Im Mittelalter, als man allein auf die Heilkraft der Natur angewiesen war, fungierte jeder Koch in gewisser Weise auch als Arzt. Denn er vermochte aus Kräutern, Beeren, Blättern und Wurzeln Heilmittel herzustellen.
Ähnliche Gedanken beschäftigen vielleicht auch Xie Hong bei der Zusammenstellung seiner Gerichte. Der studierte Arzt und Chirurg ist bekannt aus der TV Sendung „Silent Cooking" und einer von Österreichs spannendsten China-Küchenmeistern. Der gebürtige Südchinese mit bewegter Vergangenheit, der Einfachheit halber „Simon" genannt, weilt seit mittlerweile 20 Jahren in Österreich und lebt hier zum Glück seiner Gäste seine Leidenschaft zum Kochen aus.
Wer sich persönlich von seinen kulinarischen Künsten überzeugen möchte, kann dies in einer seiner mittlerweile drei Destinationen (On, On Market und China Bar) in Wien tun. Freunde der sich landauf und landab etablierten klischeebehafteten Chinarestaurants werden allerdings enttäuscht sein, denn die Lokalitäten versprühen jedes für sich seinen eigenen individuellen Charme, erinnern aber nicht im geringsten an die kanonisierten „Frühlingsrollen"-Gaststätten. Seine kulinarische Linie ist gezeichnet von Experimentierfreudigkeit und Aromatik. Althergebrachte, vor allem südchinesische Köstlichkeiten kombiniert mit österreichischen Zutaten sind Xie Hongs Spezialität.
Dass sich chinesische und österreichische Küche nicht ausschließen, sondern sich sogar auf herrliche Art und Weise ergänzen, zeigt sich in seinen kulinarischen Kompositionen. So trifft im bekanntesten der drei Lokale, dem „On" beispielsweise Thunfischtartare auf steirisches Kürbiskernöl. Das Beuschel bereitet „Simon" mit chinesischer Note im Wok zu. Genossen wird das Ganze mit einer feinen Auswahl österreichischer Weine aus dem Kamptal oder dem Burgenland. Auch diversen Gastronomiemagazinen scheint das Konzept des „On" zu gefallen. So wurde es von „A la Carte" mit einem Stern und von Falstaff mit 13 Punkten bzw. einer Haube ausgezeichnet.
Wer aber nicht so oft Österreichs Hauptstadt, respektive eines von Xie Hongs Lokalen beehren kann, hat nun die Möglichkeit, sich selbst an den delikaten Kreationen auszuprobieren. Im Pichler Verlag ist das erste Werk des Austrochinesen erschienen. Es zeichnet sich durch eine enorme Vielfalt an - für unsere Breiten - außergewöhnlichen Gerichten und Zutaten aus.
Als Einleitung findet man am Anfang des Buches eine Art Gebrauchsanweisung für die chinesische Küche im Allgemeinen und das Buch bzw. Xie Hongs Kreationen im Speziellen. Es wird erklärt warum eigentlich immer mehrere Gerichte gleichzeitig auf den Tisch kommen sollten und warum es sowohl in Hongs Restaurant als auch im Kochbuch keine Desserts gibt.
Beim Durchblättern des Kochbuchs fühlt sich selbst ein erfahrener europäischer Hobbykoch wie im Eldorado. Beinahe auf jeder Seite findet man unbekannte, neue, spannende Zutaten aus denen wundervolle, interessante Gerichte gezaubert werden. Als die wichtigsten Zutaten für seine Küche erachtet Xie Hong Sojasauce, Reiswein, Raps- und Sesamöl, Honig, Chili, Ingwer, Frühlingszwiebel, Knoblauch und selbstverständlich stets frische Kräuter. Diese Palette benötigt man auch für die Zubereitung fast aller seine Gerichte.
Jedes Rezept beginnt mit einer kurzen Einleitung, welche den Koch vorab über Details und die nötigen Zutaten informiert. Die Zubereitung ist im Anschluss schrittweise und leicht nachvollziehbar erklärt. Teilweise sind kompliziertere Arbeitsabläufe, wie etwa das Zerteilen eines Taschenkrebses, Schritt für Schritt bebildert. Im Kapitel "Meeresfrüchte" findet man eine gewaltige Bandbreite an Rezepten mit diversen Schalen- und Meerestieren: Fluss- und Taschenkrebse, Garnelen, Oktopus, Jakobsmuscheln, Quallen sowie Schwert- oder Messermuscheln werden als Zutaten verwendet. Ein ganzes Kapitel wurde allein der Zubereitung von Tofu gewidmet. Xie Hong scheut sich auch nicht in unseren Breiten eher verschmähte "Fleischteile" zu verkochen. So findet man Rezepte für Hühnerfüße frittiert oder aus dem Wok. Innereien wurde ebenso wie Tofu ein eigenes Kapitel zugedacht. Das Kalbsherz kommt aus dem Wok und das Beuschel, eigentlich eine Wiener Spezialität, wird im "Bao-Stil" zubereitet. Zwischen den Kapiteln eingestreut findet man wichtige Ratschläge zum richtigen Einkauf und Umgang mit dem Wok oder chinesischen Messern sowie informative Einkaufstipps für die teilweise recht exotischen Zutaten.
Die Gerichte sind schön aber unspektakulär, ohne viel „Schnick Schnack", wie man es von den meisten professionellen Foodfotos kennt, von Philipp Horak in Szene gesetzt worden. Das Werk wird abgerundet mit einem umfangreichen Glossar sowie einem alphabetischen Rezeptregister.
Etwas störend und unnötig ist die latent vorhandene Produktplatzierung für diverse Küchengeräte- und Asiasaucenhersteller auf vielen Seiten des Buches. Ebenso wurden die letzten zehn Seiten des Werks mit einer gehörigen Portion Egozentrik dazu genutzt, um seine drei Lokale in Szene zu setzen bzw. um Produktwerbung weiteren Raum zu geben.