Den verloren gegangenen Genuss und seine Wiederentdeckung gibt die Vorsitzende von Slow Food Deutschland, Ursula Hudson, als das Motto dieses Buches an. Ein „Lebensmittellernen" sei vonnöten, um fremdgesteuerten Konsumrausch in bewussten Genuss zu verwandeln, wie es die Slow Food Bewegung seit jeher propagiere. In diesen Zusammenhang stellt auch die Ökotrophologin Eva-Maria Endres ihr Buch, das im markigen Titel der Revolte auf die Notwendigkeit zukünftiger Radikaländerung des westlichen Ernährungsverhaltens abzielt.
Endres orientiert sich dabei in einem ersten Teil am Begriff der griechischen Diätetik, den sie folgend im Hinblick auf die Ernährung zu einer christlichen Diätmoral formt. An ihr misst sie die normative Unmöglichkeit von Genuss und Wohlbefinden bis in das 19. Jahrhundert. Worin die kulinarischen Genusswerte bestehen können, wie sie aus den angeführten Zeugnissen zu deuten sind, bleibt allerdings unscharf. Kommen ein Hippokrates oder Galen in ihren medizinischen Lehraussagen zu Gesundheit und Krankheit und dem diätetischen Gleichgewicht des Körpers durch Ernährung deutlich vor, bleibt etwa ein Epikur unerwähnt. Auf Apicius oder Lucullus treffen die Attribute luxuriös, feinschmeckerisch (S. 19) und üppig (S. 21) zu. Wo bleibt der Genuss? Im Mittelalter durch das Christentum verboten, in der Neuzeit durch Zivilisierung zurückgedrängt führt Endres den Leser auf die Suche nach Definitionen des Genusses ex negativo. Kulturelle und soziologische Aspekte des Essverhaltens - als Distinktionsmittel, Machtdemonstration oder spirituelle Enthaltsamkeitsszenarien - bringen dabei ergänzende Aspekte. Durch diätetische, religiöse oder politische Disziplinierung den Genuss des Genusses genommen zu sehen ist ein berechtigter Zugang, jedoch nicht der Einzige.
Die durch Fast Food und industrielle Lebensweise gekennzeichnete Situation der Gegenwart belässt Endres zwar in den Polen von Gesundheit und Krankheit, widmet sich aber verstärkt ergänzenden Aspekten der Produktion, Verarbeitung und Konsumation. Die Zukunft des Genusses sieht die Autorin im kommenden Zeitalter der Qualität, in dem das Alleinstellungsmerkmal der Qualität durch Identität und Authentizität zum Richtstab genießenden Essverhaltens wird. Nur so könne der bisherig dominierende industrielle Quantitätsdiskurs eingedämmt werden. Dass die bestmögliche Definition von Genuss heute auf die „vielschichtigen Aspekte des Essens" (S. 66) ausgeweitet werden müsse, nämlich Herkunft, Anbau, Produktion, Vertrieb, Kochen, Gastronomie, Service, Ambiente und Geselligkeit - erfährt der Leser allerdings erst nach der Hälfte der Lektüre.
Der Entwicklung der Slow Food Bewegung widmet sich Endres in einem zweiten Teil. Ausgehend von den Aktivitäten und Zielen der Organisation stellt sie das Leitbild heraus, welches nicht das „Langsame" im Gegensatz zum „Schnellen" betont - wie es der Name nahelegt -, sondern die Sorgfalt, Vielfalt und Nachhaltigkeit gegen Nachlässigkeit, Monokultur und Schnelllebigkeit hält. Genuss als Qualitätsbegriff stellt sich einer Verantwortung für Mensch und Umwelt und ist daher für Slow Food notwendigerweise politisch. Die Wahrung des Rechts auf Genuss möchte die Bewegung als das Streben nach einem neuen Humanismus für alle sehen; nicht nur für die, welche es sich leisten können. Genuss lebt von den Grenzen und besteht als Quantum zwischen Exzess und Askese - das griechische Ideal der diaita.
Ein empirischer Teil bringt zwei Beispiele, welche zum einen die Bedeutung von Ursprungsnähe und regionalen Traditionen, zum anderen den Lebensvorteil von Genießenden aus ihrem Optimismus und ihrer Lebensbejahung betonen. In einer „Abschlussdiskussion" bringt Endres ein Resümee zur Sprache, mit welchem sie die „Genussrevolte" umschrieben haben möchte. In den Zwängen des Alltags muss ein genussbetonter Lebensstil als Ressource für zufriedenes und gesundes Leben erkannt werden - insbesondere für die Ernährung. Wie dies gelingen soll, bleibt mit „Optimierung" des Vorherrschenden nur angedeutet. Einen erweiterten Genussbegriff zukunftstauglich zu machen, möchte Endres abschließend als die Arbeitsperspektive der Slow Food Bewegung sehen. Kann das Buch somit als motivierter Versuch gelten, dies dargestellt zu haben, bleibt es im Hinblick auf Struktur und Argumentation des historischen Teils zurück. Hier wäre eine ausgewogenere Analyse wünschenswert gewesen, um den Stellenwert des Genusses und seinen jeweiligen diätetischen Stellenwert differenzierter nachverfolgen zu können. Trotzdem soll die starke Ansage ungeschmälert bleiben: Auf Diät folgt eine neue Esskultur!