Die Absicht der Reihe Studies in ancient medicine ist es, durch Übersetzungen von Primärquellen und in weiterer Folge auch Forschungsliteratur in die englische Sprache Texte zur antiken Medizin dem angloamerikanischen wissenschaftlichen Diskurs zugänglich zu machen. Im mittlerweile nun 40. Band dieser Reihe wird erstmals eine Auswahl von in verschiedenen Sammelbänden publizierten Aufsätzen Jaques Jouannas zur Medizin der griechisch-römischen Welt in englischer Übersetzung herausgebracht. Diese in drei Teilen vorgestellte Auswahl seiner Arbeiten entstammt aus über drei Jahrzehnten seiner wissenschaftlichen Tätigkeit als Professor für Griechisch an der Universität Sorbonne, als Mitglied des Institut de France, sowie als Gründer und Promotor mehrerer Forschungsinitiativen. Der zeitliche Horizont spannt sich dabei von der frühgriechischen Medizin bis in die Spätantike und behandelt dabei nicht nur verschiedene Themen von deren Geschichte, sondern exerziert diese in unterschiedlichen Forschungszugängen. Das Ziel vorliegender Publikation beschränkt sich nicht lediglich auf das Zusammentragen spezialisierter Einzelstudien und deren Übersetzung in englischer Sprache, vielmehr betont Herausgeber van der Eijk, dass damit die hauptsächlichen Leitlinien herausgestrichen werden sollen, die Jouanna in die Forschungsdiskussionen um griechisch-römische Medizingeschichte eingebracht hatte.
Um die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Arbeiten und dem medizinischen Verständnis von Hippokrates bzw. seiner Schule zu fördern, gründete Jouanna im Jahre 1972 das Colloque International Hippocratique. Neben der dort bzw. auch durch andere Forschungsprojekte im Laufe der Zeit erarbeiteten thematischen Breite gelang es auch, die Forschung von streng philologisch-werkgeschichtlich orientierten Zugängen hin zu soziokulturell-kontextbezogenen Fragestellungen zu öffnen. Dies spiegelt auch die Aufsatzsammlung vorliegender Publikation wieder. Teil eins stellt die griechische Medizin in ihren historischen, literarischen und kulturellen Kontext. Im ersten Aufsatz beleuchtet Jouanna dabei den bedeutenden Stellenwert Ägyptens in der Entwicklung des griechischen medizinischen Denkens, wie er sich aus Quellen wie Homer, Diodorus u.a. erkennen lässt. Welche Reziprozität medizinisches Wissen auch auf andere kulturelle Bereiche entfalten konnte, wird im zweiten Aufsatz anhand des Topos des Wandels bei Hippokrates bzw. Thukydides, im dritten entlang der Lektüre des hippokratischen Korpus aus rhetorischer Perspektive, sowie im vierten und fünften am Hinblick auf die griechische Tragödie, insbesondere am Beispiel der sowohl in rationalen als auch mythischen Deutungszusammenhängen stehenden Phänomenen von Krankheit gezeigt. Im letzten Aufsatz des ersten Teils wird die Vereinbarkeit zwischen traditionell-religiösem Bewusstsein und rationaler Medizin betont. In Teil zwei kommen charakteristische Themen der hippokratischen Medizin zur Sprache, insbesondere die zahlreichen Zusammenhänge von medizinischem und philosophischem Denken. Hippokratische Vorstellungen der Krankheitsübertragung wie in Aufsatz sieben stehen neben seinen Lehrmeinungen von Gesundheitserhaltung und Diätetik in den Aufsätzen acht bis zehn. Aufsatz 11 thematisiert die Rezeption des hippokratischen Regimen hinsichtlich dessen medizinischen Verortung von Gefühl, Denken und Seele bei Empedokles und in Platons Timaeus, während der abschließende Aufsatz dem klassischen Thema der Melancholie nachgeht und dessen diskursive Performance in der medizinischen Tradition der Griechen untersucht. Der dritte und letzte Teil widmet sich Themen der Rezeption von hippokratischem Wissen in der Spätantike und insbesondere bei Galen. Hier werden dessen Lesarten der hippokratischen Medizinethik wie in Aufsatz 13, sein Verständnis des Begriffes der Natur in Aufsatz 14, sowie ausgehend von der hippokratischen Schrift Die Natur des Menschen - die für Galen die philosophische Grundlage der hippokratischen Medizin bildet - sein Verständnis und seine Auslegung der darin gestalteten Physis (Aufsatz 15) sowie seine Tradierung und Kommentierung der hippokratischen Viersäftelehre (Aufsatz 16) zur Sprache gebracht.
Angesichts der thematischen Breite werden somit durch die vorliegende Aufsatzsammlung nicht nur ausgewählte Arbeiten Jacques Jouannas einem englischsprachigen Publikum zugängig gemacht, sondern darüber hinaus ein, jenseits von fachsprachlicher Eingrenzung bzw. die Leserlichkeit behinderndem Wissenschaftstheoriefetischismus angesiedelter, informativer Eindruck davon vermittelt, welche Aspekte die griechische Medizin in historischer Perspektive auf dem Weg von Hippokrates zu Galen aufzuweisen hat.