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CASSINI Theres, ZAUNSCHIRM Thomas: Cassinis Lichtspeisen. Residenz Verlag, St. Pölten 2008.

THIEL Anton.   

Die in Wien lebende Künstlerin Theres Cassini (Jahrgang 1960) hat die Molekularküche für sich entdeckt. Den gelatinierten und sphärisierten Speisen, die sie bei einem inszenierten Gastmahl und in einem hoch artifiziellen, ästhetisierten Ambiente geladenen Gästen reicht, hat sie als konstitutives Element Licht ins Essen gemischt. Das legt die Transformation des Kulinarischen ins Fotografische nahe und so ist eine Reihe von Arbeiten („Lichtboxen", „Schleck Shots", „Left Overs" und „Harztondi", alle 2007/08) entstanden, die in dem umfangreichen und schön gedruckten Band „Cassinis Lichtspeisen" einer auf das Schauen eingeschränkten, dem Voyeurismus nicht abgeneigten Öffentlichkeit vorgelegt wure. Das Buch versteht sich einerseits als Werkkatalog für die Ausstellung „Cassinis Lichtspeisen" im Bank Austria Kunstforum tresor (2008, www.bankaustria-kunstforum.at), andererseits als weit ausschweifende kunsttheoretische Einbettung in eine bemerkenswerte Tradition einer kreativen Beziehung von Kunst und Küche.

Co-Autor Thomas Zaunschirm ist ein ausgewiesener Kenner der Kunst des 20. Jahrhunderts und war bis 2007 Professor für neuere Kunstgeschichte/Kunstwissenschaft an der Universität Duisburg-Essen. Um das theoretische Terrain aufzubereiten, hat er einen opulenten Beitrag in acht sehr heterogen gehaltenen Kapiteln beigesteuert. Es entsteht fast schon der Eindruck, als wären alle jene Personen, die sich für die Lichtspeiseninszenierungen angemeldet hatten oder dazu eingeladen wurden, Versuchspersonen einer universitären ästhetischen Versuchsanordnung geworden.

Betrachten wir aber vorerst den Abbildungsteil, der ja auch Anlass für dieses Buch sein soll: Wir sehen Barbiepuppen, verfremdet durch den fotografischen Ausschnitt, aber auch mit einer Spachtelmasse überarbeitet, was stark an jene Patisseriemethoden erinnert, die Oberflächen von Torten mit einer cremigen Zuckermasse in eine bewegte Landschaft zu verwandeln. Wir sehen zudem amorphe, wabernde, gallertartig schwabbelnde und durch künstliches Licht magisch überhöhte Speisen, die nun in Interaktion mit den bearbeiteten Barbiepuppen treten. Die Künstlichkeit der abgebildeten Gegenstände, eingebettet in einen digital generierten, diffusen Hintergrund, all das wird wiederum durch zusätzliches Licht aus der Lichtbox unterfüttert.

Schön und edel dann die gedeckten Lichttische in ihrer Spannung von hartem Material (Glastisch und Glasteller, denn dieses Material ermöglicht erst die Wirkung, welche durch das aus dem Boden fließende Licht erzeugt wird) und den organischen Formen, die als Tischschmuck arrangiert werden. Ob nun die teilnehmenden „Lichtesser", die von Theres Cassini unermüdlich abgelichtet werden, den Kategorien der fachmännischen Genießer, kulinarischen Illuminati oder schlechten Laienschauspieler zuzuordnen sind, ist unerheblich, auch die Kategorisierung der weit herausgestreckten Zungen in den „Schleck Shots" trägt kaum etwas zum Verständnis der „Lichtspeisen" bei, es sei denn, man betrachtet die durch Transparenz erfolgte Überlagerung der Speisen mit dem agierenden (schleckenden) Konterfei eines Staatsanwalts oder einer Künstlergattin und Gesellschaftsdame vor dem Hintergrund jener Fotos, die wir in unzähligen Familienalben gehortet haben: die verschmierten Gesichter unserer Kinder, die sich weigerten, den ach so gesunden Gemüsebrei zu essen, und dann Gefallen daran fanden, ihn über das ganze Gesicht zu verschmieren.

Wirklich spannend sind die „Left Overs" und die „Harztondi". Wer schaut schon nach einem reichlich zelebrierten Mahl auf die Reste, die wieder in die Küche zurückwandern, wer bewundert die neuen Konstellationen, die sich auf den Tellern gebildet haben, wer beachtet die malerischen Effekte, die eine Restsauce - elegant um die abgelutschten Kirschkerne fließend - zu bilden vermag? Wer hat noch die Muße, jene farblichen Abstufungen zu bewundern, die auf den zusammengeschobenen Tellern in einer zufälligen Laune des Augenblicks entstehen und ähnliche Qualitäten annehmen wie das Kolorit eines Delacroix, eines Turner oder Monet? Hier liegt sicherlich die Stärke der Arbeit Cassinis, dass sie mit ihrer Beleuchtungstechnik imstande ist, in den sonst so miss- und verachteten Resten unserer Genüsse ohne nostalgischen Abgesang die Grandezza der essbaren Substanzen aufscheinen zu lassen. Ganz anders die „Harztondi". Sie sind Miniaturen der schönen, abstrakten Essgebilde, es sind hymnische Würdigungen jener Objekte, die wir sonst zu verschlingen pflegen, artifizielle Arrangements, entsprechend in Szene gesetzt.

Im „Exkurs: Luft und Licht oder Licht ist kein besonderer Saft" streift Zaunschirm einige esoterische Theorien. Warum aber hier nicht eine Mechthild von Magdeburg zitiert wird, deren Lebenswerk „Das fließende Licht der Gottheit" (13. Jh.) in diesen Zusammenhang besser passen würde, zeigt an, wie oberflächlich diese Tradition europäischer Geistesgeschichte gestreift wird. Vieles, was in der zeitgenössischen Kunst passiert, ist von diesen alten Quellen gespeist und wird in ästhetisierter oder säkularer Form weitergetragen. So müsste auch die mittelalterliche Gralsverehrung Erwähnung finden: Die Transformationsvorgänge im Zusammenhang mit dem Gral werden „von Wohlgeruch begleitet und sind in ein gleißendes Licht getaucht".

Im Schlusskapitel „Die Geselligkeitsmaschine. Bausteine einer Interpretation" wird auf die Arbeiten „Großes Glas" (1915/23) von Marcel Duchamp hingewiesen. Dessen erst posthum aufgestelltes „Unbekanntes Meisterwerk" (1968) zeigt einen von Auer von Welsbach entwickelten Glühstrumpf (Gaslampe), eine Art historisches Zitat als Idee der Beleuchtung eines Kunstwerks, wie sie eben auch in den Leuchtkästen Cassinis verwendet wird.

Ein sinnliches Buch über das inszenierte Essen, das weniger satt macht denn erleuchtet. Schade, dass sich in den Textteil zahlreiche typografische Fehler eingeschlichen haben.

www.residenzverlag.at

CASSINI Theres, ZAUNSCHIRM Thomas: Cassinis Lichtspeisen. Residenz Verlag, St. Pölten 2008.