Den Band mit seinen gut zwei Dutzend Beiträgen und über 400 Seiten kann man hier nicht ausführlich besprechen. Wer sich mit Gegenwart und Zukunft der Ernährung beschäftigt, findet reichhaltiges Material aus verschiedenen Zugangsweisen und Perspektiven. Die Lektüre lohnt allemal.
Das Werk enthält vier große Kapitel: In der Ernährung von Morgen greift Gunther Hirschfelder weit aus, um Utopien, Prognosen oder Prophezeiungen einer künftigen Ernährung auseinander zu halten. Im Lichte kritischer Sichtweise stellen sich die meisten Voraussagen eher als Prophezeiungen mit entsprechendem Realisierungsgrad heraus. Das steht durchaus in einem Spannungsverhältnis zu einem der folgenden Aufsätze mit der Analyse gesellschaftlicher Megatrends. Diese sehen eine Richtung „vorwärts zum Ursprung". Wie weit hier „seriös" gearbeitet werden kann, wäre eine kritische Untersuchung wert. Das betrifft auch die berühmte Gruppe der „LOHAS", der „konsumfreudigen Hedonisten". Ob es diese Gruppe, die angeblich zwischen 10 und 30 % der Bevölkerung umfassen soll, in der Realität - und nicht als Erfindung von Marketingleuten - gibt, wäre auch einmal zu reflektieren. Andere Beiträge bestätigen allgemein Bekanntes: der Außerhausverzehr wird steigen, die gemeinsame Familienmahlzeiten wichtig bleiben, der Fleischverbrauch ist bei uns zu hoch, nimmt aber ab.
Der Teil „Essen im Spannungsfeld von Individuum und Gesellschaft" geht den Themen: Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit, individuelle und gesellschaftliche Verzehrmuster und ihren Konsequenzen nach. Auch hier sind manche Befunde bekannt, dass der Wohlstand der reichen Gesellschaften zu Lasten der Armen geht, dass die Lebensmittel nicht ihren wahren Preis haben, dass die Menschen sich krank konsumieren. Wie weit hier individuelles Versagen, sozialer Druck, mangelnde Reflexion, Ausfluss der Werbung dahinter stecken, wird kontrovers diskutiert. Daraus ergibt sich die Frage, wie Konsumenten zu einem entsprechenden Verhalten bewegt werden könnten. Doch welches dies wiederum freilich ist, müsste noch kritischer gesehen werden, wie auch eine potentielle Fürsorgepflicht des Staates. Denn wie im weiteren Kapitel: Lebensmittel-Technik, Trends und Traditionen dargelegt wird, gibt es durchaus Modellvorhaben für Gesundheitsförderung, gerade von Kindern. Doch die Bemühungen werden oft durch Werbung und PR konterkariert.
Auf einen momentanen Widerspruch geht etwa Thomas Vilgis ein, der sagt, Essen wird immer „technologischer" und „molekularer", andererseits steht diese Entwicklung in einem vollkommenen Widerspruch mit der Bewahrung und Entwicklung der Esskultur. Dazu sei der Zusammenschluss von Köchen und Wissenschaftlern vonnöten. Das bedeutet, Verhalten zu verändern, Anreize zu geben, um das Verhalten zu verändern, gerade wenn und weil konventionelle Muster allenthalben noch vorhanden sind.
Der Band liefert einen Überblick über den gegenwärtigen Stand des Wissens und der Diskussionen und regt zu weiteren an. Unzweifelhaft besteht großer unmittelbarer Handlungsbedarf. Reden beim und übers Essen allein wird angesichts der gegenwärtigen Situation nicht mehr genügen. Ein Aktionsplan, der aus einer solchen Tagung entspringen könnte, findet sich hier freilich nicht.