Sind zwar Gesundheit und Krankheit als Alltagsphänomene des Menschen stets in aller Munde, ist den Begriffen aber ein weites Bedeutungsfeld beschieden. Umso mehr spielt dies im normierenden Zusammenhang eine Rolle, wo Institutionen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft dem Einzelnen verbindliche Vorstellungen von gesund und krank an die Hand geben möchten, um deren Lebens- bzw. Arbeitsalltag zu bestimmen. Unter dem Titel „Was ist krank, was ist gesund" wirft Kiesel diese Problematik fragend auf, um damit anschließend deren entsprechende Verwendung im aktuellen Diskurs über Prävention und Gesundheitsförderung abzutasten. In sechs Hauptkapiteln führt er einen beispielhaften begriffsklärenden wie -entwickelnden Zugang vor, womit auch die Hauptleistung dieses Buches angegeben werden kann. In einem durchwegs explikativen Stil in begrifflich klarem Fachvokabular gelingt dem Buch eine fundierte thematische Orientierungsleistung, abseits der Einschränkungen auf ein fachspezifisches Publikum. Stufenweises Erarbeiten von Definitionen in exemplarischen Zugängen wie Auszügen aus fachliterarischer Diskussion führt zu Begriffsbestimmungen von Gesundheit, Krankheit, Prävention, Gesundheitsrisiken und -förderung, die ihre medizinischen, sozioökonomischen wie -politischen Verwendungsfelder klar pränotieren. Kiesel führt diesen Diskurs nicht in konkrete Handlungsleitbilder mit Empfehlungen an Krankenkassen, Arbeitgeber oder den Einzelnen selbst aus, auch finden sich keine Visionen des gesunden Menschen im 21. Jahrhundert, vielmehr legt er Wert auf die saubere argumentative Beweisführung in klaren Begriffen, ab wann von Gesundheit und seiner Bewahrung bzw. Bestärkung, wie von Krankheit und seiner Verhinderung bzw. Behandlung die Rede ist und wann eben nicht, welche Relationen und Risiken bestehen und welche Implikate diese in den Kategorien von rationalem und irrationalem Gesundheitshandeln dann mitführen.
Versucht Kiesel im ersten Kapitel einen erkenntnistheoretischen Zugang an den Begriff des Wissens, wodurch medizinisches Wissen ideativ charakterisiert und wie es begründet ist, zeigt er damit zugleich auch die Möglichkeiten der medizinischen Sprache auf. Worüber kann möglicher- bzw. sinnvollerweise von Gesundheit bzw. Krankheit, der Veranlagung dazu, sowie seiner Beförderung bzw. Verhinderung gesprochen werden, wenn davon die Rede ist. Einem alternativmedizinischen (Homöopathie, TCM) Sprachgebrauch tritt er damit entgegen („Mensch als Maschine", S. 213f), rollt das Thema aber nicht ausführlich auf (S. 87ff). In einem zweiten Kapitel beschreibt Kiesel die Eigenschaften des Menschen als den Gegenstand medizinischen Wissens. Diese können aktual sowie dispositional genannt werden. Können wir uns im ersten Fall von deren Vorliegen kraft der Sinne überzeugen, bezieht sich zweiteres auf die Veranlagungen zu bestimmten Eigenschaften. Diese begrifflichen Grundlagen ermöglichen die Diskussion um Gesundheit bzw. Krankheitsphänomene und deren sachgerechte Beschreibung, welche Kiesel in Kapitel drei und vier ausführlich aufrollt. Dabei macht er deutlich, dass Begriffe von Gesundheit und Krankheit als kontradiktorischer Gegensatz aufzufassen sind (S. 156), Anschlussfähigkeit an den alltäglichen Sprachgebrauch (S. 215) und eine kontextunabhängige Bedingungsstruktur (S. 217) aufzuweisen haben, einen Unterschied zu technischen Begriffen (bspw. der Leistungsfähigkeit, S. 157) verkörpern müssen, nicht allumfassend sein (Gesundheit als höchstes Gut, S. 158) und keine moralische Dimension miteinbeziehen dürfen (S. 207f), dem Parameter der (vielgestaltig zu verstehenden) Handlungsfähigkeit einen entscheidenden Stellenwert gebührt (S. 158), sowie den kategorial verschiedenen Perspektiven - und damit auch Wertungen - von Betroffenen und Nichtbetroffenen Rechnung zu tragen haben (S. 202ff). Anhand einiger Beispiele der medizinischen, soziologischen bzw. philosophischen Fachliteratur schärft Kiesel seine begrifflichen Vorschläge. Handelt es sich bei Krankheiten um klassifizierte Phänomene, kann die Gesundheit entweder ex negativo als Abwesenheit von Krankheit, oder aber durch Idealvorstellungen positiv bestimmt werden. Kiesel schlägt dabei einen dispositionalen Gesundheitsbegriff vor, wodurch jenseits der Abwesenheit von Krankheit „gesund" als steigerbares Prädikat fungiert, unter Beachtung der vielfältigen Dispositionen (körperliche und umweltliche) aber nur von einer partikulären Gesundheit gesprochen werden kann. Grundlegend stellt Kiesel ein Sprechen von Gesundheit, Krankheit, den Neigungen dazu sowie den Fähigkeiten, sich davor zu bewahren bzw. davon loszukommen als ein dispositionales Sprechen fest: Deren pragmatische Funktion benennt den Zusammenhang menschlicher Eigenschaften mit einer oder mehreren Gesetzmäßigkeiten, mit bestimmten zukünftigen Umgebungsbedingungen und einem möglichen Resultat, dem Kranksein. In Kapitel fünf und sechs lotet Kiesel aus, was unter Gesundheitsrisiken, Prävention und Gesundheitsförderung verstanden werden kann. Hierbei bildet er die Argumentierbarkeit von Handlungsoptionen ab, welche dem Einzelnen im Umgang mit körperlichen Funktionsdefiziten bzw. den jeweiligen Dispositionen dazu, sowie der Behandlung davon ein begründetes Repertoire an die Hand geben sollen. An der Frage der bzw. den Zuschreibungen von Rationalität bzw. Irrationalität von Gesundheitsentscheidungen wird deutlich, welche Zielkonflikte hinsichtlich gesundheitsfördernder bzw. präventiver Maßnahmen und individuellen Bedürfnissen auftreten können. Zuletzt kommen die Konsequenzen für die entsprechenden Institutionen in Politik und Wirtschaft zur Sprache, wobei sich Kiesel mit der Forderung nach Schaffung adäquaten medizinischen Wissens bzw. gesundheitlicher Fähigkeiten für die Betroffenen, um deren autonomes Gesundheitsentscheiden zu gewährleisten, ausdrücklich positioniert. In der Propagierung einer „Gesundheitskultur" ist für Kiesel die Zielbestimmung des titelgebenden Diskurses über gesund und krank, sowie den medizinischen, politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und individuellen Umgang damit in Beförderung bzw. Verhinderung angegeben. Lebens- und Arbeitsbedingungen sollen den Menschen ermöglichen, einen gesunden Lebensstil zu pflegen, abseits einseitiger „Optimierungen" und negativer Extreme. Über beispielsweise kulturell vermittelte Grenzen bzw. ein angemessenes Gesundheitsmarketing können dem Individuum Marksteine angezeigt werden, innerhalb derer er sich aber frei zu bewegen hat. Der Begriff der Gesundheitskultur umschreibt für Kiesel eine Atmosphäre des selbstbewussten und -bestimmten Gesundheitsentscheidens, sohin ein im Sinne gesundheitsfördernden Handelns konstruktives Dispositional, in welchem die Befürworter bzw. Indifferenten gut aufgehoben sind, alle Gegner hingegen über die Barriere ausreichender Warnung und damit einhergehenden Risikobewusstseins sich auch dagegen entscheiden können.
Kiesels Verdienst ist es in vorliegender Studie, die Begriffe Gesundheit, Krankheit, Prävention, Gesundheitsförderung und Gesundheitsrisiko definitorisch abzugrenzen und durch das Aufstellen von zu erfüllenden Begründungsschemata deren Interdisziplinäre wie alltagssprachliche Anschlussfähigkeit zu gewährleisten, um damit einem zielführenden Diskurs darüber den entsprechenden Rahmen verliehen zu haben.