Untertitel der Machart „Leben/Epoche - Werk - Wirkung" kennt man für gewöhnlich von den einschlägigen literaturwissenschaftlichen (und in freundlichem Hellblau gehaltenen) Basiswerken jener Reihe zu Schiller, Lessing oder Gerhart Hauptmann, die der Münchner C. H. Beck-Verlag seit vielen Jahren feilbietet. Nun hat Florian Werner auch eine adäquate Wirkungsgeschichte der Kuh vorgelegt und lässt seine essayistische Darstellung gleich mit dem Kapitel „Am Anfang war die Kuh", also gewissermaßen bei der Schöpfungsgeschichte beginnen. Dass dabei nicht immer alles dem philologisch-kulturwissenschaftlichen Ernst gehorcht, ist klar, doch gelingt es Werner mitunter doch sehr gut, die außergewöhnliche Stellung dieses in einer nach ökonomischen Rationalitätserwägungen ausgerichteten Welt zunehmend zum bloßen Fleisch- und Milchlieferanten degradierten Tieres in der globalen Geistesgeschichte nachzuzeichnen. Von den alten Ägyptern bis zu Sergej Eisenstein, vom Tanz um das Goldene Kalb bis zu frühen Werbungen für Melkmaschinen hat der Autor unzählige Belege für die Stellung des Wiederkäuers in verschiedensten historischen wie gegenwärtigen Diskursen versammelt und in gut lesbare wie erheiternde Prosa gebracht.
Gastrosophisch relevant ist dabei gerade jenes Kapitel, welches recht archaisch mit „Fleisch und Blut" (S. 55, 56) überschrieben ist; hier ist sowohl vom Hamburger als „Symbol der Moderne" die Rede als auch - geschichtlich fundierter - von Petronius' Satyricon. Wenn hier recht beliebig von Moderne und Postmoderne gehandelt wird, so zeigt sich - bei aller Fülle des Materials und der beachtlichen Eloquenz des Autors - doch schnell, dass zur kritischen Lektüre neigende Leser mitunter enttäuscht werden. So erfreut es zwar grundsätzlich das Herz des Kultur- und Literaturwissenschaftlers, wenn hier Michel Houellebecq und Paul Celan ebenso ihre Erwähnung finden wie Roland Barthes, Jacques Derrida und Xenophanes, doch wirken die meist vollständig aus ihrem Kontext gelösten Zitate manchmal als unreflektierte Fremdkörper in einem populärwissenschaftlichen Text. Wenn dann im abschließenden Literaturverzeichnis lediglich die Seiten 34-36 von Barthes' Mythen des Alltags angeführt sind, so nährt sich rasch der Verdacht, dass hier name dropping zur Aufwertung des eigenen Textes betrieben wird. Anspruch und Wirklichkeit bei der Analyse der kulturellen wie nutritiven Stellung der Kuh in der ‚Gesellschaft‘ klaffen hier mitunter auseinander. Doch soll hier nicht blindlings mit jener Keule, die der reinen Wissenschaft huldigt, zugeschlagen werden. Die umfangreichen Interpretationswege, die der Autor einschlägt, bieten viele neue Perspektiven und sind gerade für Fragen der Ernährung zu großen Teilen als äußerst relevant zu bezeichnen; so zeugt das Kapitel „Böse Kühe" (S. 191, 192), das die Perversionen der Massenrinderhaltung und die Folgen für klimatische Prozesse offenlegt, von einer eminent kulturkritischen Haltung Werners.
Bei aller Kritik in argumentativen wie philologischen Belangen stellt Die Kuh. Leben, Werk und Wirkung doch einen interessanten wie unterhaltsamen Beitrag zur populären Kulturgeschichte dar, der mit deren Vorgehensweisen mitunter auch zu spielen weiß. An allen literarischen und historischen Ecken und Enden hat der Autor Belege für die kulturelle Verhandlung der Kuh aufgespürt und sie ansprechend dargestellt. Für fundierte Monographien zu Epoche, Werk und Wirkung sei jedoch weiterhin auf C. H. Beck oder Suhrkamp verwiesen - auch wenn man dort wohl nur zu Anton Kuh (1890-1941) fündig wird.