Der Koch als ‚Handwerker' und Berufsstand ist in der mittelalterlichen Forschung ein selten behandeltes Thema. Sprachlich wie inhaltlich äußerst unterhaltsam - eben britische Wissenschaftsprosa für ein breites Publikum - werden Beispiele aus allen Perioden des Mittelalters präsentiert. Der Schwerpunkt liegt jedoch auf der englischen und französischen Küchengeschichte des 15. Jahrhunderts, schon allein wegen der damals zunehmenden Informationsflut durch weltliche wie religiöse Literatur und darstellende Kunst. Äußerst erfrischend ist die Art, wie Beispiele im modernen Kontext geradezu arrangiert werden, um die Aufgaben, Probleme und Leistungen der Köchinnen und Köche in allen Bereichen der englischen Gesellschaft und des Jahres zu präsentieren: vom einfachen Imbiss auf der Straße über den Leihkoch (die Vorform des Essens auf Rädern) bis zum bäuerlichen, bürgerlichen und (täglichen) aristokratischen Festmahl. Auch wenn es nicht so deutlich thematisiert wird: Im Falle der Kochkünste müssen wir immer von einer großen Diskrepanz der schriftlichen Quellen und der Wirklichkeit im Alltagsleben ausgehen. Die Hauptkapitel geben zunächst die Vielfalt der untersuchten Aspekte nur indirekt wieder: „The Cook in Context, The Cottage Cook, Fast Food and Fine Catering, The Comforts of Home, The Staging of a Feast, On the Edge: the Cook in Art". Ein genauerer Blick in den zweiten Abschnitt „The Cotttage Cook" kann die behandelte Themenbreite verdeutlichen. Als Unterkapitel finden sich: "The Problems; the Materials; Methods and Equipment; Feeding the Youngest Members of the Family; Feeding the Rest of the Family - Fruit and Vegetables; Grain and Bread; Milk, Butter, Cheese; Eggs; Meat and Poultry; Fish; Dreams, Rewards, and Celebrations; Help and Hindrance; Reinforcements" - nur der vielfach erstellte medizinische Bezug fehlt hier zumindest in der Kapitelüberschrift, nicht aber in der Darstellung. Das Buch ist, wie man schnell an den genannten Beispielen erkennen kann, keineswegs sehr systematisch und daher nicht trocken. Selbst theologische Themen wie die Höllenküche im Fegefeuer oder das bewährte Kochen von Heiligen als deren Martyrium finden Beachtung, und auch die Fresssucht als Laster oder Todsünde kommt wiederholt vor: Selbst die Sauce allein kann bereits als verwerflich oder sündhaft gelten: „Sauce was founde by gluttony" - frei übersetzt: Die Soße ist eine Ausgeburt der sündhaften Fresserei (S. 1). Abschließend noch ein Gedanke zur Qualität der englischen Kochkünste im MA: Sie scheint sich von denen in ‚Europa' nicht besonders unterschieden zu haben, schon allein durch die enge politische und personelle Verbindung nach 1066 mit Frankreich und durch die Lage der Bauern - nur bei denen gab es bis auf Dorffeste o.ä. keine Berufsköche, höchstens Bäuerinnen als Köchinnen. Der intensive Gebrauch von Gewürzen ist (hoffentlich!) zu vermuten, und die Kunst der Dekoration (Glasieren, Farben - oftmals Safran, aber auch Petersilie u.a., auffällige Formen) war wichtige Kunst des Handwerks. Einige Rezepte sind zur Veranschaulichung und zum Nachkochen mitgeteilt (S. 229-234). Lecker für den englischen Gaumen sind zweifellos Fleischbällchen aus Hammel und Schwein, gewürzt mit Ingwer, Nelken und Paradieskörnern/Guineapfeffer und Petersilie, damit sie grün wie Äpfel aussehen: Pommeaulx. Und ein beliebtes mittelalterliches ‚Standardgericht' wird vom Rezensenten auch zweimal wiedererkannt, selbst wenn es nicht mit dem kontinental üblichen Namen bezeichnet wird: Blancmanger. Erwähnt als „a mixture of cooked chicken meat, almonds and broth is to be pounded in a mortar" (S. 15) - eine Mischung von gekochtem Huhn mit Mandelmilch (aus Mandeln und Brühe) im Mörser verrührt. In einem Kochbuch aus Neapel, ein seltener Exkurs in den europäischen Süden, wird eine Fastenspeise eines ‚Falschen Ricotta' aus Mandelmilch und Fischbrühe erwähnt (S. 90, beide nicht über das leider zu schmale Register zu finden). Noch eine Kostprobe für Zahnlose, was im Mittelalter verbreitet war: „Verstärke das Aroma von getrockneten Erbsen (eine gängige Aufbewahrungsart), indem du sie mit Speck kochst. Vergiss nicht, den Speck danach zu schwemmen, damit er nicht beim Servieren mit Erbsenbatzen verunziert wird (S. 230)." Man darf nie vergessen, dass beim Kochen im Kessel die Kalorien fast komplett erhalten bleiben und daher der bacon nicht gebraten wird. Heute macht man Letzteres und kocht die Erbsen bestenfalls nur in Salzwasser. Das nennt man kulinarischen Fortschritt. Man wäre geneigt, „Guten Appetit" zu rufen, doch gute Wünsche zum Mahl sind den Engländern bekanntlich heute fremd. Auch wenn die Alltagsküche schrecklich fad war, dieses Buch ist das Gegenteil: gustiös.