Das neue Buch des renommierten Schweizer Tieranwalts Antoine F. Goetschel (laut Klappentext „The world's top animal lawyer") wird auf dem Cover als „unverzichtbarer Beitrag zu einer neuen Sicht auf das Verhältnis zwischen Mensch und Tier" beworben. Nun kann man diskutieren, ob die in diesem engagierten Buch präsentierte Position wirklich „neu" ist - schließlich hat Goetschel es sogar bereits erreicht, dass in der Schweizer Verfassung der Begriff der „Würde des Tieres" verankert wurde, der von zentraler Bedeutung für seine Position ist. Und dass das „Verhältnis des aufgeklärten, modernen Zeitgenossen gegenüber Tieren <...> widersprüchlich
Anhand dieses pragmatischen Maßstabs, der es nach Goetschel möglich macht, jenseits der reinen Gefühlsebene bzw. über die „'empfundene' Tierliebe" hinaus über richtiges und falsches Verhalten gegenüber Tieren zu urteilen, erarbeitet er in den folgenden Kapiteln die Antworten auf Fragen wie die, wieso die Katze auf dem Schoß und der Fisch in der Pfanne landet, was den Tieren unsere (im schlimmsten Fall industrielle) Haltung nützt, ob jeder, der Tiere liebt, auch tatsächlich ein Tierfreund ist, ob Tiere zu therapeutischen Zwecken ge- bzw. missbraucht werden dürfen, ob Tierversuche wirklich notwendig sind, ob man Sadist sein muss, um Tiere zu quälen (bzw. ob es nicht reicht, sie artwidrig im Privathaushalt zu halten oder krankmachende Zuchtideale zu verfolgen) und ob wir wilde Tiere nicht dort lassen sollten, wo sie hingehören: in der Wildnis.
Natürlich sind die Antworten des Tieranwalts auf alle diese Fragen nicht überraschend, und die Frage des vorletzten Kapitels: „Brauchen wir wirklich Tieranwälte?", bezeichnet Goetschel selbst als eine „rhetorische" (S. 205), aber ebenso „natürlich" ist es legitim, dass jemand wie Goetschel, der sich seit 30 Jahren für die Stärkung des Tierschutzes engagiert, mit seinem Buch „möglichst viele Menschen" animieren möchte, „als juristischer Experte oder einfach als Mensch mit Verantwortungsbewusstsein" selbst „Tieranwalt" zu werden.
Diesen (potentiellen) Tieranwälten bietet Goetschel im letzten Kapitel („Was tun?", S. 227 ff.) ein „Argumentarium" an, eine Liste von Argumenten, die nach seiner Überzeugung (und nach seiner Erfahrung) geeignet sind, auch „spitzfindigen Debattierern" gewachsen zu sein (S. 227).
Allerdings hat dieses „Argumentarium" auch seine Untiefen bzw. bietet gerade „spitzfindigen Debattierern" nach meiner Einschätzung eine Reihe von Angriffspunkten gegen die Argumente des Tieranwaltes. So kann man beispielsweise spitzfindig fragen, wieso man überhaupt die „Würde des Tieres" als Dreh- und Angelpunkt der Tierethik Goetschels anerkennen „muss" oder auch nur sollte. Abgesehen davon, dass selbst der Begriff der „Menschenwürde" analytisch höchst unscharf ist, kann man Goetschel wohl zustimmen: „Gesteht man einem Tier Würde und Integrität zu, dann ist jeder Eingriff in seine Geschaffenheit, in sein Wesen unzulässig" (S. 35). Und wenn man dieses Zugeständnis nicht macht, diesen für die Position Goetschels entscheidenden hypothetischen Imperativ für sich nicht gelten lässt und auf dem altbekannten „Abwehrargument" (S. 31) beharrt, dass der Mensch im Gegensatz zum Tier vernunftbegabt sei, mit Sprache und Intellekt ausgestattet, während das Tier gar nicht wisse, was ihm geschehe, weshalb es in moralischer Hinsicht weder Träger von Pflichten noch von Rechten sein könne? Man kann Goetschel ohne weiteres zugestehen, dass dieses „Abwehrargument" nichts anderes als eine bloße Behauptung ist - aber eben dies gilt auch für Thesen wie: „Tiere sind Lebewesen, die einen eigenen Daseinszweck und eine ihnen innewohnende Würde haben" (S. 161). Und man kann Goetschel ebenso zugestehen, dass aus dem „Argument", Nutztierhaltung sei nun einmal „Bestandteil der menschlichen Kultur" (S. 233), nicht logisch folge, dass das so sein und bleiben müsse. Doch aus dem Vermeiden dieses naturalistischen Fehlschlusses „folgt" nicht die Richtigkeit des Umkehrschlusses - es „folgt" logisch überhaupt nichts. Ebenso wenig „folgt" aus dem Umstand, dass Tiere ihr subjektives Empfinden von der höchsten Priorität des eigenen Lebens „nicht äußern und verteidigen können", die „moralische Pflicht des Menschen, auch im Sinne des Tieres zu handeln" (S. 228). Und aus dem (m. E. ohnehin fragwürdigen) Umstand, dass der Mensch im Gegensatz zum Tier „eine Moral
Schließlich ließe sich im Ausgang von der Feststellung, dass Tiere nicht in der Lage sind, ihr subjektives Empfinden von der höchsten Priorität des eigenen Lebens (und das der eigenen Nachkommen) auszudrücken und zu verteidigen, noch eine spitzfindige Kritik am Titel des Buches anfügen: „Tiere klagen an". Sie tun es eben nicht! Genau deshalb braucht es „Tieranwälte", die Menschen wie Antoine Goetschel bei ihrem Kampf um die kontinuierliche Verbesserung des Tierschutzes und die Überwindung der Widersprüchlichkeiten und Paradoxien im Mensch-Tier-Verhältnis unterstützen und den (anderen) Tieren ihre Stimme leihen. Es ist zu hoffen, dass Goetschels Buch - nicht zuletzt im längstens mittelfristig kalkulierten Eigeninteresse der Menschen selbst - diesen Zweck möglichst erfolgreich erfüllen wird.