Unter Integrativmedizin lässt sich der Syntheseversuch von bislang getrennt praktizierten Methoden in Diagnose und Therapie des schulmedizinischen Spezialistentums auf der einen Seite und ganzheitlichen Zugängen alternativ- bzw. komplementärmedizinischer Systeme auf der anderen Seite verstehen. Eine integrativmedizinische Forschung sucht die Vorteile beider Systeme zur Stärkung der Salutogenese heranzuziehen. Nachdem Ganzheitlichkeit ein weites Feld kultureller Deutungsmuster offenlegt, ist die von rein naturwissenschaftlicher Medizin hin zu anthropologischer Breite führende Fahrrinne angedeutet, die auszuloten sich die Herausgeber des vorliegenden wissenschaftlichen Sammelbandes in der Zusammenschau von moderner westlicher Schulmedizin und indischen Traditionen - insbesondere des Ayurveda - zur Aufgabe gemacht haben. Der Blick auf die Kulturgebundenheit und die kulturellen Definitionsmomente von Medizin, insbesondere hier den ayurvedischen Beitrag betonend, berge inhaltliche „crossroads", so im Vorwort, welche die zusammengestellten Beiträge in einer Zusammenschau deutlich machen sollten.
In einem ersten Teil werden unter dem Titel „Health and Well-Being in the Western Tradition" zwei Aufsätze gebracht, welche sich dem „disease-focused approach", der Krankheitszentrierung westlicher Medizin sowie den damit verbundenen steigenden Kosten der Gesundheitssysteme kritisch, sowie den Methoden der Psychosomatik und ihrer bio-psychosozialen Zugänge widmen. Davon abgesehen, dass sich eigentlich dreimal so viele Aufsätze mit der ayurvedischen Perspektive auseinandersetzen, ist jedenfalls die Bezeichnung „western tradition" irreführend, da es, mit Ausnahme des die griechische Medizin sträflich reduzierenden Rückbezuges auf Asklepios, um die moderne Heilkunde ab dem 19. Jahrhundert geht. Ein zweiter Teil geht gleichlautend den „Indian Traditions" nach, wiewohl die besondere medizinische Aussagekraft des Ayurveda dabei unterstrichen wird. Die Aufsätze widmen sich dabei der Kritik am biomedizinischen Reduktionismus der westlichen Medizin im Vergleich zum holistisch ausgerichteten ayurvedischen Gesundheitswissen, den Körper, Geist und Psyche umfassenden Gesundheitsvorstellungen des Ayurveda samt einer Erörterung ihrer medizinphilosophischen Bestimmungslinien. Weiters wird aus indischer Perspektive die Rolle der sozialen Rituale für das gesunde Leben erörtert, sowie dem Gesundheitswissen lokal begrenzter traditioneller Medizinkulturen insbesondere Südindiens nachgegangen. Der dritte Teil schließlich möchte mit „Bridging the Worlds" synoptische Schnittmengen des Wissens beider Medizinsysteme bringen, welche auch bereits in vorigen Aufsätzen anzutreffen waren. Hier werden die Parallelen von Quantenphysik und vedischem Wissen im Hinblick auf ihre ontologischen Aussagen und die Meinung über universale Zusammenhänge des Menschen am deutlichsten durch Ayurveda verwirklicht gesehen, werden sowohl aus dem Blickwinkel der westlichen Schulmedizin wie auch des Ayurveda die bio-psychosozialen Zusammenhänge des Individuums als Akteur und Verantwortlicher seiner eigenen Gesundheit dargestellt und wird zuletzt im Hinblick auf eine Definitionsleistung integrativmedizinischer Synopsis das ayurvedische Wissen als komplexes System geschildert, dessen inklusive Logik sie anhand der wesentlichen Medizinbegriffe des Ayurveda verdeutlichen.
Eine abschließende Zusammenfassung aller Beiträge versucht den Konvergenzvorschlag westlicher und ayurvedischer Medizin („cultural interplay") nach Modellierung in komplex adaptiver Absicht, unter Hervorhebung personalisierender Zugänge („personalization"), der Beachtung von mikro-makrokosmischen Querverbindungen („interconnection") sowie in der Verortung von Gesundheit als Balance bio-psychosozialer Dynamik.