Der Münchner „Pschorr" ist ein Wirtshaus der ganz besonderen Art: Die Wirtsleute Inka und Jürgen Lochbihler schaffen einen Spagat zwischen althergebrachten Rezepten und Traditionen sowie zeitgemäßen Ansprüchen an Qualität und Gastronomie. Die Tatsache, dass ein Buch über Küche, Kochen und Zutaten eines Gasthauses herausgegeben wurde, könnte Gefahr laufen, als plumpe PR-Vermarktung zu enden - doch auch diesen Eisberg haben Autoren und Gastronomen gekonnt umschifft. Was herausgekommen ist, ist ein Koch- und Lebebuch, das umdenken lässt. Ein Buch, das Lebensmitteln in ihrem ureigenen Sinn gerecht wird.
Direkt am Münchner Viktualienmarkt vertritt der Pschorr eine konsequente Philosophie vom Kochen und Essen - aber auch vom Einkaufen. „Bio" muss alles sein, aber nicht im Sinne von in China produzierten „Bio-Äpfeln", und auch nicht von Norddeutscher Bio-Milch in bayerischen Supermärkten. Die Lochbihlers legen hohen Wert auf regionale, saisonal bestimmte Lebensmittel. Und als wäre das nicht schon Herausforderung genug, müssen diese auch noch außergewöhnlich gut im Geschmack sein! Solche Parameter findet man nicht oder kaum in der Massenherstellung: Obwohl der Pschorr einen - auch quantitativ - großen Bedarf an Produkten hat, vertrauen die Wirtsleute auf Klein- und Kleistproduzenten aus der Region. Diesen Idealisten ist „Heimat auf dem Teller" gewidmet - ihnen, ihren Tieren und ihren Rezepten.
In den zwölf Kapiteln des Buches ist die Rede von alten Nutztierrassen wie dem Murnau-Werdenfelser Rind, das ursprünglich aus der alpenländischen Gegend stammt und perfekt an die dortigen Bedingungen angepasst ist. Das Fleisch des Murnau-Werdenfelsers ist unübertrefflich zart und saftig. Nichtsdestotrotz waren bis vor kurzem nur noch einhundertsechzig Tiere übrig (von über sechzigtausend Rindern Ende des neunzehnten Jahrhunderts)! Verschiedenste Faktoren sorgen dafür, dass Rassen von der Kulturlandschaft verschwinden: allen voran die Wirtschaft, die eine bestimmte Rasse auf Kosten anderer fordert. Jürgen Lochbihler gründete deshalb mit einigen Züchtern den Verein zur Erhaltung des Murnau-Wesenfelser-Rindes und serviert im Pschorr ausschließlich Rindfleischgerichte dieses Tieres, deren Rezepte er in „Heimat auf dem Teller" vorstellt: Deftiges Ochsengulasch mit Brezenknödeltalern, Kronfleisch (!) in Balsamico geschmort, mit frischem Mangold und hausgemachtem Kartoffelstrudel, Leberknödel.
Was dabei ebenfalls auffällt ist: Alles, was ein Tier hergibt, wird in eine Köstlichkeit verwandelt! Kronfleisch, Lammzüngerl, Ochsenbackerl, Kuheuter oder Entenherz. Was früher selbstverständlich war (und es aus ethischen wie geschmacklichen Gründen auch heute noch sein sollte), nimmt heutzutage beinahe exotische Ausmaße an.
Doch nicht nur die Lochbihlers sind in „Heimat auf dem Teller" vertreten: Johannes von Perger etwa steht stellvertretend für artgerechte Schweinehaltung. Seine Obstgartenschweine tollen unter paradiesischen Apfelbäumen und urigen Hollerbüschen, laben sich an für die Saftproduktion unbrauchbarem Fallobst, vertreiben Wühlmäuse durch ihr Getrappel und fressen das Gras, das den Obstbäumen sonst Kraft gekostet hätte. Diese Lebensfreude schlägt sich in Qualität und Fleischgeschmack nieder; Kotelett-, Schweinsbraten- und Sülze-Rezepte verlocken dazu, sie auch am heimischen Herd mit Fleisch von glücklichen Schweinen nachzukochen, und nicht mit Billigware aus dem Discounter!
Andere Bauern, die ihre Tiere (häufig Angehöriger alter, vom Aussterben bedrohter Nutzierrassen) in Luft, Licht und mit viel, viel Lebensqualität aufwachsen lassen, können aus Platzgründen an dieser Stelle nur kurz erwähnt werden: Anja und Georg Schlickenrieder liefern Lammfleisch (etwa für Gefüllte Lammbrust mit Tomaten-Zucchini-Törtchen und kleinen Ofenkartoffeln), der Fischzüchter Alfred Lick zieht Forellen und Saiblinge in seinen von sprudelndem Quellwasser gespeisten Becken groß.
Geschichten werden erzählt von Jägern, die nicht für Trophäen schießen, von einem Metzger, der früher Schäfer war und heute viel Wert legt auf tiergerechtes Schlachten (ohne Stress und ohne Angst), sowie von traditionellem Käserei- und Brauereihandwerk.
Das Buch von Steinleitner, den Lochbihlers und all den anderen Genussmenschen erinnert auch ein wenig an den österreichischen Bio-Pionier Werner Lampert und seine „100 Lebensmittel, die Sie glücklich machen" (Ecowin) - und das ist gut! Denn gäbe es mehr Geschäftsleute dieser Art, die Kleinbauern und Kleinbetriebe zum Wohle von Tier, Umwelt und Geschmack unterstützen, wäre der ständige Kampf um gutes Essen längst gewonnen. Bitte mehr davon, solche Bücher wollen wir lesen, solche Rezepte kochen!