisen, ist Balsam auf die gastrosophische Seele. Susanne Holst, bekannte Fernsehmoderatorin und Medizinjournalistin, steht mit ihrem neuen Buch in genau dieser Argumentationslinie. Wenn Sie also nicht über Ihr Ernährungsverhalten nachdenken wollen, wenn für Sie Essen bloße Aufnahme von Nahrung bedeutet, die Beobachtung der Lebensmittelpackung im Supermarkt bei der Feststellung des Preises stecken bleibt, sie nicht den Prozessen nachgehen möchten, „was das Essen in uns macht"(101), dann wird Ihnen gleich die Eingangsfrage den Rat geben, das Buch Bildungswilligeren zu überlassen. „Sie wollen sich besser ernähren als bisher" (7) wird man eingangs entwaffnend gefragt, denn die folgenden Seiten setzen ein pactum mutuum mit der Autorin voraus, einen Wandlungswillen, einen „Reformwillen", um ganz aktuell zu reden!
Stringent durchzieht das Anliegen des Titels die einzelnen Kapitel des Buches. Von der Feststellung der aktuellen Ernährungslage in Deutschland wandelt sich der argumentative Duktus gleich ins therapeutische. Strategien im Umgang mit sich selbst, dem Einkauf, dem Verzehr, des situativen Essens, etc. zeigen die weitläufigen Implikationen des Ernährungsphänomens konsequent auf. Die Komplexität des Ernährungsthemas wird bei Holt somit nicht nur schnell sichtbar, sondern wirkt durch zahlreiche Beispiele, aus der medizinischen Forschung, der Soziologie, Ökonomie u. a. auch sehr überzeugend! Ganz im Sinne der modernen „didactical" correctness wird überwiegend vom Positiven, Nachahmenswerten gesprochen, besonders im Schlusskapitel der alphabetisch gereihten „Gesundheitshelden". Es finden sich die „Klassiker"; ob Apfel, Fisch, Kümmel oder dem hassgeliebten Spinat. Thematisch in der Bipolarität von Gesundheit und Krankheit verortet, macht die Autorin in allen Kapiteln dem Leser konsequent deutlich, welche Urteile er eigentlich mit seinem Ernährungsverhalten über sich selbst fällt und wie viel er mit seiner alltäglichen Nahrungswahl an Veränderungspotential in eigenen Händen hat.
Holt überzeugt durch einen angenehm leserlichen und journalistisch-lockeren Stil. Sie schreibt als Ernährungswissenschaftlerin, auf einer allgemeinen Ebene der Inhaltsstoffe oder Wirkungen von Lebensmitteln sowie organischen Reaktionen, und sie tut es auch als Mutter, in den konkreten Beispielen des täglichen Bemühens um gesunde, ausgewogene Kost - nicht nur, aber vor allem bei Kindern! Das Buch gewinnt besonders dadurch, dass sehr lebensnah, mit vielen Tipps gearbeitet wird, und der Ratgeberstil zum einen argumentativ mit großer Authentizität auftritt, zum anderen strukturell sehr übersichtlich vom übrigen Fließtext abgehoben ist und eine punkteweise Lektüre anbietet. Das Buch richtet sich eindeutig an den ernährungsinteressierten Leser, der zu alltäglichen Problemen praktische und schlüssige Änderungsvorschläge haben möchte. Dies dürfte auch den Umstand erklären, warum zwar häufig mit Studien und Forschungsergebnissen argumentiert wird, welche aber weder in Fußnoten noch in einem weiteren Verzeichnis am Ende des Buches zu finden sind. Das ist ferner erstaunlich, da für Holt die Legitimitätsgrundlage ihrer Argumente genau in jenen Ergebnissen liegen, sie also nicht mit Erfahrungen ärztlicher Praxis arbeitet. Gelingt ihr zwar auf der einen Seite der Ratgebercharakter ausgezeichnet, bleibt andererseits die Unmöglichkeit des Nachvollzugs der verwendeten Studienergebnisse ein Mangelpunkt. Denn dem mündigen Leser wäre es schon zuzutrauen, sich über ihre „unendlich viele(n) und manchmal vielleicht auch verwirrende(n) Informationen und Anregungen" hinaus konkret zu informieren. Aus der Intention ihres Buches heraus ist dieser Quellenumgang jedoch schlüssig, denn vielleicht mehrt die Vertiefung in statistische Ergebnisse die Freude am genussvollen Essen wirklich nicht? Den Wunsch nach viel Erfolg auf dem Weg zu einer gesunden Ernährung dürfen alle sich für klug Haltende jedenfalls gerne mitnehmen.