Stell dir vor, es ist Ernte, und keiner geht hin. Heute werden viele Ernährungsdiskurse ohne diejenigen geführt, die noch immer hingehen: die Bauern und Bäuerinnen (nicht zu verwechseln mit der Agroindustrie). Krammer/Rohrmoser, Jahrgang 1943 und 1945, schauen beide hin. Sie kommen aus bäuerlichen Familien und haben jahrelange Erfahrung in der bäuerlichen Interessenvertretung. Auf knapp 200 Seiten galoppieren sie durch die Geschichte des Bauerntums auf dem Gebiet der ehemaligen k.u.k. Monarchie bis heute. Dabei durchweben die Autoren ihre Darstellung mit einem roten Faden - und das kann man durchaus auch ideologisch verstehen: die kleinen Landwirte als Bauernopfer auf dem Schachbrett mächtiger konservativer und wirtschaftsliberaler Interessengruppen.
Die Beschneidungen der Neuzeit beginnen im 16. Jahrhundert mit den Fürst/-innen, die sich Wälder aus den gewohnheitsrechtlich genutzten bäuerlichen Allmenden in ihre Privatnutzung übertragen lassen. Begründet wird dies mit der Einführung römisch-rechtlicher Titel. 1848 ist die Bauernschaft, damals noch durch feudales Recht persönlich an die „Scholle" samt Herrschaft gebunden, auf der Seite von Arbeiter/-innen und Studenten in der bürgerlichen Revolution. Diese Allianz zerbricht, als die Bäuer/-innen ein Versprechen vom Adel bekommen: ihre Freiheit - gegen einen Teilnahmestopp an der Revolution. Der Kuhhandel funktioniert und das Versprechen wird eingelöst. Die sogenannte Grundentlastung macht die Bäuer/-innen in der ganzen Habsburgermonarchie zu freien Menschen. Auch hier sehen Krammer/Rohrmoser wieder ein geglücktes Kalkül: Durch die neue Regelung können viel weniger Nachkommen als zuvor in der Landwirtschaft bleiben, es entsteht ein arbeitsuchendes Proletariat, das in der aufkommenden Industrialisierung Verwendung findet und so zu den Profiten der wirtschaftsliberalen Elite beiträgt.
Nach dem Ersten Weltkrieg, dem Beginn des allgemeinen Wahlrechts, sichern sich die Christlichsozialen die Bauern und Bäuerinnen als Wählergruppe durch ein doppelgesichtiges Vorgehen: Realpolitisch steht man hinter den konservativen großbürgerlichen bzw. vormals adeligen Landbesitzer/-innen und Unternehmer/-innen. Gleichzeitig schirmt man die dazumal noch zahlreiche Landbevölkerung von Kapitalismus und Bauernsterben ab, indem man die Verbreitung von Genossenschaften fördert. Unter dieser Käseglocke von romantischer Bauernverklärung, Teilentmündigung durch staatliche Lenkung und erfolgreicher Wähler/-innenstimmenkonservierung verbleibt das Bauerntum in Österreich trotz einiger Modernisierungswellen bis etwa 10 Jahre nach dem EU-Beitritt.
Glaubt man den Autoren, sind die Vertreter/-innen einer bäuerlichen, kleinräumigen Landwirtschaft spätestens seit 2007 Freiwild in Österreich. Den Grund sehen Krammer/Rohrmoser in einer strukturellen Unvereinbarkeit in den Landwirtschaftskammern und im Bauernbund: Auf Bezirks- und Landesebene sowie gegenüber den Steuerzahler/-innen wird die Förderung der kleinräumigen bäuerlichen Landwirtschaft in helles Licht gerückt, während sich auf Staats- und EU-Ebene die Interessen von Agrounternehmen gegen die Kleinen durchsetzen. Eine eindrucksvolle aktuelle Bestätigung dieses Befundes erschien jüngst in einem Artikel in den Deutschen Wirtschaftsnachrichten.
Durch die Zeilen des Buches hindurch schimmert der alternative Wunschtraum der Autoren: ein Bündnis zwischen Bauern und Bäuerinnen, aufgeklärten Konsument/-innen und - tragische 160 Jahre verspätet - der politischen Linken.
Eine Stärke des Buches liegt in seiner Kompaktheit - es ist spannend zu lesen und gewährt durch die Zeitraffermethode interessante Einblicke. So wird das heutige globale „Landgrabbing" in erhellenden Bezug zu dem älteren „Bauernlegen" gebracht. Außerdem ist „Im Kampf um ihre Rechte" offenherzig geschrieben: Die Autoren erwähnen mehr als einmal die eisernen Diskussionstabus, die in den agrarischen Interessenvertretungen gerade zum Interessengegensatz bäuerliche vs. industrielle Landwirtschaft gepflegt würden und von denen sie in Anspruch nehmen, sie mit ihrem Buch zu brechen. Schließlich ermöglicht ein umfangreiches Literaturverzeichnis die vertiefende Lektüre zum Thema. Die Schwächen des Buches sollen auch nicht verschwiegen werden: Ein nicht vorhandenes oder beträchtlich verschnarchtes Lektorat hat eine Menge Wiederholungen durchgehen lassen. (Nichtsdestoweniger muss es ein gutes Korrektorat gegeben haben - all die Redundanz findet praktisch ohne Rechtschreibfehler statt.) Die gelegentlich tendenziöse Wortwahl („Bourgeoisie", „Ausbeutung", „Betrug am Bauern") verrät das Pathos, das in manchem Vortrag mitgetönt haben mag, der wohl umstandslos zum Buchkapitel recycelt wurde.
Zusammenfassend kann man sagen: Das Buch von Krammer und Rohrmoser ist ein erfrischender Diskussionsbeitrag. Gerade in Zeiten eines sich weltweit verschärfenden Gegensatzes zwischen profitorientierter Landnutzung und sozial- und naturverträglichen Ernährungskonzepten ist das Buch zur historischen und politischen Horizonterweiterung zu empfehlen.