La cucina italiana non esiste - schon gleich zu Beginn seiner erhellenden Monographie zur kulinarischen Kulturgeschichte Italiens zitiert John Dickie jenen Ausspruch, der die Existenz einer einheitlich-homogenen italienischen Nationalküche in Abrede stellt. Das ist grundsätzlich nichts Neues, haben doch moderne kulturwissenschaftliche und diskursanalytische Studien längst die Brüchigkeit und den Konstruktionscharakter homogener nationaler Identitäten und Traditionen durchschaut. Jedoch geht Delizia! über die bisherige Küchengeschichtsschreibung noch weit hinaus: John Dickie, Historiker und Journalist in London, der vor einigen Jahren mit seiner Monographie zu einem anderen uritalienischen Thema, Cosa Nostra. Die Geschichte der Mafia, für Aufsehen sorgte, legt hier ein unbestreitbares Standardwerk der Küchengeschichtsschreibung vor, das mit der Vielfalt seiner Materialien und einer so sorgfältigen wie genauen Argumentation vieles in den sprichwörtlichen Schatten stellt.
So versucht der Autor auf gut 400 kurzweilig zu lesenden Seiten, die Entwicklungslinien dessen, was wir heute als „typisch italienisch" bezeichnen, nachzuverfolgen, und deckt dabei manche Zuschreibungen und Projektionen der globalen Verzehrergemeinschaft auf; denn dass sich die italienische Küche nicht auf jene Speisen beschränkt, die in unseren Breitengraden ‚beim Italiener‘ aufgetischt werden, war den meisten Essern wohl schon klar. Als beeindruckendes Beispiel für Dickies analytische Fähigkeiten sei in diesem Zusammenhang auf das Einleitungskapitel des Werks verwiesen; das Thema: „Italiens beliebteste Fälschung" (S. 12). Hier wird der Mythos vom italienischen Bauernessen, welcher in enger Verbindung zu jenem von Il Mulino Bianco, der weißen Mühle, steht, unter die Lupe genommen und sein Konstruktcharakter aufgedeckt. Dass Dickie dabei nicht, wie es in diesem Kontext des Öfteren geschieht, zu einem polemischen Rundumschlag ausholt, sei ihm hoch angerechnet; stets bewahrt er eine kritische Distanz zum Untersuchungsgegenstand, wägt seine Argumente behutsam ab.
Besonders erwähnenswert scheint das Kapitel zur Rolle von Tischkultur und Ernährung in der Zeit des italienischen Faschismus. Denn für zweckfreien Genuss waren Mussolini und seine ‚Schwarzhemden‘ nicht zu haben; die Bewegung verfolgte vielmehr, wie Dickie euphemistisch konstatiert, „nur begrenzt gastronomische Ziele" (S. 308). Ein bezeichnendes Bild zeigt den Duce im Kreise seiner Mitstreiter stehend (!) beim Verzehr der täglichen „Ration".
Zeitgleich blühten damals jedoch neue Genres der gastrosophischen Literatur auf: Zum einen erlebten Haushaltsbücher wie Gut leben in schwierigen Zeiten. Wie Frauen mit der Wirtschaftskrise fertig werden - der Titel verweist schon auf die der Frau zugewiesen Rolle im faschistischen System - hohe Auflagen, andererseits etablierten sich zusehends Formen einer neuen ‚Gastrokritik‘ mit ihrer charakteristischen metaphernreichen Sprache. Die vom Autor zitierten Stellen - 1935 berichtet Paolo Monelli von „eine
Wer sich also am stärker populären angloamerikanischen Wissenschaftsstil nicht stört - so vergleicht Dickie die Zellen des päpstlichen Konklaves mit dem „Schlafzimmer eines jugendlichen Fußballfans" (S. 133) -, für den bietet Delizia! eine mehr als kompetent verfasste Einführung in die gastrosophische wie gastronomische Entwicklung Italiens. Was bleibt, ist demnach ein beeindruckendes Beispiel einer auf eine bestimmte Nation ausgerichteten Küchengeschichtsschreibung. Wie kaum ein anderes Werk auf diesem Gebiet beleuchtet Delizia! die Fülle von allgemeingeschichtlichen und diskursiven Kontexten, die das Feld des Produzierens/Kochens/Verspeisens eröffnet. So macht es den speziellen Sitz des Kulinarischen im nationalen Selbstverständnis der Italiener deutlich. Kurz: Eine erfreuliche Lektüre, die kaum Wünsche offen lässt.