Was ist das Egoistische an der „Generation Ego"? Oder müsste es nicht vielmehr die „Generation Maybe" (Die Zeit, 23.03.2012) heißen? Der Drang nach Selbstbestimmung, der letztlich doch alle Singvögel hinter dem Käfig versperrt und auf der Stange sitzend verstummen lässt. Wie sonst könnte auch en bloque von den „Werten der Jugend" gesprochen werden? Der Individualitätsdrang wird zum Konformitätszwang und endet im Käfig - nicht unbedingt im Goldenen, wie die beiden Autoren mit dem Cover eindrücklich beweisen möchten.
Das Wertefeld der Jugend im 21. Jahrhundert abzustecken ist ein großes Vorhaben. Bernhard Heinzlmaier und Philipp Ikrath versuchen dabei heutige Wertediskussion, -transformation und
-rezeption in der aktuellen österreichischen bzw. deutschen Jugendkultur vor dem Hintergrund einer soziologischer Gesellschafts- und liberaler Kapitalismusanalyse und deren Kritik. Fragen jugendlicher Werte und Moral stehen dabei neben Themen, die stärker gesamtgesellschaftlich gelesen werden können, wie die Ökonomisierung und Beschleunigung des Alltags, Verhältnis zu Politik, Arbeitswelt und Populärkultur und zum Veränderungspotential des Internets. Ein Ausblick fragt nach dem quo vadis der Jugend und fragt in einem kreativen Stresstest nach dem Entfaltungspotential aktueller lebensweltlicher Entwicklungen und Tendenzen.
Heinzlmaier und Ikrath bemühen sich um strukturierte Darstellung und auf Forschungs- und Umfrageergebnissen gestützte Berichterstattung. In ihrer Interpretation nehmen sie Bezug auf bekannte kulturtheoretische Ansätze von Norbert Elias, Michel Foucault und anderen. Sie reflektieren die Wahrnehmung der „Generation Ego" mit sich selbst, verorten Jugendlichkeit in der Statusinkonsistenz, sehen sie als Phase mit großer Unschärferelation an ihrem zeitlichen Rand, thematisieren das vorhandene großangelegte Alternativenregister für junge Menschen, welches mehr Furcht vor falschen Tönen als Hoffnung und Zuversicht auf den idealen Lebensklang in sich birgt. „Individualisierung"(51) wird vor diesem Hintergrund zur Herausforderung. Gelungenes Leben definiere sich heute eben nicht mehr von seinem Endresultat aus, sondern von seinen Wegmarken. Zielbestimmungen des Lebens haben ergebnisindifferenten Prozessen Platz gemacht. Zielwerte weichen Verfahrenswerten; nicht das „Wohin", das „Wie" zähle. Das „Dasein als immerwährendes Entwicklungsprojekt" (16) ist ein charakteristisches Schlagwort dafür. Werte gingen dabei allerdings nicht verloren, sondern wandelten sich nur. Dabei beeinflussen sich Wertvorstellungen jugendlicher wie erwachsener Lebenswelten auch gegenseitig: Konformitätszwänge werden von der heutigen Jugend als „Generation der Mitmacher" (47) gelebt, wie ständige Veränderungsbereitschaft als ehemaliger Vorzug der Jugendlichkeit heute als gesamtgesellschaftliche Notwendigkeit gilt. Abermals wird eine differenzierte Begriffs- und Ideengeschichte des Werte-, wie Normenbegriffs dargeboten, wobei der Kritik an ideologischen Hintergründen durchaus auch eigene Meinungen der Autoren folgen (37 passim). Beide Autoren verstehen sich dabei durchaus als Kritiker bürgerlich-konservativer Gesellschaft und ihrer Werte, indem sie sich implizit für alternative Bildungs-, Wirtschafts- und Gesellschaftsformen aussprechen. Die Tendenzen der Generation 2030 stellen Heinzlmaier und Ikrath als Verstärkung des Aktuellen dar, wobei auch Wahlszenarien offengelassen werden. Dieser Ausblick macht zugleich auch die Stärke des Buches aus, indem auf breiter thematischer Basis konkrete Indizien des Zukünftigen genannt, aber auch in ihren Entwicklungsmöglichkeiten diskutiert werden. Dem Eindruck des Lesers nach wird in den folgenden Jugenden die Offenheit dem Kommenden gegenüber bleiben, gemischt mit dem notwendigen Optimismus: „Denn besser geht es immer." (18)