Einen Herausgeber für dieses Werk sucht man im Impressum vergebens - und kann bei der bibliographischen Titelangabe auch keinen liefern. Genannt sind der Fotograph Helge Kirchberger, dem für seine meisterlichen, schwarzgrundigen Bilder hohes Lob gebührt, Christoph Schulte als Texter, der Roland Trettl lässigen Jargon verleiht, weil der wohl zum coolen Überfliegertum gehört. (Dass hier einmal der Texter erwähnt wird, verdient angesichts des üblichen Ghostwriter(un)wesens in der Kochbuchliteratur Anerkennung. Haben Sie sich noch nie gewundert, wie gut manche Köche auch „schreiben" können...?). Analog zeichnet für „Erarbeitung, Adaption und Redaktion der Rezepte" Irmgard Rumberger verantwortlich. Wo aber bleibt der „Chef"? Roland Trettl kommt nur in der Danksagung des Impressums zum Vorschein. Interpretieren wir das alles einmal als freundliches Unterstatement, als demonstrative Teamgesamtleistung, wodurch alle (Gast) Köche ihren großen Auftritt bekommen.
Das Prinzip ist mittlerweile bekannt, im Restaurant „Ikarus" kocht jedes Monat, mit Ausnahme August, da tritt Trettl mit seinem Team an, ein anderer Spitzenkoch. Zählte man die Michelinsterne zusammen, reichte es für die Milchstraße der Gastronomie. Im Vorwort von Eckart Witzigmann (sind diese „Diskurse" von ihm?) wird stolz die Einzigartigkeit dieses Konzepts gelobt, dann erzählt Roland Trettl, wie vorhin gesagt, einige Anekdoten und Geschichten aus der Geschichte dieses Konzepts und des „Ikarus". Es beginnen dann die 12 Menüs des Jahres 2011. Der Aufbau folgt dem gleichen Schema, einer Art Grundsatzerklärung steht ein großformatiges Foto des Kochs gegenüber, der auf der folgenden Seite vorgestellt und daneben in seinem heimischen Wirken bebildert wird. Eine ein- bis zweiseitige Fototafel, mit modischem schwarzen Untergrund hebt die Gerichte hervor. Die schmale weiße Rahmung der Seiten lässt die wenigen Elemente der Gerichte mit ihrem gewollt architektonischen Aufbau als künstlerisches Gemälde erscheinen; darin könnte man die aktuelle Richtung eines Food-Post-Pointillismus sehen. Denn die Gerichte setzen sich überwiegend aus etlichen bunten Tropfen, Punkten, Streifen, Scheiben, Klötzchen zusammen, wieder auf schwarzem Untergrund - Tellern, Platten angerichtet. Sie alle bilden das vielgängige Menü.
Wie es denn bei dieser Sterneküche nicht anders sein kann, nehmen wir Claus-Peter Lumpps Menü als Beispiel, fehlen die „Prestigeprodukte" zum Erweis dieser Liga nicht: Langostinos mit Imperial-Kaviar, Gänsestopfleber, Jakobsmuschel, Kingfish, Lammrücken aus seiner Region - und das wiederholt sich anderswo. Es fehlen auch nicht die Austern, die Trüffel. Dazu kommen die beliebten „Vermischungen" wie bei Goossens der Langostinos mit den Schweinebacken, -bauch und Blumenkohl. Statt der früheren „Beistrichküche", wo alle Bestandteile der Reihe nach aufgeführt wurden, getrennt durch den Beistrich, leistet dies jetzt der Schrägstrich, der nur noch die Substantive scheidet: „Heidelbeere / Alpenmilch".
Die Gerichte ließen sich zum größten Teil nachkochen, die Anleitungen sind ausführlich genug, es braucht auch selten extraordinärer Zutaten oder Gerätschaften. Es dürfte auch Ambitionierte geben, die es versuchen werden. Doch als Kochbuch sehe ich das zum Allerwenigsten - und darum gehe ich hier auch nicht weiter darauf ein. Es ist eine sehr gut gemachte Dokumentation des kulinarischen Zeitgeistes des Jahres 2011, etwas fürs entsprechende Archiv, denn man sieht sehr deutlich die Mode - und der Vergleich mit den anderen Bänden wird dies noch deutlicher machen. Das ist keine Kritik; auch die Küche geht mit der Mode, muss es wohl auch, um Neugier zu erwecken und Kunden zu gewinnen. Nachdem „Küche" auch die Gesellschaft ausdrückt, haben solche Werke für deren Analyse ihre Aussagekraft. Zum einen sieht es international auf den Tellern - für den Nicht-Fachmann - doch ziemlich gleich aus (wie doch auch in der Kleidungs-Mode). Die Köche, das ist bekannt, lassen sich gerne inspirieren. Dieses Buch ist eine Quelle - und wird für weitere Analogien sorgen. Nimmt man Restaurantbewertungen aus dem Internet mit hinein und analysiert die Loblieder, die Kritik, die Ressentiments (was mehr mit individueller Wahrnehmung als realer Küchenleistung zu tun hat), dann wird dieses Buch nicht im Regal stehen, sondern für Gäste gut sichtbar liegen, um zu zeigen, dass man auch schon dort war - man in diese Schicht gehört. Ein Status-Accessoire.