Das Buch überfordert jedes Bücherregal und die Leser wohl auch! Bei einem Einzelgewicht von 2,8 oder 3,8 - auf der Küche gewogenen Kilogrammen - lässt sich kein Band lässig lesen. Der Plexiglasschuber mit den fünf großformatigen Bänden samt den Begleitheften nähert sich also der 20 kg Marke - viele Bücherregalbretter sind auf solche Gewichte nicht ausgelegt. Sie überfordern aber auch manche Köche, für die das Werk eigentlich bestimmt ist. In der Einleitung wird das realistisch erkannt und ausgedrückt. Denn dieses Werk, auf der Höhe der technischen Entwicklung in der Küche und auch im spezifischen Wissen um Produkte und Zubereitungstechniken zeigt, was jetzt möglich ist. Die abgebildete Küche gleicht darum mehr dem Labor einer naturwissenschaftlichen Forschungsstätte als einer Gastronomieküche.
Das gesamte Werk atmet den Geist einer naturwissenschaftlich inspirierten Kochkunst und manche Rezepte entspringen der Molekularküche. Die industriellen Technologien der Lebensmittelverarbeitung sind hier eingeflossen. Das wird man diskutieren müssen - auch auf der Basis dieses Werkes.
Die Bebilderung und die Fotos sind schlichtweg umwerfend. Das ist Food-Fotografie auf dem absoluten Spitzenlevel. Wenn auch die vielen schwarzen Hintergründe wieder einmal Geschmackssache sind, die Fotografie dieses Buches ist richtungsweisend, trägt sehr zur Veranschaulichung und zum Verständnis bei.
Band 1 beschäftigt sich mit Geschichte und den Grundlagen, geht ausführlich auf die „Revolution" dieses Buches ein, bringt die Geschichte, und legt die Basis der Rezepturen dar.
Das nächste Kapitel bringt eine Mikrobiologie für Köche und zeigt etwa, wie Noroviren Lebensmittel kontaminieren können. Auch auf BFE wird eingegangen. Daraus ergibt sich ein weiteres Kapitel über Sicherheitsregeln, über Ernährung und Gesundheit. Im Abschnitt Hitze und Energie steht im Mittelpunkt die Effizienz die Wärmeübertragung, samt physikalischen Formeln. Band I schließt mit einer Abhandlung über Wasser, über Frieren und Schmelzen. Band II wendet sich der Technik und der Ausrüstung zu. Der 1. Abschnitt behandelt die traditionellen Zubereitungsweisen, so wird etwa die Wirkungsweise eines Woks erklärt, nach einem Zwischenkapitel über moderne Öfen, etwa die Mikrowelle, kommt der große Teil des Sous-vide-Kochens. Diese Zubereitung steht im Mittelpunkt des gesamten Werkes, deswegen ist auch die notwendige Ausrüstung genauestens dargelegt. Für die Umsetzung gibt es einen äußerst detaillierten Rezeptteil. Der Band enthält die Basis über die folgenden Bände, da immer wieder auf die Sous-vide-Techniken zurückgegriffen wird.
Band III bringt „Meats and Seafood", über die Zubereitung von Tieren, Pflanzen und Gemüsen. Als Bebilderung treten ein enthäutetes Huhn und eine dito Gans makaber aufgerichtet als Beispiel für unterschiedliche Geflügelarten und deren Zubereitung auf. Ausführliche Erläuterungen folgen über Fisch, Fleisch, über das richtige Schneiden, Filetieren, gefolgt wiederum von Rezepten, samt zahlreichen Tabellen für Zubereitungen. Ein eigener Teil wendet sich der Pastaherstellung mit der zentralen Botschaft am Anfang, es geht um die „Textur".
Band 4 bringt ein hervorragendes Kaffeekapitel, ansonsten Ingredienzien und Zubereitungen, Verdickungsmittel, wie Stärke oder Hydrokolloide, die diversen Stärkemittel. Bei manchen Rezepten kann man diskutieren, wenn etwa auf ein Pfund Kartoffel ein halbes Pfund Butter plus Sahne kommt, um ein Kartoffelpüree herzustellen. Auch das Kapitel mit der berühmten „Sphärifikation" fehlt nicht. Hier haben wir den Übergang häufig von der traditionellen Küche hin zur „Modernist Cusine". Band V enthält wesentlich die Rezepte in aller Spannbreite.
Das Werk zeigt was möglich ist, gerade in der „modernistischen Küche" wie Band IV mit den Verdickungsmitteln, den Gelen, Emulsionen und Schäumen belegt. Die Zubereitungsweisen setzen eine entsprechende Ausstattung an Geräten voraus. Manche aus wissenschaftlichen Überlegungen gewonnene Erkenntnisse verblüffen oder schockieren, so z.B. das Dekantieren von Wein in einem Mixer. Die herkömmlichen Weintester mag es vor den Kopf stoßen, wie hier mit ihren Ergebnissen umgesprungen wird, denn die Autoren des Bandes haben die wissenschaftliche Literatur zusammengetragen, die es über das Verkosten von Wein gibt. Das sei, so meinen sie, ein ziemliches Brimborium, denn die Qualitätsaussagen seien so willkürlich, als ob die Ergebnisse ausgewürfelt wären. Auch mit dem Gewese um das „Terroir" wird aufgeräumt. Das mag ernüchternd sein, ist aber für den Konsumenten ein großer Erkenntnisgewinn. Ein Begleitheft enthält ein Küchenmanual, welches im Grunde das Rezeptbuch zum Gesamtwerk ist.
Das ist wohl momentan das Maß der Dinge, sowohl in den gewonnen Erkenntnissen als auch in der Darstellung und Umsetzung. Als Koch wird man nicht umhin kommen, sich damit auseinander zu setzen. Aber auch für Leser unterhalb oder außerhalb dieser professionellen Sphäre bietet dieses Werk enormen Erkenntnisgewinn. Der Taschen-Verlag hat sich hier Verdienste erworben. Als Anregung sei mitgegeben, daraus eine etwas kleinere handlichere, kostengünstigere Variante (jetzt € 399) zu entwickeln - gerade auch für einen breiteren Leserkreis. Was der Verlag nicht liefern kann, ist die Zeit, die man aufwenden muss, aber auch aufwenden soll, um diese 6 Bände durchzuackern.
Angesichts der Qualität des Preises bekam das Werk unseren „Prix Epikur" im Rahmen der Katharina Prato-Preisverleihung in Graz.